Ernüchterung

Bei nahezu allen Veranstaltungen und Diskussionen rund um die Energiewende wird davon ausgegangen, dass auch in Zukunft der Strom selbstverständlich aus der Steckdose kommen wird, wenn wir ihn brauchen. Kaum jemand beschäftigt sich jedoch tiefergehend mit den physikalischen Zusammenhängen oder dass es dafür keinerlei Garantie gibt, auch wenn die Netzbetreiber tagtäglich ihr Bestes geben, um mit dem fertig zu werden, was Markt und Politik verursachen. So haben etwa 2018 die Engpassmanagementkosten in Österreich mit 348 Millionen Euro einen neuen Rekord erreicht. In sechs Jahren das 174-fache!

Wir sind auch in anderen Bereichen in einer derartigen Selbsttäuschung gefangen. Je tiefergehender man sich mit dem Thema Vorsorge beschäftigt, desto ernüchternder werden die Erkenntnisse. So gut wie überall fehlt die wesentliche Basis: Die Vorsorge in der Familie. Auch da nehmen wir ganz selbstverständlich an, dass sich die anderen schon vorbereiten werden, um uns dann zu helfen. Aber auch Ärzte, Pflegerinnen, Feuerwehrmänner oder Soldatinnen haben meistens eine unvorbereitete Familie, die dann Priorität haben wird. Scheinbar lassen wir uns auf ein evolutionäres Experiment ein: Are we fit enough to survive, wie der Titel des Beitrages von Herbert Saurugg zur TEDxDornbirn am 22. Juni lautet.

Blackout-Vorsorge Aktivitäten

Dennoch gibt es auch Lichtblicke. So gab es Mitte Mai 2019 in Österreich erstmalig eine große Krisenstabsübung („Helios“), wo das Szenario einer Strommangellage beübt wurde. Sechs MinisterInnen richteten eine klare Botschaft an die Öffentlichkeit:

  • Die Bevölkerung sollte dringend eine Eigenvorsorge betreiben und Trinkwasser, Lebensmittel, Medikamente und andere Dinge, die man zum täglichen Leben braucht, bevorraten. 
  • Auseinandersetzungen innerhalb der Familien sind unumgänglich.
  • Jedes Unternehmen und jede Gemeinde benötigen einen entsprechenden Blackout-Vorsorgeplan.

Mitte Juni wird die steirische Landesregierung ein umfassendes Blackout-Maßnahmenpaket für steirische Gemeinden vorstellen. Unter anderem wird gerade eine Arbeitsmappe erstellt, womit den BürgermeisterInnen und Gemeinden ein entsprechendes Werkzeug für die Blackout-Vorsorge in die Hand gegeben wird. Damit erfolgt ein wichtiger Anstoß. Das Tun und die Umsetzung bedeuten dann noch immer eine Knochenarbeit, wie viele bereits laufende Projekte zeigen. Vor allem die aktive Einbindung der Bevölkerung und die persönliche Vorsorge brauchen eine große Beharrlichkeit.

Am 1. Juli wird es zudem den Workshop „Die Gesundheits(not)versorgung in der Steiermark während eines Blackouts“ geben. Es gibt bereits über 80 Anmeldungen. Einige Plätze stehen noch zur Verfügung.

Entwicklungen

Dass uns eine Strommangellage wie sie bei „Helios“ beübt wurde bereits im kommenden Winter bevorstehen könnte, wird fortlaufend wahrscheinlicher. Dazu führt ein aberwitziger politischer Aktionismus, der ohne Systemverständnis Wunschvorstellungen verwirklichen will. So sollen nun in Deutschland bis 2022 rund 12 GW Leistung aus Kohlekraftwerken stillgelegt werden. Gleichzeitig gehen bis dahin die verbleibenden 10 GW Leistung aus Kernkraftwerken vom Netz. Das ist rund ein Viertel des höchsten Leistungsbedarfs.

Deshalb wird in Deutschland bereits erwartet, dass es erstmals im kommenden Winter zu einem Importbedarf kommen könnte. Doch bisher haben genau dann die Nachbarländer beachtliche Mengen an Strom aus Deutschland importiert. Alle wollen importieren, nur niemand sagt, woher der Strom dann wirklich kommen soll … Jetzt wurde in Österreich auch noch kurzfristig beschlossen, das Kohlekraftwerk Dürnrohr mit rund 400 MW nicht erst 2025 sondern bereits heuer stillzulegen. Dieses Kraftwerk war aber bisher häufig als „Krisenfeuerwehr“ für Deutschland im Einsatz. Und damit sinkt auch in Österreich die fix erwartbare Leistungsreserve.

Grundsätzlich ist der Ausstieg aus fossilen Energieträgern zu begrüßen. Nur wenn man das ohne adäquate Ersatzlösungen macht, könnte das zum kollektiven Selbstmord führen. Das mag fürs erste übertrieben klingen. Nicht jedoch, wenn man sich mit der vorhandenen Krisenvorsorge beschäftigt. Und Physik hält sich nicht an Wunschvorstellungen! Weder Geld noch irgendwelche Beschlüsse helfen bei Leistungsmangel.

Das zeigen auch die Markt“spiele“, welche auf Gewinnmaximierung setzen. Der Markt muss offenbar keine Rücksicht auf die Physik nehmen. Das müssen „nur“ die Netzbetreiber, die dazu Notmaßnahmen ergreifen müssen. So gab es in diesem Jahr bereits vier kritische Ereignisse, die im Strommarkt das physikalische System an Belastungsgrenzen gebracht haben. Die Ereignisse am 10. und 24. Jänner 2019 haben einmal zu Erreichung der unteren (49,8 Hz) und einmal der oberen Grenze (50,18 Hz) des sicheren Normalbetriebes geführt. Am 03. April ging es erneut stark nach unten (49,85 Hz). Am 20. Mai wurden dann durch unzutreffende Prognosen und gewinnbringenden Marktaktionen im kurzfristigen Stromhandel in der Schweiz unvorhergesehene Lastflüsse verursacht, die zu Sicherheitsverletzungen führten. Das alles ging einmal mehr spurlos an der breiten Masse vorbei, da kaum darüber berichtet wurde.

Das letzte Mal kam es im Februar 2012  zu nicht so kritischen Auswirkungen. Auffällig wurde es nur am 4. November 2006. An diesem Tag kam es zur bisher letzten Großstörung im europäischen Verbundsystem. Kleinere Störungen gibt es immer wieder. Da diese aber in aller Regel rasch behoben werden, wiegen wir uns in einer komfortablen Truthahn-Illusion.

Stromausfall Berlin-Köpenick

Wie schnell es an die Grenzen der Belastungsfähigkeit unserer Gesellschaft gehen kann, hat der 31-stündige Stromausfall im Februar in Berlin-Köpenick angedeutet. Dabei wurden viele bisher getroffenen Annahmen zu Ursachen und Auswirkungen von längeren Stromausfällen bei diesem relativ überschaubaren Ereignis bestätigt. Besonders die Probleme in der Gesundheitsversorgung stachen dabei hervor, auch wenn alles noch sehr glimpflich ausgegangen ist.

Auch der jüngste Bericht der EU-Organisation für Netzsicherheit (ENISA) bestätigt wieder einmal einige Befürchtungen, die auch den Telekommunikationssektor betreffen: „15% of the incidents involved a power cut, but incidents caused by power cuts account for 496 million user hours lost, i.e. more than half of the total impact.“ Es sind immer wieder Einzelerfahrungen, die uns wachrütteln sollten. Wenn jedoch kaum darüber berichtet wird – siehe die vier gravierenden Ereignisse in diesem Jahr – wer soll dann überhaupt wachgerüttelt werden?

Lücken in der Gesundheits- und Wasserversorgung

Im März gab es mehrere mehrtägige Blackouts in Venezuela. Die gravierenden Folgen für die Bevölkerung in diesem Land wurden bei uns kaum wahrgenommen. Die Informationslage war auch sehr spärlich. Die Erfahrungen betrafen jedoch einmal mehr die Gesundheits- und Wasserversorgung. Zwei Bereiche sind dabei hervorzuheben, die auch bei uns völlig unterschätzt werden, wie leider immer wieder zu Tage kommt. So reichen in Pflege- und Krankenhauseinrichtungen die Lebensmittelvorräte meist nur für wenige Tage. Auch in anderen Bereichen bestehen ernste Mängel. Zum Beispiele werden Treibstoffvorräte für die Notstromversorgung aus betriebswirtschaftlichen Gründen bis auf ein Bruchteil der theoretisch möglichen Reserve heruntergefahren, bevor wieder aufgetankt wird.

Große Städte oder Regionen müssen oft schon nach 12 Stunden mit massiven Problemen bei der Wasserversorgung rechnen. Oft ist bekannt, dass Teilregionen nicht versorgt werden können. Jedoch wird das häufig nicht an die betroffenen Menschen kommuniziert. Damit nimmt man ihnen die Möglichkeit, sich umfassender vorzubereiten. Ad hoc wird das dann alles schwierige und chaotisch. Denn ohne Telekommunikation wird jede Organisation schwierig. Hierzu gibt es einen spannenden Bericht von einem lokalen Wasserausfall zu Pfingsten in Hamburg. Wenn die Wasserversorgung einmal unterbrochen wird, dann wird es nicht nur für die Menschen und Tiere rasch sehr unangenehm. Es drohen sogar Infrastrukturschäden (Rohrbrüche, Lufteinschlüsse, die aufwendig entlüftet werden müssen oder das Abblättern von Ablagerungen), die nur aufwendig behoben werden können. Die Folgen sind kaum abschätzbar.

1. Blackout-Vorsorge Tag

Daher wurde für den 5. Oktober 2019 in Österreich der 1. Blackout-Vorsorge Tag initiiert. In der Steiermark und in Oberösterreich wird das Motto auf jeden Fall aufgegriffen. Der Wiener Zivilschutzverband („Die Helfer Wiens“) sind wahrscheinlich auch dabei. Auch aus Deutschland gibt es schon erste Rückmeldungen. Es geht dabei um Selbstorganisation. Je mehr Organisationen und Kommunen dieses Thema aufgreifen, desto eher werden wir auch eine öffentliche Aufmerksamkeit damit erreichen. Und wenn es nur darum geht, die lokale Bevölkerung zu diesen Thema zu sensibilisieren. In der Stadtgemeinde Feldbach wird es an diesem Tag eine offizielle Abschlussveranstaltung zum Forschungsprojektes Energiezelle F geben: Einsatz des Notradiosenders, Informationsveranstaltung am Hauptplatz, Funkübung, Aktivierung von Selbsthilfe-Basen, usw. 

Neue Leitfäden für die Vorsorge

In den letzten Monaten sind auch neue Hilfestellungen für die Blackout-Vorsorge entstanden:

Verschiedene Meldungen

Unter diesem Link finden Sie eine weitere Sammlung von relevanten Medienberichten ohne Kommentierung.

Systemische Betrachtungen

Krisenmanagement und Krisenvorsorge

Systemische Risiken

Stromversorgung

Blicke auf die Situation im europäischen Stromversorgungssystem

Die angeführten Beispiele stammen rein aus öffentlich verfügbaren Quellen. Sie zeigen aktuelle Herausforderungen auf und sollten uns an die Truthahn-Illusion erinnern.

Entwicklung der Engpassmanagementkosten (Datenquelle: APG)

Entwicklung der Engpassmanagementkosten (Datenquelle: APG)

  • Am Pfingstsamstag gab es einen neuen Rekord mit Negativpreisen am deutschen Strommarkt. Während 19 Stunden lag der Strompreis bei -60 Euro. Sprich, Großabnehmer haben sogar für die Stromabnahme bezahlt bekommen. Gleichzeitig gab es damit 2019 bereits mehr Stunden mit Negativpreisen (136), als im gesamten letzten Jahr (134). Nur das bisherige Rekordjahr 2017 mit 147 Stunden wurde noch nicht geknackt.