Das europäische Stromversorgungssystem

Für viele Menschen kommt der Strom ganz selbstverständlich aus der Steckdose. Selten sind die dahinterliegenden Zusammenhänge bekannt. Hinter unserer sehr hohen Versorgungssicherheit steckt nämlich nicht nur ein nationales, sondern ein europäisches Verbundsystem, das nur im Gesamten sicher funktioniert. Dieses wurde für einfach berechenbare und steuerbare Großkraftwerke errichtet und bisher sehr erfolgreich betrieben. In den letzten beiden Jahrzehnten haben sich jedoch viele Rahmenbedingungen erheblich geändert. So etwa der Kraftwerkspark. Nur in Deutschland alleine ist die Anzahl der Erzeugungsanlagen in den letzten 20 Jahren von über 1.000 auf rund 2 Millionen Anlagen angestiegen. Damit verändert sich nicht nur die Erzeugungscharakteristik, sondern auch das Systemverhalten. Denn die vielen neuen Anlagen müssen auch vernetzt und eingebunden werden, was wiederum die Komplexität des Gesamtsystems verändert.

Fragiles Gleichgewicht

Grafik: Swissgrid

Ein Stromversorgungssystem auf Basis von Wechselstrom funktioniert nur, wenn eine permanente Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch sichergestellt werden kann. Ansonsten kollabiert das System. Der Indikator für die Balance bzw. Systemstabilität ist die Frequenz, welche in Europa 50 Hertz beträgt. Wird weniger Strom verbraucht als produziert, so steigt die Frequenz. Wird hingegen mehr verbraucht als produziert, so sinkt diese. Zum Vergleich: Auf ebener Straße ist es für einen Fahrradfahrer einfach, die Geschwindigkeit zu halten. Sobald aber eine Steigung kommt, muss er stärker in die Pedale treten, um gleich schnell zu bleiben. Geht es hingegen bergab, so muss er bremsen, damit er nicht immer schneller wird. Sinkt oder steigt die Frequenz im Netz zu rasch, können wichtige Generatoren Schaden nehmen.

Das fragile europäische Verbundsystem

von SRF-Blackout-Thementag 2017

Kritische Systemelemente: Schwungmassen und Energiebevorratung

Generator

Ein zunehmend kritischeres Problem stellen der Abbau der Momentanreserve („Schwungmassen“; „Stoßdämpfer“) und das Fehlen von umfangreichen Energiebevorratungsmaßnahmen dar, um die volatile Erzeugung aus EE-Anlagen kompensieren zu können. Gerade die Schwungmassen sind von zentraler Bedeutung, um inhärent die Systemstabilität und -sicherheit aufrechterhalten zu können, ohne steuernd eingreifen zu müssen. Hier fehlt es derzeit an Ersatzlösungen bzw. „rechnen sich diese nicht“.

Man kann wichtige Systemelemente erst dann aus dem System nehmen, wenn ein adäquater Ersatz dafür zur Verfügung steht. Derzeit wird jedoch der zweite Schritt vor dem ersten gesetzt, was absehbar nicht gut gehen kann.

Hinzu kommt eine wichtige Erkenntnis aus der Komplexitätsforschung, die bei „Smarten Lösungsansätzen“ wohl kaum bedacht wird:

Palmer and his colleagues at the Santa Fe Institute in Santa Fe, New Mexico, developed a virtual stock market populated by virtual agents. Each of the agents could change its investment rules over time. They found that when agents could only update their investment rules slowly, then the market converged to the rational expectations hypothesis because the bad rules were weeded out over time, However, if the agents could update their investment rules quickly, then the virtual stock market exhibited bubbles and crashes just like the real stock market because bad rules could feed off each other.

Even in a bubble market, the fact that the market is in a bubble may be widely recognized. Yet, this does not cause an immediate crash. Why? Timescale is important.

Achtung Hand

Mehr als nur Durchschnittswerte

Auch wenn Aussagen wie „Jeden Monat neuer EE-Erzeugungsrekord“ (aufgrund des stetigen Zubaus von EE-Anlagen) oder „EE erzeugen über 50 % und an manchen Tagen sogar über 100 % des Stroms in Deutschland“ (für wenige Minuten) aus Sicht der CO₂-Vermeidung sehr erfreulich sind, ist dies nur ein kleiner Ausschnitt aus der tatsächlichen Realität. Noch gefährlicher wird es, wenn dann auch noch einfache lineare Fortschreibungen vorgenommen werden: „Wir müssen nur schneller und mehr EE ausbauen, dann wird alles gut“. Das ist leider ein großer Irrtum. Denn für ein funktionierendes Stromversorgungssystem braucht es viel mehr als Durchschnittswerte und singuläre Betrachtungen. Dazu einige Aspekte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Flexibilität

Zum Beispiel, warum die häufig geforderte Flexibilität im Stromnetz nicht zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit ausreicht:

🔧 Kurzschlussleistung: Erneuerbare Energien wie Wind- und Solaranlagen erzeugen weniger Kurzschlussleistung als konventionelle Kraftwerke, was die Fehlererkennung und -behebung im Netz erschwert.

⚖️ Winkelstabilität: Schwankungen bei der erneuerbaren Energieerzeugung können die Winkelstabilität des Netzes beeinträchtigen und das Risiko von Blackouts erhöhen.

Spannungsqualität: Die konstante Spannungsversorgung wird durch die intermittierende Einspeisung erneuerbarer Energien herausgefordert, was zu Störungen in industriellen Prozessen führen kann.

🌐 PowerQuality: Aspekte wie Frequenzstabilität und Harmonische müssen gewährleistet sein, um die Netzqualität zu sichern und sensible Elektronik zu schützen.

🛠️ Netzreserve und Black-Start-Fähigkeit: Konventionelle Kraftwerke bieten hier noch Vorteile, da sie schnell auf Schwankungen reagieren und das Netz nach einem Ausfall wieder hochfahren können.

🔄 Systemdienste: Dienste wie Frequenzregelung und Blindleistungsbereitstellung sind essenziell und müssen durch Technologien wie Batteriespeicher und intelligente Steuerungen ergänzt werden.

🏗️ Infrastruktur und Netzplanung: Die Modernisierung und Anpassung der Infrastruktur ist unerlässlich und erfordert erhebliche Investitionen.

📜 Marktmechanismen und Regulierung: Angemessene regulatorische Rahmenbedingungen fördern Investitionen in flexible Lösungen und neue Technologien.

🤝 Internationale Kooperation: Grenzüberschreitende Ausgleichsmechanismen sind entscheidend für die Netzstabilität.

Die Versorgungssicherheit im Zuge der Energiewende ist komplexer als nur der Einsatz von Flexibilität. Ein ganzheitlicher Ansatz, der all diese Faktoren einbezieht, ist notwendig, um die Energiezukunft erfolgreich zu gestalten. Ein möglicher Ansatz, um dazu rascher ins Tun zu kommen, sind dezentrale Funktionseinheiten mit einem sektorübergreifenden Energiemanagement („Energiezellensystem„).

Minimalwerte sind entscheidend

Ein weiterer Aspekt, der kaum thematisiert wird, sind die Mindestwerte, die EE mindestens liefern können. Denn gerade diese sind für die System- und Versorgungssicherheit von zentraler Bedeutung. Ein Zuviel ist bei richtiger Umsetzung regelbar und beherrschbar. Aber auch hier gibt es mittlerweile eine Zuspitzung, da es immer mehr PV-Anlagen gibt, die nicht geregelt werden können und wo mittlerweile eine kritische Masse erreicht ist. Hier eine kurze Auswertung der Minimalwerte für Deutschland:

Situation De Ee Speicher

Steigende Aufwände zur Aufrechterhaltung der Systemsicherheit

Der rasche Ausbau von dezentralen bzw. volatilen Erzeugungsanlagen wurde lange unterschätzt, da diese lange im Rauschen des Großsystems untergegangen sind. Mittlerweile wurde jedoch ein Leistungsniveau erreicht, das systemrelevant ist bzw. auch systemgefährdend sein kann. Volatil bedeutet dabei, dass aufgrund des Wind- bzw. Sonnendargebotes die Produktion schwankt und die Systemstabilität durch entsprechende Ausgleichsmaßnahmen durch andere Kraftwerke sichergestellt werden muss. Die Netzsteuerung wird daher seit Jahren anspruchsvoller und teurer, da zunehmend mehr Maßnahmen zur Netzstabilisierung erforderlich sind (siehe Auswertung Redispatching oder Intradaystops).

Wie funktioniert Redispatch?

Das Video von TRANSNET BW erklärt, was bei einem Redispatch/Engpassmanagement genau passiert.

Entwicklung der Engpassmanagementkosten (Datenquelle: APG)

Entwicklung der Engpassmanagementkosten (Datenquelle: APG)

Sich rasch veränderte Rahmenbedingungen

Ursprünglich sinnvolle regulatorische Maßnahmen, wie etwa die bevorzugte Einspeisung von erneuerbaren Energien (EE), führen heute immer häufiger zu kritischen „Stresssituationen“ im Gesamtsystem. Hinzu kommen fehlende oder verzögerte Infrastrukturausbaumaßnahmen (Netzausbau, fehlende Speicher), um den Strom dorthin bringen zu können, wo er benötigt wird. Denn die „dezentrale“ Erzeugung ist häufig gar nicht dezentral bzw. lokal, wie man das meinen möchte.

Besonders die Windkraftanlagen sind sehr konzentriert und besonders in Deutschland fernab der großen Verbraucherzentren. Eine andere regulatorische Maßnahme, nämlich dass sich PV-Anlagen bei einer Frequenz von über 50,2 Hertz vom Netz trennen müssen, wurde regulatorisch wieder aufgehoben. Ob die Maßnahmen wirklich ausreichen, wird die Realität zeigen. Es ist aber sehr zu bezweifeln, da es sich nicht nur um ein deutsches, sondern gesamteuropäisches Problem handelt. Siehe weiterführend: Das 50,2 Hertz-Problem

 

Volllaststunden von Wind Offshore, Wind Onshore und Solar in Deutschland 2022

Die Volllaststunde ist ein Maß für den Auslastungsgrad einer technischen Anlage. Stunden Jahr 2022 Volllaststunden bezeichnen die Zeit, die eine Anlage mit Nennleistung betrieben werden müsste, um die gleiche Menge an elektrischer Arbeit umzusetzen, die die Anlage innerhalb eines definierten Zeitraums Wind Offshore tatsächlich umgesetzt hat, wobei auch Betriebspausen oder Teillastbetrieb auftreten können. Die Zahl bezieht sich in der Regel auf einen Zeitraum von einem Kalenderjahr und wird Wind Onshore vor allem bei Kraftwerken angewendet.

Der aus der Zahl der Volllaststunden abgeleitete Jahresnutzungsgrad oder Kapazitätsfaktor ist die relative Volllastauslastung in einem Jahr, d. h. Solar / PV die Zahl der Volllaststunden geteilt durch 8760 Stunden, die Zahl der Stunden in einem Jahr mit 365 Tagen.

Volllaststunden Wka Pv

Quelle: REVEMAN/Frauenhofer ISE

Das europäische Stromversorgungssystem im Umbruch

Das europäische Stromversorgungssystem befindet sich in einem fundamentalen Umbruch. Viele Schritte verlaufen parallel und scheinbar wenig koordiniert und aufeinander abgestimmt. Ein System ist jedoch stets mehr als die Summe seiner Teile. Durch die zahlreichen Änderungen und ihre Abhängigkeiten steigt mit diesen Veränderungsprozessen auch die Gefahr von Großstörungen bis hin zu einem möglichen überregionalen Stromausfall („Blackout“). Die Folge wäre jedoch nicht nur ein großflächiger Stromausfall. Durch ihn ausgelöst käme es unweigerlich zu kaum abschätzbaren Kettenreaktionen in der gesamten Versorgungslogistik, auf die weder die Menschen noch die Unternehmen noch der Staat und seine Organe vorbereitet sind. Dieser Beitrag beleuchtet die weitreichenden Umwälzungen im europäischen Stromversorgungssystem sowie die möglichen Folgen eines Blackouts.

Siehe dazu die ganze systemische Betrachtung (10/23)

Die Rolle der Schweiz im Verbundsystem

Ein Verbundnetz versorgt fast ganz Europa mit elektrischer Energie. Mit 41 grenzüberschreitenden Leitungen ist die Schweiz eng mit dem europäischen Verbundnetz verbunden. Dieser Verbund macht eine sichere Stromversorgung in der Schweiz erst möglich. Was kaum jemand weiß: Das europäische Verbundnetz hat seinen Ursprung in der Schweiz.

Speicherproblematik

Ein zentraler Baustein, der bisher in der Energiewende weitgehend fehlt, ist die Speicherproblematik:

Hierzu gibt es auch eine interessante ARTE Doku „Droht uns der Blackout?„, wo der Stand aufgezeigt wird. Viel Forschung und Entwicklung, jedoch noch wenig Umsetzung, vor allem eine solche, die auch in größere Maßstäbe skaliert.

Arte Droht Uns Der Blackout 42 Die Antwort Auf Fast Alles

Resilienz im Stromnetz – die drei Faktoren für einen sicheren Netzbetrieb

Quelle: Marcel Linnemann

Die Resilienz des Stromnetzes zur Wahrung der Versorgungs- und Funktionsfähigkeit ist eines der Grundpfeiler für eine sichere Energieversorgung. Im Falle von (extremen) Störungen im System, muss das System weiterhin funktionieren. Aus welchen Komponenten sich die Resilienz des Stromnetzes zusammensetzt, hat der VDE in drei Komponenten beschrieben.

Robustheit: Der Begriff umfasst die Widerstandsfähigkeit von Betriebsmitteln im Normalzustand unter Einhaltung des n-1-Kriteriums. Der Normalzustand (n-0) ergibt sich, wenn ein Netzelement ohne direkte Konsequenzen ausfallen darf. Erst danach geht das System in den n-1-Zustand über.

Anpassungsfähigkeit: ist die zweite Komponente der Resilienz. Im n-1-Fall geht das System in den gefährdeten Zustand über. Alle Normwerte werden weiterhin eingehalten, durch die Redundanz im Netz. Dennoch müssen Maßnahmen ergriffen werden, um das ursprüngliche Sicherheitsniveau n-0 wiederherzustellen. Kann das System nicht schnell genug wiederhergestellt werden und fallen weitere Betriebsmittel durch Grenzwertverletzungen aus, geht das System in den Notzustand über.

Netzzustände

Zur Stabilisierung des Netzes greifen die Systemkoordinatoren auf Systemdienstleistungen (Bsp. Regelenergie) zurück. Fällt die Frequenz trotzdem unter einen kritischen Wert, erfolgt die Trennung von einzelnen Verbrauchern / Netzabschnitten.

Erholungsfähigkeit: Haben die Maßnahmen zur Netzstabilisierung nicht ausgereicht und ist es zur Trennung von Netzabschnitten oder dem Ausfall des gesamten Netzes gekommen, ist das Netz schrittweise auf seinen alten Zustand hochzufahren. Bei einem vollständigen Netzzusammenbruch erfolgt der Wiederaufbau in zwei Phasen. Phase 1 ist das Ziel, das Übertragungsnetz wieder unter Spannung zu setzen und ausreichend Systemdienstleistung zu reaktivieren. In Phase 2 erfolgt die schrittweise Synchronisierung mit den Erzeugern und Verbrauchern im Netz, bis der Ursprungszustand wiederhergestellt ist.

Nach einem Blackout („Schwarzfall“): Netzwiederaufbau & Schwarzstart

Ein Blackout wird in der Fachwelt als Großstörung bzw. Schwarzfall bezeichnet. Dabei sind nicht nur die Leitungen, sondern auch die Kraftwerke stromlos. Diese schalten sich ab einer definierten Frequenzabweichung zum Eigenschutz vor Zerstörung ab. Ein nicht speziell für diesen Fall vorbereitetes „schwarzstartfähiges“ Kraftwerk kann nicht mehr von selbst aus hochfahren, sondern benötigt für den Start wieder eine Frequenzvorgabe von 50 Hertz durch das Stromnetz. Ein solches Kraftwerk muss darüber hinaus für den Inselbetrieb ausgelegt sein und Lastzuschaltungen in ausreichend großen Sprüngen („Laststöße“) verkraften können.

In Österreich gibt es offiziell zwei mit einer Leistung von rund 1,5 GW im Übertragungsnetz. In Österreich gibt es jedoch aus der Vergangenheit noch einige weitere dezentrale, kleinere schwarzstartfähige Kraftwerke, in der Regel Wasser- bzw. Speicherkraftwerke in den Verteilnetzen. Gerade Pumpspeicherkraftwerke haben eine sehr hohe Leistungs- und Regelfähigkeit, was auch erklärt, warum in Österreich nur 2 und in Deutschland 120 Kraftwerke vorgehalten werden, während bei der Leistung nur ein 6,4-facher Unterschied besteht (eine Quelle).

In der Schweiz gibt es je nach Quelle vier bis zehn schwarzstartfähige Kraftwerke.  

Auch für Deutschland gibt es unterschiedliche Zahlen: 120 schwarzstartfähige Kraftwerke (9,7 GW) oder „Gemäß Monitoring nach § 35 EnWG gibt es in Deutschland 174 schwarzstartfähige Anlagen (Kraftwerksblöcke bzw. Turbinen), die über eine Netto-Nennleistung von mindestens 10 MW verfügen. Diese sind aktuell in Betrieb oder werden als Teil der Netzreserve für den Schwarzfall vorgehalten. Von den insgesamt 174 schwarzstartfähigen Anlagen werden 26 Anlagen tatsächlich von den Übertragungsnetzbetreibern für einen Netzwiederaufbau vorgesehen.

Ein Schwarzstart ist keine rein technische Herausforderung. Vielmehr sind auch organisatorische und personelle Voraussetzungen für das Gelingen ausschlaggebend. Daher ist auch ein koordinierter Schwarzstart mit mehr Kraftwerken wesentlich aufwendiger und fehleranfälliger, als etwa mit 2 Kraftwerken. Gerade beim Zusammenschalten der Teilnetze können Fehler auftreten, die zum erneuten Kollaps des bereits wieder funktionierenden und verbundenen Netzgebietes führen können. Siehe dazu auch Stromkollaps im Extremwinter:

flugzeuge-neustart

Vergleich

Der tägliche Stromnetzbetrieb und ein Schwarzstart lassen sich mit dem Fliegen vergleichen. Der tägliche Betrieb gleicht einem Flug. Manchmal kommt es zu Turbulenzen, dann muss der Pilot eingreifen. Ansonst kann auch der Autopilot fliegen. Der Start eines Flugzeuges braucht jedoch besondere Aufmerksamkeit und Fähigkeiten. So ist das auch bei einem Schwarzstart. Dieser kann jedoch nur am Simulator trainiert werden. Zum anderen sind dann nicht nur zwei Piloten für ein paar Minuten am Steuer, sondern viele und das über viele Stunden oder sogar Tage. Das wird also kein Spaziergang, auch wenn sich die Netzbetreiber sorgfältig auf den Tag X vorbereiten.

Stromkollaps im Winter 1978/79

von www.mdr.de

Wie funktioniert das Stromversorgungssystem und wie erfolgt ein möglicher Schwarzstart?

Ein hervorragendes Erklärvideo der illwerke vkw! Wichtig: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit – nirgends – und daher sollten wir als Gesellschaft auch in der Lage sein, mit einem solch möglichen Ereignis umzugehen, auch wenn sehr viel Aufwand betrieben wird, um es zu verhindern! 

Was passiert, wenn in Europa die Stromversorgung zusammenbricht? Welche Konsequenzen hätte das für die Menschen in Vorarlberg, und im europäischen Netzverbund? Aus Sicht des Vorarlberger Landesenergieversorgers ist klar: Man ist bestens gerüstet und bevor es überhaupt zu einem Blackout kommt, greifen schon unzählige Systemschutzpläne und Maßnahmen, um ein solches Szenario zu verhindern.

Doch was sind das Mechanismen, die in einem solchen Fall greifen? Wie funktioniert eigentlich das europäische Verbundnetz und wie sind die genauen Prozesse beim Energiedienstleister, wenn der Ernstfall eintritt? 

Probleme beim Neustart nach dem Blackout mit EE

Quelle: www.scinexx.de

Wie gut funktioniert das Hochfahren des Stromnetzes mit Windparks und Solaranlagen?

Für den Ernstfall: Das Wiederhochfahren des Stromnetzes nach einem großflächigen Stromausfall ist diffizil. Wie gut dies mit dezentralen Wind- und Solaranlagen geht, haben Forscher jetzt in Feldtests und Simulationen ausprobiert. Das Ergebnis: Es kann funktionieren, wenn Windparks und Photovoltaikanlagen im Blackout-Fall zentral ferngesteuert werden und wenn sie über spezielle Störfall-Modi verfügen. Dafür ist allerdings noch einiges an technischer Aufrüstung nötig, denn bisher fehlt die Technik dafür meist.

Das Stromnetz ist nur dann stabil, wenn sich Spannung und Frequenz des Wechselstroms in einem eng definierten Rahmen bewegen. Kommt es zu größeren Abweichungen, kollabiert das sensible Gleichgewicht von Einspeisung und Entnahme und die Stromversorgung bricht zusammen. Um einen solchen Blackout zu verhindern, haben die Übertragungsnetzbetreiber – die für die überregionalen Hochspannungsnetze Verantwortlichen – verschiedene automatisierte Schutzmechanismen und Notfallprotokolle entwickelt.

Perfekte Balance beim Hochfahren entscheidend

Doch was ist nach einem Blackout? Ein Stromnetz nach einem großflächigen Ausfall wieder hochzufahren, erfordert ein komplexes Jonglieren mit Stromlieferanten und Stromabnehmern. Nach dem Ausfall speisen zunächst einige schwarzstartfähige Kraftwerke Strom ein und bilden erste funktionierende Inseln im Stromnetz. Schwarzstartfähig sind Anlagen wie Gas- oder Wasserkraftwerke, die schnell und unabhängig von externer Stromversorgung hochfahren und die selbständig die geforderte Spannung und Frequenz einstellen können.

Sobald dann der erste Strom fließt, steuern die Übertragungsnetzbetreiber das Zuschalten weiterer Stromerzeuger und Verbraucher. Kommt es dabei zu einer Dysbalance, gerät das Stromnetz wieder aus dem Sollbereich und kollabiert erneut. Entsprechend viel Erfahrung und zentrale Kontrollmöglichkeiten erfordert dieses Hochlaufen. Bisher liegt die Verantwortung dafür bei den Betreibern der überregionalen Hochspannungsnetze, weil die Großkraftwerke ihren Strom direkt in diese leistungsstärksten Netze einspeisen.

Kontrolle verlagert sich in die Verteilnetze

Mit der Energiewende ändert sich dies: Die Stromgewinnung wird dezentraler und basiert stärker auf vielen kleinen Windkraft- und Solaranlagen. Diese erzeugen zu wenig Strom, um direkt in die Hochspannungsnetze einzuspeisen, und sind daher an die Verteilernetze mit Mittel- und Niederspannung angeschlossen. „Diese Veränderungen der Erzeugungs- und Laststruktur auf der Verteilnetzebene erfordern neue Fähigkeiten der Verteilnetzbetreiber“, erklärt Jonathan Bergsträßer vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE.

Im Falle eines Blackouts verlagert sich das diffizile Wiederhochfahren damit künftig auf die bisher wenig darauf vorbereiteten Verteilnetze, wie der Forscher erklärt. Selbst wenn Gas- und Wasserkraftwerke weiterhin den Schwarzstart übernehmen, hängt es vom balancierten Zuschalten der dezentralen Wind- und Solaranlagen ab, ob das Stromnetz wieder stabil wird oder nicht. „Uns Verteilnetzbetreibern kommt mit der Energiewende eine neue Rolle im Energiesystem zu – auch beim Wiederhochfahren nach einem großflächigen Stromausfall“, sagt Thomas Schmidt, Projektleiter beim Netzbetreiber Westnetz in Rheinland-Pfalz.

Ob und wie das funktionieren könnte, haben Bergsträßer und seine Kollegen nun in einem dreijährigen Projekt mit mehreren Feldtests und Simulationen untersucht.

Wichtigste Voraussetzung: die Fernsteuerung

Eines der ersten Ergebnisse: Ohne Möglichkeiten der zentralen Kontrolle geht es nicht. Das Wiederhochfahren funktioniert nur dann, wenn Windparks und Solaranlagen im Notfall von den Netzbetreibern gesteuert werden können. [Was heute die Ausnahme ist!] Dafür muss es entsprechende Internet- und Mobilfunkschnittstellen geben sowie die Option, voreingestellte Parameter zu überschreiben.

Für Windparks hat das Projektteam eine solche Schnittstelle bereits entwickelt und in ersten Windparks im Testgebiet installiert. „Im Gegensatz zu Anlagen mit heutigem Betriebsverhalten können Windparks mit Störfallregelung aktiv und konstruktiv in bestehende Netzwiederaufbaukonzepte integriert werden, wodurch sich neue Möglichkeiten ergeben und Ausfallzeiten reduzieren lassen“, erklären die Wissenschaftler.

Aus vielen Solaranlagen wird ein virtuelles Flächenkraftwerk

Für die zahlreicheren und kleineren Solaranlagen hat das Team das Konzept der Flächenkraftwerke entwickelt, mit dem Photovoltaikanlagen einer ganzen Region zusammengeschlossen und zentral gesteuert werden können. „Durch die zentrale Ansteuerung dieser Anlagen und der damit verbundenen Latenzzeit der Kommunikationskanäle können Leistungsreserven im Zeitbereich einiger Sekunden bis wenigen zehn Sekunden aktiviert werden“, erklärt das Projektteam. Erste Feldtests mit einem Solar-Flächenkraftwerk verliefen erfolgreich.

Eine weitere Voraussetzung sind möglichst präzise Vorhersagen dazu, wie viel Strom die Wind- und Solaranlagen unter den aktuell herrschenden Wetterbedingungen liefern können. [Und diese benötigen ebenfalls Strom & Datenverbindungen, was bei einem Blackout aber nur teilweise sichergestellt werden kann!9  „Im Projekt wurde eine Prognostik entwickelt, die stör- und schwarzfallrobust in jeder Netzsituation den Netzbetreiber mit aktuellen Daten versorgen kann“, berichtet Lukas Holicki, Projektleiter bei ENERCON. Dafür wurden Modellrechnungen mit Wetterdaten und anlagenspezifische Betriebsdaten kombiniert.

Feldtest mit Windpark erfolgreich

Ob das Ganze im Ernstfall funktionieren würde und wo es noch hapert, haben die Forschenden in Feldtests im Gebiet des Verteilnetzbetreibers Westnetz untersucht. Dabei wurde ein Windpark des Betreibers Alterric Deutschland mit 22 Windturbinen und 52 Megawatt Leistung zunächst mit den entsprechenden Kontrolltechnologien ausgerüstet, dann schnitt der Netzbetreiber die Stromzufuhr oberhalb des Einspeisepunkts ab – und simulierte so den Blackout.

Es funktionierte: Dank der neuinstallierten Fernsteuerungstechnik konnte der Netzbetreiber den Windpark so regeln, dass er genau die erforderliche Strommenge ins „ausgefallene“ Netz einspeiste. Schon fünf Minuten nach dem Blackout erreichten Spannung und Frequenz im Stromnetz wieder die Sollwerte, wie die Wissenschaftler berichten. Ähnlich erfolgreich verlief auch eine Simulation, bei der mehrere Windparks nach einem Netzausfall nacheinander so zugeschaltet werden mussten, dass das Stromnetz stabil bleibt.

Eine weitere Simulation demonstrierte jedoch auch, was im Ernstfall beim Zuschalten eines Windparks ohne entsprechenden Störfall-Modus passieren würde: Nachdem ein Gaskraftwerk den Schwarzstart übernommen hat, geht der Windpark ans Netz, produziert dabei aber nach seinen internen, leistungsoptimierten Vorgaben. Als Folge kann er nicht an die Anforderungen des noch labilen Stromnetzes angepasst werden und bringt das gesamte System nach etwa 15 Minuten erneut zum Kollaps.

Hochfahren machbar, aber nur mit technischer Nachrüstung

Nach Ansicht des Forschungsteams liefert ihr Projekt wichtige Erkenntnisse dazu, wie gut sich Blackouts im Stromnetz auch mit dezentralen Stromlieferanten wie Windparks und Solaranlagen meistern lassen. „Windparks und Solarkraftwerke können beim Hochfahren des Netzes einen aktiven Beitrag leisten“, sagt Becker. „Das ist technisch zwar anspruchsvoll, aber möglich, wie unsere Feldversuche eindeutig gezeigt haben.

Allerdings erfordert dies technische Lösungen, die bisher in den meisten Anlagen noch nicht installiert sind. Sowohl bei den Kommunikationsverbindungen zu den Netzbetreibern wie auch bei der Steuertechnik müsse daher nachgerüstet werden. Ähnliches könnte für dezentrale Stromverbraucher in den Niederspannungs-Verteilnetzen gelten. Denn auch Batteriespeicher, Wärmepumpen oder auch Flotten von Elektroautos können beim Wiederhochfahren wichtige Puffer darstellen. [Derzeit würden sie aufgrund Ihrer Parametrierung wohl eher ein Wiederhochfahren behindern!]

„Das deutsche Stromnetz ist eines der zuverlässigsten der Welt. Dennoch ist die Resilienz von großer Bedeutung. Im Falle eines großflächigen Stromausfalls ist sehr entscheidend, dass wir schnell wieder zum Normalbetrieb zurückkehren“, erläutert Gesamtprojektleiter Holger Becker vom Fraunhofer IEE. (Abschlussbericht SysAnDUK-Projekt.)

Quelle: Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE

EU-Energiepolitik

Auf EU-Ebene wird mit großer Vehemenz ein gemeinsamer Strommarkt verfolgt, wo überall dieselben Marktbedingungen herrschen sollen, das hat aber wenig mit den infrastrukturellen Voraussetzungen zu tun, die nie dafür ausgelegt wurden. Daher trennt man auch den Strommarkt und das Strom-Netz im Denken („Energy-only-Market“). Die Physik kann man aber nicht mit Marktregeln übertrumpfen. Ganz im Gegenteil.

Zum anderen macht jedes Land eine eigene Energiepolitik und Energiewende. In unterschiedlichen Richtungen. Während die einen an der Atom- oder Kohlestrompolitik festhalten, oder diese sogar ausbauen wollen, wollen die anderen möglichst rasch auf erneuerbare Energien umsteigen. Dadurch prallen Denkwelten, aber auch dogmatisch verklärte Ansätze aufeinander. Ab 1. Oktober 2018 kommt auch noch ein auf komplexen Algorithmen passierender europäischer Marktplatz hinzu.

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Das generelle Mantra lautet, der Markt wird sich das schon regeln. Nur ein freier Markt bedingt, dass Teilnehmer scheitern können müssen, was im Stromversorgungssystem gefährlich werden kann. Infrastrukturprojekte benötigen oft eine jahrelange Vorlaufzeit und sind häufig auf Jahrzehnte ausgelegt. Das widerspricht dem marktorientierten, kurzfristigen Gewinnstreben. Aktuelle grundsätzlich begrüßenswerte Überlegungen Kohlekraftwerke zu schließen. Übersehen häufig, dass diese mit den rotierenden Massen auch essenzielle Systemdienstleistungen in Form von Momentanreserve liefern. So tun sich hier insgesamt mehrere dunkle Wolken auf.

Das Stromnetz der Zukunft: Ein Energiezellensystem

Damit der Umstiege auf eine vollständige Versorgung mit erneuerbaren Energien funktionieren kann, benötigen wir auch ein neues Systemdesign: Ein Energiezellensysteme, also dezentrale, autonome funktionale Einheiten. Derzeit sind wir noch weit davon entfernt.

Das Video des deutschen Forschungsprojektes „KombiKraftwerk2“ beschreibt sehr anschaulich die Zusammenhänge und Herausforderungen. Das Projekt kommt unter anderem zum Schluss:

Für das Ziel Energiewende müssen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch einige politische, wirtschaftliche und technische Anstrengungen unternommen werden. Die Herausforderungen zum Erhalt der Netzstabilität, die der Wandel der Stromversorgung aufwirft, sind dabei weniger in den erneuerbaren Energien zu suchen, da diese die technischen Anforderungen zur Netzstabilisierung prinzipiell erfüllen.

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Vielmehr erfordert die neuartige Struktur der künftigen Stromerzeugung und -verteilung ein Umdenken bei der Organisation des Systems. Dabei geht es um eine Systemtransformation, die die fluktuierend einspeisenden Wind- und PV-Anlagen als tragende Säule der Stromversorgung in den Mittelpunkt stellt. Flexible Biomasseanlagen (Biogas und feste Biomasse) und Biomethananlagen sowie Speicher sind hierbei ein wesentlicher Bestandteil des Energiesystems und tragen zur gesicherten Leistung bei. Ohne einen entsprechend angepassten Ausbau des Netzes mit all seinen Komponenten, einer Anpassung der Regularien und Märkte wird der Wandel der Stromversorgung nicht gelingen. Als Lohn für diese Anstrengungen winkt eine moderne, saubere und stabile Stromversorgung.

Eine kritische und systemische Betrachtung

Bei einer systemischen Betrachtung ist rasch festzustellen, dass bei der „Energiewende“, wie sie derzeit betrieben wird, systemische Aspekte offensichtlich viel zu kurz kommen. Denn ein System ist mehr als die Summe der Einzelelemente. Entscheidend sind die „unsichtbaren Fäden“ zwischen den Systemelementen. Etwa Leitungen zwischen den Erzeugungsanlagen und den Energienutzern („Verbrauchern“), Speicher- und Puffersysteme (Energiebevorratung), um die Volatilität der volatilen Erzeugung ausgleichen zu können. Die Netzsteuerung, die in einem komplexen dezentralisiertem System anders aussehen muss, als im bisher zentralisierten hierarchischen System. Zusätzlich müssen große Zeithorizonte, von Millisekunden (Schutz), über Sekunden/Minuten (Netzregelung bzw. Ersatz der rotierenden Massen), Energiebilanz (Stunden/Tage/Wochen) bis hin zur Nachhaltigkeit (Jahre/Jahrzehnte) berücksichtigt werden. All das wird beim derzeitigen Markt- und Preisfokus kaum berücksichtigt. Hören Sie dazu auch einen Auszug aus dem SRF-Blackout-Thementag: Tag 6: Keine Normalität in Sicht – Stromhändler und Netzoperator:

Mit der steigenden Anzahl von Systemelementen nehmen auch die Wechselwirkungen in diesem System zu. Und zwar exponentiell. Entwicklungen, mit denen wir nachweislich schlecht umgehen können. Die Steuerbarkeit des Systems sinkt. Unsere bisherigen Mechanismen greifen immer schlechter und die Gefahr eines System­kollapses steigt. Dem kann nur durch ein entsprechendes lebensfähiges Systemdesign (Energiezellensystem) begegnet werden, was bisher weitgehend fehlt oder erst in Ansätzen passiert.

Die große Hoffnung liegt aktuell noch  in „Smarten“-Technologien, wobei die bisherigen Ansätze eher in eine Sackgasse weisen, als zur Lösung beitragen werden (siehe etwa dazu: Das Smart Grid im Zeitalter des Cyberwar. Die unreflektierte Vernetzung im IT-Bereich hat bisher zu immer mehr ungelösten und immer schwieriger beherrschbaren Problemen geführt. Auch wenn sich die bisherigen Probleme vorwiegend im virtuellen Raum abspielen, gibt es bereits enorme finanzielle Folgeschäden in der Realwelt. Nicht auszudenken, was passiert, wenn diese Entwicklungen auf den Infra­struktursektor überspringen und es zu Ausfällen in der Verfügbarkeit von vernetzten Infrastruktursystemen kommt, wie bereits 2015 in der Ukraine. Intelligente Technologien werden sicher einen Beitrag zur Energiewende leisten müssen. Die der­zeitigen Konzepte sollten aber aus systemischer Sicht kritischer hinterfragt werden. Denn durch Vernetzung steigt die Komplexität, was zu einem veränderten und nicht in unserem bisherigen Sinne steuerbaren Systemverhalten führt.

Mikado_binär

Weitere Hintergrundinformationen

  • Für den Bau eines neuen Gaskraftwerkes veranschlagen Experten rund acht Jahre.
  • Im europäischen Verbund werden rund 530 Millionen Menschen in über 30 Ländern mit Strom versorgt. Das kontinentaleuropäische Verbundnetz ist die «größte Maschine» Europas, wenn nicht sogar der Welt.
  • Das gesamteuropäische Stromversorgungssystem ist das Ergebnis eines Miteinanders. Es entstand durch eine Zusammenschaltung von mehreren Hochspannungsleitungen in der Schaltanlage in Laufenburg am Nordrand der Schweiz, genau an der Grenze zu Deutschland, mehr oder weniger im Dreiländereck Deutschland, Frankreich und Schweiz. Zum Zeitpunkt der Gründung vom „Stern von Laufenburg“ Mitte des vorigen Jahrhunderts kamen damals die Verantwortlichen für den Betrieb der Hoch- und Höchstspannungsnetze zu dem Schluss, dass es von Vorteil wäre, wenn sie im Falle von Störungen im Netz oder beim Kraftwerkseinsatz sich gegenseitig Aushilfe leisten könnten. Das Ziel war demnach die Erhöhung der Versorgungssicherheit. Dazu wurde in Leitungen und in Schaltfeldern in der Schaltanlage in Laufenburg investiert. Aus dem „Stern von Laufenburg“ entwickelte sich nach und nach das UCPTE-Netz, in dem es keine Trennung zwischen Energiebereitstellung, Netze und Energienutzung gab. Dieses gemeinschaftlich betriebene Gesamtsystem, UCPTE-Netz genannt, wurde auch zur Plattform von einem länderübergreifenden Stromaustausch, heute Stromhandel genannt. Die politisch verordnete Abtrennung den Monopolbereiches „Netz“ hatte zur Folge, dass sich die Organisation wandelte und dieses gemeinsam betriebene Netz in UCTE-Netz umgetauft wurde. Das wiederum wurde nun in die ENTSO-E als den Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber überführt. Erst die Trennung in „smart market“ und „smart grid“ hat zu der heutigen Situation geführt. Jetzt wird das Netz als Plattform für den Handel leider in der Weise genutzt, dass die Systemstabilität mehr und mehr leidet, weil auf die notwendigen Regelmechanismen zur Aufrechterhaltung der Systemstabilität von Seiten der Händler nicht mehr geachtet werden muss. Der ursprüngliche Sinn und Zweck des Gesamtsystems wurde durch das Auftrennen offenbar vergessen und damit trat auch die Versorgungssicherheit völlig in den Hintergrund. Das ist das Ergebnis dieser Umwandlung in eine rein kommerziell genutzte Handelsplattform. Bedauerlicherweise muss gegenwärtig vermutet werden, dass dieser Missbrauch zu den bisher noch als Ausnahmesituationen betrachteten Systemzuständen geführt hat (Franz Hein).

Blindleistung

Damit die Stromübertragung im Netz funktioniert, wird Blindleistung für den Spannungsaufbau benötigt. Zur Wirkleistung, die tatsächlich beim Verbraucher ankommt, sollte die Blindleistung stets im richtigen Verhältnis stehen, damit der Stromtransport nicht beeinträchtigt wird. Das heißt, ohne Blindleistung ist kein Stromtransport möglich, jedoch reduziert zu viel Blindleistung im Netz die Wirkleistung und kann sich entsprechend negativ auf die Stromübertragung auswirken. Auf das richtige Maß kommt es an.

Vereinfacht dargestellt, ist Blindleistung die Schaumkrone eines Bieres und das Bier selbst die Wirkleistung. Wird ein Bier falsch eingeschenkt, kann sich zu viel Schaum bilden. Steht das Bier zu lange, wird der Schaum instabil, nimmt ab und die Qualität des Bieres leidet. Die Schaumkrone  sollte also stets im richtigen Verhältnis zum Bier sein. In der alten Energiewelt waren Kernkraftwerke und andere große Erzeuger, um im Bild zu bleiben, die Brauereien, die dafür sorgten, dass die Schaumkrone, also die Blindleistung, im richtigen Verhältnis zum restlichen Bier, also der Wirkleistung, geliefert wurde. Da alle Kernkraftwerke bis 2022 vom Netz gehen, werden nun die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) zum Braumeister für Blindleistung, um seinen gesetzlichen Auftrag, rund um die Uhr ein sicheres Netz zu betreiben, auch in Zukunft erfüllen zu können.

Um die Blindleistung regeln zu können und in ausreichendem Maße für das gesamte Netz zur Verfügung zu stellen, hat etwa TenneT bereits in zahlreichen seiner 129 Umspannwerke Kompensationsspulen und MSCDN-Anlagen installiert, die zur statischen Blindleistungsbereitstellung beitragen. Ferner werden auch rotierende Phasenschieber installiet. Diese Anlage liefert einen Beitrag zur Kurzschlussleistung dieses Netzknotens – eine Aufgabe, die zuvor etwa der Generator des Kernkraftwerkes Grafenrheinfeld erledigte. Daneben wird untersucht, ob beispielsweise Windkraft- und Photovoltaikanlagen durch die Bereitstellung von Blindleistung zur System- und Versorgungssicherheit beitragen können.