Quelle: Ö1 Radiokolleg 02.-05.02.15

Risiken gehören zum Leben dazu. Doch in welchen Lebensbereichen sind die Menschen willens, diese Tatsache anzuerkennen? Wann lassen sie sich durch unbegründete Ängste lähmen und wann ignorieren sie Bedrohungen? Die Gefahren des Alltags sind für die meisten Menschen nur schwer zu fassen, so Ortwin Renn, Autor des Buches „Das Risikoparadox“. Sie kommen als abstrakte Zahlen daher oder werden in Prozentpunkten ausgedrückt. Etwa 20 Prozent aller Raucher/innen erkranken an COPD und leiden im Alter unter schwerer Atemnot und verlieren langsam die Lungenfunktion. Doch fast jeder hat von mindestens einem einhundertjährigen Kettenraucher gehört, der kerngesund ist. In der Wahrnehmung wirkt der konkrete Einzelfall stärker als die demographische Analyse.

Gleiches gilt für den Verkehr: Jedes Jahr sterben weltweit rund 630 Menschen bei Flugzeugunglücken. Diese Katastrophen prägen sich ein. Kaum ein Fluggast denkt nicht über die Möglichkeit eines Absturzes nach, als vollkommen ungefährlich betrachten Flugreisen nur die wenigsten. Doch verglichen mit den mehr als 1,2 Millionen Opfern des Straßenverkehrs ist das Risiko verschwindend gering. Dennoch ist das Auto in unseren Breiten das beliebteste Fortbewegungsmittel – das freut die Automobilindustrie.

Neben der persönlichen Gefahr wird im Zusammenhang mit dem Verkehr jedoch auch ein anderes, globales Katastrophenszenario ausgeblendet: der Klimawandel. Er kommt nicht als große, plötzliche Katastrophe daher, sondern ereignet sich schleichend. Als Einzelperson kann man wenig ausrichten, ist mit der Last der Verantwortung überfordert. Alle müssten ihr Verhalten ändern – weniger Fleisch konsumieren, weniger mit dem Auto fahren, regionale Produkte kaufen. Doch keiner will den Anfang machen.

Eine Gesellschaft, die Risiken falsch einschätzt, setzt sich nicht nur großen Gefahren aus. Sie wird auch manipulierbar. Sie lässt etwa zu, dass Bürgerrechte eingeschränkt werden, um durch die Überwachung aller mögliche Kriminelle oder Terroristen zu stoppen. Der Beweis für den Erfolg solcher Maßnahmen fehlt jedoch bis dato. Andere Risiken werden von der Gesellschaft durchaus realistisch eingeschätzt: Viele Menschen befürchten einen totalen Zusammenbruch der Finanzmärkte. Um entsprechende Maßnahmen durchzusetzen, fehlt jedoch die Unterstützung von Seiten der Politik. Das Radiokolleg geht in dieser Woche der Frage nach, wie unsere Gesellschaft falsche und echte Risiken unterscheiden kann und welche Interessen hinter dem Geschäft mit dem Risiko stehen.

Kommentar

Das Radiokolleg behandelt viele Aspekte, die auch hier immer wieder angesprochen werden. Siehe auch Das Risikoparadox – Warum wir uns vor dem Falschen fürchten oder Wir rüsten für den letzten Krieg.