Letzte Aktualisierung am 12. November 2014.
Quelle: www.topagrar.com
Viele Solarstromanlagen in Deutschland gefährden die Stabilität des Stromnetzes. Dahinter steckt die so genannte 50,2-Hertz-Problematik. Sobald diese Frequenz in einer Anlage erreicht wird, trennen die Wechselrichter die Module automatisch vom Netz. Das ist beispielsweise im Sommer bei starker Sonneneinstrahlung der Fall.
Genau dieser Umstand treibt den Betreibern der Stromnetze aber den Angstschweiß auf die Stirn. Denn theoretisch kann es im Hochsommer vorkommen, dass sich ein Großteil der Anlagen gleichzeitig vom Netz abkoppelt und so die so genannte Systemsicherheit der Leitungen gefärdet. Deshalb sollen derzeit alle rund 400.000 Solaranlagen in Deutschland nachgerüstet werden, damit sich diese künftig nicht bei einer Überfrequenz vom Netz abkoppeln.
Die Hälfte der betroffenen Anlagen ist nach Angaben der Netzbetreiber bereits umgerüstet. Dennoch ist der Zeitplan leicht in Verzug geraten.
Kommentar
Zu diesem Thema gibt es immer sehr widersprüchliche Aussagen – von kein Problem, alles gelöst bis das Problem ist noch nicht im Griff. Wobei eher zweites glaubwürdig ist. Eine offene Frage ist auch, wie sieht es in im restlichen Europa aus? Denn die Frequenz steigt im Anlassfall im gesamten Netz, nicht nur in Deutschland. Aus unserer Sicht ist das 50,2-Hertz-Problem derzeit die gefährlichste Sollbruchstelle im System. Besonders an Tagen mit Negativpreisen ist hier die Gefahr wohl am höchsten, dass es zu einem Jo-Jo-Effekt und zum Systemkollaps kommt.
Dr. Franz Hein
Das 50,2-Hertz-Problem ist ein Problem der Gleichzeitigkeit leistungsverändernder Maßnahmen im Stromnetz. Damit das Stromnetz stabil betrieben werden kann, muss ständig durch die Netzregelung eine festgestellte Abweichung vom Leistungsgleichgewicht möglichst auf Null zurückgeführt werden. Festgestellt wird das durch das Messen der Frequenz des Wechselstroms. Die Sollfrequenz ist in Europa 50 Hertz (50 Hz). Davon sind nur Abweichungen im Bereich von einigen mHz (also Tausendstel Hertz) unschädlich. Automatisch arbeitende Einrichtungen müssen dafür sorgen, dass die Netzfrequenz weder zu hoch noch zu niedrig ist.
Die Frequenz ergibt sich direkt aus der Drehzahl der ins Netz einspeisenden Synchrongeneratoren. Die drehenden Massen dieser Synchrongeneratoren stellen eine Momentanreserve an mechanisch gespeicherter Energie dar. Weicht die Leistungsbilanz im Netz (also die Differenz zwischen Einspeisung und Entnahme elektrischer Energie) von Null ab, drehen die Synchrongeneratoren bei Leistungsmangel langsamer, bei Leistungsüberschuss schneller. Die Änderung der Drehgeschwindigkeit hängt direkt mit der Momentanreserve zusammen. Eine Abweichung der Leistungsbilanz wird also unmittelbar durch eine entsprechende Veränderung der mechanisch gespeicherten Energie ausgeglichen – der Satz von der Erhaltung der Energie ist (da Naturgesetz!) immer erfüllt.
Die Netzregelung muss dafür sorgen, dass durch Veränderung der Einspeisung bzw. der Entnahme elektrischer Energie die Drehzahl wieder auf den Sollwert zurückgeführt wird. Solche Veränderungen benötigen Zeit und Einrichtungen, mit denen die erforderliche Leistungsveränderung ermöglicht wird. Das gelingt aber nur, wenn die Leistungsabweichung nicht zu plötzlich und zudem nicht in zu großem Ausmaß auftritt. Es muss also der Gleichzeitigkeitsfaktor klein genug sein, damit die Netzregelung eine Chance hat, die Stabilität des Netzbetriebes zu sichern.
Beim 50,2-Hertz-Problem würden bisher die Wechselrichter der Photovoltaikanlagen (alle PV-Wechselrichter, also keineswegs nur in Deutschland) mit Erreichen der Frequenz von 50,2 Hz automatisch abschalten. Damit würde schlagartig die gesamte Leistungseinspeisung aller Photovoltaikanlagen ausfallen. Das wären heute bereits mehrere 10.000 MW. Das kann die Netzregelung nie und nimmer ausregeln. Es käme zum sofortigen Zusammenbruch des europäischen Stromnetzes.
Die nun in Gang gesetzte Maßnahme einer Umrüstung der Wechselrichter gruppiert die vorhandenen Einrichtungen und ordnet jeder Gruppe einen anderen Frequenzwert zu, bei dem eine automatisch Abschaltung vorgenommen wird. Damit wird die Anzahl der gleichzeitig reagierenden Wechselrichter gemindert. Ob damit auf Dauer das eigentliche Problem eines zu hohen Gleichzeitigkeitsfaktors einer Leistungsveränderung gelöst wird, muss bezweifelt werden. Nur ein autonomes und dadurch möglichst stochastisches Reagieren kann zu einem geringeren Gleichzeitigkeitsfaktor führen. An sich wäre ein Verfahren nötig, das in der Nachrichtentechnik beim Ethernet die Kollisionsverhinderung zum Ziel hat.
Weil es bisher so wenige Netzzusammenbrüche wegen eines zu hohen Gleichzeitigkeitsfaktors bei Leistungsveränderungen gab, ist diese grundsätzlich dem Stromversorgungssystem innewohnende Gefahr des Verlustes der Stabilität so gut wie nicht bekannt bzw. im Bewusstsein selbst bei Fachleuten oft nicht mehr präsent. Die vermeintliche Stabilität in der Stromversorgung beruht eben genaugenommen auf einem ständig beizubehaltenden dynamischen Gleichgewicht und die (noch) vorhandene Momentanreserve ist zusammen mit der (rasch genug reagierenden) Netzregelung bisher der Garant dafür. Aber eben nur bisher!