Letzte Aktualisierung am 13. Dezember 2024.
Spätestens seit dem Ahrtalhochwasser 2021 und den seitherigen Ereignissen ist wohl den meisten Menschen bewusst, dass es neben den klassischen Hochwasserereignissen, wie wir sie 2002 und 2013 erlebt haben, auch andere schwerwiegende Wasserereignisse im Zusammenhang mit Extremwetterlagen geben kann. Hochwasserereignisse hat es schon immer gegeben. Das ist grundsätzlich richtig, vereinfacht aber die komplexe Realität:
- Es gibt zahlreiche Aufzeichnungen über große Hochwasser in der Vergangenheit. So gilt beispielsweise das Magdalenenhochwasser vom Juli 1342 am Main und Rhein als die größte Überschwemmungskatastrophe Mitteleuropas.
- Tatsächlich treten Hochwasser regelmäßig auf. An der Donau zum Beispiel gab es zwischen 1831 und 1850 kaum ein Jahr ohne Hochwasser.
- Einige historische Hochwasser waren besonders schwer. Das Donauhochwasser von 1501 gilt als eines der größten, mit verheerenden Folgen für die Landwirtschaft.
Trotz der Regelmäßigkeit von Hochwasserereignissen gibt es Hinweise auf Veränderungen im Laufe der Zeit. Eine Untersuchung für den Zeitraum 1952-2002 ergab eine Zunahme von extremen, flussgebietsübergreifenden Hochwasserereignissen in Deutschland (Uhlemann, S., A.H. Thieken, and B. Merz (2010). Merz (2010): A consistent set of transbasin floods in Germany between 1952-2002, Hydrology and Earth System Sciences, 14, 1277-1295, https://hess.copernicus.org/articles/14/1277/2010/hess-14-1277-2010.html).
Kraftwerksstandort Dürnrohr, ehem. Kohlekraftwerk. Die erst im Jänner 2024 in Betrieb genommene 24 MWp PV-Anlage auf der ehemaligen Kohlehalde wurde vollständig zerstört. Die benachbarte Müllverbrennungsanlage konnte erst zwei Monate nach dem Ereignis wieder in Betrieb genommen werden.
Sie auch die Wasserstoffexplosionen der Wechsellichter durch die entstandene Elektrolyse.
Hochwasserereignisse zeichnen sich auf der Zeitachse durch ihre Häufigkeit und Intensität aus. Beide haben im Laufe der Jahrhunderte zugenommen.
In den letzten 500 Jahren gab es in Europa neun Hochwasserperioden, wobei die letzten 30 Jahre besonders betroffen waren. (vgl. beispielsweise https://www.lfu.bayern.de/wasser/hw_ereignisse/index.htm oder https://www.lfu.bayern.de/wasser/hw_ereignisse/vor_1800/index.htm)
Die Intensität ergab und ergibt sich aus der Dauer großflächig anhaltender Niederschläge (Dauerregen) oder aus hohen Niederschlagssummen bei lokal begrenzten Niederschlagsereignissen, bei denen innerhalb weniger Minuten oder Stunden große Mengen auf kleinem Raum zusammenkommen (Starkregen).
Historische Analysen zeigen, dass Klimaänderungen einen erheblichen Einfluss auf das Auftreten von Hochwasser haben. So ist zu beobachten, dass sich die Saisonalität von Hochwasserereignissen in Europa in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert hat.
Früher traten Hochwasser vermehrt im Winter auf, heute vermehrt im Sommer. In Mitteleuropa haben Sommerhochwasser zugenommen, während in Westeuropa Winterhochwasser häufiger geworden sind. Diese Verschiebungen sind auf klimatische Veränderungen wie eine frühere Schneeschmelze und veränderte Niederschlagsmuster zurückzuführen. Die Klimaerwärmung hat auch zu einer Zunahme von Starkniederschlägen geführt, die ebenfalls die Saisonalität beeinflussen.
In der Vergangenheit traten Winterhochwasser vor allem an Flüssen und Bächen auf. Ursache war häufig die Schneeschmelze im Frühjahr oder plötzliches Tauwetter im Winter. Die historische Betrachtung zeigt, dass solche Hochwasser z.B. in Regionen wie Bayern und Sachsen auftraten, oft verstärkt durch Regenfälle und gefrorene Böden, die das Versickern des Wassers verhinderten.
Die Menschen kannten die Naturgefahren und stellten sich mehr oder weniger darauf ein.
Dort, wo die Anrainer großer Flüsse seit Jahrhunderten mit katastrophalen Überschwemmungen zu kämpfen hatten, dürfte ein gewisses Gefahrenbewusstsein vorhanden gewesen sein. Das Hab und Gut wurde entsprechend geschützt und die Häuser wurden angepasst gebaut.
Trotz des Gefahrenbewusstseins kam es aber immer wieder zu verheerenden Katastrophen, zum einen, weil die Anpassung nicht immer ausreichte, um schwere Schäden zu verhindern. Aber auch, weil sich bei längerem Ausbleiben von Ereignissen eine „Hochwasserdemenz“ entwickelt hat. Als „Hochwasserdemenz“ wird das Phänomen bezeichnet, dass Menschen dazu neigen, die Gefahr von Hochwasserereignissen zu unterschätzen oder zu vergessen, insbesondere wenn längere Zeit kein größeres Hochwasser aufgetreten ist.
Dieses Verhalten kann sich darin äußern, dass
- Vorsorgemaßnahmen vernachlässigt werden,
- in hochwassergefährdeten Gebieten gebaut wird,
- Warnungen nicht ernst genommen werden,
- die Notwendigkeit von Hochwasserschutzmaßnahmen unterschätzt wird,
- Risiken bewusst oder unbewusst verändert werden.
Flusstäler wurden nach und nach verbaut, immer mehr Flächen versiegelt. Asphaltierte Straßen und Wege in Flusstälern, der Bau von Häusern, Gewerbe- und Industrieanlagen gerade in Flussnähe, die Schaffung von Parkflächen in Einkaufs- und Gewerbegebieten und nicht zuletzt die nicht sichtbare unterirdische Infrastruktur wie Leitungen, Kanäle und Fundamente in Flusstälern beschleunigen die Fließgeschwindigkeit und die zerstörerische Kraft des Wassers.
Die Verdichtung natürlicher Böden einerseits durch bauliche Maßnahmen, andererseits durch die Bearbeitung mit schweren Maschinen in der Land-, Forst- und Holzwirtschaft verändert den Wasserhaushalt und die Aufnahme von Niederschlagswasser. Da das Wasser nicht mehr gleichmäßig im Boden versickern kann, steigt die Gefahr von Überschwemmungen. Bei Starkregen kann die Kanalisation überlaufen. Dadurch entstehen Gefahren abseits der Gewässer.
Insbesondere bei Starkregenereignissen wird das Wasser schnell in die Kanalisation geleitet, die an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen kann. Überlastete Kanalnetze, verstopfte Abwasserkanäle, überlastete Technik in den Pumpwerken führen zu Sturzfluten und Überschwemmungen in den Städten. Rückstau in der Kanalisation kann zur Flutung von Kellern und Tiefgaragen „von unten“ führen. Gebäude verlieren ihre Standfestigkeit, elektrische Anlagen und Geräte werden beschädigt, Einrichtungsgegenstände zerstört.
Heutige Hochwasserereignisse sind oft auf eine Kombination von extremen Wetterbedingungen und unzureichender Vorbereitung zurückzuführen. Sie werden häufig durch Starkregenereignisse ausgelöst, die zu schnell ansteigenden Pegelständen führen, wie beim Ahrtalhochwasser 2021, bei dem innerhalb von 24 Stunden mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter fielen. Oder das Starkregenereignis in Niederösterreich im September 2024 mit zum Teil über 400 Liter pro Quadratmeter – höre etwa Land unter: Hochwasserkatastrophe in Rust im Tullnerfeld.
Der Deutsche Wetterdienst hat mithilfe der radargestützten Niederschlagsklimatologie für den Zeitraum 2011-2016 festgestellt, dass in diesem Zeitraum in fast allen Regionen Deutschlands kurzzeitige Starkregenereignisse aufgetreten sind. In Gebieten mit hoher Reliefenergie, z.B. in Gebirgslagen, kann es durch die starke Erosionskraft der Wassermengen zu Sturzfluten kommen. In flacheren, urbanen Gebieten können die in kurzer Zeit anfallenden Wassermengen sowohl die Kanalisationssysteme als auch die lokalen Fließgewässer überfordern und zu großflächigen Überflutungen führen.
Wichtig ist, dass es sich bei Starkregenereignissen um lokale Phänomene handelt, deren genaue Ausprägung und Dauer sich nur bedingt vorhersagen lassen.
Obwohl die Warnsysteme im Vergleich zu früher deutlich verbessert wurden bzw. viel mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, erreichen die Warnungen die Bevölkerung oft nicht rechtzeitig oder werden unterschätzt und nicht ausreichend ernst genommen.
Sturzfluten (Flash Floods)
Ein spezielles Phänomen sind Sturzfluten, welche sich in mehrfacher Hinsicht von „normalen“ Hochwasserereignissen unterscheiden:
- Entstehungsgeschwindigkeit: Sturzfluten entstehen sehr schnell, oft innerhalb von Minuten nach einem Starkregenereignis, während sich reguläre Hochwasser über Stunden oder Tage entwickeln können.
- Ursachen: Sturzfluten werden in der Regel durch lokale Starkregenereignisse verursacht, die die Aufnahmekapazität des Bodens übersteigen. Reguläre Hochwasser können durch Dauerregen, Gewitter, Schneeschmelze oder durch über die Ufer tretende Flüsse entstehen.
- Verlauf: während sich Hochwasser bis zur Scheitelwelle auf der Zeitachse aufbauen und danach absehbar nachlassen, entstehen Sturzfluten extrem schnell, lassen ebenso schnell nach.
- Gefährdungspotenzial: Sturzfluten sind besonders gefährlich, weil sie schnell entstehen und hohe Fließgeschwindigkeiten haben, die zu plötzlichen und großen Schäden führen können.
- Lokale Begrenzung: Sie treten auch unabhängig von Wasserläufen häufig in tief liegenden Gebieten auf und können durch Rückstau und Kanalüberflutungen überraschend auftreten.
Die Plötzlichkeit der Ereignisse, die kurze Vorwarnzeit und ihre Wucht machen sie so gefährlich. Vor allem in urbanen Gebieten können sie erhebliche Schäden anrichten, da die versiegelten Flächen das Wasser nicht aufnehmen können. Erfahrungen zeigen, dass solche Hochwasser weltweit auftreten und durch den Klimawandel häufiger werden können.
Flash Floods verursachen im Vergleich zu normalen Hochwasserereignissen spezifische Schäden:
- Die Schnelligkeit und Intensität in Verbindung mit hohen Fließgeschwindigkeiten führen zu schnellen und schweren Schäden an Infrastruktur und Gebäuden. Sie können Autos und schwere Gegenstände mit sich reißen und verursachen oft erhebliche Schäden in städtischen Gebieten.
- Die hohen Fließgeschwindigkeiten und mitgerissenes Treibgut verursachen große mechanische Kräfte, die Gebäude zum Einsturz bringen können.
- In Hanglagen können sie reißende Flutwellen auslösen und zur Bodenerosion führen, die landwirtschaftliche Flächen schädigt und durch Sedimentation die Wasserqualität beeinträchtigt.
Flash Floods verursachen in städtischen und ländlichen Gebieten unterschiedliche Schäden:
- In städtischen Gebieten entstehen aufgrund der dichten Bebauung und versiegelten Flächen erhebliche Schäden an der Infrastruktur. Überflutete Straßen und Unterführungen, weggespülte Befestigungen, vollgelaufene Keller und Parkhäuser sind häufige Probleme. Die schnelle Wasseransammlung kann auch die Kanalisation überlasten, was zu Rückstau und weiteren Schäden führen kann.
- In ländlichen Gebieten stellen Sturzfluten eine erhebliche Gefahr für die Bodenerosion dar, insbesondere auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Diese extremen Niederschläge können zu einem schnellen Abfluss von Wasser führen, was den Abtrag von fruchtbarem Oberboden zur Folge hat. Der Verlust von fruchtbarem Boden beeinträchtigt nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, sondern hat auch langfristige Auswirkungen auf die Ernteerträge. Bei starken Regenfällen können Tierställe und Haltungsanlagen überflutet werden, was zu einem massiven Verlust von Tieren führt. Dies ist besonders kritisch, da es nicht nur die Tierhaltung gefährdet, sondern auch die wirtschaftliche Existenz der Betriebe.
Es bestehen auch durchaus Unterschiede in der Reaktionszeit der Behörden auf Flash Floods in städtischen und ländlichen Gebieten:
- In Städten ermöglichen die dichte Infrastruktur und die hohe Bevölkerungszahl oft eine schnellere Reaktion der Behörden. Städtische Gebiete verfügen oft über bessere Frühwarnsysteme und Überwachungsmöglichkeiten für Starkniederschläge. Entwässerungssysteme in Städten können bei Überlastung schnell zu Problemen führen, die eine schnelle Reaktion erfordern.
- In ländlichen Gebieten kann die Reaktionszeit aufgrund der größeren Flächen und der geringeren Bevölkerungsdichte länger sein. Das Relief spielt eine wichtige Rolle – in hügeligem Gelände können sich Sturzfluten schneller entwickeln, was eine schnellere Reaktion erfordert. Die Vorhersage und Warnung vor Sturzfluten kann in ländlichen Gebieten aufgrund der komplexeren Topographie schwieriger sein.
In beiden Fällen ist die Vorwarnzeit bei Flash Floods generell gering, was die Reaktionsmöglichkeiten der Behörden einschränkt. Städte und Gemeinden arbeiten zunehmend an der Erstellung von Starkregenrisikokonzepten, um die Reaktionsfähigkeit zu verbessern, was auch dringend erforderlich ist.
Unzureichende Sicherheitskommunikation
Diskrepanz zwischen den Warnungen und dem Verhalten der Menschen.
Moderne Technologien wie Satellitenbilder, Radarmessnetze und fortschrittliche hydrologische und hydraulische Modelle ermöglichen genauere Vorhersagen. Vor 50 Jahren waren Wettervorhersagen für einen Tag so genau wie heute für vier Tage. Früher basierten die Vorhersagen auf weniger Daten und einfacheren Modellen, was zu einer geringeren Genauigkeit führte. Heute können komplexe Modelle den Wasserabfluss detailliert simulieren und viele Faktoren wie Niederschlag, Bodenfeuchte und Landschaftsgestaltung berücksichtigen (siehe auch die Simulationsmöglichkeiten mit Künstlicher Intelligenz). Zunehmend werden in allen Ländern frühzeitig vor den zu erwartenden Ereignissen und den damit verbundenen Gefahren Warnungen herausgegeben. Dabei wird aber immer wieder vor Ereignissen gewarnt, die dann nicht oder nicht in der vorhergesagten Intensität eintreten. In der Folge werden die Warnungen von vielen Menschen nicht mehr ernst genug genommen, um entsprechende Verhaltensweisen daraus abzuleiten. Und hier braucht es eine Kulturänderung. Lieber zehnmal unnötig reagieren und vorbereitet sein, als einmal böse überrascht zu werden.
Orientierungsangebote sind entscheidend
Auch die Art und der Inhalt der Warnung spielen eine Rolle. Nur durch frühzeitige und präzise Warnungen oder besser noch durch entsprechende Orientierungsangebote im Sinne einer integrierten Sicherheitskommunikation können sich die Menschen rechtzeitig auf das bevorstehende Ereignis einstellen und Schutzmaßnahmen ergreifen. Dazu gehört auch eine klare Kommunikation darüber, was man sicher weiß und wo noch Unsicherheiten bestehen und welche konkreten Maßnahmen zu ergreifen sind (Abdichten von potenziellen Wassereintrittsstellen wie Kellerfenster, Garageneinfahrten etc., Auslagerung von beweglichen Gütern aus potenziell gefährdeten (Keller-)Räumen, rechtzeitiges Verbringen von Familienmitgliedern, insbesondere von Personen mit besonderen Bedürfnissen, in sichere Bereiche, rechtzeitiges Entfernen von Fahrzeugen aus potenziell gefährdeten Bereichen, Schalten sie den Strom ab etc.). Die meisten Menschen können zum Beispiel mit Millimeterangaben nichts anfangen. Deshalb braucht es plastische Bilder. Oder dass ab einer bestimmten Regenmenge nicht nur mehr Anwohner von Gewässern gefährdet sind, sondern auch ganz andere Gebiete. Leider haben die jüngsten Ereignisse in Deutschland, Österreich und Spanien ein mehr oder weniger völliges Versagen dieser Kommunikation gezeigt. Es wurde immer zu spät gewarnt, wenn bereits kaum oder keine Handlungsmöglichkeiten mehr bestanden. Leider beschränken sich auch viele Diskussionen über Warnungen auf technische Aspekte, obwohl gerade im Inhalt und in der Rechtzeitigkeit die größten Defizite liegen.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) unterscheidet bei Starkregen verschiedene Warnstufen, die sich an der zu erwartenden Niederschlagsmenge orientieren. Dies soll helfen, die Schwere der Situation einzuschätzen. Ob die Menschen aber wirklich verstehen, was der Unterschied zwischen einer „markanten Wetterwarnung“, einer „Unwetterwarnung“ oder einer „Warnung vor extremen Unwettern“ für sie konkret bedeutet, ist mehr als fraglich. Außerdem ist es nicht unbedingt Aufgabe des Wetterdienstes, die notwendigen Orientierungsangebote zu machen. Hier ist eine vernetzte Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure erforderlich, die zum Teil bereits besteht, bei der aber offensichtlich der Akteur „Bevölkerung“ vor der Krise zu wenig Beachtung findet.
Warnungen müssen klar und verständlich sein, in einer leicht verständlichen Sprache formuliert und auch mehrsprachig sein, damit die „Bevölkerung“ die Informationen schnell und richtig interpretieren kann. Das betrifft aber gar nicht nur die Bevölkerung selbst, sondern auch die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben etc. Höre hierzu „Einmal Sprachsalat mit alles!“. Aus der Warnung muss klar hervorgehen, welches Ereignis bevorsteht und welche konkreten Auswirkungen zu erwarten sind. Und diese Warnung und die dazu notwendigen Orientierungsangebote müssen weit vor der eigentlichen Krise beginnen bzw. es muss bereits im unmittelbaren Vorfeld geklärt werden, was bei welchem Signal/Warnung dann konkret zu tun ist. Wie generell sollten aber viele Maßnahmen bereits vorher getroffen worden sein, denn wie auch die Starkregenereignisse gezeigt haben, bleibt dann oft nur sehr wenig Zeit.
Zu diesen Vorbereitungen gehört auch, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden und nicht erst dann, wenn die Sicherheit der freiwilligen Helfer gefährdet ist, die dann oft nur noch unter Lebensgefahr helfen können (höre etwa REPORTAGE: Jahrhunderthochwasser 2024 – Teil 1 und 2). Natürlich will niemand sein Zuhause verlassen, solange es nicht wirklich gefährlich ist. Aber es ist völlig unverantwortlich, Freiwillige in Gefahr zu bringen. In den USA zum Beispiel gibt es einen anderen Ansatz. Wenn jemand nicht rechtzeitig geht, dann wird auch keine Hilfe geschickt, wenn es eskaliert. Das ist hart, aber auch ehrlich.
Klare Handlungsempfehlungen helfen auch krisenunerfahrenen Menschen, besser auf Not- und Krisenfälle zu reagieren, und tragen dazu bei, Sachschäden und Verletzungen zu vermeiden. Wenn die Bevölkerung weiß, was zu tun ist, kann sie schneller handeln und sich in Sicherheit bringen. Broschüren oder Bücher helfen nur bei der langfristigen Vorbereitung. In der Krisensituation müssen konkrete Einzelmaßnahmen mündlich oder schriftlich (über soziale Medien, Warnmeldungen etc.) kommuniziert werden.
Zu einer „guten“ Warnung gehört also beides: relevante Information und kleinteilige, konkrete Handlungsempfehlungen. In der Information muss verständlich angesprochen werden, welches Ereignis mit welcher Intensität erwartet wird und welche Auswirkungen möglich sind. Es reicht beispielsweise nicht aus, in einer „Unwetterwarnung“ für ein ganzes Bundesland vor ergiebigem Dauerregen mit einer bestimmten Niederschlagsmenge in Millimetern pro Stunde zu warnen. Da Starkregenereignisse räumlich sehr begrenzt auftreten können, ist es wichtig, dass Warnungen möglichst genaue Ortsangaben enthalten. Die konkreten Folgen des Dauerregens, also Hochwasser, überflutete Keller oder überschwemmte Straßen, müssen benannt werden. Wenn möglich, sollte auf einer Karte bildlich dargestellt werden, wer betroffen ist. Dabei spielt auch die Farbgebung eine Rolle: Dunkelrot oder Violett haben sich als Warnfarben bewährt, um auf besonders große Gefahren hinzuweisen. Wenn die Menschen auf diese Weise über die notwendigen Schritte informiert werden, steigt ihre Handlungsbereitschaft. Dies zeigte sich beispielsweise nach dem Hochwasser 2021, als viele Betroffene trotz Warnung nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten.
Effektive Risiko- und Sicherheitskommunikation erfordert nicht nur die Vermittlung von Gefahreninformationen in leicht verständlicher Sprache ohne Fachjargon, sondern auch die Bereitstellung von Handlungsanweisungen. Diese sollten der Schwere des Ereignisses angemessen und widerspruchsfrei sein. Sie müssen auch die unterschiedlichen Mediennutzungspräferenzen berücksichtigen. Nicht jeder hört Radio. Nicht jeder nutzt Warnmeldungen.
Insgesamt sind konkrete Handlungsempfehlungen ein wesentlicher Bestandteil jeder Warnung und tragen entscheidend dazu bei, dass die Bevölkerung in Krisensituationen informierte Entscheidungen treffen kann. Die Aufforderung „Bringen Sie sich in Sicherheit“ hilft niemandem, der nicht weiß, wo er „in Sicherheit“ ist. Auch die Aufforderung, Ruhe zu bewahren, ist gut gemeint, aber meist fehl am Platz, insbesondere dann, wenn die Warnung oder Information zu spät kommt und ein vernünftiges Handeln nicht mehr möglich ist, weil man sich aufgrund des Stresslevels bereits im Tunnelblickmodus befindet. Genau dies kann durch rechtzeitige Information und Aufklärung sowie entsprechende Vorsorgemaßnahmen reduziert werden.
Die zeitliche Angabe, ob ein Ereignis in einer Stunde oder in mehr als sechs Stunden zu erwarten ist, hilft bei der Einschätzung der Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen.
Wirksame Warnungen sind Teil einer umfassenden Risikokommunikationsstrategie, die von der Information über Gefahren- und Risikokarten bis hin zu konkreten Vorhersagen reicht. Für die Fachleute unter uns: Gewarnt wird nicht vor allgemeinen Risiken, sondern vor konkreten Gefahren. Das hat in der Lage nichts mit dem Risikobewusstsein des Einzelnen zu tun. Dieses muss vorher entstanden sein, damit eine Grundlage geschaffen ist, um eine aktuelle Warnung besser verstehen und angemessen handeln zu können. Vorher, das fängt bei der Erziehung zu Hause und in der Schule an. Wenn ich zu Hause etwas erlebt und in der Schule etwas über Naturgefahren wie Hitze oder Hochwasser gelernt habe, dann wird dieses Wissen im Ernstfall zu einem besseren Handeln führen. Vielleicht ist Tik-Tok in Zukunft der Ersatz dafür.
Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass in der konkreten Situation keine Zeit für lange Erklärungen ist. Selbst Fachleute haben manchmal keine adäquate Vorstellung von der drohenden Gefahr (höre Hochwasserkatastrophe in Rust im Tullnerfeld). Dies zeigt sich besonders bei den heute immer häufiger auftretenden Hochwasserereignissen, den Flash Floods (Sturzfluten).
Ableitungen
Die aktuellen Entwicklungen und Erkenntnisse im Bereich der Krisenvorsorge beeinflussen die Arbeit der Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) in mehreren wesentlichen Aspekten. Die Vorbereitung auf Blackouts und Hochwasser unterscheidet sich in einigen Aspekten:
Blackout: Die Vorbereitung konzentriert sich auf die Sicherstellung der Grundversorgung ohne Strom. Dazu gehören Notvorräte an Lebensmitteln und Wasser für mindestens 10-14 Tage, batterie- oder kurbelbetriebene Radios, alternative Kochmöglichkeiten und LED-Lampen statt Kerzen zur Vermeidung von Brandgefahr. Ziel ist es, die Menschen in ihrer gewohnten Umgebung zu belassen und sie in die Lage zu versetzen, sich für eine gewisse Zeit unabhängig von externer Hilfe selbst zu versorgen.
Hochwasser: Hier steht während des Primärereignisses der Schutz vor Wasserschäden und Stromschlägen im Vordergrund. Es ist wichtig, elektrische Geräte und Heizungen auszuschalten und Kellerräume zu meiden, in denen elektrische Installationen gefährlich sein können.Dazu gehört auch, sich im Vorfeld Gedanken über den Lagerort von Vorsorgegütern zu machen. Hochwasser, insbesondere Sturzfluten, machen häufig Evakuierungen notwendig. Darauf muss jeder Einzelne für sich, die Angehörigen und auch die Haustiere vorbereitet sein (Stichworte: Dokumente, wasserdicht verpackt; ebenso Medikamente; Notfall-, Fluchtrucksack, Kleidung u. Hygieneartikel, alles tragbar; für Tiere schwimmfähige Transportboxen + Notfallpack mit Futter / Wasser / Dokumente).
Hochwasser birgt Gefahren wie Stromschläge durch den Kontakt von Wasser mit elektrischen Geräten, strukturelle Schäden an Gebäuden und die Gefahr von Erdrutschen oder Überschwemmungen. Außerdem können Gesundheitsrisiken durch kontaminiertes Wasser entstehen. Bei einem großflächigen Ereignis wie in Niederösterreich kommt es in der Folge aber auch zu weitreichenden Infrastrukturausfällen: So waren die Wasserver- und Abwasserentsorgung, teilweise auch die Stromversorgung, aber auch die Telekommunikation und damit die Grundversorgung betroffen. Nicht alle Menschen konnten die überfluteten Gebiete verlassen.
Ein Blackout hingegen führt zu einem Ausfall der Stromversorgung, der Kommunikations- und Verkehrssysteme lahm legt, die Wasserversorgung beeinträchtigt und zu Nahrungsmittelknappheit führen kann.
Beide Szenarien erfordern durchaus unterschiedliche Vorsorgemaßnahmen und bergen spezifische Risiken für die öffentliche Sicherheit und die Infrastruktur. Die Grundvorsorge ist aber immer dieselbe: Das eigene Überleben sichern zu können.
Die Notwendigkeit der frühzeitigen Sensibilisierung für Risiken und der Verbesserung und Integration von Frühwarnsystemen erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen, Behörden und der Zivilgesellschaft, um Informationen effektiv zu bündeln und auszutauschen. Dabei ist zu überlegen, wie Informationen schnell und zuverlässig verbreitet werden können. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es sich häufig um umfangreiche oder fremdsprachige Texte handelt, die ausgewertet und zusammengefasst werden müssen. Aktuelle Beispiele dafür:
- Gesamtsteirischer Blackout Plan, 111 Maßnahmenempfehlungen sollen die Blackout-Vorsorge weiter stärken. Dabei ist bemerkenswert die Formulierung einer „Pflicht zur Selbstvorsorge“. „Diese umfassende landesweite Lagebeurteilung verfolgt das Hauptziel, die Verantwortlichen sowie die Bevölkerung in Hinblick auf ihre Eigenverantwortung und die Pflicht zur Selbstvorsorge zu sensibilisieren und sie darüber hinaus zu weiteren Vorsorge zu motivieren.“
- Om krisen eller kriget kommer, neue schwedische Broschüre mit dem Titel „Im Falle einer Krise oder eines Krieges“, die ab dem 18. November an alle Haushalte verteilt werden soll. Die Broschüre enthält Hinweise und Ratschläge für Einzelpersonen, wie sie sich auf verschiedene Krisen, einschließlich Krieg, vorbereiten können. Sie ist in verschiedenen Formaten erhältlich, darunter eine herunterladbare, eine bestellbare und eine anhörbare Version in englischer Sprache.
- Auch in Finnland wird ein umfassender Leitfaden zur Vorbereitung auf Zwischenfälle und Krisen angeboten. Es wird betont, wie wichtig es ist, auf verschiedene außergewöhnliche Situationen vorbereitet zu sein, die das tägliche Leben stören könnten, darunter:
- Lange Strom- und Wasserausfälle
- Unterbrechungen von Internet- oder Bankdienstleistungen
- Naturereignisse (z. B. Stürme oder Waldbrände)
- Längerfristige Krisen (z. B. Pandemien oder militärische Konflikte)
Auch hier ist das Ziel, die individuelle Notfallplanung und die Zusammenarbeit innerhalb von Gemeinschaften zu verbessern, um die Widerstandsfähigkeit gegenüber potenziellen Krisen zu erhöhen.
Der Austausch solcher Informationen dient auch der Vernetzung der Akteure. Die Resilienzstrategie betont die Bedeutung eines integrierten Katastrophenrisikomanagements, bei dem staatliche und nichtstaatliche Akteure zusammenarbeiten. Dies fördert den Austausch von Wissen und Ressourcen, der für eine effektive Krisenvorsorge entscheidend ist.
Informationen sind eine wesentliche Grundlage für den Aufbau von Handlungskapazitäten: Die Gesellschaft muss sich auf systemische Risiken vorbereiten, indem sie Strukturen und Fähigkeiten entwickelt, die eine schnelle Reaktion auf Krisen ermöglichen. Dazu gehört auch die Durchführung von Stresstests und Vulnerabilitätsanalysen, um Schwachstellen frühzeitig zu erkennen.
Durch Bewusstseinsbildung und Aufklärung kann die GfKV dazu beitragen, die Bevölkerung besser auf Krisensituationen vorzubereiten, das Wissen über Krisenvorsorge zu verbreiten und die Menschen zu proaktivem Handeln zu ermutigen.
Insgesamt erfordert die gesellschaftliche Arbeit der GfKV zur Krisenvorsorge eine umfassende Strategie, die sowohl präventive als auch reaktive Maßnahmen umfasst. Die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren und die Nutzung innovativer Ansätze können die Widerstandsfähigkeit gegenüber zukünftigen Krisen deutlich verbessern. Darüber hinaus ist es aber auch notwendig, die individuelle Resilienz stärker in den Blick zu nehmen, also wie jeder Einzelne von uns besser mit „Wir leben in unsicheren Zeiten“ umgehen kann. Denn Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Angst tragen nicht zur Resilienz bei.
Autoren
Peter Erlhofer und Herbert Saurugg