Letzte Aktualisierung am 23. Oktober 2015.
Quelle: brennstoff Nr. 40
Ich wurde gestern auf einer Veranstaltung gefragt, ob es auch Licht am Ende des Tunnels gibt. Denn die erstmalige intensive Auseinandersetzung mit dem Thema „Blackout“ ist doch sehr erdrückend. Meine Antwort: „Ja, aber die dunkle Strecke ist noch etwas weiter.“ Perfekt dazu passend bin ich heute auf ein Interview mit der Bestseller-Autorin Naoim Klein gestoßen, wo es eigentlich um das Thema „Klimawandel“ geht. Eigentlich muss man dabei nur einzelne Wörter austauschen. Sowohl beim Klimawandel als auch beim Thema Energieversorgung/Blackout handelt es sich um ein systemisches Problem (systemische Risiken).
Daher möchte ich hier einige Auszüge wiedergeben und gleichzeitig das ganze Interview empfehlen.
Es muss »von unten« kommen
Das liegt an der Ideologie, das der Markt alles regle, welche die 90er Jahre prägte, in denen das Kyoto-Protokoll verhandelt wurde. Als deutlich wurde, dass es Regeln braucht, um die Kohlenstoff-Emissionen zu reduzieren, wurden statt klarer Grenzwerte und entsprechender Strafgelder ein Markt für Verschmutzungsrechte erschaffen. Das war wie ein Magnet für alle möglichen schrägen Ideen. Denn es war extrem schwierig, diesen Markt zu überwachen und extrem einfach, viel Geld zu machen. Und genau das passierte!
Bislang sprechen wir darüber viel zu oft, als wäre es nur eine klinische Kosten-Nutzen-Analyse, so nach dem Motto: »Lass uns die zwei Grad vergessen, wie könnte es mit drei Grad funktionieren?«. So lange es physikalisch möglich ist, die zwei Grad globaler Erwärmung einzuhalten – und daran glaube ich – bin ich ausschließlich daran interessiert, darüber zu reden: Wie schaffen wir das?
Und das Selbe gilt beim Thema „Blackout“ – es geht nicht darum, wie lange das System noch ausreizbar ist, sondern darum, wie wir kurzfristig die gesellschaftlichen Schäden minimieren können (Eigenvorsorge, Eigenverantwortung) und mittel- bis langfristig, wie wir wieder ein robustes System gestalten können (Energiezellensystem).
Wir leben alle mehr oder weniger in einem Zustand der Verdrängung. Kein Wunder! Das Thema ist riesig und beängstigend. Also wenden wir uns ab. Wir sehen keine Lösung, keine politische Führung. Ich glaube, wir können die Verdrängung nur überwinden, indem wir einen Plan machen, eine Vision entwickeln, wie wir die Emissionen entsprechend dem Zwei-Grad-Ziel senken können.
Wir wissen, dass es in den reichen Ländern darum geht, den CO2-Ausstoß um acht bis zehn Prozent zu reduzieren. Wir müssen da vorangehen! Das heißt nicht, dass nicht auch China und Indien reduzieren müssen. Aber wir müssen die Einschnitte vormachen und das Notwendige tun. Und das Gute dabei ist: Wenn wir das schaffen, können wir extrem viele Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien, im öffentlichen Verkehr er schaffen. Wir können mehr soziale Gleichheit verwirklichen, indem wir Zugfahrten billiger machen, und Leute umsteigen und auf ihr Auto verzichten. Wir könnten unsere eigenen dezentralisierten Strom-Netze wieder erwerben, in denen die Energie den Gemeinden gehört, die ihre Ressourcen und Profite für das Gemeinwohl nutzen können … Worüber ich hier im Kern rede, ist die Hochzeit zwischen der Klimakrise und der Krise wirtschaftlicher Ungleichheit, der Krise der Arbeitslosigkeit, um verschiedene Herausforderungen gleichzeitig zu lösen. Das ist absolut dringend, um weiter zu kommen.
Wir stehen so oder so vor fundamentalen Änderungen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird sich die natürliche Welt tiefgreifend verändern. Wenn wir den bisherigen Weg aber verlassen wollen, dann braucht es grundlegende Veränderungen in unserem politischen und wirtschaftlichen System. Weil wir so lange gezögert haben, sind wir heute an dem Punkt angekommen, wo wir – wenn wir die Katastrophe verhindern wollen – im offenen Konflikt mit der innersten Logik des Kapitalismus stehen, der unbegrenztes Wachstum über alles stellt.
Siehe auch die Netzwerkgesellschaft bzw. Dennis Meadows.
Den Kapitalismus hinter uns zu lassen, klingt sehr radikal. Und die unmittelbare Frage lautet: Ist das nicht völlig irreal, erst das existierende Wirtschaftssystem zu überwinden, bevor wir das Klimaproblem lösen können? Wir sind da fraglos in der Zwickmühle. Tatsache ist: Die Schritte, die nötig sind, um die Stabilität der lebenserhaltenden Systeme dieses Planeten zu sichern, können mit diesem politischen System bislang nicht umgesetzt werden. Wir sind also im Konflikt mit zwei Formen von Gesetzen: Dem ökonomischen Gesetz des Marktes und den Naturgesetzen.Die Naturgesetze können wir nicht verändern. Aber die Gesetze der Wirtschaft sind veränderbar! Ich sage nicht, es sei leicht. Ich sage nur: Es ist notwendig! Und tatsächlich ist mein Buch ein Aufruf für einen grundlegenden Wertewandel, der durch eine Koalition von Bürgerbewegungen durchgesetzt wird und die politischen Realitäten wirklich verändert. Denn das ist es, was passieren muss!
Auch im Stromversorgungssystem gibt es mittlerweile diesen Konflikt zwischen Markt und Physik. Auch die Transformation des Energiesystems (Energiewende) wird nicht ohne Reibungsverluste vonstattengehen, kommt es doch zu einer massiven Machtverschiebung von der zentralisierten zur dezentralisierten Energieversorgung.
Sie sprechen von einem Wertewandel. Liegt denn aber nicht hinter der Frage »Kapitalismus versus Klimawandel« ein tieferer Konflikt der Weltbilder? Absolut richtig. Wenn wir über die Klimakrise reden wie über das Gesundheitssystem oder neue Arbeitsplätze, dann gehen wir nicht tief genug. Denn das Problem ist tatsächlich Ausdruck der Krise des gegenwärtigen Weltbildes. Im Kern ist es eine spirituelle Krise, weil wir an ein Weltbild glauben, das uns über die Natur stellt. Letztlich geht es um die Überwindung des modernen Schöpfungsmythos, dass wir alles unter Kontrolle hätten und der Boss des Ganzen wären. Das war schon immer ein Mythos! Wir sind Natur, umgeben von Natur! Und es wird uns so lange geben, wie wir uns gut benehmen.
Mittlerweile haben sich hunderte von Städten und Orten in Deutschland entschlossen, ihre Energienetze von den großen Monopolisten des Strom marktes zurückzukaufen und Einnahmen in das Gemeinwohl und regenerative Energien zu investieren. Das zeigt exemplarisch, wie die Klimakrise wie ein Katalysator genutzt werden kann, um eine gerechtere Wirtschaft zu erschaffen. Wissen Sie, ich bin keine naive Optimistin. Ich habe lediglich noch nicht aufgegeben. Der Grund dafür, dass ich an die Chancen glaube – Chancen, für die es sich zu kämpfen lohnt – ist die Gewissheit, dass sehr viele Menschen unabhängig vom Klimawandel mit dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem nicht mehr zufrieden sind.
Ich glaube wirklich, es muss »von unten« kommen. Es braucht Koalitionen mit den Gewerkschaften, die mit Umweltschützern, Frauenorganisationen und Studenten zusammenarbeiten. Gemeinsam muss eine Vision einer postfossilen Wirtschaft er dacht werden, die aufregend ist und besser als das, was wir heute haben. Aber es darf auch keine simple Konfrontation zwischen den sozialen Bewegungen und der Politik geben. Je mehr Visionen an den Gras wurzeln der Gesellschaft entwickelt werden, umso leichter wird es für die politischen Parteien, sie aufzugreifen. Das gilt auch für die etablierten Parteien, die ja an der Macht bleiben wollen. Aber die tragende Kraft und Führung, glaube ich, wird von unten kommen!
„Sowohl als auch“ statt „entweder oder“ – wir brauchen auch Top-Down Maßnahmen, aber auch den Bottom-Up Druck und die Bereitschaft, Veränderungen mitzutragen. Die Energiewende ist nicht nur eine technische Wende, sondern erfordert einen Kulturwandel! Siehe auch Umbruch im Energiemarkt als das Erklimmen einer neuen Kulturstufe.
Was sich verändern wird, ist der Maßstab für Erfolg. Während es im klassischen Kapitalismus um die Wachstumsrate geht, wird es nach einem Systemwechsel das Gemeinwohl und die kollektive Sicherheit sein. Das bedeutet nicht, dass es kein Wachstum mehr geben wird. Es bedeutet vielmehr, dass wir die Sektoren der Wirtschaft und Gesellschaft, die das Gemeinwohl erhöhen, von fossilen Brennstoffen unabhängig machen … Wo wir die Ökonomie schrumpfen lassen müssen, ist in den Bereichen, die während des Wachstums die Umwelt destabilisieren und eine nachhaltige Zukunft gefährden. Was wir uns nicht mehr leisten können ist, alles einfach »dem Markt« zu überlassen. Das haben wir die letzten 20 Jahre versucht. Und damit sind wir gescheitert. Wir müssen dem gegen über ein System schaffen, das auf die Naturkatastrophen mit systemischen Antworten reagiert. Und das muss öffentlich passieren, demokratisch und gestützt sein von zivilen Massenbewegungen.
Was muss geschehen, damit die Menschen aufwachen? Braucht es mehr Katastrophen, um eine Massenbewegung wachsen zu lassen? as glaube ich nicht. Die Angst ist schon jetzt groß. Und wir wissen keinen Ausweg. Was jetzt wirklich ansteht, ist die Bildung von Koalitionen, ist eine Vision für eine postfossile Gesellschaft und dann der Kampf für diese Vision. Und der Kraftakt, die Menschen davon zu überzeugen, dass es möglich ist! Wo immer ich seit der Veröffentlichung meines Buches hinkam, traf ich auf viele Menschen, die große Angst vor der Zukunft haben. Die größte Hürde, aktiv zu werden, ist ihre Resignation. Sie haben aufgegeben und warten auf den Untergang. Sie sind ohne Hoffnung. Um das aufzubrechen, braucht es keine weiteren Schocks und Katastrophen. Die Antwort darauf ist eine positive Vision, eine kraftvolle politische Führung und Umsetzung. Aus der Krise, in der wir jetzt stecken, können verschiedene Zukünfte entstehen. Wir aber sind in der Lage zu kontrollieren, wie schlimm die Krise wird und wie wir uns in ihr verhalten.
Gerade beim Thema „Blackout“ fällt es mir immer öfter schwer, daran zu glauben, dass wir ohne Katastrophe den Wandel schaffen. Aber vielleicht wird das auch der erforderliche Katalysator sein, der uns zum Umdenken bringt. Neue Lösungen im Speichersektor sind erste Anzeichen dafür, dass ein solcher Umbruch bevorsteht bzw. nach einem Blackout eine kaum absehbare Geschwindigkeit und Entwicklung nehmen wird. In diesem Sinne gibt es Licht am Ende des Tunnels!
Das Leben gehört
dem Lebendigen an,
und wer lebt, muss
auf Wechsel gefasst sein.
J. W. von Goethe
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