Ein Diskussionsbeitrag zu Smart Grid und zur Versorgungszuverlässigkeit von Franz Hein
Erschienen in Anlagentechnik für elektrische Verteilungsnetze 2015 (PDF-Beitrag)
Die Energiewende erfordert völlig neues Denken und Handeln
Der Wechsel hin zur vollständigen und ausschließlichen Nutzung der von der Natur in den verschiedenen Energieformen (Sonne, Wind, Wasser) zufließenden Energie ändert Grundsätzliches und damit auch bisher gewohnte Vorgehensweisen. Dieses Grundsätzliche muss allen vermittelt werden, damit dies verinnerlicht wird und so zur Handlungsmaxime wird. Vorschriften, Verordnungen oder Gesetze können das nicht ersetzen. Die gegenwärtige Vorgehensweise mutet eher wie eine verordnete Unmündigkeit an. Das Vertrauen in eigenständig denkende Menschen und vernünftig handelnde Bürger ist offenbar verloren gegangen. Dies kommt leider in den gegenwärtigen staatlichen Vorgaben mit einer regelrechten Sucht nach detaillierten Festlegungen zum Ausdruck. Besonders bezeichnend ist dies bei den Fernsteuerungsauflagen, die nach Ansicht des Autors einen gesetzlich vorbereiteten Blackout darstellen.
Mit diesen Auflagen sind Versprechungen für Subventionen verbunden, die im Grunde ein Steuerungsinstrument darstellen. Gegen Geldzahlungen wird versucht, ein gewünschtes Verhalten der Menschen und der Organisationen wie auch Firmen zu bewirken. Bei der nun zu meisternden Herausforderung kommt es aber auf das Vermitteln der Grundlagen dieser Herausforderung an. Das am Besten in Form einer Vision, was damit erreicht werden soll. Erschwerend kommt hinzu, dass uns das Erreichen gelingen muss, denn über kurz oder lang werden die noch vorhandenen Vorräte an fossilen Rohenergien aufgebraucht sein. Da helfen auch keine neuen Gewinnungsmethoden, denn die Vorräte sind in jedem Falle endlich. Und wir nehmen nachfolgenden Generationen die Ressourcen weg, mit denen wir heute unseren Wohlstand sichern. Wie sichern die kommenden Generationen ihre Lebensgrundlagen? Wie stellen unsere Nachkommen die Versorgung mit dem „Lebensmittel“ Energie sicher?
Zu meisternde Herausforderungen
Die Gewährleistung einer hohen Versorgungssicherheit erfordert zwar weiterhin im elektrischen Energieversorgungssystem einen online-Betrieb, in dem der (n-1) -Sicherheit große Bedeutung zukommt. Jedoch müssen bei der Sicherstellung des dynamischen Gleichgewichts zwischen Stromeinspeisung und dessen Nutzung gänzlich neue Rahmenbedingungen beachtet werden.
Besonders gravierend sind die großen Fluktuationen bei den Einspeisungen der erneuerbaren Energien. Die gesicherte Leistung der Photovoltaik ist in der Nacht definitiv gleich Null. Tagsüber können Wolken oder auch Schatten die Leistung deutlich mindern. Der Wind weht wann er will und mit erheblich unterschiedlicher Stärke. Damit kommt der Prognose des wechselnden Zuflusses der erneuerbaren Energien eine große Bedeutung zu. Nur bei der Wasserkraft (evt. auch bei der Biomasse) kann oft die Einspeisung mit recht hoher Treffsicherheit vorhergesagt und sogar in gewissen Grenzen bewusst variiert werden (Schwellbetrieb).
Die Energienutzungen sind von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Der Leistungsbedarf ist deshalb nur mit begrenzter Treffsicherheit zu prognostizieren. Zu diesen vom zufälligen Verhalten abhängigen und deshalb stochastischen Energienutzungen kommen bewusst herbeigeführte Änderungen im Lastverhalten durch das Bevorraten von Energie in Speichern ganz unterschiedlicher Technologien hinzu. Die Bewirtschaftung dieser Speicher führt auch zu planbaren Rückspeisungen. Diese müssen eine große Bandbreite im zeitlichen Verhalten aufweisen. Das reicht vom extrem kurzzeitigen Puffern im Sekundenbereich wie bei der Momentanreserve bis zum Überbrücken von sonnen- und windarmen Zeitbereichen durchaus über mehrere Wochen. Das dynamische Gleichgewicht ist immer zu gewährleisten. Diese Herausforderung ist die wichtigste und kennzeichnet das Energiesystem.
Grundlagen der Regelung des Leistungsgleichgewichts
Eine deutlich höhere Bedeutung als bisher hat künftig die Momentanreserve. Dieser in den sich drehenden Massen der Synchrongeneratoren steckenden mechanischen Energie kommt die wichtige Aufgabe der kurzzeitigen und systeminhärenten Pufferung von Energie und die der Bildung des Indikators „Frequenz“ zu. Infolge des Energieerhaltungssatzes und der mit der Drehgeschwindigkeit der Synchrongeneratoren direkt zusammenhängenden Frequenz bildet diese überall im Netz messbare Größe einen idealen Indikator für den augenblicklichen Stand der Leistungsbilanz. Die Frequenz bildet die Grundlage sämtlicher darauf aufbauender Regelungsvorgänge.
Das beginnt bei der Primärregelung: Ist die Frequenz geringer als die Sollfrequenz (in Europa sind das 50 Hertz), dann fehlt Leistung. Ist sie höher, liegt Leistungsüberfluss vor. Die Primärreglung versucht die jeweils anhand der Frequenz festgestellte Abweichung vom Leistungsgleichgewicht durch ein Mehr an Einspeisung bzw. ein Zurücknehmen der Einspeisung zurückzuführen. Allerdings ist künftig nicht mehr nur das Einspeiseverhalten zu ändern, sondern in zunehmendem Umfang der Bezug. Auch mit dem Ändern des Bezugs kann eine Primärreglung erfolgen, nur kehrt sich das Vorzeichen um. Bei fehlender Leistung muss der Bezug gemindert werden und umgekehrt bei Leistungsüberfluss der Bezug vergrößert werden. All diese Vorgänge bei der Primärreglung sind so zeitkritisch und permanent nötig, dass nur Automaten für die Primärregelung genutzt werden können.
Bei der Netzregelung, die zeitlich der Primärreglung folgt, kann nicht mehr wie seither üblich das Leistungsgleichgewicht durch das Ändern der Einspeisung bei wenigen großen Kraftwerken sichergestellt werden. Diese Möglichkeiten des Änderns einspeisender Leistungen über die Netzregelung und auch das Einspeisemanagement beruhten auf der Speicherung fossiler Rohenergien in unmittelbarer Nähe der Kraftwerke und dem damit möglichen variablen Einsatz bei der Energieerzeugung. Die fossilen Rohenergien entfallen jedoch auf Sicht. Bei den erneuerbaren Energien ist weder ein Einschalten noch ein Regeln im herkömmlichen Sinne möglich. Damit muss das permanente Anstreben des Leistungsgleichgewichts durch das Verändern des Bezugs bewirkt werden. Das ist keineswegs immer einfach möglich. Etliche Energienutzungen scheiden vollständig für das Regeln des Leistungsgleichgewichts aus.
Jede Form der Speicherbewirtschaftung hingegen eignet sich jedoch bestens für die Unterstützung der Netzregelung. Wird elektrische Energie in andere Energieformen umgewandelt (bei Pumpspeicherwerken z. B. durch das Aufstauen des Wassers im Oberbecken) kann neben einer Umspeicherung mit konstanter Leistung noch ein Regelungshub z. B. rund um den Fahrplan für die Umspeicherung ermöglicht werden. Das gleiche ist beim Rückspeichern ins Netz möglich. Das gilt im Grundsatz für alle Energieumwandlungen und darauf beruhenden Speicherbewirtschaftungen. Es gilt also auch für eine Umspeicherung elektrischer Energie in Wärme, nur dass dabei eine Rückspeicherung nicht oder höchstens bedingt und mit hohen Wirkungsgradeinbußen erfolgen kann. Zur Beurteilung der Eignung verschiedener Speichertechnologien kommt neben der damit möglichen Menge an speicherbarer Energie auch die Nutzbarkeit für die Regelungsaufgaben.
Netzdienliches Verhalten in Energiezellen
Das Netz ist heute bereits eine Ansammlung von Energiezellen. Das sind die Netzgebiete der Übertragungsnetzbetreiber, der Verteilnetzbetreiber wie auch der Stadtwerke und anderer Netzbetreiber. Nur weiterführend bis in die Ebene der Energienutzer wurde diese Idee noch nicht umgesetzt, weil bisher die Energienutzer nur als rein konsumierende „Letzt“-Verbraucher gesehen und auch so behandelt wurden. Den Energienutzern wurde keinerlei Mitverantwortung für die Infrastrukturen der Energieversorgung abverlangt. Sie hatten nur zu zahlen und konnten vor der Liberalisierung auch nicht selbst bestimmen, von woher sie elektrische Energie beziehen.
Kennzeichnend für die geänderten Rahmenbedingungen ist nicht nur die Möglichkeit des Lieferantenwechsels. Vielmehr haben inzwischen Energienutzer durchaus eigene Energie bereitstellende Einrichtungen wie Photovoltaikdächer oder Blockheizkraftwerke. Mehr und mehr kommen Batteriespeicher besonders im Zusammenhang mit Photovoltaikdächern zum Einsatz. Damit bilden die Einrichtungen bei Energienutzern endgültig auch Energiezellen mit den gleichen Möglichkeiten wie in anderen Netzebenen. Sofern durch geeignete Messungen in allen Energiezellen die Grundlagen für ein netzdienliches Verhalten geschaffen werden und Automaten (= Energieassistenzsysteme) dieses Verhalten im Sekunden- und Minutenbereich hervorrufen, ist eine durchgängige Sicherstellung des Leistungsgleichgewichts verteilt auf alle Energiezellen möglich. Die Frequenz steht im gesamten Wechselstromnetz an allen Netzknoten zur Verfügung und bildet so einen überall verwendbaren Indikator für die momentane Leistungsbilanz.
Die Leistungsbilanz unterliegt fortlaufend Änderungen. Es ist geradezu ein Kennzeichen dafür, dass das Energiesysteme „lebt“, wenn es ständig Abweichungen von der Sollfrequenz, also ein Ungleichgewicht in der Leistungsbilanz gibt. Das netzdienliche Verhalten versucht, jede festgestellte Abweichung auf den Wert Null, also die Frequenz auf den Sollwert zurückzuführen. Damit führt das gesamthafte Verhalten aller Energiezellen zu einem dynamisch stabilen Energiesystem. Nur dürfen plötzlich auftretende Abweichungen (gleichgültig ob positiv oder negativ) nicht zu groß sein, damit die Rückstell-“kräfte“ in den Energiezellen nicht überbeansprucht werden. Das würde zu einen Außertrittfallen führen und den sofortigen Netzzusammenbruch zur Folge haben.
Das dynamische Verhalten des Gesamtsystems, also die Reaktion auf Leistungsveränderungen, kann als Maß für die Stabilitätsreserven genommen werden. Solange noch Synchrongeneratoren mit ihrer (allerdings immer begrenzten) Momentanreserve im Netzverbund für die Bereitstellung der Frequenz als Indikator für die Regelungsvorgänge zur Verfügung stehen, hat das Gesamtsystem ein Mindestmaß an Stabilitätsreserven. Es empfiehlt sich deshalb, bei Stilllegungen von bisherigen Kraftwerken zu versuchen, die Synchrongeneratoren im Netzverband zu belassen. Sie tragen so zur Netzstabilität wie auch zur Bereitstellung der Kurzschlussströme bei. Das ist ein weiterer wichtiger Aspekt des netzdienlichen Verhaltens. Dass diese im Netzverband verbleibenden Synchrongeneratoren auch noch zur Spannungsstabilisierung beitragen können, sei ergänzend erwähnt.
Warum Orchestrieren statt Steuern von außen?
Das Energiesystem ist nur dann stabil betreibbar, wenn die dynamische Stabilität immer gewährleistet werden kann. Ein zu großer Gleichzeitigkeitsfaktor bei leistungsverändernden Eingriffen würde zum Verlust der dynamischen Stabilität führen. Deshalb darf es zu solchen Eingriffen nach Möglichkeit nicht kommen. Allerdings steht jede Energiezelle mit anderen immer in Verbindung, nicht nur für den Energieaustausch, sondern auch für den Informationsaustausch. Diese Vernetzung kann nicht auf rein markttechnische Informationen oder nur leittechnische Informationen für den Netzbetrieb beschränkt werden. Das ist zwar immer noch meist der Ansatz, um diese Anwendungen sauber voneinander trennen zu können. Aber auch damit ist eine vollständige Trennung nicht möglich, höchstens ansatzweise und mit hohen Übergangshürden machbar. Allein die unerlässliche Kopplung zwischen Marktgeschehen und online-Betrieb durch den Austausch von Fahrplänen macht ein Mindestmaß an einer auch für andere Informationen nutzbaren Kopplung erforderlich.
Bisher war man gewohnt, dass die zentrale Netzregelung über eine Fernwirkkopplung Verbindung zu regelbaren Einheiten hat. Damit war eine Einwirkung von außen auf Komponenten möglich, die zur Regelung benötigt wurden. Künftige darf eine Einwirkung von außen über Fernsteuerung oder Regelbefehle nicht mehr genutzt werden. Solche Zugangsmöglichkeiten von außen mit leistungsverändernden Folgen können grundsätzlich, trotz jedweden Sicherheitsmaßnahmen in den informationstechnischen Komponenten, missbraucht werden. Ein vollständiger Schutz gegen böswillige oder als Cyber-Angriff zu wertende Eingriffe ist prinzipiell nicht möglich. Nur die Hürden können sehr hoch gemacht werden. Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen jedoch, dass jede Hürde mit entsprechend großem Aufwand, krimineller Energie oder sogar auch als Teil einer Kriegsführung überwunden werden kann. Besonders das Einschleusen von Schadsoftware kann nur erschwert aber nicht vollständig unterbunden werden.
Gefahrenpotenzial in der Informations- und Kommunikationstechnik
Jedwede Steuerung von außen kann einzeln, aber auch in Massen durch Einflussnahme auf die Informationswege und über die Weiterverwendung von Steuerungsinformationen in den Energiezellen missbraucht werden. Die Informationsnetze können keineswegs vollständig getrennt betrieben werden, wie es manche noch meinen, um damit gegenseitige Beeinflussungen vermeintlich unmöglich zu machen. Damit aber sind sämtliche Gefahrenquellen im Internet und in der Informationsverarbeitung zu beachten. Dazu gehört insbesondere das massenhaft und gleichzeitig an vielen Stellen auftretende Einflussnehmen.
Für das Energiesystem sind solche Einflussnahmen „tödlich“, weil so der Gleichzeitigkeitsfaktor bei leistungsverändernden Maßnahmen extrem erhöht werden kann. Damit würde die Regelfähigkeit überfordert und es käme zum sofortigen und kompletten Ausfall, also zu einem Blackout. Die Möglichkeiten der Einflussnahme in der Informations- und Kommunikationstechnik sind so vielfältig, dass nur ein völliger Verzicht auf eine Steuerung von außen die Eintrittswahrscheinlichkeit eines dadurch herbeigeführten Blackouts extrem mindern kann.
Autonomes aber orchestriertes Handeln
Netzdienlich ist dagegen, wenn die Sicht auf das Gesamtsystem in die einzelnen Energiezellen als eine dort verwertbare Information transportiert wird. Mit einer solchen Sicht kann dann in jeder Energiezelle anhand der Messung der Frequenz und damit völlig unabhängig festgestellt werden, ob die ankommende Information plausibel ist und für die interne Reaktion in der Energiezelle verwendet werden kann. Damit ist dann ein netzdienliches Regelungsverhalten durchgängig im Gesamtsystem möglich, obwohl oder eigentlich genau weil sich alle Energiezellen autonom und damit in der Gesamtheit stochastisch verhalten. Ein zu hoher Gleichzeitigkeitsfaktor wird so weitgehend verhindert.
Verglichen werden kann dies mit dem gemeinsamen Spielen eines Musikstückes in einem Orchester. Die einzelnen Musikanten mit ihren unterschiedlichen Instrumenten (= Marktteilnehmern in unterschiedlichen Marktrollen) spielen jeder für sich, aber geleitet durch das gleiche Notenblatt (= Verhaltenscodex). Der Dirigent hat die Gesamtübersicht und „orchestriert“ die Einsätze der Beteiligten (= Führungsinformationen). Natürlich ist dies im Energiesystem durch die verschiedenen Ebenen und auch wegen der Vielzahl der Beteiligten (etwas) komplizierter, aber doch ähnlich. Auch hier gilt es, ein harmonisches Miteinander zu bewirken, damit zusammengenommen eine hohe Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann.
Risikobetrachtung für ein chaotisches System
Wir kommen aus einer Welt mit wenigen Leitzentralen, wenigen aber leistungsstarken Regelkraftwerken, ausreichenden Energievorräten, geringem Gefährdungspotential der zentralen Fernsteuerung und einigermaßen im Gesamtverhalten gut prognostizierbaren Energienutzern. Eine hohe Versorgungssicherheit wurde als Selbstverständlichkeit erlebt. Umfängliche, flächenhafte und länger andauernde Ausfälle waren derart selten, dass die allermeisten Menschen solche Ausfälle nie erlebt haben. Die geringe Wahrscheinlichkeit wird, wenn das Erleben fehlt, bereits unbewusst zu Null gesetzt und damit werden solche Ausfälle aus dem Denken ausgeblendet. Insgesamt hat sich ein Verhalten herausgebildet, das trotz allen nun notwendigen Änderungen die bisherige Versorgungssicherheit einfach fortschreibt und wie ein „Gewohnheitsrecht“ ansieht. Die bisher schon erforderlichen Bemühungen wurden der Bevölkerung nie vermittelt. Der Strom kommt ja einfach aus der Steckdose.
Mit dem Gelingen der Energiewende wandelt sich dies alles grundlegend. Die Zentralen dürfen wegen dem stark gestiegenen Gefährdungspotenzial nicht mehr aus der Ferne leistungsverändernde Eingriffe tätigen, regelfähige (Gas-) Kraftwerke oder disponierbare Bezüge können erst dann einen Beitrag zur Regelung liefern, wenn eine Speicherung lohnend betrieben werden kann. Die Energiebevorratung ist von der notwendigen Dimension noch sehr weit entfernt. Die Prognose wird umfassend wichtig, aber deutlich schwieriger und muss sich neuer Methoden bedienen, denn der kurzzyklische Abruf von Zählerdaten ist schon allein aus Gründen des Datenschutzes eine Fehlentwicklung. Ohne eine verstärkte (Mit-)Verantwortung der Energienutzer für alle Komponenten der Infrastrukturen in der Energieversorgung kann der Umbruch, den die Energiewende eigentlich darstellt, nicht gelingen.
Vorbereitung auf mögliche Ausfälle nötig
Die Verletzlichkeit des Energiesystems nimmt inzwischen Ausmaße an, die einen größeren Ausfall immer wahrscheinlicher machen, auch wenn weiterhin die Minimierung der Eintrittswahrscheinlichkeit hauptsächlich im Fokus steht. Dies ist sicherlich weiterhin notwendig, aber nicht hinreichend. Deshalb wird es immer wichtiger, die Minimierung der Ausfalldauer anzugehen. Denn mit zunehmender Ausfalldauer werden die Schäden und die negativen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft als Ganzes deutlich gravierender. Die inzwischen extreme Abhängigkeit aller unserer Lebensbereiche von einer ständigen Energieversorgung hat zur Folge, dass längere Ausfälle Folgewirkungen haben, welche die Grundfesten unserer Gesellschaftsstruktur irreparabel zerstören.
Deshalb muss das Augenmerk darauf gerichtet werden, durch entsprechende Vorbereitungen den raschen Netzwiederaufbau zu ermöglichen. Dieser muss künftig als Teil des netzdienlichen Verhaltens der Energiezellen selbstorganisiert erfolgen. Dazu müssen sich ausreichend viele der Energiezellen zunächst im Eigenbedarf fangen und so auf Sparflamme „überleben“. Dann folgt das informatorische „Erkennen“ anderer Energiezellen, denen das Überleben auch gelungen ist. Konsequent wird daraus ein vernetztes Gebilde, in dem dann noch oder wieder funktionierende Leitzentralen den Wiederaufbau „orchestriert“ – nicht steuernd! – vorantreiben. Natürlich braucht es dazu Energieassistenzsysteme in den Energiezellen, welche automatisch wirken und auf diese Weise ein auch für das Gesamtsystem verantwortliche Handeln unterstützen.
Wo im Netz bei einem Ausfall Energiezellen sich im Eigenbedarf fangen können, ist etwas Zufälliges. Es kann weder prognostiziert noch angeordnet werden. Wir müssen unser Denken und Handeln umstellen. Es kann nicht mehr wie in der Vergangenheit „von oben nach unten“ und ohne Wahrnehmung einer Mitverantwortung von allen Beteiligten agiert werden. Wir haben es zwar mit einem chaosartigen System zu tun, in dem sich aber die Energiezellen netzdienlich verhalten (müssen). Dieses autonome und konsequent netzdienliche Verhalten ergibt ein Beziehungsgeflecht, das künftig die Versorgungssicherheit und die Nutzbarkeit des Energiesystems gewährleistet. Der vollständige Umstieg auf erneuerbare Energien erzwingt dieses massenhafte wie auch vernetzte Denken und Handeln. Und das hat neue Eigenschaften des Energiesystems zur Folge. So etwas wird auch mit Emergenz bezeichnet.
Wichtig ist die informationstechnische Vernetzung der zunächst autarken Zellen. Die Autarkie ist jedoch nicht das Ziel.
Sie ist nur in der Anfangsphase eines Netzwiederaufbaues unumgänglich. Von Anfang an muss Teil des netzdienlichen Verhaltens das Streben nach Vernetzung sein.
Über die weiterhin bestehenden Netzverbindungen bilden sich so Keimzellen eines wieder funktionsfähigen Netzes, das schrittweise zum Rückgrat eines leistungsfähigen Energieversorgungssystems wird. Die notwendigen Fähigkeiten nutzen eine Energiebevorratung und bauen auf den USV-Eigenschaften in den Energiezellen auf. Ferner spielt das Energieinformationsnetz als eine sämtliche Ebenen und Energiezellen umfassende informatorische Vernetzung eine maßgebende Rolle. Es verbindet alle Beteiligte, stellt einen Informationsaustausch in beiden Richtungen auf Augenhöhe sicher und verschafft allen die Voraussetzungen, ihre Mitverantwortung für die Sicherheit und Nutzbarkeit der Infrastrukturen der Energieversorgung wahrzunehmen.
Die Energiezellen werden so nicht mehr von „oben“ und von außen gesteuert, vielmehr wird das gesamthafte Verhalten des Energiesystems von Stellen mit Sicht auf das Gesamtsystem orchestriert. Dadurch wird gleichzeitig die Resilienz des Energiesystems, also die Robustheit und Unempfindlichkeit gegen letztlich unvermeidlich auftretende Störungen erhöht.
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