Letzte Aktualisierung am 07. Mai 2020.

Der Komplexitätsforscher John Casti behandelt in seinem aktuellen Buch, “Der plötzliche Kollaps von allem: Wie extreme Ereignisse unsere Zukunft zerstören können“ 11 Szenarien, die das Potential aufweisen, das Weltgeschehen und damit den Verlauf der Geschichte massiv zu verändern. Als erstes Szenario wird dabei ein möglicher Kollaps des Internets behandelt.

Hier einige Auszüge aus diesem Abschnitt:

Dan Kaminsky: Man kann das Internet nicht retten. Man kann nur das Unvermeidliche noch ein wenig hinausschieben.

In unserer technischen Infrastruktur ist jedes einzelne Element, wie wir sie heute in den Industrieländern kennen, entscheidend abhängig von den Kommunikationsfunktionen, die das Internet zur Verfügung stellt. Fällt es aus, geschieht mit unserer Lebensweise das Gleiche. Wenn wir also von einem umfangreichen Ausfall des Internets reden, steht dabei ungeheuer viel auf dem Spiel.

Die Anfänge des Internets: ein widerstandsfähiges, fehlertolerantes, dezentrales Computernetz – Heute dient das Internet für Dienstleistungen, für die es nie konstruiert war.

Man kann das System oder zumindest große Teile davon mit ungeheuer vielen Methoden zu Fall bringen; das Erstaunlichste daran ist eigentlich, dass das noch nicht öfters geschehen ist.

Das Leben auf der ganzen Welt wäre nach einem solchen Zusammenbruch über Wochen, Monate und möglicherweise Jahre hinweg selbst dann ein einziges Chaos, wenn der Ausfall nur wenige Tage dauern würde.

Frosch im Topf mit kochendem Wasser: Computersicherheitsbranche – Das System ist schon fast tot. Aber der Tod wird in Kauf genommen, einfach weil wir uns daran gewöhnt haben. Kurz gesagt: Die Sicherheitsbranche versagt in jeder nur erdenkbaren Hinsicht, weil die Innovationen ihr immer voraus sind. Und von wem kommen die Innovationen? Die Antwort: von einer riesigen Gemeinde der Lieferanten sogenannter Sicherheitssysteme, von Computerkriminellen, Spammern und ihresgleichen, gar nicht zu reden von der bereitwilligen Komplizenschaft der Computernutzer, die auf den Blödsinn, den ihnen die „Profis“ andrehen, hereinfallen.

Internet der 1970er Jahre und heute: Die beiden interagierenden Systeme haben eine gewaltige Komplexitätslücke geschaffen, die von Tag zu Tag größer wird. Schon bald wird sie sich wieder verkleinern müssen – durch technischen Umbau oder durch einen Zusammenbruch.

Manchmal zeigt sich die Komplexität in Form immer neuer Ebenen der Bürokratie, die auf bereits vorhandene Ebenen aufgepfropft werden, bis das System nicht mehr funktioniert – dies werde ich als „Komplexitätsüberlastung“ bezeichnen.

X-Events lassen sich letztendlich direkt auf die stetig zunehmende Komplexität unserer globalen Gesellschaft zurückführen. Diese Komplexität wird in vielerlei Formen deutlich, unter anderem als enge Verknüpfung, durch die eine Erschütterung in einem Teil der Infrastruktur sich oft buchstäblich mit Lichtgeschwindigkeit in anderen Teilen des Systems fortpflanzt. (…) Komplexitätsüberlastung = Missverhältnis zwischen den Komplexitätsebenen mehrerer interagierender Systeme. (…) In allen Fällen jedoch können die Systeme, mit denen wir in unserem Alltagsleben rechnen, nicht mehr funktionieren, wenn diejenigen, die sie steuern sollen, sie nicht mehr verstehen. Wenn die Komplexität oder das Missverhältnis so groß wird, dass das System es nicht mehr verträgt, muss die Situation durch eine Verringerung korrigiert werden. Ein X-Event ist schlicht und einfach die Methode, mit der das System sein nachhaltiges Gleichgewicht wiederherstellt. S. 43f.

Bedürfnisse befriedigen, ohne dass auf uns selbst Kosten oder Risiken zukommen. S. 365.

Liste der behandelten X-Events:

X-Event 1: Digitale Dunkelheit – Ein lang anhaltender, ausgedehnter Ausfall des Internets
X-Event 2: Wann gibt es etwas zu essen? – Der Zusammenbruch der globalen Lebensmittelversorgung
X-Event 3: Der Tag, als die Elektronik starb – Ein kontinentweiter elektromagnetischer Puls zerstört alle elektronischen Geräte
X-Event 4: Eine neue Weltunordnung – Der Zusammenbruch der Globalisierung
X-Event 5: Tod durch Physik – Zerstörung der Erde durch Schaffung exotischer Teilchen
X-Event 6: Weggeblasen – Destabilisierung der nuklearen Landschaft
X-Event 7: Leer gefahren – Wenn das Öl zu Ende geht
X-Event 8: Das macht mich ganz krank – Eine globale Pandemie
X-Event 9: Dunkel und trocken – Ausfall von Stromnetz und Trinkwasserversorgung
X-Event 10: Wenn die Technik Amok läuft – Intelligente Roboter unterwerfen die Menschen
X-Event 11: Die große Entflechtung – Globale Deflation und der Zusammenbruch der Weltfinanzmärkte

Anmerkungen

Das Buch ist sehr spannend und gleichzeitig irritierend. Durch die detaillierten Analysen wird Bewusst, auf welch „wackeligen“ Beinen unsere Kritische Infrastruktur und damit unsere moderne Lebensgrundlage steht. Einen großen Anteil an dieser Situation trägt die massive (technische) Vernetzung bei, die zu immer komplexeren Systemen führt, die gleichzeitig mit unseren bisherigen Methoden immer weniger zu beherrschen ist. Es ist daher an höchster Zeit, dass wir uns mit diesem Thema intensiv auseinandersetzen und die Komplexität auf ein verträgliches Maß verringern. Die Alternative – eine selbstständige Komplexitätsreduktion des Systems durch einen Kollaps – ist in keinem Fall erstrebenswert.

Eine vollständige Zusammenfassung des Buches.

Ergänzend: „Die Netzwerkgesellschaft und Krisenmanagement 2.0