Letzte Aktualisierung am 16. Mai 2020.

Quelle: www.falter.at

Wie solide war Österreichs Covid-19-Krisenmanagement? Neue vertrauliche Protokolle aus zwei Beraterstäben der Republik zeigen: Sehr früh entfernte sich die Regierungsspitze von der Expertise der Wissenschaft und der Beamtenschaft

Mit den neuen, dem Falter vorliegenden Dokumenten lässt sich nun dokumentieren, wie umstritten Kurz’ Corona-Strategie innerhalb der Expertenschaft, die die Regierung berät, war. Sie decken die sicherheitspolitische Sorglosigkeit auf, die seit Jahren das nationale Krisenmanagement prägt. Sie dokumentieren die daraus folgende Hektik und Improvisation nach der Vollbremsung des öffentlichen Lebens am 16. März.

Und sie machen nachvollziehbar, wie die Regierungsspitze in diesen traumatischen, von den schrecklichen Bildern aus norditalienischen Spitälern dominierten Tagen im März die Ratschläge ihres eigenen Netzwerkes der Expertise der wissenschaftlichen Berater und Beamtenschaft vorzog.

Weitere, umfangreiche Unterlagen stammen aus dem „SKKM Koordinationsstab Sars-CoV-2/Covid-19“ im Innenministerium. Das Kürzel SKKM steht für „Staatliches Krisen- und Katastrophenmanagement“. In diesem Koordinationsausschuss sind die fünf entscheidenden Ministerien (Inneres, Äußeres, Landesverteidigung, Gesundheit und Kanzleramt), alle Bundesländer, die Einsatzorganisationen und der ORF vertreten. Sie sollten vorausschauend agieren und im Ernstfall dafür sorgen, dass Österreichs Behörden und kritische Infrastruktur auch unter extremeren Bedingungen weiter funktionieren. Die ersten Papiere aus diesem Krisenstab, die der Falter sichtete, datieren vom 28. Februar – dem Tag, an dem die Apparate in den Ministerien ernsthaft beginnen, sich für die Corona-Krise zu rüsten. Die letzten von Montag dieser Woche.

Sie zeigen: Die Warnungen der Gesundheitsexperten vor Engpässen bei Schutzausrüstung und Tests wurden viel zu spät aufgegriffen. Die Strategie des nationalen Krisenstabs – er setzte auf Kontrollen und „Cocooning“, also Isolation und Absonderung kranker Personen in „zentralen Unterbringungen“ wie Kasernen – wurde gar nicht oder nur wenig berücksichtigt.

Wenn diese Experten- und Krisengremien nicht die Grundlage für die politischen Entscheidungen der Corona-Krise lieferten, wer war es dann?

Freitag, 28. Februar, 12.30 Uhr. Was der Beraterstab der Taskforce Corona im Gesundheitsministerium in den nächsten drei Stunden besprechen wird, nimmt vieles vorweg, was Österreich im März große Sorgen bereiten sollte. Die erfahrenen Mediziner, Virologen und Epidemiologen sehen die Ressourcenfrage als zentrales Thema. Es muss schnellstmöglich definiert werden, was passiert, wenn „es eng wird“.

Es geht um die Knappheit von Tests und Masken und um sogenannte „Standard Operating Procedures“ für Krankenhäuser. Also um die Frage, wie in den Ambulanzen mit Verdachtsfällen umzugehen ist. Die Runde ist sich einig, dass ein „striktes Containment nur in totalitären Systemen möglich ist“ und deshalb „soziale Distanzierung“ sich bisher als die „effektivste Maßnahme“ erwiesen hat. Eine Sperre von Institutionen wie der Universität könne „höchstens zwei Wochen durchgehalten werden“.

Dienstag, 3. März, 16 Uhr: „Die Knappheit scheint jedenfalls nicht mehr vermeidbar“, heißt es gleich zu Beginn in der Sitzung des Expertenstabes des Gesundheitsministeriums. Masken, Schutzanzüge und Handschuhe sollen nur dort eingesetzt werden, wo sie wirklich notwendig sind. 

In Deutschland geben Virologen wie Christian Drosten von der Berliner Charité oder das Robert-Koch-Institut Orientierung, in anderen Ländern, etwa in Schweden, übernehmen nicht Minister und Regierungschefs, sondern die Leiter der nationalen Gesundheitsbehörden die Krisenkommunikation.

Intern wird diskutiert, wie ein Mailverkehr zeigt, der sich, kurz nachdem Kanzler Kurz am Freitag, den 13. März den Lockdown angekündigt hat, entspinnt und der dem Falter in Auszügen vorliegt.  „Wir sollten versuchen, die derzeitige Sprachregelung bald zu ändern und möglichst schnell von der Botschaft ‚ganz gefährliches Virus‘ wegkommen“, warnt Ages-Experte Allerberger schon am 14. März sein Beraterkollegium. „Das Virus ist so weit verbreitet, dass alles andere dazu führen wird, alles lahmzulegen, was Kollateralschäden verursacht, die weit über Covid-19 hinausgehen. Jede Botschaft, die als ‚ganz gefährliches Virus‘ missinterpretiert werden kann, ist kontraproduktiv. Sars-CoV-2 ist für über 80 Prozent der Bevölkerung nicht gefährlich.“

„Wir müssen verhindern, dass aufgrund des Ressourcen­drives zu Covid-19 alle anderen Patienten auf der Strecke bleiben oder die ‚vulnerablen‘ Alten unterversorgt sind und dann mehr Menschen durch diese Maßnahmen zu Tode kommen als durch das Virus selbst.“

Kurz und sein Team berieten sich in diesen Tagen vorallem mit Experten der Med Uni Wien, der Immunologin Ursula Wiedermann, der Virologin Elisabeth Puchhammer, Med-Uni- Rektor Markus Müllner, Vizerektor Oswald Wagner und Stefan Thurner vom Complexity Science Hub Vienna.

Unter den Experten im Gesundheitsministerium wie auch im nationalen Krisenstab wurde zuerst die Strategie des „Cocoonings“ verfolgt. Hätte man die Warnungen der „Corona Taskforce“ im Gesundheitsministerium ernst genommen, hätte sich die Regierung allerspätestens Anfang März an das Beschaffen von Masken, Schutzkleidung und vor allem auch Tests machen müssen. Tatsächlich wäre es im Laufe des Februars geboten gewesen, nachdem die Weltgesundheitsorganisation Ende Jänner alle Staaten vor der weiteren Ausbreitung des Coronavirus gewarnt hatte.

In den Lageberichten des nationalen Krisenstabs im Innenministerium schlägt das Thema Notbeschaffung erst am 16. März auf. Und was in den Tagen danach protokolliert wird, erweckt nicht den Eindruck souveräner Vorbereitung und abgestimmter Abläufe. Stattdessen wird die Notbeschaffung an das Rote Kreuz delegiert.

Dabei fordern Sicherheitspolitikexperten seit Jahren vergeblich, Österreich auf unterschiedliche Krisenszenarien – darunter Pandemien – vorzubereiten, sie empfehlen entsprechende Bevorratung und Notfallpläne auf Knopfdruck für die systemrelevanten Bereiche. Brigadierin Sylvia-Carolina Sperandio, Leiterin des Militärischen Gesundheitswesens im Verteidigungsministerium, empfahl in der „Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2020“, die Ende des Vorjahres erschienen ist, einmal mehr, sich auf das „verteidigungspolitische Risikobild Pandemien als Ereignisse mit zunehmender Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungen von an die 100 Prozent auf die Sicherheit unserer Republik“ vorzubereiten – ohne Resonanz.

Für die Verteilung der Schutzausrüstungen ist eine Untergruppe des SKKM Koordinationsstabes zuständig, die sogenannte „S4-Gruppe“. Bis zum 24. März haben Oberösterreich und Vorarlberg keinen Vertreter in der zentralen Ressourcensteuerungsgruppe des SKKM nominiert. Sie sollen den Bedarf bei niedergelassenen Ärzten, Physiotherapeuten sowie Krankenhäusern und Pflegeheimen für ihr Land erfassen und an die Zentrale im Bund melden, aber das war „weit davon entfernt, ideal zu sein“, wie ein Involvierter sagt. Anfang April hält das SKKM fest: „Verteilung Schutzausrüstung an niedergelassene Ärzte – funktioniert nicht“ Noch Ende April lautet das Resümee unter einer Aufstellung der Bundesländer: „Bedarfe aufgrund mangelnder Bestandsmeldungen nicht abbildbar“.

Am Ende dokumentieren die Powerpoint-Folien aus dem nationalen Krisenstab vor allem eines: den schleichenden Bedeutungsverlust der Experten im Gesamtkrisenmanagement. Der nationale Krisenstab, an sich das Herzstück des Katastrophenmanagements, verkommt zum Handlanger, mitunter auch für parteipolitische Interessen. Das Innenministerium erklärt auf Anfrage, dass es sich eben nur um eine „koordinierenden Gremium“ handle, in dem „jedes Ressort in seinem Verantwortungsbereich“ agiere.

Welche Massnahmen waren goldrichtig, welche überschießend? Noch ist es zu früh, eine gesamtstaatliche Bilanz des Corona-Krisenmanagements zu ziehen. Eines aber lässt sich heute schon sagen. Nachvollziehbar waren die Entscheidungen nur selten. Wer in den Krisenstäben sitzt und was dort besprochen wurde, soll geheim bleiben. Dabei findet sich auf den Folien des SKKM-Krisenstabs unter der Überschrift „Grundsätze“ immer wieder auch der Punkt „Höchste Transparenz“ als Ziel.

Causa Ischgl: Tiroler Behörden missachteten Erlass des Gesundheitsministeriums

Quelle: www.profil.at

profil liegen sämtliche Morgen-Briefings des SKKM-Krisenstabs vor. Sie legen nahe, dass es im Krisenstab lange kein Bewusstsein für den Virenherd Ischgl gab. Zwar wurden in den täglichen Präsentationen die Warnungen aus Island (Briefing vom 6. März) oder Dänemark (Briefing vom 7. März) vermerkt, doch daraus leitete die Regierung keine Notwendigkeit ab, Maßnahmen zu ergreifen.

Kommentar

Soviel zum Thema auf alle Szenarien bestens vorbereitet … In der „Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2020“ steht auch, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Blackouts noch deutlich höher ist, als die von einer Pandemie.