Quelle: handelsblatt.com – Neuer Eon-Chef Birnbaum im Interview
Wenn wir aber einfach nach dem Motto weitermachen, „das wird schon gutgehen“ – dann wird es eben nicht gutgehen.
Unter anderem an den Genehmigungsverfahren. Das muss alles viel schneller gehen. Wir werden von Anschlussbegehren an unser Netz in diesen Tagen in einer Art und Weise überrannt, die kaum noch zu händeln ist. Sowohl von Betreibern von Wind- und Solaranlagen, die Strom einspeisen wollen und übrigens auch mit den Genehmigungsverfahren kämpfen. Als auch auf der Kundenseite. Wir schließen in Frankfurt gerade Rechenzentren an, von denen ein einziges eine Leistung von 200 Megawatt abruft. Das heißt: Im Raum Frankfurt wird von unserem Netz künftig zusätzlich so viel Leistung abgerufen, wie die Stadt Kassel verbraucht. Wir schließen auch die Batteriefabrik von VW in Salzgitter an. Das ist eine ähnliche Größenordnung. Wir müssen also jetzt Vollgas geben, damit wir Schritt halten können – und werden gleichzeitig leider ausgebremst.
Digitalisierung ist aber für unsere Branche und unser Geschäft zentral und überlebenswichtig. Nachhaltigkeit ist ohne Digitalisierung nicht möglich. Nur mit einer digitalen Steuerung werden wir den Zubau an Leitungen minimieren und können die immer neuen Wind- und Solaranlagen integrieren. Wir brauchen eine intelligente Steuerung, um Schwankungen im Stromangebot zu glätten und Flexibilität im Netz zu gewährleisten. Hinzu kommen die Elektroautos, die Strom ziehen. Wir müssen in Zukunft genau wissen, in welcher Straße eine Überlastung droht. Das heißt: Wir müssen überall messen und überall steuern, damit das System stabil bleibt. Und das geht natürlich nur digital, manuell ist das gar nicht mehr zu überschauen.
Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen. Mit einigen Millionen Smart Metern in Deutschland könnten wir schon jetzt die Situationen in den meisten Straßen einschätzen. Der Smart Meter muss aber mehr können als heute: Wir brauchen auch dringend eine Steuerbox zum Smart Meter, also die Möglichkeit, den Stromfluss zu steuern. Wichtig hierbei sind Technologieoffenheit und eine hohe Geschwindigkeit, um die technischen Standards zu schaffen. Eine Zertifizierung der Steuerungstechnik darf nicht mehrere Jahre dauern. Wir brauchen sie schon jetzt. Zu jeder verkauften Wallbox. Wir verpassen gerade wieder eine Riesenchance, wenn man an die vielen Wallboxen denkt, die gerade mit massiver Förderung installiert werden.
Wir in Deutschland machen uns das Leben zu schwer. Der Smart Meter ist ein schönes Beispiel. Den wollen wir nur, wenn der höchstmögliche Datenschutz gewährleistet ist. Nicht etwa ein adäquater Datenschutz, sondern der höchstmögliche. Wir müssen von diesen Superlativen weg. Wir sollten nicht das Höchstmögliche wollen, wir sollten überhaupt mal irgendwas wollen. Wir müssen erst mal anfangen und dann nachschärfen. Aber wir versuchen, erst perfekt zu planen, und machen im Ergebnis nichts bis wenig.
Im Moment hat jeder Regionalversorger und jedes Stadtwerk sein eigenes System, das er sich selber geschnitzt hat. Und zwar für die „alte“ Welt, ohne 100 Prozent Erneuerbare und ohne Elektromobilität.
„Die Infrastruktur ist der am meisten unterschätzte Teil der Energiewende“ – Die Infrastruktur ist aus meiner Sicht der bislang am wenigsten verstandene und der am meisten unterschätzte Teil der Energiewende. Das Gelingen der Energiewende entscheidet sich in der Infrastruktur. Hier entscheidet sich, ob die Wärmewende gelingt, ob die Verkehrswende gelingt und ob die Integration der Erneuerbaren gelingt.
Kommentar
Interessante Gedanken, wo eine Vielzahl von offenen Punkten angesprochen wird … die aber auch bedeuten können: „Speed kills“ Vor allem der Infrastrukturanpassungsbedarf wird wohl generell massiv unterschätzt. Das die Digitalisierung nicht nur zur Lösung von Problemen beiträgt, sollte mittlerweile auch hinreichend bekannt sein.