Letzte Aktualisierung am 29. Oktober 2015.
Quelle: www.nzz.ch
Bund und Strombranche sehen den Strommangel als grosses Risiko. Konzepte für gezielte Abschaltungen von Geräten sind bald fertig. Doch die Strukturen reichen nicht mehr.
Von der Öffentlichkeit wenig beachtet, erhob das Departement von Bundesrat Ueli Maurer vor einigen Monaten den Strommangel zum bedeutendsten nationalen Risiko. Eine Unterdeckung um etwa 30 Prozent wird, so der Bericht des Bundesamts für Bevölkerungsschutz, alle 30 bis 100 Jahre erwartet, mit einem Schadenpotenzial von rund 100 Milliarden Franken. Strommangel in Verbindung mit einer Pandemie war 2014 bereits Gegenstand einer Stabsübung auf Bundesebene (SVU 14). Im Auftrag des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) erarbeitet die Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen (Ostral) unter der Leitung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) Notfallkonzepte. Für die Aktualisierung der Vorbereitungen reiche die bestehende Milizorganisation aus Delegierten der Branche nun nicht mehr, so der VSE.
Mittlerweile fertig erarbeitet ist die Vorgehensweise auf der Angebotsseite, also die Betriebsplanung für die Kraftwerke. Die Betriebszeiten der Kraftwerke würden im Krisenfall nicht durch die Eigentümer festgelegt, sondern von der Netzgesellschaft Swissgrid im Auftrag der Ostral planwirtschaftlich angeordnet, wie aus den Dokumenten hervorgeht. Doch auch auf der Verbraucherseite müsste eingegriffen werden. Vorbereitet sind Appelle zum freiwilligen Stromsparen und Verbote für Anwendungen wie Saunaanlagen. Eine wichtige Massnahme der Ostral ist die Kontingentierung der Energie.
Als Ultima Ratio würden gemäss dem Ostral-Konzept abwechslungsweise Endverbraucher einer Region von der Versorgung abgeschnitten, je nach Versorgungssituation für jeweils 4 Stunden bei anschliessender Versorgung während 4 oder 8 Stunden.
Auffällig bleibt, dass im Ostral-Konzept eine Trennung des Schweizer Stromnetzes vom Ausland nicht vorgesehen ist, die Idee der energetischen Autarkie also nicht einmal im Krisenfall praktikabel scheint. Der heutige Netzbetrieb baue zu stark auf die Einbettung in das grosse europäische Stromnetz, das Schwankungen der Netzfrequenz auffangen könne, sagt Michael Paulus.
Aus Sicht des VSE ist klar, dass durch den laufenden Umbau des Stromsystems in Europa die Risiken für die Versorgungssicherheit steigen, gerade in Verbindung mit harten Wintern und möglichen Versorgungsengpässen bei Erdgaslieferungen aus Russland.
Kommentar
Warum die Gefahreneinschätzung für eine Strommangellage in der Schweiz derart hoch ist, entzieht sich bisher meinen Erkenntnissen. Fakt ist aber, dass mit einer Strommangellage auch die Gefahr eines Blackouts signifikant steigt, da mit der Mangellage auch die Instabilitäten und Störanfälligkeit zunimmt. Die Folgen einer Mangellage wurden in der Schweiz im Zuge der Sicherheitsverbundübung 2014 umfassend analysiert, etwa mit der Erkenntnis 70 % Strom != 70 % funktionierender Alltag! Fakt ist auch, dass die Probleme nicht an den nationalen Grenzen halt machen, sondern das gesamte europäische Verbundnetz betreffen. Stromabschaltpläne gibt es auch bereits seit dem letzten Winter für Belgien. In Polen war man im August knapp vor dem finalen Schritt – 8.000 Unternehmen mussten den Stromverbrauch droßeln bzw. komplett einstellen. Wie daher der österreichische Regulator (E-Control) zum Schluss kommen kann, das Blackout: „Wahrscheinlichkeit geringer als vor 10 Jahren“, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Insbesondere, wenn man sich die professionellen Risikoeinschätzungen der vergangenen Jahre ansieht. Zur Gassituation siehe den Beitrag Wie sicher ist unsere Erdgasversorgung wirklich?