Das Buch „COVID-19 und Psychologie – Mensch und Gesellschaft in Zeiten der Pandemie (essentials)“ von John Haas beleuchtet wichtige Aspekte im Umgang mit Unsicherheit/unerwarteten Ereignissen mit speziellem Fokus auf die COVID-19-Pandemie. Die psychische Gesundheit ist wesentliche Voraussetzung, um Krankheiten oder Krisen besser bewältigen zu können. Weiterführende Aspekte finden sich auf der Begleitwebseite zum Buch unter www.covid19-psychologie.net.
Einige Zitate aus dem Buch:
Prinzipiell ist der Mensch bestrebt, sein Wohlbefinden und Wohlergehen durch bestmögliche Anpassung (Adaptation) an die Umstände (eigenes Befinden, Sozialgefüge, Umwelt) hochzuhalten, indem er einen Ausgleich zwischen der „Innenwelt“ und „Außenwelt“ herstellt. (Äquilibration). Die meisten Menschen sind dazu im Regelfall gut in der Lage.
Der Begriff „Kontagion“ stammt vom lateinischen Wort „contagio“ (wörtlich: Kontakt, Berührung, aber auch Umgang oder Einfluss) ab und wird in der Psychologie im Sinne der „Ansteckung“ von Verhalten (soziale Kontagion) aber auch von Gefühlen (emotionale Kontagion) verwendet. Besonders im Rahmen von gesellschaftlichen Ausnahmesituationen (Katastrophen, Krisen, Epidemien / Pandemien, Krieg) spielen Kontagion-Effekte eine wesentliche Rolle. Aus der Erfahrung mit bisherigen Pandemien ist bekannt, dass sich besonders das Gefühl der Angst rasch weiterverbreitet. In Zusammenhang mit COVID-19 wurde die rasche, vor allem medial vermittelte Verbreitung von Angst häufig als „zweite Pandemie“ bezeichnet. Dies ist deswegen erwähnenswert, weil die subjektiv empfundene Angst einen maßgeblichen Einfluss auf das Gesundheitsverhalten und das Gelingen der psychischen Bewältigung hat.
Neuere Befunde weisen nach, dass in gesellschaftlichen Ausnahmesituationen zwar negative Effekte auftreten, aber ebenso positive Effekte wie verantwortungsvolles und prosoziales Verhalten auftreten.
In Bezug auf COVID-19 kann soziale Kontagion kooperative und prosoziale Verhaltensweisen in der Gesellschaft verbreiten und festigen. Gefahr geht in diesem Rahmen vor allem von vorsätzlich erzeugter Angst und dem folgenden furchtbezogenem Verhalten aus, da sich Menschen in Angst als leichter manipulierbar erweisen (Stichworte: „culture of fear“ bzw. FUD – „Fear, uncertainty and doubt“).
Eine nachteilige und bedenkliche Folge der emotionalen Kontagion im Rahmen von COVID-19 ist, dass sich vor allem Angst durch die mediale Berichterstattung rasch verbreitet und durch soziale Medien weiter verstärkt werden kann. In Folge kann es zu einer verzerrten Risikowahrnehmung, verringertem Gesundheitsverhalten, Frustration, Überforderung, Widerwillen und Angstgefühlen kommen.
Resilienz kann man als die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen oder Krisen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu bewältigen, bezeichnen.
Wie aus der Forschung bekannt, begünstigt ein angemessenes Maß an Gesundheitsangst die Bewältigung von Pandemien, während kaum vorhandene oder extrem hohe Gesundheitsangst die Nichtbefolgung von Empfehlungen bzw. Vorbehalte oder den Widerstand fördern.
Aus Sicht dieser Studie sind dies kurzgefasst eine geringe Gesundheitskompetenz und geringe Anpassungsfähigkeit, die in Kombination mit verändertem Schlaf- und Ernährungsgewohnheiten, dem Einfluss von sozialen Medien und den starken Stressoren (Gesundheitsangst, Belastungen durch Quarantäne, Sorgen um das wirtschaftliche Wohlergehen) der Pandemiesituation die Wahrscheinlichkeit der Entstehung der drei genannten Störungen begünstigen (Salari et al. 2020).
Wie Isolation und Quarantäne definiert werden: Das Centers for Disease Control and Prevention (CDC) definieren Isolation als die Trennung von Menschen mit einer ansteckenden Krankheit von anderen, nicht erkrankten Menschen, während die Quarantäne eine Trennung von anderen Menschen mit einhergehender Bewegungseinschränkung ist, um festzustellen, ob sie Krankheitssymptome entwickeln.
In Zusammenschau mit älteren Studien sind Isolation und Quarantäne mit teilweise weitreichenden, negativen Folgen auf das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen verbunden, da nachteilige Effekte auch noch Monate oder Jahre später eintreten können.
Fälschlicherweise in den Medien oft als Paradox der Prävention bzw. Präventionsparadoxon bezeichnet, trat im Rahmen der COVID-19-Pandemie ein paradoxer Effekt auf, der korrekterweise als selbstzerstörende Prophezeiung, also als das Gegenteil einer selbsterfüllenden Prophezeiung bezeichnet wird. Eine selbstzerstörende Prophezeiung löst aufgrund ihres befürchteten Eintretens Reaktionen aus, sodass diese nicht in Erfüllung geht. Konkret äußerte sich die Folge dieser selbstzerstörenden Prophezeiung darin, dass viele Menschen aufgrund der großen Wirksamkeit der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie im Hinblick auf die Ausbreitung bzw. Gefährlichkeit den Eindruck gewonnen haben, dass diese Erkrankung weniger ansteckend bzw. gefährlich als allgemein vermutet sei. Die Verhaltenskonsequenz dieser kollektiven Fehleinschätzung war bei vielen Menschen ein, nach dem Rückgang der Fallzahlen, leichtfertiger Umgang mit den empfohlenen Präventionsmaßnahmen, sodass die Entstehung einer zweiten Welle begünstigt bzw. beschleunigt wurde. Zusammengefasst handelt es sich bei dieser folgenreichen, nahezu kollektiven Fehleinschätzung um einen kognitiven Bias (systematische Wahrnehmungsverzerrung), dem vor allem durch angemessene Risikokommunikation und Aufklärung entsprechend begegnet werden sollte.
Resilienzfaktoren in der Zeit von COVID-19:
Zu den nachgewiesen wirksamen Resilienzfaktoren im Rahmen der COVID-19-Pandemie gehören
- eine optimistische Grundhaltung,
- die Inanspruchnahme von sozialer Unterstützung und
- die Aufrechterhaltung von sozialen Bindungen.
- Weiters sind dies ein zeitlich begrenzter Medienkonsum und
- die Entwicklung von Strategien der Entspannung und Zerstreuung.
- Dazu zählt das Erleben von freudvollen Momenten,
- die Fähigkeit lachen zu können und
- die Verringerung der sozialen Isolation durch Online-Kommunikation.
Auf Familienebene wurden Resilienzfaktoren wie
- Flexibilität,
- ein guter familiärer Zusammenhalt,
- die angemessene Kommunikation untereinander sowie
- ein an die Situation angepasstes Finanzmanagement identifiziert
Nimmt man die Erfahrungen vergangener Krisen oder Katastrophen als Leitfaden, so werden laut Erkenntnis der Autoren schätzungsweise 10 % der Menschen schwere psychische Probleme wie Angststörungen, Depression oder posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) infolge der aktuellen Pandemie entwickeln.
Manche wirksame nicht-pharmazeutische Interventionen (Isolation, Quarantäne) zur Bekämpfung der Pandemie können nachteilige Folgen für die menschliche Psyche haben, die es zu mindern gilt. Aus diesem Grund ist es unabdingbar, dass während aber auch nach der Pandemiephase ausreichend Ressourcen für die psychische Gesundheit der Bevölkerung bereitgestellt werden um den Schaden für Gesellschaft und Wirtschaft gering zu halten. Risikogruppen oder Menschen, die Risikofaktoren aufweisen können nachteilige Folgen durch resilienzfördernde Verhaltensweisen mindern. Diese Tatsache und das notwendige Wissen darüber sollte einer möglichst großen Anzahl von Menschen vermittelt werden.
Da Einsamkeit aber prinzipiell ein Hauptrisikofaktor für Angststörungen und Depression darstellt, sollte diese naturgemäß klein gehalten werden.
Im Regelfall sind vermehrte Gerüchte die Reaktion auf uneindeutige und für das Individuum schwer interpretierbare Sachverhalte. Besonders in diesem Kontext können Gerüchte eine sinnstiftende Wirkung entfalten, weil sie Glücksfälle, Unglücksfälle sowie Zufall und Schicksal zufriedenstellend zu erklären versuchen.
Evolutionspsychologisch betrachtet erfüllen Gerüchte die Rolle von „Überlebenslegenden“, die dem Einzelnen Orientierung bieten, indem sie Vorbehalte, Vorurteile, Stimmungen, Wünsche, Ängste und Hoffnungen zu kanalisieren versuchen. Gerüchte führen aber auch dazu, dass sie aufgrund ihrer scheinbar hohen Plausibilität von Tatsachen nicht gut abgegrenzt werden können und zu einer Polarisierung von Meinungen und zur Festigung von Vorurteilen führen können, was den gesellschaftlichen Konsens bedroht. Begünstigt wird die rasche Verbreitung einer zunehmend großen Anzahl von Gerüchten in den letzten Jahrzehnten vor allem von digitalen Formen der Kommunikation.
Die mediale Berichterstattung hat auch den Schwerpunkt auf Gewaltakte im Rahmen von Demonstrationen, auf Konflikte von BürgerInnen untereinander (im Rahmen der Maskenpflicht bzw. des Lockdowns) sowie auf die Gewalt gegen Dinge richtete.
Eine Untersuchung der Beschaffenheit der Schlagzeilen von 25 renommierten englischsprachigen, weltweiten Medien im Zeitraum von Jänner bis Juni 2020 ergab, dass der überwiegende Teil aller Nachrichten eine negative emotionale Färbung aufwies. Im Konkreten waren 52 % aller Schlagzeilen so beschaffen, dass sie negative Gefühle auslösten, während 30 % positive Gefühle hervorriefen und 18 % neutral waren. Als vorherrschende Gefühle in den Schlagzeilen wurden in absteigender Häufigkeit Angst, Vertrauen, Vorfreude, Traurigkeit und Wut identifiziert. Weiters kam die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich der Anteil der emotional negativ gefärbten Inhalte in der Berichterstattung mit Fortdauer der Pandemie kontinuierlich erhöhte.
Krisensituationen haben seit jeher Vorurteile und Feindseligkeit gefördert, die auch in konkrete Schuldzuweisungen münden können. Der Hintergrund dafür ist, dass das Auftreten von subjektiv ungenügend erklärbaren Phänomenen (Krankheit, Katastrophen, …) im Sinne der Bewältigung mit sozialer Bedeutung beladen wird. Die daraus erwachsenden Erklärungen von Schuld und Verantwortung für das Auftreten dieses Phänomens spiegeln aktuelle soziale Stereotypen, Ängste und Vorurteile wider und können als gesellschaftliche Reaktionen der Abwehr verstanden werden.
Durch diese Schuldzuweisungen versuchen die Menschen Ordnung zu schaffen und die Kontrolle über wahrgenommene Bedrohungen wiederherzustellen oder bestehende soziale Strukturen zu erhalten.
Ausgehend von Le Bons einflussreichem Werk „Psychologie der Massen“ (1895), das menschliches Handeln in Krisensituationen als impulsiv, irrational und asozial beschrieb, zeigen neuere Befunde das Gegenteil auf.
Aktuelle empirische Studien berichten im Kontext von Epidemien und Pandemien im Gegensatz dazu von nur geringer kollektiver Panik, aber auch vom Zusammenhalt und sozialem Verhalten während einer solchen Krise. Es kann gesagt werden, dass sowohl individuelle als auch gesellschaftlicher Reaktionen auf Bedrohungen vorrangig von verbindender Natur sind. Weil das Vorhandensein einer gemeinsamen äußeren Bedrohung wie einer Pandemie die sozialen Bindungen stärkt, scheint die heutige Gesellschaft von Zusammenbruch der Strukturen laut Forschung weit entfernt zu sein.
Eine gebräuchliche Definition lautet, dass eine Verschwörungstheorie durch den Glauben gekennzeichnet ist, dass sich eine Gruppe von Akteuren im Geheimen zusammenschließt, um ein verborgenes Ziel zu erreichen, das als rechtswidrig oder böswillig empfunden wird.
Aus sozialpsychologischer Sicht erscheint erwähnenswert, dass bei einer zunehmenden Anzahl von Menschen ein Bedarf nach geschlossenen und gut erklärbaren Erzählungen herrscht, der sich in vielen Fällen in verschwörungstheoretischem Denken äußert. Dieser Denkstil geht bei genauerer Betrachtung häufig mit der subjektiven Empfindung von Entfremdung, Machtlosigkeit, Feindseligkeit und Benachteiligung einher.
Da Menschen aus evolutiver Sicht prinzipiell und in Zeiten der Belastung besonders zur Unsicherheitsreduktion tendieren, wird das subjektive Gefühl von Kontrolle und Wirksamkeit geringer, was eine verstärkte Angst begünstigt.
Der WHO-Ratgeber für Erwachsene
Abb. 8.1 WHO-Ratgeber für Erwachsene: Umgang mit Stress in der Zeit von COVID-19
Abb. 8.2 WHO-Ratgeber für Kinder und Jugendliche: Umgang mit Stress in der Zeit von COVID-19
Abb. 8.4 Gesamtgesellschaftliche Bewältigung der COVID-19-Pandemie aus systemtheoretischer Sicht
Die gelingende Bewältigung einer Pandemie ist stärker von psychologischen Faktoren abhängig, als dies den meisten Menschen bewusst ist.