Letzte Aktualisierung am 18. April 2016.

Matthias Horx, bekannter Zukunfts- und Trendforscher hat einige interessante Analysen angestellt, wo es auch zu dieser Seite starke Querverbindungen gibt, die hier näher betrachtet werden sollen. Matthias Horx ist dafür bekannt, die Dinge positiver/optimistischer darzustellen, was daher durchaus eine wichtige komplementäre Sicht einbringt, wobei dabei manchmal gewisse Aspekte unter den Tisch fallen können. So brachte er 2012 bei einem Vortrag in Wien, dass die europäische Energiewende durch Desertec und Norwegen als „Batterie“ Europas realisiert werden wird – also eine großtechnische Lösung. Desertec ist bereits vom Tisch und von einer gesamteuropäischen Lösung sind wir weit entfernt. Wie auch immer die Dinge dargestellt und bezeichnet werden, insgesamt deuten sie in dieselbe Richtung. Es geht um eine fundamentale Transformation von der Industrie- zur Netzwerkgesellschaft, wo wir vor einem disruptiven Phase („schöpferische Zerstörung“) stehen, die meist als viele Einzelkrisen (Finanz-, Börsen-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Staatsschulden-, Wachstums-, Führungs-, Migarationskrise, etc.) wahrgenommen werden. Wenn man diese größeren Zusammenhänge betrachtet, ergeben sich auch neue Lösungen und Zukunftsmodelle, nicht wenn man an Einzelproblemen herumdoktert, wie das derzeit vielfach passiert. Daher sind die Aussagen voll zu unterstreichen:

  • Systeme ohne ausreichende Störungen und Krisen können nicht stabil bleiben! 
  • Das Alte kehrt nie vollständig zurück. Krisen sind Teil des Prozesses.

Gibt es einen Megatrend Achtsamkeit?

Matthias Horx über einen Begriff, der in den kommenden Jahren zentral sein wird: Achtsamkeit.

Dieser seltsam schüchterne, aber unglaublich mächtige Begriff hat eine beispiellose Trend-Karriere hinter sich. Wenn Sie „Mindfulness“ googeln, erhalten Sie 34 Millionen Treffer. Achtsamkeit hat es auf die Titelseiten großer Magazine geschafft.

Achtsamkeit ist auf dem besten Weg, den faden Begriff der Wellness abzulösen. Er wird auch – so unsere Prognose – langfristig das derzeitige Lieblingsnebelwort ersetzen: Nachhaltigkeit. Anders als Wellness und Nachhaltigkeit ist Achtsamkeit nicht so einfach korrumpierbar. Achtsamkeit ist Handlung – ein innerer Prozess mit vielen Konsequenzen und Bedingungen. Und mit harten Ausgangslagen.

Siehe dazu auch Das Unerwartete managen.

Zunächst wirkt das geradezu paradox: Wir leben in einer Welt, die derart mit Information, Meinung, Erregung, Angst, Lärm, Gleichzeitigkeit, Krise und Katastrophe überfüllt ist, dass die Vokabel „Achtsamkeit“ wie ein zynischer Treppenwitz klingt. Die Gesellschaft, so scheint es, hysterisiert sich täglich. Die Angst scheint immer mehr Diskurse zu beherrschen. Eine Angst, die sich in Hass übersetzt, in immer primitivere Weltbilder, in falsche Bilder und Regressionen. Und genau das ist der Grund für die Bedeutung der Achtsamkeit.

Die Welt hat sich auf eine seltsame Weise entzündet. Nicht so sehr, weil es „immer mehr“ Kriege und Konflikte gibt. Sondern weil unsere Wahrnehmung sich verändert hat. Wir sind auf einer gewissen Wahrnehmungsebene empfindlicher geworden.

Das Internet zerstört – oder überreizt – unseren Sinn für Nah und Fern, für Bindung und Ent-Bindung, für das Wichtige und das Verrückte. Unsere informellen Kapazitäten werden überfordert. Was eine „Meldung“ ist und was nicht, das entscheiden inzwischen Klickraten. Die Medien, mit ihrem Hang zu Skandal, Übertreibung, Negativität und Alarmismus, versetzen uns in eine ständige Panikbereitschaft. Wir werden Opfer von Gefühlen mit ansteckender Wirkung.

Sie dazu auch Das Risikoparadox – Warum wir uns vor dem Falschen fürchten.

Zählt diese Seite daher auch zu den Reizüberflutern? Wohl eher nicht, auch wenn durch die konzentrierte Information zum Thema „Blackout“ zu diesem Eindruck führen mag. Es geht hier genau um die angesprochene Achtsamkeit – um die Früherkennung von Fehlentwicklungen, die massive Auswirkungen auf unser Leben haben könnten. Nicht um abstrakte, weit entfernte Gefahren, die kaum tatsächliche Auswirkungen auf unser Leben haben werden. Der Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen ist für viele Menschen unvorstellbar, gleichzeitig aber eine sehr reale Gefahr, auf die wir überhaupt nicht vorbereitet sind!

Überfordert werden wir auch kommunikativ. Menschen sind von der Evolution dazu geprägt, in überschaubaren „bands“ zu leben, in Stämmen mit maximal 80 Mitgliedern. In einer solchen sozialen Größe können wir authentisch kommunizieren, stabile und verbindende Beziehungen aufbauen. Die Globalisierung, die Konnektivität aller Lebens- und Wirtschaftsbeziehungen scheint unser Beziehungsgefüge ständig zu zerreißen. Wer tausend Freunde auf Facebook hat, ist in Wirklichkeit bitter allein. Wer in jeder Sekunde ununterbrochen kommuniziert, kann sich irgendwann selbst nicht mehr spüren.

Menschen sind Bindungswesen. Die technische Zivilisation gaukelt uns jedoch ständig vor, wir könnten Bindung durch Technologie ersetzen.

Siehe auch die „unsichtbaren Fäden“.

Wir erkennen, dass wir die Welt durch unser MIND selbst konstruieren. Wir machen die diversen Hysterien durch unsere Aufmerksamkeiten erst stark! An diesem Punkt wird Achtsamkeit zu einem Freiheitsbegriff – und genau das macht seine Sprengkraft aus.

Ist Achtsamkeit der Gegentrend zur Individualisierung? Im Gegenteil: Es ist die Realisierung von Individualität im Zeitalter der Übernervosität. Achtsamkeit ist die Kulturtechnik der reifen Individualität in einer konnektiven Welt. Gewissermaßen ein Upgrading unserer mentalen Software. Der Begriff ist ohne das Wort Selbst-Wirksamkeit nicht zu verstehen: Achtsamkeit schaut nach innen, ohne das Außen zu vernachlässigen. Nein, wir müssen nicht alles glauben, was uns jeden Tag, jede Minute um die Ohren fliegt.

Selbstwirksamkeit – eine zentrale Forderung auch der hier probagierten integrierten Sicherheitskommunikation, um auch mit unbekannten und unerwarteten Situationen besser umgehen zu können.

Wir sind verbunden, aber nicht unbedingt abhängig. Wir sind verantwortlich, aber nicht schuldig. Achtsamkeit will heraus aus dem ewigen Müssen-Müssen.

Ist Achtsamkeit ein Geschäftsfeld, ein lukratives „Business“ für die Zukunft? So einfach ist es eben nicht. Die vielen Gurus, Berater, Trittbrettfahrer werden schon ihr Geld verdienen. Aber das Achtsamkeits-Prinzip bedeutet für das Business gleichzeitig einen Paradigmenwechsel von fundamentalen Ausmaßen. Von der Personalabteilung, die auf andere Weise mit Menschen umgehen muss, über die Frage, welche Rohstoffe für einen Produktionsprozess verwendet werden (Cradle to Cradle), bis zum Mindset der Führung.

Siehe auch Reise des Verstehens.

Achtsame Menschen wissen, dass Krisen Impulse des Neuen sind. Dass Empathie uns gut tut. Achtsamkeit lehrt uns, in den Problemen die Lösungen zu sehen. Achtsame Menschen lernen, ihre Angst zu moderieren.

Resilienz

Im Fluss der Disruption

Schocks, Krisen, Katastrophen erzeugen einen Gegenimpuls. Sie führen – in vielen, nicht in allen Fällen – zu einer Emergenzreaktion. Sie re-organisieren und re-vitalisieren in den meisten Fällen – nicht in allen! – das gesellschaftliche System. Wir alle kennen das aus unserem privaten Beziehungsleben: Eine „angenommene“ Krise führt zu evolutionären Prozessen, in denen die Qualität (der Beziehung) steigt. Dahinter steckt das eigentliche Geheimnis der Evolution: Das Wechselspiel zwischen Reiz und Adaption, Konnektivität und Wachstum, Störung und Vitalität.

Das Resilienz-Prinzip

  1. BEWUSSTHEIT: sich der Risiken und Verletzlichkeiten bewusst sein.
  2. DIVERSITÄT: Eine Organisation mit innerer Diversität kann besser auf äußere Schocks reagieren – und sie besser voraussehen.
  3. INTEGRATION: Um auf Krisen zu reagieren, benötigt man hohe Kooperationsfähigkeit. Die kann man üben.
  4. SELBSTREGULIERUNG: Äußere Schocks können abgefangen werden, wenn eine hohe innere Selbstorganisation herrscht – wie bei einer guten Feuerwehr. Strikt hierarchische Kontrollsysteme sind zu langsam.
  5. PROGNOSTISCHE ADAPTION: Durch Voraussage und Antizipation entwickeln sich Systeme in Richtung höherer Robustheit.

In diesen Rahmenbedingungen durchlaufen Individuen, Organisationen und Gesellschaften einen ADAPTIVEN ZYKLUS.

Die Ergebnisse der modernen Chaosforschung – und die Erfahrungen des gesunden Menschenverstandes – bestätigen: Wenn Systeme vollkommen ungestört bleiben – immer nur in einer Richtung wachsen, sich linear verhalten, niemals „kritisiert“ werden –, neigen sie zu Eruptionen. Viele kleine Krisen verhindern den großen Kollaps. Störungen sind notwendig, weil sie Systeme VITAL HALTEN – sie mit der Umwelt auf neue Weise in Verbindung bringen. Wenn Menschen „ungestört“ vor dem Fernseher sitzen, degenerieren sie. Wenn wir keine Kinderkrankheiten haben, entwickelt sich unser Immunsystem nicht. Wenn alle Volkswagen-Ingenieure gleich denken, kommt der Abgasskandal heraus. Man könnte dieses Prinzip der dissipativen Strukturen mit folgendem Satz auf den Punkt bringen: Systeme ohne ausreichende Störungen und Krisen können nicht stabil bleiben!

Der Fluss der Disruption

Bleiben die „X-Events“ (John Casti), die das ganze System der Komplexitätsbildung zerstören könnten. Wagen wir ein Gedankenexperiment und bauen wir einen River of Disruptions – einen Fluss der Katastrophen, der das Netzwerk des Wandels durchströmt. Die „digitale Verrücktheit“ – leben wir nicht heute schon mitten darin? Viele behaupten sogar, wir lebten in einer Weltwirtschaftskrise– in Wahrheit leben wir aber in einem weltweiten Boom mit eingebauten Turbulenzen. Food Dooms, Nahrungsmittelknappheiten, werden lokal immer wieder vorkommen. Die Nahrungssituation der Menschheit ist durch massive Fortschritte der Landwirtschaftstechnik und höhere globale Vernetzung aber robuster geworden – der Klimawandel könnte allerdings lokale Knappheiten befördern. Ist der Klimawandel selbst eine Mega-Katastrophe? Nur dann, wenn die Berechnungen der irrsten Klimaforscher noch übertroffen würden. Vulkanausbrüche, Tsunamis, Erdbeben – all das wird es geben, aber die Wahrscheinlichkeit für „The Big One“ beträgt rund 0,02 Prozent pro Jahrhundert. Ein atomarer Weltkrieg ist möglich – aber ist er auch wahrscheinlich? Wenn der Euro zusammenbräche – wäre das wirklich eine Mega- Katastrophe?

Dieser Absatz zeigt besonders die Eingangs angesprochene „andere Sicht“ auf die Dinge. Es ist möglich und wahrscheinlich, dass nicht alles und im vollen Umfang eintritt, was möglich erscheint. Diese Möglichkeiten außer Acht zu lassen, ist jedoch wenig hilfreich. So hat sich die Nahrungsmittelversorgungssituation tatsächlich wesentlich verbessert, das sollte man nicht verschweigen. Aber gleichzeitig haben sich viele too-big-to-fail-Strukturen und vor allem sehr hohe logistische Abhängigkeiten gebildet. Sollte es zu disruptiven Entwicklungen kommen, drohen verheerende Dominoeffekte, auf die wir nicht vorbereitet sind. Wir sollten uns nicht fürchten oder in Angststarre verfallen, aber trotzdem achtsam bleiben.

Wie Komplexität entsteht

Megatrends: Wie Komplexität entsteht

Megatrends sind jene Veränderungsprozesse, die langfristig, nachhaltig und komplex die gesamte Welt verändern. Sie unterscheiden sich von anderen Trendarten deutlich dadurch, dass sie nicht auf ein Segment, eine Branche, eine Region oder ein einzelnes Thema – oder einen simplen Markt – beschränkt sind. Megatrends durchdringen alle gesellschaftlichen Bereiche, verändern Politik, Lebenswelten und Wertesysteme. Sie sind die Blockbuster des Wandels. Oder auch: „Lawinen in Zeitlupe“.

Man kann Metatrends auch als Störungen existierender Systeme begreifen: Der Vormarsch der Frauen stört das Männer-System, die Globalisierung stört nationale Ökonomien, der urbane Megatrend stört die bäuerlichen Lebensweisen. Auf diese Weise entsteht ein Problem, das sich in einem Dilemma ausdrückt. Aus Eindeutigkeit wird ein im Grunde unentscheidbares Entweder-oder. Zukunft – im Sinne eines innovativ funktionalen Systems – entsteht erst, wenn sich die Pole der Entwicklung, also Trend und Gegentrend, auf einer höheren Ebene auflösen. Sprich: Wenn sich höhere Ordnung und Komplexität entwickelt.

Siehe auch sowohl-als-auch-Denken.