Der Klimakonflikt als Gerechtigkeitsfrage: Erkenntnisse aus dem Deutschlandfunk Nova Podcast – Ein Vortrag des Soziologen Linus Westheuser

Klimapolitik betrifft nie nur das Klima, sondern sie ist zutiefst verstrickt in die Konflikte unserer Gesellschaft, sagt Linus Westheuser. Er ist Soziologe an der Humboldt-Universität Berlin und Mitautor des Buches „Triggerpunkte“. In seinem Vortrag erklärt der Soziologe, warum gesellschaftliche Ungleichheiten beeinflussen, wie wir über Klimapolitik nachdenken.

 

Klimakonflikte als Ungleichheitskonflikte

Linus Westheuser und seine Kollegen haben untersucht, wie unsere Gesellschaft über die Klimafrage streitet. Dass der Klimawandel ein Problem ist, darin seien sich die meisten einig. Konflikte gibt es hingegen dahingehend, welche Klimapolitik daraus folgen sollte, erklärt der Soziologe. Er hat beobachtet, dass es bestimmte Triggerpunkte gibt, an denen sich Konflikte entzünden.

„Triggerpunkte sind politisch instrumentalisierte Artefakte und andererseits auch reale soziale Ängste. Also die Bedrohung der eigenen Ressourcen und der eigenen Autonomie.“

Die Triggerpunkte seien der Ausdruck von Ängsten vor einer Einschränkung der persönlichen Autonomie oder vor der Bedrohung eigener Ressourcen. Für Menschen, die eh schon nicht so viel haben, ist zum Beispiel ein steigender Spritpreis eine Bedrohung, erklärt Linus Westheuser.
 

Benzinpreissteigerung als existenzielle Bedrohung

Auf diese Weise formen gesellschaftliche Ungleichheiten, welche die Klimapolitik möglich wird.

„Wir müssen genau betrachten, was zu einer teilenden, spaltenden Politisierung führt und wie das von politischen Akteuren eingesetzt wird.“

Es gibt eine größere Bereitschaft, Maßnahmen zum Klimaschutz zuzustimmen, wenn klar ist „Die Reichen tragen ihren fairen Teil bei“, erklärt Linus Westheuser. Daher sei es wichtig, dass die Klimapolitik sozialen Ausgleich mitdenke.

„Klimapolitik müsste auf den Aufbau neuer Institutionen des sozialen Ausgleichs fokussiert sein, die moralische Plausibilität haben, also wo Leute das Gefühl haben: Ja, das ist fair.“

Linus Westheuser ist Soziologe an der Humboldt-Universität Berlin. Seinen Vortrag „Klimakonflikte als Ungleichheitskonflikte“ hat er am 21. Oktober im Rahmen der Klimaringvorlesung „TU Berlin for Future“ an der Technischen Universität Berlin gehalten.

Sein Vortrag basiert auf dem Buch „Triggerpunkte“, das Linus Westheuser zusammen mit Steffen Mau und Thomas Lux geschrieben hat und das 2024 bei Suhrkamp erschienen ist.

Zusammenfassung

Der Deutschlandfunk Nova Podcast „Hörsaal“ beleuchtet in der Folge „Soziologie – Warum die Klimakrise polarisiert“ mit dem Soziologen Linus Westhäuser die gesellschaftlichen Konflikte rund um die Klimakrise. Westhäuser, Mitautor des Buches „Triggerpunkte“, analysiert, wie die Klimafrage politisiert wird und welche Auswirkungen dies auf die Gesellschaft hat.

Zentrale Punkte des Podcasts

  • Ungleichheitskonflikte im Fokus: Westhäuser betont, dass der Klimawandel nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern in gesellschaftliche Konflikte um Ungleichheit eingebettet ist. Er identifiziert vier Arten der Ungleichheit:
    • Oben vs. Unten: Klassische Verteilungskonflikte, bei denen es um materielle Ressourcen geht (reiche vs. arme).
    • Innen vs. Außen: Ungleichheiten im Zugang zum nationalen Territorium und zur Staatsbürgerschaft (Inländer vs. Ausländer).
    • Wir vs. Sie: Identitätspolitik, die die Frage nach Zugehörigkeit und Außenseitertum verhandelt (etablierte vs. Außenseitergruppen).
    • Heute vs. Morgen: Ungleichheit im Kontext des Klimawandels zwischen Betroffenen und Verursachern (heute lebende vs. zukünftige Generationen).
  • Die Klimafrage als Ungleichheitsfrage: Westhäuser identifiziert vier Dimensionen, in denen der Klimawandel Ungleichheit verstärkt:
    • Ungleiche Verursachung: Reiche und Unternehmen tragen überproportional zu den Klimaschäden bei.
    • Ungleiche Betroffenheit: Arme Menschen, sowohl global als auch innerhalb von Ländern, sind stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen.
    • Ungleich verteilte Transformationslasten: Die Kosten der ökologischen Transformation werden ungleich verteilt.
    • Ökologische Distinktion: Bestimmte Gruppen profitieren symbolisch von ihrem ökologischen Lebensstil, während andere abgewertet werden.
  • Fokus auf Transformationslasten: Westhäuser stellt fest, dass in Diskussionen über den Klimawandel vor allem die ungleiche Verteilung der Transformationslasten im Vordergrund steht. Fragen der ungleichen Verursachung und Betroffenheit werden zwar erwähnt, aber seltener ausführlich diskutiert.
  • Konsens und Dissens: Westhäuser identifiziert Bereiche des Konsenses und des Dissenses in der deutschen Gesellschaft:
    • Konsens: Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Klimawandel ein großes Problem ist und gehandelt werden muss. Ein sozialer Ausgleich bei der Transformation wird gefordert.
    • Dissens: Die Debatte dreht sich hauptsächlich darum, wer die Hauptbetroffenen des Klimawandels sind (zukünftige Generationen oder Menschen, die heute von den Folgen der Transformation betroffen sind). Es gibt unterschiedliche Zeitbezüge (Fokus auf zukünftige Schäden vs. Fokus auf den jetzigen Alltag). Die Rolle Deutschlands im internationalen Klimaschutz wird kontrovers diskutiert.
  • Ökologie der Mittelklasse vs. Ökologie der Arbeiterklasse: Westhäuser differenziert, angelehnt an den Geographen Matt Huber, zwischen zwei ökologischen Perspektiven:
    • Mittelklasse: Gestaltungsspielräume und Sorge um zukünftige Schäden stehen im Vordergrund. Der Fokus liegt auf individuellem Konsumverhalten und kognitiven Aspekten (Wissen über die Folgen des eigenen Handelns).
    • Arbeiterklasse: Die Wahrnehmung des Klimawandels ist durch Notwendigkeiten, Zwänge und Preise geprägt. Der Fokus liegt auf den Kosten des Heizens, des Sprits, der Nahrung und des Wohnens. Die Gegenwart wird als prekär erlebt und die Zukunft als potenzielle Bedrohung.
  • Veränderungserschöpfung: Westhäuser führt den Begriff der „Veränderungserschöpfung“ ein, um das Gefühl zu beschreiben, dass gesellschaftlicher Wandel als Zumutung erlebt wird. Diese Erschöpfung ist ungleich verteilt und trifft vor allem Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau, geringerem Einkommen und Vermögen.
  • Triggerpunkte: Westhäuser beschreibt „Triggerpunkte“ als Momente in der Debatte, in denen bestimmte Themen zu emotionalen Reaktionen und hitzigen Auseinandersetzungen führen. Diese Triggerpunkte werden oft durch das Gefühl ausgelöst, dass moralische Grundwerte verletzt werden (Fairness, Autonomie, Kontrolle, Normalität). Sie können spontan auftreten, werden aber auch gezielt von politischen Akteuren instrumentalisiert.
  • Zwei Wege der Politisierung: Westhäuser sieht zwei mögliche Wege der Politisierung der Klimafrage:
    • Kulturkampf: Dieser Weg ist durch Abwehrkämpfe gegen Modernisierung und einen Fokus auf individuelle Lebensstile geprägt. Er führt zu einer Spaltung der Gesellschaft und blockiert effektiven Klimaschutz.
    • Gerechtigkeitsfrage: Dieser Weg würde die ungleiche Betroffenheit und Verursachung des Klimawandels in den Mittelpunkt stellen und auf einen fairen sozialen Ausgleich fokussieren. Er hat das Potenzial, eine breite gesellschaftliche Mehrheit für Klimaschutz zu gewinnen.

Westhäuser plädiert für eine Politisierung der Klimafrage als Gerechtigkeitsfrage. Er sieht darin den Schlüssel zu einer effektiven und sozialverträglichen Klimapolitik, die die Bedürfnisse aller Gesellschaftsgruppen berücksichtigt.

Fazit

Der Podcast liefert eine umfassende soziologische Analyse der Klimadebatte und zeigt die komplexen Zusammenhänge zwischen Klimawandel und sozialer Ungleichheit auf. Westhäuser argumentiert überzeugend, dass eine effektive Klimapolitik nur möglich ist, wenn sie als Gerechtigkeitsfrage verstanden und gestaltet wird.

Anmerkung: Siehe auch die dahinterliegenden Machtstrukturen, wie sie etwa in Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten dargestellt werden.