Letzte Aktualisierung am 05. April 2023.
Stromausfälle in Deutschland sind sehr selten und werden in der Regel innerhalb weniger Stunden behoben. In Ausnahmesituationen kann es Tage dauern, bis der Strom wieder verfügbar ist. Die fossile Energiekrise erhöht die Wahrscheinlichkeit solcher Notsituationen und somit regionaler oder gar flächendeckender Stromausfälle. Die ABDA hat zur Vorbereitung der Apotheken auf einen möglichen Stromausfall eine Handlungsempfehlung erarbeitet. 👉 Handlungsempfehlung zur Vorbereitung auf einen Stromausfall in der Apotheke
Tipps vom Katastrophenapotheker
Wie können sich Apotheken für einen Blackout rüsten? Bei einer Fortbildung der LAK Brandenburg machte Sven Seißelberg von der AG KatPharm deutlich: Ohne Absprachen und detaillierte Planung geht es nicht. Welche Tipps der Katastrophenapotheker den Kolleginnen und Kollegen gibt, lesen Sie hier.
Ohne Strom funktioniert weder die IT, noch sind Bestellungen beim Großhandel möglich. In vielen Betrieben dürften zudem die Arzneimittel im Kommissionierer festsitzen – eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung ist ohne Strom also eine echte Herausforderung.
Notstromaggregate: Analyse vor Kauf
Doch zurück zum Kernthema: Welche Vorbereitungen können Apotheken treffen, um zumindest für 24 bis 48 Stunden ohne Strom den Betrieb aufrechtzuerhalten? Seißelberg warnte davor, sich einfach irgendein Notstromaggregat aus dem Baumarkt in die Apotheke zu stellen und sich damit in Sicherheit zu wiegen. „Sie müssen zunächst einmal den Stromverbrauch Ihrer kritischen Prozesse kennen“, sagte er. Einen ersten Anhaltspunkt dafür könne die Stromrechnung bieten. Zudem gab er zu bedenken, dass die Stromqualität, die das Aggregat liefert, auch für die empfindliche IT geeignet sein müsse (sogenannter sauberer Strom). Wichtig: Hat man sich für ein individuell passendes Gerät entschieden, sollte man es unbedingt testen, um sich mit der Handhabung vertraut zu machen und im Ernstfall schnell reagieren zu können.
Auch bei Solaranlagen gelte es einiges zu beachten. Zum einen bräuchten diese einen Zwischenspeicher, also eine Batterie. Zum anderen müsse ein sogenannter Inselbetrieb möglich sein. „Das muss man explizit beim Elektriker erfragen. Wenn kein Inselbetrieb vorgesehen ist, schaltet sich die Anlage aus, wenn von der Gegenseite kein Strom kommt.“ Bei einem Stromausfall wäre sie dann also nutzlos.
Das Personal
Fällt der Strom aus, kommt das zumeist überraschend – und eine Absprache mit dem Team, wer wann Dienste in der Apotheke übernehmen kann, ist in der Regel nicht mehr möglich. Seißelberg rät: „Treffen Sie klare Absprachen und vereinbaren Sie zum Beispiel, dass wenn der Strom ausfällt und dieser Zustand über Nacht anhält, sich am nächsten Morgen um 8 Uhr nach Möglichkeit das gesamte Team zur Besprechung an der Apotheke trifft.“ Dabei gelte es jedoch zu bedenken, ob einzelne Mitarbeitende etwa auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, die im Ernstfall wohl nicht mehr fahren werden, oder in einen Konflikt geraten, weil sie in einer Hilfsorganisation tätig sind, die dann gefordert ist. Auch familiäre Umstände sollten berücksichtigt werden. Überdies sollte eine verantwortliche Person festgelegt werden für den Fall, dass die Apothekenleiterin oder der Apothekenleiter ausfällt, die dann mit entsprechenden Handlungsvollmachten ausgestattet ist.
Der Kühlschrank
Besonders im Fokus der Apothekerinnen und Apotheker steht wohl der Kühlschrank – denn er enthält oft vergleichsweise teure Arzneimittel, von denen einige bei Überschreiten der Temperaturgrenze unbrauchbar werden. Das gilt jedoch nicht für alle gleichermaßen: Insuline können meist über eine bestimmte Zeit bei Raumtemperatur aufbewahrt und innerhalb dieses Zeitraums noch verwendet werden. Andere hingegen sind kühlkettenpflichtig und müssen ohne Unterbrechung im vorgeschriebenen Temperaturbereich gelagert werden. Wer zum Beispiel im Notdienst etwas Luft hat, könne die Medikamente im Kühlschrank durchgehen und anhand von Stabilitätsdaten der Hersteller eine Liste aufstellen, wie temperaturempfindlich die einzelnen Präparate sind. So habe man im Ernstfall sofort eine Übersicht zur Hand.
Seißelberg regte auch an, Absprachen zu treffen mit Kolleginnen oder Kollegen, deren Apotheke ein gutes Stück entfernt liegt von der eigenen. „Vielleicht haben Sie einen ehemaligen Kommilitonen, der 100 km weit weg eine Apotheke hat. Fällt bei Ihnen der Strom aus, ist es gut möglich, dass sein Heimatort weiter versorgt ist und Sie in seiner Apotheke ihre Kühlarzneimittel zwischenlagern können.“
Einfach mal den Stecker ziehen …
Zudem sei es ratsam, auszuprobieren, wie lange der eigene Kühlschrank bei normaler Beladung ohne Stromversorgung den vorgeschriebenen Temperaturbereich halten kann. „Ziehen Sie im Notdienst mal den Stecker raus und beobachten Sie die Temperaturentwicklung“, schlug der Katastrophenapotheker vor. So gewinne man eine gewisse Sicherheit, wie viel Zeit im Ernstfall bleibt. Natürlich sollte man diesen Test nicht bis zum bitteren Ende ausreizen, sondern den Strom bei 7,5 °C wieder einschalten.
Der Apotheker zerstreute übrigens die Hoffnung einiger Kolleginnen und Kollegen, bei Stromausfall von Hilfsorganisationen mit Notstrom versorgt zu werden. „Die haben ihre Kapazitäten dreimal verplant, da stehen Sie ganz unten auf der Liste“, sagte er. Wer ganz sicher gehen wolle, der könne bei den örtlichen Organisationen anfragen – die Chancen stünden jedoch schlecht. Auch dass man bei der Polizei die Arzneimittelversorgung mitgedacht hat und die Apotheken schützen will, hält er für unwahrscheinlich. „Aber das ist genau das Thema Planung: Erkundigen Sie sich! Sowas kann man nur im Vorfeld in Gesprächen klären.“
Die Abgabe von Arzneimitteln
Ohne Strom ist das Erfüllen der Rabattverträge sowie das Ausbuchen von Packungen aus Securpharm nicht mehr möglich. Beides hält Seißelberg jedoch für zweitrangig. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine Krankenkasse in Deutschland in einem solchen Fall die Zahlung verweigert, weil der Rabattvertrag nicht erfüllt ist“, sagte der Apotheker, der hauptberuflich als Referent im zentralen Arzneimittelmanagement für die KKH arbeitet. Natürlich könne man für solche Fälle auch vertragliche Regelungen treffen. „Dafür müssen Sie das Thema an Ihren Apothekerverband herantragen und ihn bitten, das Gespräch mit den Kassen zu suchen.“
Und was ist mit E-Rezepten?
Die Sorge, E-Rezepte nicht beliefern zu können, sei zwar begründet. Allerdings gab Seißelberg zu bedenken, dass auch die Ärztinnen und Ärzte im Umkreis wohl keine elektronischen Verordnungen mehr ausstellen können, wenn es keinen Strom gibt. Stattdessen sei zu erwarten, dass die Praxen in einem solchen Fall ganz klassisch auf Muster-16-Rezepte zurückgreifen werden.
Doch was, wenn das verordnete Medikament nicht vorrätig ist? Seißelbergs Erfahrung nach haben die wenigsten Großhändler einen Plan in der Schublade, wie bei einem Stromausfall Bestellungen von Apotheken aufgenommen und beliefert werden können. Ausnahme sei die Noweda, die gegebenenfalls die Bestellungen schriftlich einsammle und weitere mit der nächsten Auslieferung annehme. Für alle anderen gelte: „Gehen Sie Ihrem Großhändler auf die Nerven!“ Die AG KatPharm habe mehrere Anläufe unternommen, bekomme aber nur sehr wenig Information vonseiten der Großhändler, wie diese bei Stromausfall die Versorgung sicherstellen wollen.
Individuelle Lösungen gefragt
Für kranke Menschen, die ihr bestelltes Arzneimittel nicht in der Apotheke abholen können, bieten Apotheken üblicherweise einen Botendienst an. Doch ohne Sprit fährt auch das Botendienstauto nicht. Der Tipp des Katastrophenapothekers: Apotheken sollten sich informieren, welche Tankstellen in der näheren Umgebung im Notfall noch einsatzbereit sind. „Es gibt mittlerweile in allen Landkreisen Tankstellen, die notstromversorgt sind, um die Hilfsorganisationen mit Kraftstoff beliefern zu können. Fragen Sie nach, ob sie dort auch berücksichtigt werden können, um Versorgungsfahrten zu ermöglichen.“ Für solche wie auch für viele andere Probleme gebe es keine einheitliche Vorgabe – „das müssen Sie auf individueller Ebene klären. Gehen Sie mit Ihrer zuständigen Katastrophenschutzbehörde in die Diskussion, auch wenn man dort sicher nicht begeistert sein wird.“
Brauchen wir spezielle Notapotheken?
All diese Tipps eignen sich aus Seißelbergs Sicht, um einen Stromausfall über 24 bis 48 Stunden zu kompensieren. „Danach wird es schwierig.“ Innerhalb der AG KatPharm gebe es daher die Überlegung, ob es wirklich gelingen könne, alle Apotheken bundesweit für den Ernstfall zu wappnen oder ob es nicht besser wäre, Leuchtturmapotheken entsprechend auszustatten und diesen den Aufwand finanziell zu entschädigen. Er regt zum Diskurs an. „Das ganze Thema ist schwierig. Es gibt keine Regeln, die Regeln muss man schaffen. Und das geht nur, indem man miteinander redet.“