Letzte Aktualisierung am 28. Juni 2024.
Strommarkt
Der enorme Zubau von Photovoltaikanlagen im vergangenen Jahr in vielen europäischen Ländern hat dazu geführt, dass es seit Februar immer häufiger zu starken Strompreisschwankungen kommt. Besonders extrem ist die Situation in Griechenland, Spanien und Portugal.
Je nach Verfügbarkeit von PV- und Windstrom kommt es in verschiedenen Ländern zu enormen Preissprüngen, insbesondere an Wochenenden und in den Nachmittagsstunden (gegen Null oder negativ), und zu deutlichen Preissteigerungen in den Abendstunden (19-20 Uhr), wenn der fehlende PV-Strom durch andere Anlagen ausgeglichen werden muss.
Zusätzlich führen unvorhersehbare Schwankungen bei hoher EE-Verfügbarkeit zu enormen Ausgleichsenergiepreisen, wie die Abbildung für Deutschland zeigt. Im April wurden Preise zwischen +3.000 und -6.000 €/MWh beobachtet. Dies führt auch zu einer hohen Nervosität am Strommarkt, da hier in kurzer Zeit viel Geld zu gewinnen oder zu verlieren ist. Denn -6.000 Euro bedeutet, dass jemand für seine „Ware“ statt 60 Euro zu bekommen plötzlich 6.000 Euro für die Abnahme bezahlen muss.
Es ist zu erwarten, dass diese Extreme im Frühjahr, wenn die PV-Produktion ihr Optimum erreicht, weiter zunehmen werden, insbesondere an den Wochenenden. Auch wenn diese Entwicklungen zu sinkenden Strompreisen führen, darf nicht vergessen werden, dass dahinter ein sehr fragiles Stromversorgungssystem steht. Die steigenden Kosten für Ausgleichsmaßnahmen führen auch nicht zu sinkenden Strompreisen, wie sie am Day-Ahead Strommarkt gehandelt werden. Ein wesentliches Problem ist auch die reine Betrachtung der Gestehungskosten und das Ignorieren der notwendigen Vollkostenrechnung (inkl. Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen, Infrastrukturmaßnahmen etc.), welche zu einer erheblichen Wahrnehmungsverzerrung führt.
Versorgungssicherheit
Entscheidend für die Versorgungssicherheit ist, dass Erzeugung und Verbrauch jederzeit im Gleichgewicht gehalten werden können. Dies geschieht über ausgefeilte Prognosen und Einsatzplanungen sowie Regelreserven. Dennoch gibt es, egal, wie gut man dies schafft, immer Abweichungen in der Bilanz. In der bisherigen großtechnischen Welt wurde dieser Fehler durch die Momentanreserve ausgeglichen, die Systembestandteil jedes konventionellen Kraftwerks war und ist. Hier werden rein physikalisch die permanenten Schwankungen ausgeglichen und das System stabilisiert. PV- und Windkraftanlagen verfügen nicht über diese Funktionalität, sodass mit steigendem EE-Anteil diese wichtigen „Stoßdämpfer“ verloren gehen. Ersatzmaßnahmen durch schnell regelnde Batteriespeicher, die nur für diesen Zweck vorgehalten werden, und Leistungselektronik müssen erst aufgebaut werden.
Ab April gehen auch die meisten Heizkraftwerke (Kraft-Wärme-Kopplung) vom Netz, die im Winterhalbjahr neben der Strom- vor allem die Wärmeversorgung sicherstellen. Damit steht auch die damit verbundene Momentanreserve nicht mehr zur Verfügung.
In Zeiten hoher PV- und Windstromerzeugung und geringer Last steigt damit automatisch die Fragilität des Stromversorgungssystems mangels schneller Ausgleichsmöglichkeiten. Bisher konnte dies im europäischen Verbundsystem noch gut ausgeglichen werden. Es ist jedoch nicht bekannt, wo genau der Kipppunkt liegt und wie sich das System bei einer zusätzlichen, unvorhergesehenen Störung verhält.
Damit steigt die Gefahr von Netzauftrennungen („System Split“) bis hin zu überregionalen Stromausfällen („Blackout“). Da es sich um einen akuten Phasenübergang handelt, gibt es auch keine Vorwarnung.
Falsche Referenz SAIDI-Wert
Als Beleg für die Versorgungssicherheit wird immer wieder der sogenannte SAIDI-Wert angeführt. Dies ist jedoch falsch, da der „System Average Interruption Duration Index“ nur die jährlichen Stromunterbrechungen im Nieder- und Mittelspannungsnetz ab einer Ausfallzeit von 3 Minuten wiedergibt.
Entscheidend ist, dass erst ab einer Ausfallzeit von 3 Minuten Daten erhoben werden und es sich dabei nur um witterungsbedingte Unterbrechungen oder Baggerschäden handelt. In vielen Produktionsumgebungen kommt es jedoch immer häufiger zu Produktionsunterbrechungen durch sogenannte „Netzwischer“, d.h. Stromunterbrechungen im Bereich von Millisekunden bis Sekunden.
Dieser Wert gibt die Zahl der (lokalen) Störungen und Fehler aus und ist ein Maß für die Arbeit der Verteilnetzbetreiber, hat aber keine Aussagekraft über die Stabilität oder die Stabilitätsreserven des Gesamtsystems.
Da es hier keine organisierte Erfassung gibt, liegen die genauen Zahlen und Schäden im Dunkeln. Gleiches gilt für die Erhöhung der Spannung in lokalen Netzen durch PV-Einspeiser. Die Einspeisung erfolgt zwar im Rahmen der bestehenden Normen, dennoch gibt es Komponenten (Elektrolytkondensatoren), die z.B. bei höheren Spannungen schneller altern und ausfallen. Gleichzeitig werden viele Bauteile aufgrund des Preisdrucks immer billiger und damit weniger robust gebaut, sodass hier absehbar mit häufigeren Ausfällen zu rechnen ist. Hinzu kommen nichtlineare Effekte, die mit den bisherigen Methoden und Messgeräten nicht erkannt werden, wo es aber bereits enorme dokumentierte Schäden gibt. Auch das Spannungsproblem wird bisher nur dort wahrgenommen, wo auch gemessen und ausgewertet wird. Das bestehende Verteilungsnetz ist aber oft noch „blind“, weil bisher keine Notwendigkeit dazu bestand.
Die Systemsicherheit und Stabilität finden zudem im Übertragungsnetz statt und hier gibt es nur funktioniert oder funktioniert nicht.
Ein möglicher Indikator sind die notwendigen Eingriffe zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität, die erheblich zugenommen haben. Während vor rund 20 Jahren noch eine einstellige Anzahl an Eingriffen pro Jahr notwendig war, sind es heute teilweise über 100 am Tag. So ist die Anzahl von 12.400 Eingriffen im Jahr 2022 auf 15.200 im vergangenen Jahr gestiegen. Je häufiger in ein System eingegriffen werden muss, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schiefgeht.