Letzte Aktualisierung am 23. Oktober 2015.
Vom 21. bis 22. April 2015 fand in Leipzig die 3. Fachtagung Energie unter dem Motto „Blackout – Vorbeugung, Bewältigung, Wiederaufbau“ statt, wo auch Franz Hein und ich einen Beitrag liefern durften. Hier werden auszugweise einige Erkenntnisse wiedergegeben bzw. zusammengefasst (Programm).
Die bei der 3. Fachtagung vortragenden Fachleute aus allen Ebenen des Netzbetriebes sowie aus dem Katastrophenschutz haben realistische Vorstellungen zur Vorbeugung, Bewältigung und zum Wiederaufbau der Stromversorgung nach einem Blackout. Klar wurde jedoch auch, dass für die Bewältigung eines solchen Worst-Case-Szenarios praxisnahe Übungen unverzichtbar sind, die jedoch nicht überall im entsprechenden Umfang stattfinden. Die gemeinsame Sprache stellt sich dabei immer wieder als größtes Problem dar. Es kommen zwar dieselben Begriffe zur Anwendung, aber in unterschiedlichen Kontexten. Die Erkenntnis daraus: Ziel- statt Detailvorgaben sind notwendig, etwas das im militärischen Umfeld mit der Befehls- versus Auftragstaktik vergleichbar ist.
Auf der Katastrophenschutzseite zeigte sich, dass unsere moderne hoch stromabhängige Gesellschaft in keinster Weise auf ein Worst-Case-Szenario „Blackout“ vorbereitet ist. Das sowohl auf der Seite der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), als auch auf der Bevölkerungs- und Wirtschaftsseite. Die Fachtagung unterstrich daher einmal mehr die Notwendigkeit, dass sich nicht nur die E-Wirtschaft mit dem Thema „Blackout“ auseinandersetzen muss, sondern die gesamte Gesellschaft. Es ist nicht schlimm, dass etwas schief gehen kann – es gibt keine 100% Sicherheit – sondern, dass wir nicht damit rechnen und nicht darauf vorbereitet sind.
Dass die Wahrscheinlichkeit für ein Worst-Case-Szenario weiter steigt, wurde in verschiedenen Fachvorträgen zum Ausdruck gebracht. Einerseits durch die sich immer rascher ändernden Rahmenbedingungen und den dabei auftretenden unterschiedlichen Geschwindigkeiten zwischen dem Ausbau der dezentralen Erzeugung und dem restlichen Stromversorgungssystem, das sich jedoch ebenfalls an die neuen Situationen anpassen muss, damit die Versorgungssicherheit auch weiterhin aufrechterhalten werden kann. Die Netzeingriffe zur Stabilisierung des Stromversorgungssystems steigen seit Jahren an, dauern länger und erfordern zunehmend weitreichendere Maßnahmen. Besonders kritisch wurde die zunehmende Ignoranz von physikalischen Grenzen durch Politik und Markt hervorgehoben. Mit anderen Worten: „Das Stromnetz folgt physikalischen Gesetzmäßigkeiten und ist unerbittlich: Wenn die Maßnahmen nicht wirken, schaltet es einfach ab!“, eine Erkenntnis aus der Schweizer Sicherheitsverbundsübung 2014.
Zum anderen führen die Entwicklungen Richtung „Smart-Grids“ zu völlig neuen Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten. Da dieser Umbau während des regulären Betriebes und somit am offenen Herzen erfolgt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass dabei etwas schief geht. Welche Herausforderungen noch auf den sicheren Netzbetrieb zukommen werden, ist nur schwer zu erahnen. So wurde von einem großen Solarpark berichtet, wo sich die Transformatoren durch selbstaufschaukelnde Prozesse quasi selbst zerstört haben. Auch im industriellen Umfeld (Stichwort: Industrie 4.0) kommt es immer häufiger zu bisher nicht beobachteten Effekten, die zur Zerstörung von Komponenten führen. All diese Effekte dürften sich in den nächsten Jahren durch die zunehmende IT-Vernetzung des Stromversorgungssystems (Stichwort: Smart) und der steigenden Komplexität noch weiter verschärfen.
Die breite Auseinandersetzung mit dem Thema „Blackout“ macht daher in jedem Fall Sinn und ist für eine moderne, stromabhängige Gesellschaft unverzichtbar.
Historische Ereignisse
Blackout 2003, USA
Der Softwarefehler war bereits 1 Jahr lang bekannt!
Blackout 2003, Italien
Wie der Frequenzverlauf zeigt, wurde damals die magische 50,2 Hz Schwelle (siehe 50,2 Hz-Problem weiter unten) überschritten. Aufgrund der Nachtzeit, hätte dies keine Auswirkungen auf die Wechselrichter und damit das Stromversorgungssystem gehabt. Würde ein solches Ereignis unter Tags mit einer größeren PV-Produktion eintreten, würde das wahrscheinlich unmittelbar zum Systemkollaps führen, auch wenn Teile der Wechselrichter mittlerweile umgerüstet wurden.
Leittechnikstörung Mai 2013, Österreich
Siehe dazu auch Experten enthüllen kritischen Vorfall in österreichischen Energienetzen bzw. generell die Seite von Walter Schossig, der sich mit historischen Blackouts beschäftigt.
Aktuelle Herausforderungen
- Netzeingriffe werden häufiger, länger und intensiver (siehe dazu auch Auswertung Redispatching & Intradaystops)
- Sprunghafter Anstieg der korrektiven Eingriffe (insbesondere Redispatch) nach Abschaltung der ersten Kernkraftwerke
- Die Netzbetreiber haben sich ein Jahr auf die Sonnenfinsternis vorbereitet – daher ist alles so ruhig verlaufen. Die Kosten waren enorm.
- „Niemand“ fühlt sich/ist für die Versorgungssicherheit zuständig
- 10-12 Sekunden und ganz Europa ist finster
- Umspannwerke sind in der Regel 12-72h fernsteuerbar – dann muss dieses manuell besetzt werden, um einen Netzwiederaufbau durchführen zu können
- Es gibt einen massiven Wildwuchs im Verteilnetz. Damit fehlt die Kontrolle bzw. Übersicht.
- Die Rückspeisungen sind bereits enorm. Die Systemsicherheit (n-1) ist oft nicht mehr gewährleistet.
50,2 Hz-Problem ist theoretisch gelöst
Siehe u. a. Jede zweite Solaranlage benötigt ein Update; Ganz abgesehen davon, dass es in Deutschland ~40 GW Photovoltaikanlagen gibt, und im restlichen europäischen Netz nochmals ~50 GW! Ob überall die Maßnahmen (Update der Wechselrichter) durchgeführt werden/wurden ist nicht bekannt. Bei einem möglicherweise notwendigen Lastabwurf besteht die Gefahr, dass es zu einem Frequenzsprung auf über 50,2 Hz kommen könnte, fast eine Kettenreaktion auslösen würde.
Herausforderungen in der Erzeugung
Mittlerweile wurde mit 44 GW bereits ein neuer Rekord in der EE-Produktion am 30. März 2015 erreicht (Neue Spitzenwerte bei Wind- und Solarstrom).
Haftungsfragen
Siehe auch Wer haftet bei Blackout?
Speicherproblematik
Siehe auch Mythos “Speicher” – eine Energiebevorratung ist aber unverzichtbar
Systemische Betrachtungen
- Kumulierte 15 Minuten Werte haben heute keine Aussagekraft mehr über die tatsächlichen Netzvorgänge
- In Frankreich führten Resonanzeffekte in einem großen Solarpark (100 MW) zur Selbstzerstörung der Transformatoren. Derartige Ereignisse sind im Steigen begriffen, da immer mehr elektronik zum Einsatz kommt (Industrie 4.0, Wechselrichter, Smart …) und hier ganz neue, nicht-lineare Phänomene auftreten (siehe auch Die vernachlässigten Schattenseiten der Vernetzung). So wirkt etwa auch Robotik ins Stromnetz zurück → was beispielsweise in einer Anlage dazu führt, dass 2-5 Frequenzumrichter pro Tag zerstört werden.
Herausforderungen
- Unkonventionelle Vorgangsweisen sind unverzichtbar! Etwa, wenn nach einem Blackout innerhalb einer 1/2 Stunde keine Kommunikation mit dem Regelzonenführer zustande kommt, beginnt der selbstständige Netzwiederaufbau im Verteilnetz. Das ist natürlich vorher abgesprochen.
- Die Realität zeigt immer wieder, dass sich diese nicht mit Gesetzen, Verträgen, etc. decken muss. Praktische Erfahrungen beim Netzwiederaufbau sind daher unverzichtbar!
- Die gemeinsame Sprache ist oft das größte Problem, da man immer wieder zwar den gleichen Begriff verwendet, aber von völlig unterschiedlichen Dingen spricht. Daher sind Zielvorgaben und nicht Details wichtig (siehe Befehls- vs. Auftragstaktik)!
- Es besteht noch ein großer Trainingsbedarf, vor allem bei den deutschen (Verteil-)Netzbetreibern. Vor allem besteht die Gefahr, dass nach mehreren Fehlversuchen die Manschaft die Nerven wegschmeißen.
- Cold-Load Pick-up stellen bereits nach 2 Stunden Stromausfall eine große Herausforderung beim Netzwiederaufbau dar.
Negativstrompreise
Siehe auch Negativstrompreistage 2015.
Autonomie versus Autarkie
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