Seit dem letzten VuK-Newsletter (Ende Jänner) hat sich Vieles verändert. Wir wurden eines Besseren belehrt: Auch in Europa ist ein Lockdown möglich. Die Überraschung und das Unerwartete sind in einer Form und Geschwindigkeit eingetreten, wie es wohl die meisten von uns nicht für möglich gehalten haben: Wir sind in eine Phase von großen Umbrüchen eingetreten.
Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge
Im Dezember 2019 wurde die Österreichische Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV) gegründet, um das Thema Blackout-Vorsorge auf breitere Beine zu stellen. Herbert Saurugg wurde zum ersten Präsidenten und Oberst i. R. Gottfried Pausch zum Vizepräsidenten gewählt. Ziel der GfKV ist es, mit weiteren MitstreiterInnen eine breite Bewegung anzustoßen, um das Thema Krisenvorsorge aus dem Schattendasein herauszuholen und wieder zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Nicht die möglichen Krisenszenarien, sondern die Selbstwirksamkeit und Resilienz der Menschen sollen dabei im Vordergrund stehen. Denn genau diese Fähigkeiten werden wir benötigen, um die nun eingeleitete Umbruchphase besser bewältigen zu können.
Wir stehen noch am Anfang. Aber es gab bereits zahlreiche Gespräche mit potenziellen Unterstützern und Personen, die gerne mitmachen wollen.. Wenn auch Sie in der GfKV aktiv mitwirken und die Idee gemeinsam mit uns weiterentwickeln möchten, dann melden Sie sich bitte einfach bei uns. Sie können aktives, unterstützendes oder assoziiertes Mitglied werden. Wie Sie wahrscheinlich bereits bemerkt haben, wird nun der bisherige VuK-Newsletter zum GfKV-Newsletter weiterentwickelt und fortgeführt.
Eine erste umfassende Aktivität wurde im Rahmen der Industry meets Makers 2020 angestoßen. Hier wurde ein Aufruf zur Entwicklung von Notkommunikationssystemen für die dezentrale Selbstorganisation im Krisenfall gestartet und es gibt bereits zwei vielversprechende Lösungsansätze. Zum einen geht es um die Vernetzung von dezentralen Anlaufstellen („Selbsthilfe-Basen„) und zum anderen um eine einfache Möglichkeit, Notrufe absetzen zu können. Weitere Informationen folgen.
COVID-19 – ein Tsunami?
Die vergangenen Wochen waren in Folge der COVID-19-Pandemie durch den Lockdown gekennzeichnet. Nun beginnen die Lockerungsmaßnahmen, um das gesellschaftliche Leben wieder hochzufahren. Vieles ist noch unklar und das wird wohl auch noch länger bleiben.
Zu befürchten ist, dass das Primärereignis im März/April lediglich ein leichtes „Seebeben“ dargestellt hat, das jetzt scheinbar wieder zur Ruhe kommt. Das Meer zieht sich zurück. Für Unwissende ist das ein interessantes Spektakel, für Wissende jedoch ein Alarmzeichen. Denn es besteht die Gefahr, dass nun ein „Tsunami“ auf uns zurollt. Ein derart noch nie dagewesener, weitreichender und gleichzeitig globaler Schock wird in einem hochkomplexen System nicht ohne Folgen bleiben. In einigen Bereichen, etwa der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt, zeichnen sich bereits dunkle Wolken ab. Regierungen und Nationalbanken versuchen durch eine massive Geldschwemme dem entgegenzusteuern. Diese „Quick-and-Dirty-Solutions“ könnten sich jedoch bald als unwirksam herausstellen, denn ein Zurück zur alten Welt ist ziemlich unwahrscheinlich. Eine tiefergehende Betrachtung wurde im Artikel „COVID-19: Die Wendezeit hat begonnen“ angestellt. Natürlich weiß niemand, was richtig oder falsch ist und die Entscheider stehen vor quasi unlösbaren Herausforderungen. Denn wenn ein komplexes System aus dem Ruder läuft, kann es nicht mit unserem bisher erfolgreichen linearen Denken beherrscht werden. Trotzdem muss gehandelt werden. Hier wäre ein transparenter und interdisziplinärer Zugang notwendig, der aber bisher kaum feststellbar ist.
Ein anderer großer Unsicherheitsfaktor sind die Logistikketten. Hier wurde in den vergangenen Wochen Großartiges geleistet und die zu erwartenden Versorgungsengpässe sind zum Glück (noch) nicht eingetreten. Vieles nehmen wir auch noch nicht wahr. Aber wenn wichtige Kettenglieder herausbrechen – was weiterhin zu erwarten ist – könnte das rasch einen ungeahnten Dominoeffekt auslösen. Etwas, vor dem Komplexitätsforscher seit langem warnen (siehe auch den Beitrag Coronavirus: Die wirkliche Bedrohung!).
Auch zur Erkrankung selbst gibt es noch recht wenig fundiertes Wissen. Wann kommt sie wieder? Im Sommer, im Herbst oder erst im Winter? In welcher Form? Welche Langzeit- und Spätfolgen gibt es bei erkrankten Menschen. Nur in Einzelfällen? Auch wenn wir uns jetzt wieder nach einer Normalität sehnen, wird uns die Unsicherheit weiterhin begleiten. Überraschungen sind vorprogrammiert. Durch Antizipation könnten wir den Überraschungseffekt zumindest ein wenig dämpfen.
COVID-19 hat uns sehr unangenehm überrascht, obwohl seit langem klar war, dass es Pandemien geben wird. Auch in der Schweiz, wo eigentlich eine Pandemie spätestens seit dem ersten Risikobericht 2012 als Toprisiko eingestuft wird, hätte manches besser laufen sollen. Dabei hatten wir noch richtig Glück. Denn die betrachteten Szenarien gehen von ganz anderen Entwicklungen aus, als wir sie gerade erlebt haben.
In der deutschen Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 wird u. a. ausgeführt:
„Während der ersten Welle erkranken bis zu 8 % der Gesamtbevölkerung zeitgleich. Hinzu kommen personelle Ausfälle aufgrund der Pflege von erkrankten Angehörigen, der Betreuung von Kindern u. a. oder der Angst vor einer Ansteckung. Langfristig ist auch davon auszugehen, dass es zu grundsätzlichen Schwierigkeiten im Betrieb der Infrastrukturen durch den dauerhaften Ausfall von Personal (Verstorbene) kommen wird. Der Betrieb kritischer Infrastrukturen ist an vielen Stellen auf hoch qualifiziertes und spezialisiertes Personal angewiesen, dessen Ausfall weitreichende Folgen haben kann (z. B. im Bereich der Steuerung von Übertragungsnetzen, in der Flugsicherung, etc.) und Versorgungsausfälle oder -engpässe bundesrelevanten Ausmaßes mit sich bringen könnte.“
Blackout-Gefahr ist im Steigen
Als wäre das alles noch nicht genug, steigt durch den Lockdown und den Wirtschaftseinbruch auch die Blackout-Gefahr. Gegen den möglichen Personalausfall wurden zahlreiche Maßnahmen gesetzt, was auch umfangreich kommuniziert wurde. Es gibt aber noch ein weiteres Problem: Stromüberschuss! Dieser führt dazu, dass immer mehr konventionelle Kraftwerke vom Markt genommen werden. Das ist zwar für den Klimaschutz erfreulich, das Problem dabei ist jedoch, dass diese Kraftwerke mit den rotierenden Massen eine unverzichtbare Systemfunktion für die Aufrechterhaltung der Systemstabilität darstellen. Zudem werden die meisten dieser Kraftwerke zum Ausregeln eines Leistungsungleichgewichts gebraucht. Beide Funktionen (Erzeugung der Kenngröße Frequenz durch inhärent wirkendes Pufferverhalten und aktives Regeln) können durch Wind- und PV-Kraftwerke bisher nicht ersetzt werden. Batteriespeicher, die das könnten, gibt es noch nicht in ausreichender Menge. Zudem müssten sie für diese Funktion mit einer entsprechend programmierten Leistungselektronik versehen werden. Daher wird bei einer sehr hohen Wind- und PV-Stromproduktion das Gesamtsystem anfälliger für Störungen. In einer ORF-Dokumentation wurde das aufgegriffen und bildlich dargestellt.
Bisher war der Fokus überwiegend auf Strommangelsituationen gerichtet. Jetzt aber müssen auch Stromüberflusssituationen gemeistert werden. Da fehlt es nicht nur an Speichern, sondern auch an Erfahrungen. Denn es ändert sich damit auch das Systemverhalten.
Um beim Bild eines Tsunamis zu bleiben: ein Blackout könnte durchaus eine mögliche Folge der Coronakrise sein, auch wenn die Problematik mit dem weiteren Ausbau von Erzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien und dem gleichzeitigen Abschalten konventioneller Kraftwerke und ohne dem erforderlichen begleitendem Systemumbau sowieso gekommen wäre. Jetzt eben früher. Und genau dieser Blick in die Zukunft, also das Denken bis zum Ende der Energiewende, wurde bisher nicht vollzogen – nein, sogar bewusst vermieden. Deshalb haben wir so gut wie keine notversorgungsfähige Häuser oder gar Gemeinden mit ausreichenden Energiebevorratungsmöglichkeiten, die bei einer Stromüberflusssituation „aufgefüllt“ und so auch für die Bewältigung solcher Situationen genutzt werden könnten.
Die Strompreise sind derzeit im Keller. Bei rund einem Drittel der Stunden (bisher über 1.000 Stunden) wurde in Deutschland ein Strompreis von weniger als 20 Euro pro MWh erzielt. Bei 200 Stunden wurde sogar ein negativer Preis ausgehandelt. Damit können nicht einmal mehr die Betriebskosten gedeckt werden. All das ist mit längerfristigen negativen Folgen auch für die Energiewende verbunden.
Daher bleibt das Thema Vorsorge weiterhin von zentraler Bedeutung. Wenn Ihre Eigenvorsorge schon ausreichend ist, dann könnten Sie einmal mit dem Leitfaden „Blackout-Vorsorge in der Gemeinde“ in Ihrer Gemeinde nachfragen, wie gut die Gemeinde aufgestellt ist. Oder mit dem jeweiligen Leitfaden in Ihrer Organisation oder Unternehmen, wie es da so aussieht. Wir können alle irgendwo einen Stupser für eine bessere Vorsorge geben und zu unserer gesellschaftlichen Selbstwirksamkeit beitragen. Viele kleine Schritte führen zum Erfolg!
Schwindendes Vertrauen
Eine andere beunruhigende Nebenwirkung ist, dass in den vergangenen Wochen eine starke Zunahme von Verschwörungsmythen und eine starke gesellschaftliche Polarisierung zu beobachten ist. Dies hängt auch mit einer erlernten Hilflosigkeit („Vollkaskogesellschaft“) zusammen, die nun viele Menschen ohnmächtig macht. Es ist auch die Ambivalenz („Widersprüchlichkeit“), die nur schwer auszuhalten ist. Waren die Maßnahmen nun gerechtfertigt oder nicht? Warum ist es nicht so schlimm gekommen, wie vorhergesagt? War das alles überzogen, oder ganz einfach die Folge, weil die Maßnahmen rechtzeitig gegriffen haben? Steckt nun ein großer Plan dahinter, oder ist es einfach reiner Zufall? Fragen über Fragen, die uns wohl noch länger und intensiver begleiten werden. Eines zeichnet sich jedoch bereits ab: Die Sekundärfolgen und -schäden werden um ein Vielfaches größer sein, als das Primärereignis.
Resilienz und Selbstwirksamkeit
Wenn wir aus dieser Krise oder wohl eher einer ganzen Reihe zeitgleich auftretender Krisen gestärkt herausgehen wollen, sind wohl rasche Anpassung und konsequentes Lernen („Resilienz„) erforderlich. Womit wir wieder beim Thema Krisenvorsorge sind. Denn nach der Krise ist vor der Krise, auch wenn wir noch mitten drinnen stecken. Wir wissen noch nicht, ob, wann und in welcher Stärke die Welle des Tsunamis zurückkommen wird. Je besser wir uns darauf einstellen und vorbereiten, desto eher wird sie uns nicht überrumpeln können. Der erste Schritt beginnt wie bisher bei der Fähigkeit, sich und seine Familie zumindest für zwei Wochen versorgen zu können. Zum anderen geht es um Überlegungen, wie die eigene Organisation, die Gemeinde, das Unternehmen etc. sich besser aufstellen können. Dazu gibt es eine Reihe von Hilfestellungen unter www.saurugg.net/leitfaden. Und wie sich in der Stadtgemeinde Feldbach gezeigt hat, können diese Vorsorgemaßnahmen auch bei der Pandemiebewältigung sehr hilfreich sein.
Natürlich müssen nun überall „Brände gelöscht“ werden. Egal ob es das wirtschaftliche Überleben, die Arbeitslosigkeit oder die Steuereinnahmen betrifft. Auch im persönlichen Umfeld gibt es viele offene Fragen, wie es weitergehen wird. Nichtsdestotrotz sollten wir andere Bereiche auch nicht vergessen, die uns noch heftiger treffen könnten. Denn ein Blackout kommt ohne Vorwarnung und würde die Versorgung sofort komplett unterbrechen. Dann zählt nur mehr das, was man vorbereitet hat und lokal verfügbar ist. Und der Wiederanlauf wird sich aus einem chaotischen Zustand noch viel schwieriger gestalten als aus einem mehr oder weniger geordneten Lockdown. Bleiben wir wachsam. Eine Vorgangsweise, die sich etwa in Finnland bewährt hat. Durch eine „konstruktive Paranoia„ – also einem Auseinandersetzen mit möglichen Szenarien und die Vorbereitung darauf – ist man einfach besser auf Überraschungen vorbereitet und schneller in der Lage, sich auf neue Situationen einzustellen.
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