Letzte Aktualisierung am 13. Januar 2017.
Quelle: diepresse.com
Europa muss sich auf eine harte und lange Bewährungsprobe einstellen, denn es ist davon auszugehen, dass die Anschläge von Paris nur der Anfang einer Schreckensserie sind, die den Kontinent demnächst heimsuchen könnte.
Ob und wie das Pariser Blutbad die Welt verändert, hängt von der Reaktion darauf ab.
Ziel von Terroristen ist es seit jeher, den Gegner zu blindwütiger Überreaktion zu verleiten und so eine Eskalation herbeizuführen.
Den Mördern von Paris ging es darum, wahllos möglichst viele Menschen zu töten.
Politiker und Militärs müssen einen kühlen Kopf bewahren und die Folgen ihres Handelns abschätzen.
Wer blind in die Kriegsfalle tappt, wer gegen Flüchtlinge hetzt, wer Werte wie Hilfsbereitschaft oder Toleranz infrage stellt, wer die Freiheit und den europäischen Lebensstil auf dem Altar der Sicherheit opfert, wer polarisiert, spielt den Terroristen in die Hände.
Kein anderes Land hat seinem Geheimdienst so weitreichende Möglichkeiten gegeben wie Frankreich. Haben die Behörden versagt, oder gibt es einfach kein Mittel gegen Selbstmordattentäter, die Terror verbreiten wollen?
Quelle: diepresse.com
Militär beim Eiffelturm, schwer bewaffnete Polizisten auf den Champs-Élysées, Polizeiautos vor Notre-Dame – wer heuer im Sommer Paris besuchte, fühlte sich sicher. In kaum einer anderen Stadt in Europa gibt es eine solche Polizeipräsenz auf den Straßen. Und ausgerechnet hier kam es jetzt erneut zu solch verheerenden Anschlägen.
Hat die Exekutive versagt? Haben vor allem die Geheimdienste versagt, die mit neuen Anschlägen rechneten, die sogar davor warnten, die aber von den offenbar minutiös geplanten Angriffen nichts wussten? Oder haben sie seit der Festnahme eines Extremisten in Deutschland Anfang November etwas geahnt, waren aber machtlos?
„Wir können ganz spezielle Ziele sehr gut schützen, wir können gefährdete Objekte und Personen schützen. Aber wenn sich die Täter wahllos Opfer aussuchen und selbst bereit sind zu sterben, dann ist man weitgehend machtlos.“
Dass man auf einen solch großen Personenkreis nicht aufmerksam wird, der den detaillierten Plan zudem wochenlang vorbereitet haben muss, ist aus jetziger Sicht schwer vorstellbar. Möglich und wahrscheinlich ist daher, dass die Angriffe auswärts geplant wurden und die Personen dann nach Frankreich kamen oder dort rekrutiert wurden.
Was macht man in so einem Fall? „Man erhöht die Sicherheitsvorkehrungen. Aber wenn man nicht weiß, wer involviert ist oder wann zugeschlagen werden soll und wo, wird es schwierig“, meint der Beamte des Verfassungsschutzes. „Der Staat hat für Sicherheit zu sorgen, aber das geht eben nicht immer zu hundert Prozent.“ Wenn es den Angreifern darum gehe, wahllos Terror zu verbreiten, sei man „herausgefordert“, weil man nicht jedes Kaffeehaus und jedes Theater bewachen könne.
Der französische Geheimdienst hatte sich bei den Attacken der Vergangenheit freilich nicht mit herausragender Arbeit hervorgetan. Fast alle Attentäter, die im heurigen Jahr und den Jahren davor Anschläge verübt haben, waren den Behörden bekannt. Nur sind die wieder aus den Maschen des Überwachungsnetzes gefallen.
Jean-Hugues Matelly, Präsident der französischen Polizeigewerkschaft Gendxxi, meinte: „Dass man ein Attentat verhindern kann, ist illusorisch. Das ist ein Risiko, das man akzeptieren und mit dem man umzugehen lernen muss. Der einzige Effekt durch das massive Polizeiaufgebot ist ein psychologischer: Touristen und die Bevölkerung sind auf diese Weise beruhigt.“
Kommentar
Zwei sehr interessante und gute Artikeln. Um Terrorismus begegnen zu können, muss man zuerst seine Funktionsweise verstehen, dieser wirkt im Wesentlichen zweimal. Einmal durch die unmittelbaren Auswirkungen eines Anschlages und das zweite Mal durch die beim Opfer hervorgerufenen Reaktionen. Die Sekundärschäden sind dabei wesentlich höher. Man geht davon aus, dass die Folgekosten von 9/11 in die Billionen gehen und dass viel zusätzliches Leid verursacht wurde.
Wir sollten uns daher auf noch mehr gefasst machen. Einerseits ist mit weiteren Anschlägen zu rechnen, möglicherweise auch in Österreich. Zum anderen ist zu befürchten, dass es nun zu einem Aktionismus mit nicht einhaltbaren Sicherheitsversprechungen (Gluckhennensyndrom) und zugleich zu einer weiteren Lähmung der Gesellschaft kommen wird. Nicht zuletzt, da die Sicherheitskräfte bereits mit der aktuellen Flüchtlingslage an der Belastungsgrenze operieren. Zudem werden noch weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, um sich mit bisher kaum vorstellbaren Ereignissen, wie etwa mit den Folge eines möglichen und realistischen Blackouts auseinanderzusetzen. Dabei würde gerade die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen zu einer generellen Erhöhung der Selbstwirksamkeit der Bevölkerung führen und dadurch auch andere Szenarien leichter bewältigbar machen. Mehr dazu auch im aktuellen Newsletter #15.
„Versagen der Geheimdienste“
Sofort und reflexartig wird die Frage nach „wer war es“ und nach den „Schuldigen, die das nicht verhindert haben“ gestellt. Die Medien spielen dabei eine wesentliche Rolle. Damit wird gleichzeitig der kontraproduktive Aktionismus gefördert – man muss schnell handeln und zeigen, dass man noch Herr der Lage ist – was längst nicht mehr stimmt. Denn gegen eine Kleinkriegstaktik – und um nichts anderes handelt es sich hier – hat bisher kein Staat wirklich eine Chance gehabt. Daher sollte wohl eher: „Wenn du es eilig hast, gehe langsam“ gelten. Mehr vom selben führt nicht wirklich zu einer Verbesserung.
Und das sich Menschen sicherer fühlen, wenn sie nur genug Sicherheitskräfte herumstehen sehen, hat auch mit den falschen Sicherheitsversprechungen zu tun. Wir lassen uns gerne einlulen und nehmen uns damit auch die eigene Handlungsfähigkeit, wie sich leider auch in vielen anderen Bereichen – insbesondere bei der Vorbereitung auf ein mögliches Blackout/generell auf ein strategisches Schockereignis – immer wieder zeigt.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir in den nächsten Jahren noch deutlich größere Herausforderungen zu bewältigen haben werden. Je mehr wir hier so weiterwurschteln, desto schlimmer werden die Auswirkungen sein (siehe auch Was passiert bei einer echten Katastrophe?). Wir können aber auch damit beginnen, uns selber Schockresisdten zu machen – der einfachste Schritt beginnt mit der Selbstversorgungsfähigkeit jedes einzelnen für zumindest 1-2 Wochen. Und mit der Einstellung, dass die Sicherheitsversprechungen nicht halten werden und wir mit Unerwartetem umgehen werden müssen. Eine gewisse „Gelassenheit“ gehört dazu, sonst wird das nicht gehen.
Und auch wenn diese Anschlagswelle für viele Menschen bereits das bisher Vorstellbare überstiegen und sehr professionell gewirkt haben mag – mit den eingesetzten Ressourcen hätte die Wirkung noch deutlich verherrender gewesen sein können. Ob das in Zukunft auch so bleiben wird, muss bezweifelt werden.
Siehe auch die weiterführenden Analysen unter dem Tag Terrorismus bzw. die Analyse „Sicherheitspolitisch relevante Entwicklungen – Eine systemische Betrachtung Teil 1„
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