Wir möchten den heutigen Newsletter mit einem Blick über den Tellerrand beginnen. Auch, um positive Zukunftsperspektiven aufzuzeigen.
Zukunftssicht
Um bei den momentan anstehenden Umbrüchen Richtung Netzwerkgesellschaft richtige Entscheidungen treffen zu können, ist es erforderlich, bisher durchaus erfolgreiche Vorgehensweisen zu überdenken und auch verlassen. Auch im Mittelalter war es eine Zeitlang gut und ausreichend, mit immer höheren und dickeren Stadtmauern einen wirksamen Schutz herzustellen. Aber dann kamen ziemlich abrupt neue Waffensysteme. Die traditionelle Vorgehensweise musste rasch verlassen werden.
Eine ähnliche Situation kann heute beobachtet werden. Das zeigt sich z. B. sehr deutlich in der Informations- und Kommunikationstechnik. Immer längere Schlüssel nützen nur mehr bedingt. Wieder hat ein bisher sicher geglaubtes Verfahren einen Schiffbruch erlitten – siehe Black Hat: Sicherheitsforscher klonen verschlüsselte SIM-Karten.
Es nützt einfach nichts, in der falschen Richtung immer schneller zu rennen, auch wenn nicht alles, das bisher erfolgreich war obsolet ist. Es kommt noch immer auf den Anwendungsfall an. Aber wir müssen uns über die Richtung klar werden. In unserem Fall ist das Ziel das Gelingen der Energiewende und nicht die Abwendung eines Blackouts. Wir müssen dazu diesem extrem einschneidenden Ereignis des Blackouts die Grundlage entziehen. Dazu sind ’nur‘ genügend Energiezellen notwendig, die sich bei einem Verlust der Netzstabilität oder dem Verlust von der Transportfähigkeit des Netzes für eine begrenzte Zeit im ‚Eigenbedarf fangen‘ können. Damit würde auch möglichen Szenarien wie ‚Blackout durch intelligente Stromzähler‚ die Grundlage entzogen.
Natürlich kann in einer Energiezelle in diesem Not-Zustand nicht der gleiche Komfort erwartet werden, wie im vernetzten Normalzustand. Aber es muss reichen, um die Störungsphase bestmöglich überbrücken zu können. Und in solchen Energiezellen muss unverzüglich das Ziel völlig autonom und selbstorganisierend angegangen werden, sich mit anderen Energiezellen, die gleichermaßen auf niedrigem Level ‚überlebt‘ haben, zu vernetzen. Siehe dazu die ‚Orchestrieren statt Steuern von außen‚.
Ohne eine Energiebevorratung und ohne eine entsprechende Fähigkeit zur Erkennung des eingetretenen Zustandes und der Fähigkeit des ‚Umschaltens‘ auf eine Art von Notbetrieb gelingt natürlich kein ‚Fangen im Eigenbedarf‘. Und es werden keineswegs alle Energiezellen das können, zumindest wird es längere Zeit brauchen, bis die lokale Energiebevorratung zur Normalität wird und dass für ein Leben im Notbetriebszustand vorgesorgt ist. Das ist ein sehr langfristiges Ziel. Aber jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt.
Derzeit ist ein selbstorganisierter Netzwiederaufbau und eine ausreichende Energiebevorratung in der Fläche noch für sehr viele schlicht undenkbar, aber es ist die Zukunft. Diese gilt es anzugehen und nicht das verzweifelte Festhalten an überkommenen Vorgehens- und Verhaltensweisen (auch wenn sie unter den bisherigen Rahmenbedingungen gut und richtig waren und noch hervorragend funktionieren).
Zusätzlich zu diesem in die Zukunft weisenden Impuls müssen wir natürlich weiterhin Vorsorge für ein immer mögliches Blackout treffen. Die Rahmenbedingungen sind so wie sie sind. Den Kopf in den Sand stecken, ist keine Lösung. Noch sind wir vom Gelingen der Energiewende gleichsam ‚Lichtjahre‘ entfernt.
Es ist auch nicht schlimm, dass etwas passieren kann, denn es gibt nirgends eine 100 % Sicherheit. Unverantwortlich ist nur, wenn wir uns einfach darauf verlassen, dass nichts passiert und keine Rückfallebenen vorsehen, wie das derzeit weitgehend der Fall ist. Dazu es gibt wieder einiges zu berichten:
Schweizer Risikobericht 2015
Das Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) hat erneut eine umfassende nationale Risikoanalyse „Katastrophen und Notlagen Schweiz“ durchgeführt und die Ergebnisse veröffentlicht. Wesentliche Erkenntnisse daraus sind auch für Österreich und Deutschland von Interesse:
Die jüngere Vergangenheit zeigt, dass in der Schweiz Schadenereignisse mit lokalen oder regionalen Auswirkungen grundsätzlich gut bewältigt werden können. Angesichts der rasant zunehmenden Vernetzung und der enormen Infrastrukturdichte steigt jedoch unsere Verletzlichkeit. Ein großflächiger Stromausfall hat in dieser Perspektive ein neues oder jedenfalls stark gestiegenes Risikopotential.
Als größtes Risiko wurde eine Stromunterversorgung von 30 Prozent während mehrerer Wintermonate identifiziert. Laut dem Bericht würde ein derartiges Szenario „zu großen Personenschäden“ und darüber hinaus „zu immensen ökonomischen und immateriellen Schäden für die Wirtschaft und für die Gesellschaft“ führen. Insgesamt sei mit einem Schaden von über hundert Milliarden Franken zu rechnen. Die Häufigkeit für das Auftreten eines derartigen Ereignisses wird auf einmal in dreißig bis hundert Jahren geschätzt. Ähnlich hoch liegt das Risiko mit Bezug auf eine mögliche Pandemie: Bei etwa gleicher geschätzter Häufigkeit wird hier mit einem Schadensausmaß von siebzig bis achtzig Milliarden Franken gerechnet.
Ausfall Stromversorgung (Szenario): Wenn im Sommer in mehreren Kantonen mit großen Agglomerationen und hoher Infrastrukturdichte das Hochspannungsnetz aufgrund physischer Schäden ausfällt, ist die Folge ein vollständiger Stromausfall während zwei bis vier Tagen. Davon wären etwa 0,8 bis 1,5 Millionen Menschen betroffen. Es würde voraussichtlich Tage bis Wochen dauern, bis sich die Situation normalisiert hat.
Auch wenn das Szenario eines europaweiten Stromausfalls nicht direkt adressiert wird, bestätigt das dargestellte regional begrenzte Szenario die bisherigen Einschätzungen. Daher sollten auch wir uns die im Bericht gestellten Fragen stellen:
Wie gut sind wir auf große, nationale Ereignisse mit komplexen Auswirkungen vorbereitet?
Wiegen wir uns in falscher Sicherheit?
Das Verhalten der Bevölkerung in Katastrophen und Notlagen – Verzerrte Vorstellungen
In der Schweiz wurde eine Studie zum Verhalten der Bevölkerung in Katastrophen und Notlagen erstellt – mit durchaus wichtigen Erkenntnissen, die wohl auch für Österreich und Deutschland von Bedeutung sind, und die auch eine Bestätigung für die eigenen Wahrnehmungen darstellt:
In den Köpfen der Menschen existieren oftmals Vorstellungen von Massenpaniken, Plünderungen und Chaos. Sind das aber tatsächlich Zustände, mit denen wir in Katastrophen rechnen müssen? Nein, sagte unsere Studie. Massenpaniken, Gewalt und Plünderungen sind weitaus seltener, als gemeinhin angenommen. Menschen, die sich nicht in einer akut lebensbedrohlichen Situation befinden, zeigen sich in Katastrophensituationen überwiegend ruhig, rational und vor allem sehr hilfsbereit. So konnte im Rahmen einer Metastudie beispielsweise aufgezeigt werden, dass es in Untersuchungen zu Stromausfällen keinen einzigen dokumentierten Fall kollektiver Panikreaktionen gibt.
Während traditionelle Schutzansätze die Bevölkerung oft als passives Element sehen, welches informiert und geschützt werden muss, verweisen neue Forschungsergebnisse vermehrt auf die Relevanz des individuellen Bewältigungsverhaltens. Dieses umfasst vor allem das Wissen und die Fähigkeit, sich und anderen im Ereignisfall helfen zu können. Weiter gehört auch das Treffen von angemessenen Vorsorgemaßnahmen, wie das Anlegen von Vorräten zum individuellen Bewältigungsverhalten. Neue Ansätze gehen davon aus, dass die Bevölkerung – mit entsprechender Unterstützung – die Kompetenz besitzt, sich vorwiegend selbst zu schützen und baut gezielt auf diesen Annahmen auf. Unsere Studie bestätigt die Notwendigkeit dieses Paradigmenwechsels klar.
Ziel sollte deshalb die Förderung des individuellen Bewältigungsverhaltens sein, um mit Katastrophensituationen umgehen zu können.
Wie sicher ist unsere Erdgasversorgung? – Update
Im letzten Newsletter haben wir über die Erdgasspeichersituation in Österreich berichtet. Der aktuelle Füllstand mit 02.08.15 beträgt 48.42 % bzw. 2,279.11 mcm. Im Vergleich, am 02.08.14 betrug der Füllstand 80.85 % bzw. 3,737.50 mcm. Der derzeitige Füllstand wurde 2014 bereits am 14. Mai erreicht!
Auch auf EU-Ebene sieht es ähnlich aus:
2015: 61.69% bzw. 56,658.38 mcm
2014: 80.14 % bzw. 64,255.66 mcm
Der kommende Winter könnte daher durchaus ‚interessant‘ werden, sollte sich die politische Krise im Osten verschärfen oder es zu Kältewellen kommen.
Offener Brief an die Sicherheitssprecher der österreichischen Parteien
Nachdem das Thema ‚Blackout‘ weiterhin ein nationales Randthema darstellt, hat Herbert Saurugg einen offenen Brief an die Sicherheitssprecher der österreichischen Parteien gesendet. Dieser ist auch an diverse Medienvertreter gegangen. Der Brief enthält unter anderem eine umfangreiche Fragenliste an die verschiedenen Ministerien.
Verwenden Sie diesen Brief gerne weiter um in dieser Sache nachzuhaken bzw. lassen Sie uns auch gerne weitere Fragen zukommen! Einfach ein Mail an .
Workshop „Blackout: eine kommunale Herausforderung“
Am 02. September findet mit Unterstützung des Bundeskanzleramtes der Workshop ‚Blackout: eine kommunale Herausforderung‘ statt. Hierzu wurden die Bürgermeister der österreichischen Gemeinden eingeladen.
In eigener Sache
Unser Newsletter adressiert immer wieder (aber nicht ausschließlich) speziell das Thema ‚Blackout‘ – daher mag durchaus der Eindruck des ‚Katastrophisierens‘ entstehen. Um dem entgegen zu treten möchten wir dazu ein selbstkritisches Zitat aus dem Buch ‚Einfach genial entscheiden‚ anführen:
Katastrophisieren ist eine Schwäche, die ganz besonders intelligenten und weit vorausdenkenden Menschen unterläuft. Hierbei wird von einem negativen Ausgangspunkt oder einer negativen Entwicklung aus linear in die Zukunft fortgeschrieben. Alle möglichen negativen Folgen werden als logische Kette vorausgedacht. Dabei werden erstens positive Abweichungen und Gegenkräfte außer Acht gelassen. Zweitens bleibt die Tatsache unberücksichtigt, dass viele der möglichen negativen Entwicklungen überhaupt nicht eintreten werden. Der Fokus auf das gleichzeitige Eintreffen alles erdenklich Negative bzw. auf den Dominoeffekt ungünstiger Entwicklungen führt oft zur Entscheidungslähmung und einer negativen, sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Es ist richtig, die Welt dreht sich nicht nur um dieses mögliche Szenario. Eine gewisse Gelassenheit ist daher durchaus angebracht – siehe etwa ‚Hitzewellen haben erhebliche Auswirkungen – 700 Menschen starben‘. Wir beabsichtigen keine Lähmung, sondern zum intensiven Nachdenken und zukunftsgerichteten Handeln anregen, auch wenn es auf den ersten Blick manchmal schwer erscheinen mag. Risiko bedeutet nicht nur, dass ein möglicher Schaden eintreten könnte, sondern auch, dass es Chancen gibt. Nutzen wir diese durch vernetztes Denken und neu einzuschlagende Wege.
Verschiedene Meldungen und Berichte
- Blackout ist grösstes Risiko in der Schweiz – Risikobericht 2015
- Blackout ist längst nicht unmöglich – Experten schließen einen Stromausfall, der länger als 24 Stunden dauert, nicht mehr aus
- Waren wurden nach Stromausfall entsorgt – Erfahrungen aus einem lokalen Stromausfall
- Von den Grenzen wissenschaftlicher Modelle – Modelle sind in der Wissenschaft unverzichtbar: Die Wirklichkeit erweist sich aber oft als ‚bockig‘ und richtet sich nicht immer nach ihnen – etwa wenn Menschen gar nicht so (vermeintlich) rational handeln, wie es das Modell vorsieht. Die Menschen sind nun mal keine ‚Automaten‘ und sie haben sich gottseidank weder das Denken noch das gegenseitige Helfen abgewöhnt.
- Verhaltensökonom: „Gesetze allein ändern das Verhalten nicht“ – Spannende Aussagen und Hinweise, wie man vielleicht auch das Thema Eigenvorsorge besser transportieren könnte. Wesentlich geeigneter als Gesetze erscheinen uns klare Zielsetzungen und deren Vermittlung. Mit Gesetzen kann die Wirklichkeit nicht verändert werden, die physikalisch bestimmte Wirklichkeit mit Sicherheit nicht (obwohl mittels Markt’gesetzen‘ das laufend versucht wird).
- Einfach genial entscheiden – Buchempfehlung: ‚So clever und umsichtig Sie auch sein mögen: Rechnen Sie immer damit, dass etwas eintritt, womit Sie nicht gerechnet haben.‘ – was sowohl im negativen als auch im positiven Sinne gilt 😉
- Behörde warnt: Zu wenig Notstrom bei Katastrophen – Viele Dinge werden erst durch eine aktive Auseinandersetzung sichtbar.
- Hitzewellen haben erhebliche Auswirkungen – 700 Menschen starben bei den Hitzewellen Ende Juni und Anfang Juli in Frankreich. Hitzewellen verursachen mehr Todesopfer als alle anderen Naturkatastrophen zusammen. Nur nehmen wir das in der Regel nicht so wahr, da es hier kein signifikantes Einzelereignis mit einer zeitgleichen hohen Opferanzahl gibt.
- Die Menschen fürchten sich vor den falschen Dingen – Dass sich die Einschätzung der Konsumenten dermaßen stark von realen Risiken unterscheidet, hat wohl vor allem zwei Gründe: das (leider immer) mangelhafte Wissen vieler Menschen über Naturwissenschaften und die bisweilen manipulativ-einseitige oder auch extrem vereinfachende Berichterstattung so mancher Massenmedien.
- Atomkatastrophen haben schwere psychische Folgen – Einmal mehr der Hinweis darauf, wie wichtig eine integrierte Sicherheitskommunikation wäre, auch um die Furcht vor falschen Risiken zu minimieren
- Blackout durch intelligente Stromzähler – Die Wissenschaftler halten den massenhaften Einsatz der neuen intelligenten Stromzähler für „einen Schnellschuss, der nicht sorgfältig bis zum Ende durchdacht ist“.
- Simuliertes Wasserwerk wurde sofort angegriffen – Die Verwundbarkeit unserer Infrastrukturen steigt mit der Digitalisierung.
- Hacker schalten bei Jeep per Funk die Bremsen ab – Wenn man aus Fehlern nicht lernt.
- Black Hat: Sicherheitsforscher klonen verschlüsselte SIM-Karten – Sicherheit ist nur begrenzt möglich.
- Von der Natur lernen – Bionik
- Verfassungsschutzbericht 2014 – Schutz Kritischer Infrastrukturen
Situation im europäischen Stromversorgungssystem
Die angeführten Beispiele stammen rein aus öffentlich verfügbaren Quellen. Sie zeigen die aktuellen Herausforderungen auf und sollten uns an die Truthahn-Illusion erinnern.
- Negativstrompreistage 2015 – Ende Juli kam es erneut zu leichten Negativpreisen. Aktueller Stand 2015: 83 Stunden (2013/2014 jeweils gesamt: 64 Stunden). Also jetzt bereits deutlich mehr als in den beiden vorangegangenen Jahren.
- Auswertung Redispatching & Intradaystops – Nach einem ruhigeren 2.Quartal hat das 3.Quartal wieder mit erhöhten Stabilisierungsaufwänden und notwendigen Markteingriffen begonnen.