Wenig beachtete Störungen im Stromnetz

Die Zuverlässigkeit und Qualität der Stromversorgung sind eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren moderner Gesellschaften. In den meisten Industrieländern gelten die Stromnetze als äußerst stabil und zuverlässig, Stromausfälle sind sehr selten. Der Eindruck einer nahezu perfekten Versorgung wird häufig durch statistische Kennzahlen untermauert, die die hohe Zuverlässigkeit dokumentieren sollen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass diese Zahlen nicht alle Formen von Netzstörungen erfassen und daher nur bedingt aussagekräftig sind. Eine besondere Kategorie von Störungen sind Kurzzeitunterbrechungen, oft im Bereich von Millisekunden, Sekunden bzw. weniger als drei Minuten, die auch gerne, aber fälschlicherweise als „Micro-Blackouts“ bezeichnet werden.

Ein Blackout ist ein großflächiger, länger andauernder Systemausfall mit gravierenden Folgewirkungen, die in keiner Weise mit den Folgen von lokalem Kurzzeitunterbrechungen vergleichbar sind, wenngleich auch diese zu erheblichen Schäden und Beeinträchtigungen führen können. Gerade, weil sie häufig nur sehr lokal und ohne großem Gleichzeitigkeitsfaktor auftreten, wird ihnen oft nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt.

Im Haushalt bleiben diese Störungen meist unbemerkt oder machen sich nur durch kurzes Flackern von Lampen oder das Zurückstellen von Digitaluhren bemerkbar. In Industriebetrieben, Rechenzentren oder automatisierten Produktionsanlagen können sie jedoch schwerwiegende Folgen haben. Empfindliche Maschinen, Steuerungen oder elektronische Schaltungen reagieren sensibel auf kleinste Unterbrechungen oder Spannungsschwankungen. Die Folgen können von unerwarteten Neustarts über Datenverluste bis hin zu kostspieligen Produktionsausfällen reichen.

Die SAIDI-Statistik und ihre Grenzen

Die Zuverlässigkeit eines Stromnetzes wird häufig durch den sogenannten SAIDI-Wert („System Average Interruption Duration Index“) beschrieben. Diese Kennzahl gibt an, wie viele Minuten ein durchschnittlicher Endverbraucher pro Jahr von einer Stromunterbrechung betroffen ist. In Deutschland lag der SAIDI-Wert in den letzten Jahren meist zwischen 10 und 15 Minuten pro Jahr, was im internationalen Vergleich eine außergewöhnlich hohe Verfügbarkeit signalisiert.

Diese Messmethode hat jedoch wesentliche Einschränkungen: Der SAIDI-Wert berücksichtigt in Deutschland nur Stromausfälle, die länger als drei Minuten dauern, während in Österreich, zumindest theoretisch auch kürzere Unterbrechungen erfasst werden. Das macht eine internationale Vergleichbarkeit schwierig. Kürzere Unterbrechungen, auch wenn sie massenhaft auftreten und erhebliche technische und wirtschaftliche Auswirkungen haben, werden nicht erfasst, was zum Teil auch technisch nicht möglich ist, da es sich häufig um lokale Phänomene handelt. Es gibt daher keine Netzstatistik für Kurzzeitunterbrechungen.

Weitere Einschränkungen sind, dass nur ungeplante Unterbrechungen im Mittel- und Niederspannungsnetz erfasst werden. Oder dass in Österreich „regional außergewöhnliche Ereignisse“ ausgeklammert werden, um extreme Ausreißer zu vermeiden. Womit man schnell bei der Weisheit landen könnte, dass man keiner Statistik trauen sollte, die man nicht selbst gefälscht oder entsprechend angepasst hat.

Während der SAIDI-Wert also suggeriert, dass Verbraucher nur wenige Minuten im Jahr von Stromausfällen betroffen sind, kann die tatsächliche Anzahl an kurzzeitigen Unterbrechungen in einigen Regionen oder Industriebereichen deutlich höher sein. Diese Diskrepanz führt dazu, dass derartige Kurzzeitunterbrechungen bislang kaum in der energiewirtschaftlichen und regulatorischen Debatte berücksichtigt werden, obwohl sie in vielen Bereichen signifikante Probleme verursachen.

Gleichzeitig wird aber jedes Jahr wiederholt, dass die SAIDI-Statistik doch ein Beweis für die hohe Versorgungssicherheit trotz aller Umbaumaßnahmen sei. Tatsächlich sagt sie aber nur etwas über die Zuverlässigkeit der Leitungsinfrastruktur auf der letzten Meile aus und keinesfalls etwas über die Qualität der Stromversorgung oder die Systemstabilität.

 

Ursachen

Die Ursachen können sehr vielschichtig sein und sind meist eine Kombination verschiedener Einflussfaktoren, die sowohl technischer als auch systemischer Natur sind.

Ein wesentlicher Faktor sind Schwankungen in der Netzfrequenz. In einem stabilen Stromnetz beträgt die Frequenz in Europa standardmäßig 50 Hertz (Hz). Wird dieser Wert kurzfristig über- oder unterschritten, kann es zu Spannungseinbrüchen/erhöhungen oder kurzzeitigen Netzunterbrechungen kommen. Ursachen für solche Frequenzabweichungen sind oft plötzliche und große Laständerungen, etwa wenn große Verbraucher wie industrielle Maschinen ein- oder ausgeschaltet werden oder Kraftwerke kurzfristig aus dem Netz gehen.

Auch Schalthandlungen auf der Höchstspannungsebene können zu solchen Unterbrechungen führen, die manchmal auch als Netzwischer bezeichnet werden. Diese können auch statistisch erfasst werden, da die Auswirkungen nicht nur lokal auftreten.

Eine zunehmend relevantere Rolle spielen auch wetterabhängige Erzeugungsanlagen („erneuerbare Energien“). Während konventionelle Kraftwerke mit rotierenden Massen zur Frequenzstabilisierung beitragen, speisen Solar- und Windanlagen volatil ins Netz ein. Besonders an Tagen mit wechselhaften Wetterbedingungen kann dies zu schnellen Leistungsfluktuationen führen, die sich in kurzen Spannungseinbrüchen äußern.

Ein weiteres Problem sind Kapazitätsengpässe und Lastverschiebungen. Der steigende Strombedarf durch Elektromobilität, Wärmepumpen oder energieintensive Industrien führt dazu, dass lokale Netzabschnitte zunehmend belastet sind. In Regionen mit bereits hoher Netzauslastung kann es daher vorkommen, dass Netzbetreiber als Schutzmaßnahme kurzfristige Unterbrechungen durchführen, um Überlastungen zu vermeiden. Letzteres wird in Deutschland bislang kaum praktiziert (Nachtspeicherheizungen einmal ausgeklammert).

Zusätzlich gibt weitere externe Einflüsse. Hierzu zählen insbesondere Wetterereignisse wie Blitzeinschläge, die zu Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen führen, oder Störungen durch Bauarbeiten an Stromleitungen. Auch technische Defekte in Umspannwerken oder Transformatorenstationen können für sehr kurze Unterbrechungen sorgen, wenn beispielsweise Schutzeinrichtungen aktiviert werden.

Eine neue und noch wenig erforschte Ursache für Störungen sind Wechselwirkungen, die durch den vermehrten Einsatz von Leistungselektronik entstehen. Dazu gehören elektronische Geräte, Wechselrichter, Ladeinfrastruktur, Steuerungen oder die LED-Beleuchtung. Diese Wechselwirkungen führen zu bisher unbekannten, nichtlinearen Effekten, die bereits schwere Schäden an Anlagen verursacht haben. In den kommenden Jahren ist mit einer deutlichen Zunahme solcher Vorfälle zu rechnen. Wenn Schäden auftreten, für die keine herkömmlichen Ursachen gefunden werden können, deutet dies darauf hin, dass solche Effekte im Spiel sind.

Ein weiteres Thema, das zunehmend an Bedeutung gewinnt, sind Spannungsschwankungen und Überspannungen in den Verteilungsnetzen, insbesondere durch die zunehmende Einspeisung von PV-Anlagen. Zwar sieht die Norm eine Toleranz von +/- 10 % vor, die nach oben einen Betrieb bis 253 Volt vorsieht und auch eine kurzzeitige Überschreitung zulässt. Allerdings wurden diese Vorgaben zu einer Zeit gemacht, als noch relativ wenig Elektronik im System war bzw. diese noch deutlich robuster ausgeführt war, als dies heute oft der Fall ist. Durch die allgemeine Effizienzsteigerung wird immer mehr an Material und Puffern gespart, was die elektronischen Komponenten anfälliger für schnellere Alterungsprozesse macht. Das bedeutet, dass bei dauerhaften oder immer wiederkehrenden Überspannungen die Wahrscheinlichkeit steigt, dass elektronische Geräte oder Bauteile vorzeitig ausfallen. Bei gehäuften Ausfällen sollte daher auch die Spannungsqualität überprüft werden.

 

Auswirkungen auf Verbraucher und Industrie

Während derartige Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen für die meisten Nutzer nur eine geringe Beeinträchtigung darstellen, können sie für die Industrie, IT-Infrastrukturen und bestimmte Dienstleistungen gravierende Folgen haben.

Besonders betroffen sind automatisierte Produktionsprozesse, bei denen bereits Spannungsunterbrechungen von wenigen Millisekunden zum Stillstand von Maschinen und Anlagen führen können, was häufig auf zu empfindliche Steuerungen zurückzuführen ist. Gerade in hochautomatisierten Branchen wie der Halbleiterfertigung, der Automobilindustrie oder der chemischen Industrie kann ein unerwarteter Produktionsstopp zu großen Schäden und Produktionsausfällen führen, die mit hohen Kosten verbunden sind. Häufig kommt es zu mehrstündigen Betriebsunterbrechungen, bis alle Prozesse wieder hochgefahren und synchronisiert sind. Aber auch Bäckereien mit modernen Backöfen beklagen, dass sie den gesamten Backprozess neu starten und die betroffene Ware entsorgen müssen.

Auch Rechenzentren und IT-Systeme reagieren empfindlich auf kurze Stromunterbrechungen oder Spannungsschwankungen. Server und Netzwerktechnik sind auf eine konstante Stromversorgung angewiesen. Plötzliche Unterbrechungen können zu Datenverlusten oder Hardwareausfällen führen. Während viele große Rechenzentren auf unterbrechungsfreie Stromversorgungen (USV) setzen, sind kleinere IT-Infrastrukturen oft nur unzureichend gegen solche Störungen geschützt. Während man in der IT doch häufiger auf eine USV setzt, ist das bei Produktionsanlagen oder Steuerungen eher die Ausnahme, was aber immer wichtiger wird. Spätestens nach dem ersten Schaden sollte man auch in diese Richtung denken.

Selbst im Gesundheitswesen können Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen kritisch sein. Medizinische Geräte, insbesondere solche in OP-Sälen, Intensivstationen oder Hochleistungsdiagnosesysteme, sind ebenfalls auf eine stabile Energieversorgung angewiesen.

 

Technische Gegenmaßnahmen und Lösungen

Da Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen verschiedene Ursachen haben können, gibt es auch nicht die eine Lösung für alles, sondern verschiedene technische Ansätze zur Vermeidung oder Minderung der Auswirkungen. Mit diesem Beitrag soll auch eine Diskussion zu diesem Thema angeregt werden.

Ein Grundübel liegt oft auch darin, dass viele Anlagen aufgrund der gewohnten sehr hohen Versorgungssicherheit und Stabilität immer mehr auf diesen Zustand optimiert wurden. Rückfallebenen werden dabei gerne eingespart. Eine entsprechende Absicherung und Pufferung ist daher insbesondere in kritischen Bereichen von den Anlagenbetreibern von den Anlagenlieferanten einzufordern.

Ein weiteres, häufig unterschätztes Problem ist die zunehmende Reduktion der systemkritischen rotierenden Massen (Momentanreserve) durch die Abschaltung konventioneller Kraftwerke. Damit geht schleichend ein zentrales Stabilitätselement verloren. Das Problem: Niemand kann genau sagen, wo die Grenze liegt, ab der es gefährlich wird, weil sie auch dynamisch ist.

Darüber hinaus werden, wie auf der lokalen Ebene in Form von USV-Anlagen, auch auf den verschiedenen Netzebenen unterschiedliche Pufferlösungen benötigt, die solche kurzzeitigen Unterbrechungen ausgleichen können. Dies können Batteriespeicher oder sogenannte Superkondensatoren sein. Grundvoraussetzung ist, dass diese auch für solche Anwendungsfälle ausgelegt und eingesetzt werden.

Wie wir festgestellt haben, fehlen in diesem Bereich bisher belastbare Zahlen und Statistiken. Viele Störungen werden auch eher zufällig erfasst, z.B. durch USV-Anlagen. Daher wäre es wichtig, hier ein umfassenderes Monitoring zu starten. Gerade im industriellen Umfeld sollte dies durch ein hoffentlich vorhandenes und genutztes Energiemanagementsystem leichter möglich sein. Es bedarf nur auch einer entsprechenden Auswertung und Analyse, wo sicherlich auch wieder technische Lösungen helfen können. Dabei ist zu beachten, dass die verfügbaren Power-Quality-Lösungen nur einen Teilbereich abdecken können, da z.B. nichtlineare Effekte im Niederfrequenzbereich in der Regel nicht erfasst werden. Wie dargestellt, sind aber gerade hier mit dem Ausbau von Leistungselektronik immer mehr Störungen zu erwarten. Die Lösungen sind schon da, sie müssen nur auf den Markt gebracht und umgesetzt werden. Bisher scheut man sich davor, weil man oft gar nicht so genau wissen möchte, was da passiert, weil das auch mit zusätzlichen Aufwänden verbunden wäre. Wir können zwar die Realität ignorieren, aber nicht die Folgen einer ignorierten Realität.

Auf der Verbraucherseite setzen viele Unternehmen, wo immer möglich, USV-Systeme ein, die kurze Stromausfälle, Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen bei kritischen Anwendungen überbrücken und glätten können.

Auch dezentrale Stromspeicher (die als USV eingebunden sind) und die zunehmende Digitalisierung der Netze mit Smart Grid-Technologien können helfen, Störungen frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

 

Regulatorische und wirtschaftliche Aspekte

Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen stellen eine systemische Herausforderung dar, die sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus regulatorischer Sicht betrachtet werden muss. Da diese in den gängigen Messgrößen der Versorgungssicherheit nicht berücksichtigt werden, bleibt ihre tatsächliche Bedeutung für das Netz und die betroffenen Unternehmen oft unerkannt. Dies hat unmittelbare Konsequenzen: Weder Netzbetreiber noch Regulierungsbehörden setzen derzeit gezielte Maßnahmen zur Reduzierung dieser Phänomene um, da kein direkter Anreiz besteht, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Aus diesem Grund ist es wichtig, das Thema stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

Die Rolle der Netzbetreiber

Die Netzbetreiber sind für die Stabilität des Stromnetzes verantwortlich, müssen sich aber an wirtschaftliche Rahmenbedingungen halten. Da die Vergütung der Netzbetreiber weitgehend an den SAIDI-Wert und andere etablierte Kennzahlen gekoppelt ist, besteht bisher wenig Motivation, zusätzliche Investitionen in die Erkennung und Vermeidung von Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen zu tätigen. Darüber hinaus stehen die Netzbetreiber vor immer größeren Herausforderungen. Immer mehr dezentrale Einspeisungen aus wetterabhängigen Quellen, die zunehmende Elektrifizierung von Haushalten, Industrie und Verkehr, aber auch die Einbindung von immer mehr Akteuren und Betriebsmitteln (Markt, Energiegemeinschaften, Batteriespeicher etc.) führen zu einer bisher nicht gekannten Komplexität, für deren Beherrschung die bisherigen Instrumente nicht ausreichen.

Hinzu kommt die durch Regulierung und Unbundling oft erzwungene Einzelbetrachtung, die dazu führt, dass keine verursachergerechte Zuordnung von Aufwand und Kosten erfolgt und somit niemand wirklich verantwortlich ist. Ein zentraler Punkt ist, dass präventive Maßnahmen beim Netzbetreiber kurzfristig Kosten verursachen, während die langfristigen volkswirtschaftlichen Schäden durch Stabilitätsprobleme oft nicht direkt zugeordnet und damit externalisiert werden können. Dies führt zu einem ökonomischen Dilemma: Unternehmen, die von kurzen Netzunterbrechungen betroffen sind, müssen selbst in Schutzmaßnahmen wie unterbrechungsfreie Stromversorgungen (USV) oder zusätzliche Netzstabilisatoren investieren, während Netzbetreiber wenig Anreize haben, auf Systemebene tätig zu werden. Wie leider so oft in der Energiewende fehlt es an systemischem Denken und kooperativem Zusammenwirken, eine besondere Fehlentwicklung des Unbundling.

Regulierung und politische Maßnahmen

Die Energiewende hat regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen, die vor allem auf den Ausbau wetterabhängiger Erzeugungseinheiten und die langfristige Netzstabilität ausgerichtet sind. Spezifische Vorgaben zur Erfassung, Überwachung und Reduzierung der Häufigkeit und der Auswirkungen von Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen gibt es bisher jedoch kaum. Eine mögliche Maßnahme wäre die Anpassung bestehender Netzkennzahlen, so dass auch sehr kurze Unterbrechungen erfasst und berücksichtigt werden.

Auf europäischer Ebene wird zunehmend über eine verfeinerte Messung der Netzstabilität diskutiert, die neben der klassischen Stromausfallstatistik auch Spannungsschwankungen und Kurzzeitunterbrechungen erfassen könnte. Dies würde eine realistischere Einschätzung der Netzqualität ermöglichen und die Netzbetreiber verpflichten, auch derartige Phänomene zu beherrschen.

Kosten und Nutzen von Präventionsmaßnahmen

Ein häufiges Argument gegen zusätzliche Maßnahmen zur Reduzierung von Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen sind die Kosten. Netzbetreiber und Energiekonzerne argumentieren, dass der Ausbau von Speicherkapazitäten, verstärkte Netzinvestitionen und verbesserte Steuerungsmechanismen teuer und ökonomisch schwer zu rechtfertigen seien.

Studien zeigen jedoch, dass die gesamtwirtschaftlichen Kosten von Produktionsausfällen, IT-Störungen und Infrastrukturproblemen deutlich höher sind als die Einsparungen durch vermiedene Investitionen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die derzeitige Regulierung die richtigen Anreize setzt. Unternehmen, die besonders stark von Spannungsschwankungen und Kurzzeitunterbrechungen betroffen sind, tragen derzeit die Hauptlast und müssen eigene Absicherungslösungen entwickeln. Eine gerechtere Kostenverteilung könnte dazu beitragen, dass die Netzbetreiber mehr in präventive Maßnahmen investieren und damit langfristig wieder eine höhere Netzstabilität erreicht wird.

 

Zukunftsperspektiven und offene Fragen

Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen sind ein z. T. neues Phänomen, das vor allem durch den Umbau des Energieversorgungssystems verursacht wird und weiter an Bedeutung gewinnen wird. Die zunehmende Integration volatiler und wetterabhängiger Erzeugungsanlagen mit ihren hohen Fluktuationen sowie die Zunahme leistungselektronischer Anlagen erfordern zwingend zusätzliche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung bzw. der Wiederherstellung der Netzstabilität.

Systemische Herausforderungen der Energiewende

Eine stabile Stromversorgung ist die Grundlage für die Elektrifizierung weiterer Wirtschaftsbereiche – von der Industrie über den Verkehr bis hin zu den privaten Haushalten. Kommt es in Zukunft häufiger zu kurzen Netzunterbrechungen oder sogar Schäden, könnte dies das Vertrauen in die Energiewende erschüttern.

Hier stellt sich die Frage, ob die heutigen Mechanismen zur Netzüberwachung und -steuerung ausreichen oder ob neue regulatorische und ökonomische Modelle erforderlich sind. Mögliche Ansätze könnten sein:

  • Obligatorische Erfassung und Meldung von Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen durch die Netzbetreiber, die jedoch nur einen Teil der Ereignisse zentral überwachen können. Für ein feingranulares Monitoring fehlt bisher die notwendige Digitalisierung, die aber auch aus anderen Gründen immer wichtiger wird.
  • Förderprogramme für dezentrale Funktionseinheiten mit sektorübergreifendem Energiemanagement („Energiezellensystem“), um die Probleme dort zu lösen, wo sie entstehen und um die zunehmende Komplexität beherrschbar zu halten.
  • Förderprogramme für Netzmodernisierung mit Fokus auf Stabilitätsmaßnahmen.
  • Anpassung technologischer Standards für Industrie und IT, um empfindliche Systeme besser gegen kurze Unterbrechungen und Spannungsschwankungen zu schützen.

  

Fazit: Ein unterschätztes Risiko mit hohem Handlungsbedarf

Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen sind ein oft noch zu wenig beachtetes, aber ernst zu nehmendes Phänomen in der modernen Stromversorgung. Während klassische Stromausfälle selten geworden sind, treten sehr kurze Unterbrechungen immer häufiger auf – und ihre wirtschaftlichen und technischen Folgen werden bisher nur unzureichend erfasst.

Ein zentrales Problem ist, dass sie in den offiziellen Netzstatistiken nicht erfasst werden und somit kein direkter Handlungsdruck für Netzbetreiber und Regulierungsbehörden besteht. Dies führt dazu, dass Unternehmen und Verbraucher die Folgen selbst tragen müssen, sei es durch Produktionsausfälle, schadhafte Hardware, IT-Störungen oder teure Absicherungsmaßnahmen.

Um diesem Problem zu begegnen, sind mehrere Maßnahmen erforderlich:

  1. Bessere Erfassung und Transparenz von Netzstabilitätsproblemen, um das wahre Ausmaß dieser Störungen zu erkennen.
  2. Gezielte Investitionen in Netzstabilitätsmaßnahmen, insbesondere durch dezentrale Funktionseinheiten („Energiezellen“).
  3. Neue regulatorische Anreize, die die Netzbetreiber dazu motivieren, nicht nur die bekannten Ausfälle, sondern auch die kurzfristigen Störungen im Netz aktiv zu reduzieren.

Die Energiewende wird das Stromnetz der Zukunft entscheidend prägen, darf aber nicht zu einer Verschlechterung der Netzstabilität und -qualität führen. Kurzzeitunterbrechungen und Spannungsschwankungen sind längst kein Randproblem mehr, sondern ein Symptom für tiefer liegende Herausforderungen in der Energieinfrastruktur. Sie verdienen daher mehr Aufmerksamkeit – sowohl in der technischen Entwicklung als auch in der politischen und wirtschaftlichen Diskussion.

 

Autoren

Ing. Wirt. Ing. Marcel Linnemann ist Fachbuchautor und Energiewirtschaftsexperte zu den Themen der Energiewirtschaft, Regulierung und Energiewende. In seinen Fachpublikationen widmet er sich diversen energiewirtschaftlichen, strategischen Fragestellungen. Daneben ist er in leitender Position innerhalb der Energiewirtschaft tätig, sowie als freier Dozent bei verschiedenen Bildungseinrichtungen.

Herbert Saurugg, MSc, ist ein international anerkannter Experte für Blackout- und Krisenvorsorge und Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge. Der ehemalige Berufsoffizier des Österreichischen Bundesheeres beschäftigt sich seit 2011 mit der Verwundbarkeit der Gesellschaft gegenüber Infrastruktur- und Versorgungsausfällen mit Fokus auf das europäische Stromversorgungssystem. Seine fundierten systemischen Betrachtungen bilden dafür eine wichtige Grundlage. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen, Keynote Speaker und gefragter Interviewpartner zu diesen Themen und betreibt einen umfangreichen Fachblog unter www.saurugg.net.