Die Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ des Landtages von Baden-Württemberg hat am 10. Juli 2024 mit der Vorstellung des 884 Seiten umfassenden Abschlussberichts im Plenum ihre Arbeit beendet. 

Hier sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Zusammenfassung zusammengefasst:

Schlüsselelemente einer krisenfesten Gesellschaft

Gesundheitswesen

  • Fokus auf Bevölkerungsgesundheit und Umsetzung des „Health in All Policies“-Konzepts
  • Stärkung der Gesundheitskompetenz und Eigenverantwortung der Bürger
  • Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheits- und Pflegewesen
  • Vorbereitung auf klimawandelbedingte Gesundheitsrisiken
  • Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD)

Staatliche Krisenvorsorge

  • Förderung von bürgerschaftlichem Engagement und Ehrenamt im Bevölkerungsschutz
  • Entwicklung und regelmäßige Aktualisierung von Krisenplänen
  • Verbesserung der Kommunikation mit der Bevölkerung in Krisensituationen
  • Stärkung der Kritischen Infrastrukturen (KRITIS)
  • Intensivierung grenzüberschreitender Zusammenarbeit im Katastrophenschutz

Gesellschaftlicher Zusammenhalt

  • Förderung von Solidarität und Vertrauen in staatliche Institutionen
  • Berücksichtigung vulnerabler Gruppen bei Krisenvorsorgemaßnahmen
  • Stärkung von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Krisenzeiten
  • Bekämpfung von Desinformation und Förderung von Medienkompetenz

Wirtschaftliche Resilienz

  • Bewältigung des Fachkräftemangels und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit
  • Abbau überflüssiger Bürokratie und Förderung von Innovation
  • Sicherstellung der Energieversorgung und Ernährungssicherheit
  • Entwicklung krisenfester Logistik- und Lieferketten
  • Frühzeitiges Krisenmanagement und -kommunikation mit der Wirtschaft

Diese Erkenntnisse zeigen, dass eine krisenfeste Gesellschaft ein ganzheitliches Konzept erfordert, das Gesundheit, staatliche Vorsorge, gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirtschaftliche Resilienz umfasst.

 

Handlungsempfehlungen

  • Eine HiAP-Strategie (Health in All Policies -Gesundheit in allen Politikfeldern) soll ressortübergreifend und unter Beteiligung der bestehenden gesundheitspolitischen Gremien, insbesondere der Landesgesundheitskonferenz, auf der Grundlage von klar definierten Gesundheitszielen für das Land erarbeitet werden. Darin sollen Themen von herausragender Bedeutung für die Gesundheit wie der Klimawandel und die Reduzierung sozialer Ungleichheit berücksichtigt werden.
  • Die Landesregierung soll sich für eine europäische Strategie, Koordinierung und Solidarität bei Notfallmaßnahmen in grenzüberschreitenden Krisenfällen einsetzen.
  • Konzepte zur landesweiten Versorgungssicherheit bei der Beschaffung, Bevorratung und Ausgabe von Medikamenten, Medizinprodukten und Schutzgütern mit umfassenden Strategien (zentral oder eher dezentral) sind zu entwickeln, vorzuhalten bzw. vorhalten zu lassen und fortlaufend zu aktualisieren.
  • Die Enquetekommission empfiehlt die rechtsverbindliche Festlegung von adäquaten Katastrophenschutzbedarfsplanungen auf der Grundlage von Risikoanalysen und denkbaren Schadensszenarien auf Landes-, Kreis- und Gemeindeebene unter Berücksichtigung der Kritischen Infrastrukturen.
  • Die Leitstellenstruktur in Baden-Württemberg soll mittels eines Leitstellengesetzes auf Grundlage der Beschlüsse der Lenkungsgruppe „Leitstellenstruktur“ neu und modern unter den Gesichtspunkten der Effektivität und der Effizienz strukturiert werden.
  • Das Computer Emergency Response Team (CERT) in der Cybersicherheitsagentur soll personell und finanziell so gestärkt werden, dass es für alle staatlichen Einrichtungen auf kommunaler Ebene und für kleinere und mittlere Unternehmen zum Einsatz kommen kann.
  • Die Beachtung der intensiv kommunizierten Forderung nach Deregulierung, Entbürokratisierung und vor allem nach Standard- und Aufgabenkritik ist über die bereits eingeleiteten Maßnahmen der Allianz aus Landesregierung, kommunalen Landesverbänden und fünf Wirtschafts- und Finanzverbänden im Sommer 2023 hinaus auszubauen und zu beschleunigen.
  • Die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts soll ressortübergreifend vorangetrieben werden und dabei ist insbesondere auf eine inklusive Identität, den Schutz vulnerabler Gruppen und starke Institutionen abzuzielen.
  • Die Qualifizierung von Engagierten bei bürgerlichem Engagement soll finanziell und fachlich gefördert werden.
  • Medienkompetenz soll fächerintegrativ und spiralcurricular in alle Bildungspläne aufgenommen werden. Schülerinnen und Schüler sollen zum Beispiel lernen, was professionellen Journalismus auszeichnet. Dabei ist die Sprach- und Lesekompetenz als Schlüssel für Medienkompetenz mitzudenken. Es ist zu prüfen, inwiefern Jugendverbände, Studierende und andere Akteure eingebunden werden können, um die Schule in der Umsetzung der Angebote zu unterstützen. Das Informationsfreiheitsgesetz ist zu evaluieren und umfassend zu novellieren, da dieses im Umgang mit Desinformationen sehr wichtig ist.

 

Zusammenfassung aus dem Bericht

Krisenfestes Gesundheitswesen 

Nur eine gesunde Gesellschaft kann krisenfest sein. Daher ist für das Ziel der krisenfesten Gesellschaft die Bevölkerungsgesundheit in den Fokus zu rücken. Wie sie wirksam und nachhaltig verbessert werden kann, adressiert das Konzept Health in All Policies (HiAP; Gesundheit in allen Politikfeldern). Gesundheitspolitik muss dem HiAP-Konzept entsprechend in allen Politikfeldern mitgedacht werden.

In unserer Gesellschaft gibt es manifeste und tendenziell wachsende gesundheitliche Ungleichheiten. Zurückzuführen sind diese Ungleichheiten auf sozioökonomische und soziodemografische Merkmale – deren Zusammenhang mit der Gesundheit ist breit erforscht. Migrantinnen und Migranten sind im Gesundheitswesen mit besonderen Problemen konfrontiert. Ihnen fehlen oftmals Kenntnisse über das Gesundheitssystem, weshalb sie sich häufig nur schlecht in den Abläufen orientieren können. Vor allem die Rolle der Hausärztinnen und -ärzte scheint nicht bekannt zu sein, sodass es in der Folge häufiger zum Aufsuchen der Notaufnahmen kommt. Krisen wie zum Beispiel Pandemien verstärken die gesundheitlichen Ungleichheiten. Im Falle von Covid-19 war sowohl die Wahrscheinlichkeit einer Infektion als auch die Mortalität für sozial benachteiligte Menschen erhöht.

Eigenverantwortlich handeln im gesundheitlichen Kontext kann nur, wer über ausreichende Gesundheitskompetenz verfügt und auf gesundheitsförderliche und gesundheitskompetente Strukturen trifft. Gesundheitskompetenz hilft Menschen dabei, Entscheidungen zu treffen, die förderlich für ihre Gesundheit sind. In modernen Gesellschaften, in denen Entscheidungsmöglichkeiten und deren Anforderungen für das Individuum ansteigen, wird diese Fähigkeit immer wichtiger.

Die Digitalisierung im Gesundheits- und Pflegewesen ist dringend zu beschleunigen, denn sie bietet enorme Potenziale. Sie ist in allen Bereichen zu nutzen und sollte darauf zielen, Personal zu entlasten, Prozesse zu beschleunigen und zu vereinfachen, Bürokratie abzubauen und Gesundheitsleistungen zugänglicher zu machen bzw. soziale Teilhabe bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu fördern.

Der Klimawandel beeinträchtigt die Gesundheit auf viele Arten. Erkrankungen, Verletzungen und Todesfälle bei Extremwetterereignissen wie Hitze und Starkregen sind direkte Auswirkungen des Klimawandels. Hinzu kommen indirekte Auswirkungen wie die Zunahme und Verstärkung von Allergien, das vermehrte Auftreten von Zoonosen oder die Nordwanderung bislang tropischer Infektionskrankheiten durch die Verbreitung von Vektoren wie der Asiatischen Tigermücke. Besonders gefährdet für klimawandelbedingte Gesundheitsrisiken sind Säuglinge und Kinder, ältere Menschen und Menschen insbesondere mit chronischen Vorerkrankungen, Mehrfachmedikation und bestehender Pflegebedürftigkeit, insbesondere bei Demenz. Auch Menschen in Gemeinschaftsunterkünften, prekären Wohnverhältnissen und Obdachlosigkeit, aber auch generell Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz, eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten und sozialer Isolation weisen ein erhöhtes Risiko auf, da sie meist nicht die Möglichkeiten haben, adäquate Vorsorge zu betreiben und sich selbst ausreichend zu schützen. Für die Menschen in Baden-Württemberg wurde in den Anhörungen insbesondere die Hitze als zunehmende klimawandelbedingte Gesundheitsgefährdung identifiziert. Das Gesundheits- und Pflegesystem ist vom Klimawandel doppelt betroffen: Einerseits wegen der Herausforderung durch die große Gesundheitsgefährdung, andererseits ist das Gesundheits- und Pflegesystem mitverantwortlich für den Klimawandel, da es einen Teil der Treibhausgasemissionen verursacht. Der deutsche Gesundheitssektor trägt rund 5 % zu den nationalen Treibhausgasemissionen bei und sollte daher Verantwortung für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen übernehmen.

Durch die Vernetzung der Welt muss Gesundheit global betrachtet werden. Gefahren wie Pandemien machen nicht an nationalstaatlichen Grenzen Halt und die internationale Arbeitsteilung ist so weit fortgeschritten, dass kein Land künftige Gesundheitsbedrohungen autark bewältigen kann. Gerade hier sind eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit und internationale Solidarität wichtig. Das gilt in besonderem Maße für das Land Baden-Württemberg mit seinen Grenzregionen zu Frankreich und der Schweiz. Sie bilden nicht nur einen gemeinsamen Lebens-, sondern auch einen gemeinsamen Gesundheitsraum. Das macht koordinierte, grenzüberschreitende Reaktionen in Gesundheitskrisen umso notwendiger. Bei der Krisenbewältigung spielt die Bevölkerung eine entscheidende Rolle. Denn nur, wenn sie Maßnahmen kennt, akzeptiert und durch entsprechendes Verhalten umsetzt, sind sie wirksam. Mit sachlicher und strategisch geplanter Kommunikation, die Risiken sowie Vor- und Nachteile von Maßnahmen transparent darstellt und dazu zielgruppengerechte Formate mit verständlicher Sprache nutzt, kann das Verständnis einer Situation und die Akzeptanz von Maßnahmen in der Bevölkerung wesentlich gestärkt werden. Unabdingbar für eine erfolgreiche Krisenbewältigung ist daher eine transparente und zielgruppengerechte Risikokommunikation. Um in (Gesundheits-)Krisen erfolgreich zu kommunizieren, müssen komplexe Sachinformationen für die unterschiedlichen Zielgruppen verständlich und für ihren Alltag anschlussfähig vermittelt werden. Die Menschen sind dabei in jeder Hinsicht respektvoll zu behandeln und in ihrer individuellen Lebenssituation ernst zu nehmen.

Für ein krisenfestes Gesundheitssystem ist der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) von herausragender Bedeutung. Er fördert die Gesundheit der Bevölkerung aktiv und präventiv und schützt sie nicht nur vor Infektionen, sondern auch vor umweltbezogenen Einflüssen. Um zur Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit beitragen zu können, muss der ÖGD stärker in Richtung Gesundheitsförderung und Prävention ausgerichtet werden. Dazu muss sein Aufgabenspektrum den Anforderungen entsprechend wachsen. Insbesondere soll sein Beitrag zur gesundheitlichen Chancengleichheit gestärkt werden, indem die Förderung und Prävention für sozial benachteiligte Menschen weiterentwickelt werden.

Zielgerichtete Gesundheitspolitik ist darauf angewiesen, auf verlässliche (empirisch abgesicherte), umfassende und aktuelle Daten zurückzugreifen. Die Coronapandemie hat deutlich gemacht, dass in Deutschland insbesondere Daten zu den Verläufen und Folgen von Infektionen sowie zu Behandlungen und Impfungen fehlen bzw. nicht systematisch erhoben werden. Die Forschung musste sich häufig auf Daten aus dem Ausland verlassen, wie beispielsweise aus Dänemark, Israel oder den USA. Bislang gibt es keine umfassende Gesundheits-Forschungsagenda, welche die verschiedenen Forschungsrichtungen aus den unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen zusammenführt. Einen guten Ansatz liefert hier die „Forschungsagenda 2018–2025. Evidenz erzeugen – Wissen teilen – Gesundheit schützen und verbessern“ des RKI.

1999 rief die WHO jedes Land auf, nationale Pandemiepläne zu entwickeln. In Deutschland hat das RKI die Federführung. Es hat 2014 vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Pandemie 2009 („Schweinegrippe“) eine wissenschaftliche Diskussion angeregt und einen (weiteren) nationalen Pandemieplan entwickelt, der mittlerweile mehrfach aktualisiert wurde. Die einzelnen Bundesländer verfügen ebenfalls über Pandemiepläne, die durch Gesetze und Verordnungen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen angewendet werden. Die Coronapandemie hat gezeigt, wie wichtig aktuelle interdisziplinär erarbeitete und landesweit abgestimmte Notfallpläne sind, da sie ein rasches Handeln und Eingreifen ermöglichen. Dabei sollten in die Ausarbeitung und Übung der Pläne möglichst alle Akteure, ausgehend von den Ministerien und Verwaltungsbehörden über die zentralen Berufsgruppen und Interessenvertretungen bis hin zur Bevölkerung, miteinbezogen werden.

Die Gesundheitseinrichtungen konnten während der Coronapandemie gemäß ihres gesetzlichen Auftrages die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen und pflegerischen Leistungen aufrechterhalten. Derzeit ist allerdings die personelle und wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser überaus angespannt, sodass Insolvenzen eintreten bzw. befürchtet werden müssen. Personalmangel ist zugleich ein sehr großes Problem in allen medizinischen und pflegerischen Bereichen, nicht nur in Krankenhäusern. Gute Gesundheitsversorgung muss für alle Menschen gleichermaßen erreichbar sein. Es sollte keinen Unterschied machen, ob jemand in der Stadt oder auf dem Land lebt. Um die Gesundheitseinrichtungen krisenfest zu machen und langfristig zu stärken, muss die Herausforderung eines sich zuspitzenden Personalmangels angegangen werden. Es gilt, einem weiteren Rückgang der verfügbaren Kräfte entgegenzuwirken und das noch vorhandene Personal zu schützen und zu unterstützen.

In Krisen können je nach Lage ganz unterschiedliche Güter zur Mangelressource werden. In der Coronapandemie waren das vor allem Schutzausrüstung, bestimmte Medizinprodukte wie Beatmungsgeräte und Arzneimittel wie Antibiotika, fiebersenkende Mittel und Impfstoffe. Auch nach der Pandemie sind Engpässe bei Medikamenten zu verzeichnen. Die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten in Deutschland und Baden-Württemberg ist abhängig von der Produktion im Ausland. Starke Abhängigkeiten bestehen im Bereich der patentfreien verschreibungspflichtigen Arzneimittel und Wirkstoffe von Lieferanten in kostengünstiger produzierenden Nicht-EU-Staaten (hauptsächlich Indien und China). Auch wenn es heimische Produktionsstätten gibt, stammen chemische Grundstoffe und Wirkstoffe vielfach aus dem Ausland. Fragile Lieferketten in Krisenzeiten führen dann zur Mangelversorgung. Die landesweite Versorgungssicherheit im Bereich von Arzneimitteln, Medizinprodukten und Schutzausrüstung muss an erster Stelle stehen. Die heimische Gesundheitswirtschaft ist bei der Produktion und Vorhaltung von lebensnotwendigen Arzneimitteln und Medizinprodukten in die Verantwortung zu nehmen. Die Sicherung der Arzneimittelversorgung in Deutschland ist zunehmend auch eine strategische Frage. Dabei ist es nicht realistisch, die gesamte Arzneimittelproduktion in die Europäische Union oder nach Deutschland zurückzuholen. Stattdessen sollte sich das Land für diversifizierte Lieferketten und grundlegende Produktion am Standort einsetzen. Letzteres gilt gerade bei Wirkstoffen für versorgungsrelevante Arzneimittel, wie etwa Antibiotika. Dabei sind Ziele der Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Umweltverträglichkeit zu berücksichtigen, insbesondere im Hinblick auf globale Märkte.

Die medizinische Notfallversorgung spielt eine wichtige Rolle in Krisensituationen und Katastrophen. Die Zusammenarbeit und Koordination zwischen verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen, insbesondere dem ärztlichen Bereitschaftsdienst, den Rettungsdiensten und den Krankenhäusern, sind entscheidend, um eine effektive medizinische Notfallversorgung zu gewährleisten. In den vergangenen Jahren wurde erkannt und von verschiedenen Fachgremien empfohlen, dass der Rettungsdienst und der ärztliche Bereitschaftsdienst wieder enger verzahnt werden müssen. Ziel muss eine barrierefreie und sektorenübergreifende Struktur der medizinischen Notfallversorgung sein.

Die Coronapandemie ging mit dem Übergang in die endemische Phase zu Ende. Das Risiko neuer Pandemien ist jedoch vorhanden und nimmt weiter zu. Die Gründe liegen hauptsächlich im weiteren Vordringen des Menschen in die Natur, im Klimawandel und in der zunehmenden Mobilität der Menschen. Jedes Jahr werden fünf neue Infektionskrankheiten bei Menschen festgestellt, von denen jede das Potenzial hat, sich auszubreiten und zur Pandemie zu entwickeln. Angesichts des Risikos neuer Pandemien müssen die Erkenntnisse aus der Coronapandemie festgehalten werden. Dabei geht es darum, welche Instrumente und Maßnahmen der Pandemiebekämpfung sich bewährt haben, um sie zur Bekämpfung potenziell andersartiger Pandemien einsetzen zu können.

Staatliche Krisenvorsorge und Krisenbewältigung

Katastrophenschutz ist in Deutschland Sache der Länder. Auch Baden-Württemberg kommt seiner Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung vor Katastrophen und zur erfolgreichen Bearbeitung von Krisen nach. Damit es dies auch zukünftig tun kann, bedarf es starker staatlicher Institutionen, die auch in Krisen handlungsfähig bleiben und so Grundstein einer hohen gesellschaftlichen Resilienz in Baden-Württemberg sein können. Die Selbsthilfefähigkeit und das Bewusstsein für die Eigenverantwortung der Bevölkerung muss daher gestärkt werden, was mit einem Bewusstseinswandel einhergehen muss.

Bürgerschaftliches Engagement und das Ehrenamt tragen den Bevölkerungsschutz in Deutschland. Erst das herausragende bürgerschaftliche und ehrenamtliche Engagement ermöglicht die professionelle und rasche Reaktion auf Krisenereignisse. Dies gilt es mit einem klaren Bekenntnis zur stärkeren Unterstützung dieser beiden Säulen und deren Attraktivität gebührend anzuerkennen. Eine vollständige Helfergleichstellung der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer im Bevölkerungsschutz ist ein bedeutender Schritt für die Unterstützung und Anerkennung des Ehrenamts. Eine unbürokratische Freistellung von Helferinnen und Helfern muss nicht nur für Einsätze, sondern auch für Übungen und Fortbildungen möglich sein.

Krisenpläne für die Verwaltung und zentrale Einrichtungen der Daseinsvorsorge, in denen Prozesse und Strukturen für den Krisenfall definiert sind, dienen als Handreichung mit konkreten Handlungsoptionen. Sie müssen bereits vor Eintritt der Lage bekannt und zur sofortigen Umsetzung vorhanden sein. Das Leitbild, die „Alltagsfähigkeit“ des Staates, muss idealerweise bereits so hoch sein, dass alle weiteren Maßnahmen zur effektiven staatlichen Krisenvorsorge, -früherkennung und -bekämpfung entweder entbehrlich und bereits implementiert sind bzw. der Aufwand dafür lediglich in geringem Umfang erforderlich ist.

Die föderale Ordnung der Zuständigkeiten im Bevölkerungsschutz in Deutschland hat sich bewährt. Die Enquetekommission erkennt daher keine Notwendigkeit für eine echte Abkehr von der seitherigen Aufgabenzuteilung. Die Länder sind für den Katastrophenschutz zuständig, also für die Vorbereitung und für den Schutz der Bevölkerung, von Sachwerten und der Umwelt vor dem Eintritt und den Folgen von Katastrophen, die eine besondere einheitliche Führung erfordern. Der Bund hingegen ist für den Zivilschutz verantwortlich, welcher im Spannungs- und Verteidigungsfall alle nichtmilitärischen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, lebens- und verteidigungswichtiger ziviler Dienststellen und Betriebe sowie von Kulturgütern umfasst.

In den Sachverständigenanhörungen haben sich zwei Erkenntnisse durchgezogen: „Übung macht den Meister“ sowie „in der Krise Köpfe kennen“. Die Organisationen des Bevölkerungsschutzes trainieren daher heute schon regelmäßig verschiedene Katastrophenszenarien. Aus- und Weiterbildungsinhalte sind konzeptionell und inhaltlich landesweit abzustimmen und zu vereinheitlichen. Wichtig sind in der Zukunft regelmäßigere gemeinsame und vernetzte Übungen der verschiedenen Organisationen der Rettungs- und Katastrophenhilfe, der Feuerwehren sowie anderer Beteiligter wie der Bundeswehr, des Technischen Hilfswerks (THW) und weiterer Behörden und Unternehmen der Kritischen Infrastrukturen – auch mit Partnern jenseits der Landesgrenze. Es gilt, die Schulung und Ausbildung der Krisenstäbe weiter zu professionalisieren.

Im Krisenfall ist die Kommunikation mit der Bevölkerung sowie ihre unerlässlich, um größeren Schaden abzuwenden. Wichtig ist daher die Information der Öffentlichkeit abhängig vom jeweiligen Szenario. Kommunikationswege müssen vertrauensvoll, vermittelnd, einfach verständlich, barrierefrei und redundant sowie mehrsprachig sein. Um die Kommunikationsfähigkeit im Einsatz zu verbessern, sind Maßnahmen wie die schnelle Einführung des Digitalfunks im Fahrzeug- und Einsatzstellenbereich sowie die Implementierung von Redundanzsystemen zur Stärkung der Digitalfunk-Resilienz anzustreben.

Die Integrierten Leitstellen für Feuerwehr und Rettungsdienst sind das Herzstück der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr und die zentrale Anlaufstelle für Menschen in Notfällen. Bei Notfällen, Katastrophen oder drohenden Gefahren sind sie das Bindeglied zwischen den hilfesuchenden Bürgerinnen und Bürgern und der staatlichen nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr, insbesondere der Feuerwehr, sowie dem Rettungsdienst.

Die Notwendigkeit kontinuierlicher präventiver Lagebeurteilungen sowie retrospektiver Nachjustierungen der analysierten Krisenszenarien ist unbestritten. Der Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) ist für die Sicherung der Daseinsvorsorge auf Bundes- und Länderebene unverzichtbar: Insbesondere die Energieversorgung, Krankenhäuser und das Gesundheitswesen, die Wasserversorgung, die Abfallwirtschaft, die Lebensmittelversorgung, die Telekommunikation, die digitale Infrastruktur, die Verkehrsinfrastruktur und die Kraftstoffversorgung müssen in ihrem Bestand und ihrer Funktionsfähigkeit gesichert werden.

Neben physischen Gefahren ist die Sicherheit im Informationsraum gesondert in den Blick zu nehmen. Für Unternehmen und Behörden gleichermaßen ist die Sensibilisierung aller Mitarbeitenden betreffend eingehender problematischer Mails/Anlagen/Links als Grundlage für Cyberangriffe zwingend. Vermeidbare Hindernisse sind durch Führen eines offenen Dialogs möglichst zu beseitigen. Durch die Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) ist mit einer neuen Qualität von Angriffen zu rechnen. Das Lernen aus bereits eingetretenen Notfällen durch umfassende Auswertungen und zielgerichtete Kommunikation an andere Behörden hat bereits eingesetzt. Gerade für die Handlungsfähigkeit der Kommunen ist es wichtig, kommunales Wissen und Best-Practice-Beispiele zu bündeln, um dieses Wissen für alle Kommunen zugänglich machen zu können.

Die technische Ausstattung und die Digitalisierung der Verwaltung müssen verbessert werden. Zugleich sind Verwaltungsmitarbeiter in die Lage zu versetzen, die erforderlichen Qualifikationen zur Umsetzung der Digitalisierung zu erwerben. Eine Stärkung der Evidenz-Basierung von Politikentscheidungen (auch im Krisenmanagement) ist dabei sinnvoll. Ein wohlverstandener Datenschutz ist die Kehrseite einer gewinnbringenden Datennutzung, welche wiederum durch eine adäquat verstandene und bürokratiearme Datenvernetzung gesellschaftlichen Mehrwert auch in einer Krise bringt. Um in Krisensituationen rasch und zielgerichtet reagieren zu können, ist eine möglichst umfassende Informationslage notwendig. Dafür ist es erforderlich, Daten unter einheitlichen und kompatiblen Standards zu vernetzen und zu erfassen und falls erforderlich krisenbezogene Daten so zu erfassen, zu speichern und auszutauschen, dass Effektivität und Geschwindigkeit nicht leiden.

Ein vorrangiges Ziel ist es, die Zukunftsfähigkeit Baden-Württembergs zu sichern, die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes – auch im globalen Maßstab – zu stärken, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staates zu gewährleisten und so auch das gesellschaftliche Miteinander zu fördern. Neben den großen Zukunftsthemen und Herausforderungen des Standorts Baden-Württemberg in der Transformation ist ein weiterer entscheidender Faktor die Vermeidung bzw. der Abbau von Belastung von Wirtschaft, Verwaltung sowie Bürgerinnen und Bürgern. Es sind bestehende Institutionen zu stärken und weiterzuentwickeln; neue Behörden mit Personal- und Mittelbedarf sind zu vermeiden. Der Abbau von überflüssigen bürokratischen Vorgaben ist dabei als ständiger Prozess zu verstehen.

Redundanzen ermöglichen im Krisenfall einen Weiterbetrieb von betroffenen Einrichtungen. Beim Ausfall eines Systems können alternative Elemente vergleichbare Funktionen wahrnehmen und sichern damit die Handlungsfähigkeit. Bei Behörden geschieht dies vor allem im Zuge der Amtshilfe. Entsprechende Vorkehrungen im staatlichen Bereich sind deshalb ausreichend zu finanzieren. Baden-Württemberg hat drei Staatsgrenzen und drei Landesgrenzen. Katastrophen und Großschadenslagen machen an Grenzen jedoch nicht halt. Sie stellen die Verantwortlichen für Bevölkerungsschutz immer wieder vor besondere Herausforderungen, die eine ressort- und fachübergreifende sowie eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit aller Akteure erfordert. Ex post sind Erfahrungen und Daten aus Katastrophenfällen noch intensiver zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) auszutauschen. Grenzüberschreitende Übungen sind in einem offenen Europa ein wichtiges Instrument zur Sicherstellung internationaler Interoperabilität.

Berücksichtigung gesellschaftlicher Strukturen und Betroffenheiten bei der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung

Krisen sind gesamtgesellschaftliche Herausforderungen und nur gemeinsam zu bewältigen. Für eine krisenfeste Gesellschaft sind Werte wie Solidarität, Identifikation mit dem Gemeinwesen und Vertrauen in die Mitmenschen sowie in die staatlichen Institutionen von großer Bedeutung. Sie geben Auskunft über die Qualität des gemeinschaftlichen Miteinanders und sind konstitutiv für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gleichzeitig sind diese Werte gerade in Krisen besonders gefährdet. Das übergeordnete Ziel der Handlungsempfehlungen im dritten Handlungsfeld „Berücksichtigung gesellschaftlicher Strukturen und Betroffenheiten bei der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung“ ist es daher, den Zusammenhalt zu stärken, um zur Krisenfestigkeit der Gesellschaft beizutragen.

Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen und in die Legitimität politischer Entscheidungen ist in Krisen essenziell. Durch politische Repräsentation und Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im politischen Prozess kann Vertrauen gefördert werden, indem der Entscheidungsprozess transparent und Entscheidungen nachvollziehbar werden.

Krisen betreffen als gesamtgesellschaftliche Herausforderungen jeden Menschen – einige Menschen und Gruppen haben allerdings stärker unter Krisen und ihren Folgen zu leiden. Krisen betreffen nicht nur die gesamte Bevölkerung, ihre erfolgreiche Bearbeitung hängt auch vom Einbezug möglichst breiter Teile der Bevölkerung ab. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird von einigen Bevölkerungsgruppen in Baden-Württemberg deutlich geringer eingeschätzt als von anderen. Für besonders vulnerable Gruppen sollten spezielle Vorkehrungen und Schutzmaßnahmen getroffen werden, soweit sie sich selbst nicht ausreichend vertreten können.

Bildungs- und Betreuungseinrichtungen müssen besser auf gesellschaftliche Krisen vorbereitet werden – das haben die Erfahrungen aus der Coronapandemie deutlich aufgezeigt. Insbesondere die zeitweisen Schulschließungen hatten erhebliche Auswirkungen. Eine der Hauptauswirkungen der Schulschließungen war die soziale Isolation der Schülerinnen und Schüler. Es ist Aufgabe der Enquetekommission, Erkenntnisse aus der Pandemie zu nutzen, um die Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zukünftig widerstandsfähiger zu machen und besser auf Krisen vorzubereiten. Eine zentrale Herausforderung ist es, Bildungsgerechtigkeit herzustellen durch die Entkopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg.

Die Herausbildung von Krisenfestigkeit beginnt schon im frühesten Kindesalter im Rahmen der Familie. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Entwicklung einer eigenen Selbstsicherheit müssen Kinder schon in jungen Jahren die Möglichkeit haben, in der Familie und im Netzwerk Förderung zu erhalten und so Vertrauen in eigene Stärken zu entwickeln und empathiefähig gegenüber ihren Mitmenschen zu werden. Weil die Familie dafür der wichtigste Ort ist, soll sie besonders im Blick behalten und in ihrer Selbstverantwortung gestärkt werden. Ergänzend zur Familienarbeit sollen in diesem Sinne auch pädagogische und unterstützende Angebote und Einrichtungen gefördert werden.

Bürgerschaftliches Engagement leistet einen wertvollen Beitrag zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Im Engagement werden gemeinschaftliche Werte wie Solidarität gelebt und gefördert. Soziale Fähigkeiten und Kooperation können erlernt und Selbstwirksamkeit erlebt werden. Die Anhörungen haben gezeigt, wie sich das bürgerschaftliche Engagement gewandelt hat und welchen Herausforderungen es gegenübersteht. Das klassische Ehrenamt wird mittlerweile durch vielfältige andere Formen ergänzt. Die Lebensgestaltung von Menschen, insbesondere von jungen Menschen, hat sich verändert, wodurch sich das Engagement dem neuen Alltag anpassen muss.

In Krisenzeiten braucht es eine transparente und nachvollziehbare politische Kommunikation, die erklärt, welche Ziele die Politik zur Krisenbewältigung verfolgt und wie sie diese Ziele erreichen will. Politische Entscheidungen müssen insbesondere in Krisen offengelegt werden, um Akzeptanz in der Bevölkerung und Vertrauen in staatliche Institutionen zu schaffen. So kann auch der Verbreitung von Verschwörungserzählungen und extremistischer Propaganda entgegengewirkt werden. Die Kommunikation mit der Bevölkerung in Krisen ist so zu gestalten, dass alle Bevölkerungsteile erreicht werden. Informationen und Warnsysteme wurden in der Coronapandemie nach und nach angepasst und müssen jetzt weiterentwickelt werden.

Eine besondere Herausforderung im Bereich der Kommunikation in Krisenzeiten stellen Falschinformationen und Desinformation im Internet und in sozialen Medien dar. Unsicherheiten und Ängste in der Bevölkerung bieten der Falsch- und Desinformation in Krisenzeiten einen fruchtbaren Nährboden. Die Enquetekommission sieht es daher als bedeutend an, Maßnahmen zu ergreifen, um Desinformation zu bekämpfen und ihr vorzubeugen. Diese umfassen sowohl die Bekämpfung der Verbreitung von Falsch- bzw. Desinformation in den sozialen Medien als auch die Förderung von Medienkompetenz. Gegen Falsch- und Desinformation muss von staatlicher Seite frühzeitig und schnell mit Fakten reagiert werden, um die Tatsache der Desinformation offenzulegen und falsche Behauptungen richtigzustellen. KI-generierte Inhalte verstärken dieses Problem in Art und Ausmaß zusätzlich. Hierzu muss zielgruppengerecht, verständlich und nachvollziehbar kommuniziert werden. Antidemokratische Einstellungen wie Extremismus und Ideologien der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wie beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Frauen- und Queerfeindlichkeit, Antifeminismus sowie Verschwörungserzählungen, die diese Einstellungen befördern, gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, empfiehlt die Enquetekommission den Fokus nicht nur auf die Mittel des Rechtsstaats, sondern auch auf Deradikalisierung und die Prävention antidemokratischer Einstellungen zu legen.

Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft und Nutzung ihrer Potenziale zur Krisenvorsorge und Krisenbewältigung

Resilienz entsteht im Zusammenspiel von Staat und Privatem. Die Trias Staat – Markt – Bürgergesellschaft ist zukunftsfähig vom Menschen her zu denken, um eine ganzheitliche, resiliente Marktwirtschaft zu erhalten. Der historische Erfolg der sozialen Marktwirtschaft basiert genau auf dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit der drei genannten Akteursgruppen. Die soziale Marktwirtschaft ist an die Herausforderungen der anstehenden digitalen und sozial- ökologischen Transformation anzupassen und zu modernisieren.

Der Arbeits- und Fachkräftemangel hemmt Wachstum und Produktivität unserer Wirtschaft, weshalb es einer Fachkräftesicherung bedarf. Diese Entwicklung wird durch die Effekte der Demografie noch deutlich verschärft. Den sich durch den demografischen Wandel verschärfenden Fachkräfteengpässen ist entgegenzuwirken. Der Arbeits- und Fachkräftemangel betrifft inzwischen viele Branchen in der Industrie, der Dienstleistungswirtschaft und im öffentlichen Sektor (vor allem bei sozialen und erzieherischen Berufen) und stellt sich als essenzieller Ressourcenbedarf dar, den es zu befriedigen gilt.

Wettbewerbsfähigkeit resultiert aus einer Vielzahl von Faktoren, weshalb auch andere als die nachfolgenden Handlungsempfehlungen in diesem Lichte zu sehen sind. Baden-Württembergs Wettbewerbsfähigkeit hat zuletzt gelitten. Die Sicherung des Wirtschaftsstandorts ist ein extrem wichtiges Anliegen. Unternehmen verlagern zunehmend ihre Produktionsstandorte bzw. deren Erweiterungen und Transformationsvorhaben in andere Bundesländer oder sogar ins Ausland. Es gilt, Abwanderungstendenzen effektiv entgegenzuwirken und den wettbewerblichen Herausforderungen durch protektionistische Industriepolitik standzuhalten.

Der Sozialstaat spielt eine wichtige Rolle in der Bewältigung der anstehenden Transformation. Investitionen in den Sozialstaat stehen dabei nicht im Widerspruch zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern verbessern diese. Eine nachhaltige, generationengerechte Finanzpolitik ist in Einklang zu bringen mit zielgerichteten Investitionen in den Sozialstaat als Voraussetzung einer zukunfts- und wettbewerbsfähigen Wirtschaft. Die Einbindung in die europäische und internationale Wirtschaft hat Baden-Württemberg wirtschaftlich stark gemacht und für Beschäftigung im Südwesten gesorgt. Freihandel und offene Märkte sind zu stärken, weil Wachstum und Beschäftigung hierauf basieren. In Zeiten zunehmender Handelskonflikte ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Handels- und Wirtschaftspolitik von großer Bedeutung.

Um Baden-Württemberg als starken Wirtschaftsstandort zu erhalten und zukunftsfähig aufzustellen, wurde die Entlastungsallianz für Baden-Württemberg ins Leben gerufen.

Das Land unternimmt mit der Entlastungsallianz einen wichtigen Schritt zum Abbau überflüssiger bürokratischer Vorgaben, was weiter zu intensivieren ist. Überbordende und zum Teil unnötige Bürokratie bindet Ressourcen, die an anderer Stelle dringend benötigt werden. Ziel ist es, bei einer Vielzahl an Berichts- und Dokumentationspflichten kritisch zu hinterfragen, ob die jeweiligen Vorgaben verzichtbar sind oder ob es zumindest Möglichkeiten zur Vereinfachung gibt. Eine moderne Industriepolitik darf nicht überkommene und überholte Strukturen festschreiben und konservieren, sondern muss die Transformation von Wirtschaftszweigen wirksam unterstützen und sollte Bedingungen schaffen, bei denen industrieller Wandel gelingen kann. Die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft ist eine wichtige Voraussetzung für die Krisenfestigkeit des Landes und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Forschung und Entwicklung (FuE) sind essentiell für den gesellschaftlich-technologischen Fortschritt, für die Entwicklung von sozio-technischen Lösungen, die nachhaltig und zukunftsweisend sind, und um dem Umgang mit der Klimakrise somit etwas entgegenzusetzen. Transformative Forschung ist hier besonders wichtig und findet Lösungen im Austausch mit der Bevölkerung und in der Zusammenarbeit verschiedener Akteure.

Baden-Württemberg zählt zu den innovativsten Regionen Europas und der Welt. Mit Blick auf die Innovationsfähigkeit ist es wichtig, sich auch bei den Zukunftstechnologien nicht in die Abhängigkeit von anderen Ländern zu begeben, Nachhaltigkeitskriterien einzuhalten und Ansätze aus dem Bereich der Kreislaufwirtschaft zu integrieren. Eine Verstetigung der Förderung von FuE in Zukunftstechnologien ist zur Steigerung der Innovationsfähigkeit anzustreben. Besonderen Schutz genießen KRITIS-Unternehmen. Deren Ausbau und Stärkung als Teil der Versorgungsinfrastruktur müssen ein besonderes Anliegen sein. Zu den zentralen Infrastrukturen zählen unter anderem Verkehrswege und -mittel, Telefon, Internet, Wasser und Abwasser sowie die Energieversorgung und die sichere Rohstoffversorgung.

Vor dem Hintergrund der weltweit vernetzten Produktionsketten sowie Abweichungen bei Produktionsabläufen und Lieferketten auch an fernen Standorten zeigt sich rasch, dass es zu massiven Problemen bei der Versorgungssicherheit kommen kann. Auch die Bereiche der kritischen Infrastruktur sind krisenfest aufzustellen.

Wirtschafts-, Klima- und Energiepolitik müssen zusammen gedacht werden. Nur wenn in Baden-Württemberg im Zuge der Dekarbonisierung ausreichend Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung steht, wird industrielle Produktion im Südwesten weiterhin möglich sein. Auch bei der Transformation hin zu einem klimaneutralen Energiesystem müssen noch Strom und andere Energieträger weiterhin nach Baden-Württemberg importiert werden – hier müssen faire Energiepartnerschaften aufgebaut und auf einen Handel mit Ländern mit gemeinsamen Werten fokussiert werden. Die Ernährungssicherheit ist durch vielfältige Krisen bedroht. In Krisenzeiten muss einerseits auf die regionale Produktion zurückgegriffen werden können, andererseits müssen stabile Lieferbeziehungen mit befreundeten Ländern entwickelt sein, um Ernteausfälle kompensieren zu können. Zentral ist es, sowohl die Rohstoffe aus der Landwirtschaft (Getreide, Obst, Gemüse, Milch usw.) als auch eine entsprechende Verarbeitungsinfrastruktur für Krisenfälle bereits jetzt sicherzustellen.

Eine funktionierende Logistik ist auch außerhalb einer Krise dringend notwendig. In einer grundlegenden Krise ist eine funktionierende Logistik essenziell. Bei der Belieferung der Landesverwaltung mit notwendigen Gütern haben die Covid19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine nach den Erfahrungen des Logistikzentrums Baden-Württemberg (LZBW) zur Absicherung der systemrelevanten Versorgung sehr deutlich gemacht, dass vor dem Hintergrund der weltweiten Vernetzung sowie der Abweichungen bei Produktionsabläufen und Lieferketten auch an fernen Standorten diese rasch zu massiven Problemen bei der Versorgungssicherheit führen können. Die Sicherstellung der Mobilität und eines reibungslosen Güter- und Warenverkehrs erfordert vorbereitende Maßnahmen für den Logistikbereich, die je nach pandemischer Lage umzusetzen sind. Dabei sollte zwischen Maßnahmen, die bereits kurzfristig mit Krisenbeginn umsetzbar sind, sowie kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen unterschieden werden.

Ein frühzeitiges Krisenmanagement und im Krisenfall eine frühzeitige Krisenkommunikation gegenüber Wirtschaft und Industrie sind sicherzustellen. Gemeinsame Krisenreaktionspläne, Notfallregelungen und intelligente Krisen- und Pandemieschutzkonzepte müssen (fort-)entwickelt werden. Sie sind regelmäßig an neue Gegebenheiten anzupassen, abzustimmen und zu beüben sowie mit anderen Ländern zu harmonisieren.

Banken sind für die Versorgung der Bevölkerung mit Zahlungsmitteln unverzichtbar. Der Handel mit Wertpapieren und Derivaten sowie die Verrechnung und die Abwicklung von Wertpapier- und Derivatgeschäften stellen eine kritische Dienstleistung im Sinne der BSI-Kritisverordnung dar, da sie für das Funktionieren des Gemeinwesens im Finanz- und Versicherungssektor besonders wichtig ist.