Letzte Aktualisierung am 10. Januar 2018.
Ein europaweiter Strom- und Infrastrukturausfall („Blackout“) hätte verheerende Folgen für unsere strom- und IT-abhängige Gesellschaft. Krankenhäuser verfügen zwar über eine mehrtägige Notstromversorgung. Jedoch reicht diese alleine bei weitem nicht aus, um die weitreichenden und länger andauernden Folgen eines Blackouts bewältigen zu können. Der gewohnte Dienstbetrieb kann wahrscheinlich binnen Stunden nur mehr sehr eingeschränkt aufrechterhalten werden. Binnen weniger Tage droht der Zusammenbruch der medizinischen Versorgung. Denn weder die Bevölkerung noch der niedergelassene Bereich (Ärzte, Pflegeeinrichtungen, Heimbetreuung, etc.) noch der Krankenhausbetrieb selbst sind auf ein derart weitreichendes Ereignis vorbereitet. Vor allem fehlt die wesentliche Basis, um mit einem solchen Ereignis umgehen zu können:
Die persönliche Vorsorge eines jeden Einzelnen von uns!
Die aktuelle öffentliche Kommunikation, dass Krankenhäuser auf einen weitreichenden und länger dauernden Stromausfall gut vorbereitet sind, da sie über eine eigene Notstromversorgung verfügen, verschärft die Problematik. Denn es werden damit falsche und nicht haltbare Hoffnungen geweckt.
Wesentliche Erkenntnisse für den Krankenhausbetrieb
- Der Krisenvorsorgegrad der Bevölkerung ist generell äußerst mangelhaft. Die Selbstversorgungsfähigkeit mit lebenswichtigen Gütern reicht häufig nur für wenige Tage. Das betrifft genauso das Krankenhauspersonal wie auch das Personal anderer wichtiger Einrichtungen und Organisationen. Die Verfügbarkeit des Personals ist daher im Fall einer weitreichenden Katastrophe aufgrund der zu erwartenden persönlichen und familiären Notlagen nicht sichergestellt.
- Nach dem unmittelbaren großflächigen Stromausfall („Blackout“!, auch bei nur 12-24 Stunden!) ist mit umfassenden und länger andauernden Engpässen bei der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern zu rechnen. Daher muss bereits binnen weniger Tage auch mit einer Eskalation in Krankenhäusern gerechnet werden.
- Eine rasche Überlastung der Krankenhäuser ist auch insofern zu erwarten, als dass der niedergelassene Bereich sowie die Apotheken derzeit so gut wie nicht auf ein derartiges Ereignis vorbereitet sind.
- Besonders problematisch dürfte die Versorgung in Pflegeeinrichtungen werden, da diese stark von externen Leistungen abhängig sind. Es droht daher eine rasche Verlagerung der in Pflegeeinrichtungen auftretenden Probleme in die Krankenhäuser, was jedoch unbedingt zu vermeiden ist.
- Die Rolle und Priorität der Eigenversorgung (Wasser, Abwasser, Küchenbetrieb, etc.) wird unterschätzt.
- Derzeit ist nicht geklärt ab wann und durch wen ein Treibstoffnachschub für die Notstromeinrichtungen im Fall eines weitreichenden Strom- und Infrastrukturausfalls erfolgen wird. Die für den Regelfall vorgesehenen Prozesse werden nicht funktionieren!
- Durch den Notstrombetrieb wird das Krankenhaus zur „Lichtinsel“, wodurch vor allem in der kalten und dunklen Jahreszeit rasch hilfesuchende Menschen angezogen werden. Ohne einer vorbereiteten und rasch durchgeführten Personenstromlenkung bereits vor dem Zutritt in das Krankenhausgelände könnte der geordnete Betrieb binnen weniger Stunden völlig lahmgelegt werden.
- Der größte Ansturm auf die Krankenhäuser sollte erst nach dem Primärereignis (großflächiger Stromausfall >12 Stunden) erwartet werden. Dann, wenn die öffentliche Stromversorgung und Teile der Telekommunikationsversorgung wieder nach mehreren Tagen zu funktionieren beginnen und Menschen, die bisher keine Hilfe bekommen konnten bzw. nicht versorgt wurden, sich bereits in einer medizinischen Notlage befinden. Zu diesem Zeitpunkt werden jedoch die Personalressourcen schrumpfen, da auch von persönlichen familiären Notlagen des Krankenhauspersonals auszugehen ist. Zudem wird die Leistungsgrenze jenes Personals erreicht werden, welches möglicherweise schon mehrere Tage im Einsatz war. Daher ist eine möglichst lange dezentrale Notversorgung mit lebensnotwendigen Gütern (Trinkwasser, Lebensmittel, Medikamente, etc.) und Leistungen (Pflege, medizinische Erstversorgung, etc.) im niedergelassenen Bereich und zu Hause unverzichtbar.
- Krankenhäuser sind daher trotz der verfügbaren mehrtägigen Notstromversorgung wie der Rest der Gesellschaft nicht auf einen weitreichenden Strom- und Infrastrukturausfall vorbereitet. Die Nachwirkungen einer solchen Katastrophenlage werden in der Regel unterschätzt. Die medizinische (Not-)Versorgung der Bevölkerung wird daher bereits nach wenigen Tagen nur mehr sehr eingeschränkt möglich sein.
Erforderliche Sofortmaßnahmen für das Szenario „Blackout“
- Erhöhung der persönlichen Selbstwirksamkeit des gesamten Personals im familiären Bereich
- Auseinandersetzung mit dem Szenario in allen Krankenhausbereichen (Technik, Medizin, Pflege, Verwaltung, etc.)
- Vorbereitung einer Personenstromlenkung, um überhaupt einen Notbetrieb aufrechterhalten zu können
- Vorbereitung einer katastrophenmedizinischen Notversorgung
- Vorbereitung einer Notversorgung des Personals und der Patienten (Verpflegung, Ruhemöglichkeiten)
- Sicherstellung des raschen Wiederanlaufs der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Treibstoff während und nach dem Primärereignis
Weiterführende Informationen im Leitfaden „Der Krankenhausbetrieb im Fall eines weitreichenden Strom- und Infrastrukturausfalls“
TAB-Studie 2011 – Gesundheitswesen
Die mehrjährige Studie „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung“ des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag kam daher bereits 2011 zum Schluss:
Nahezu alle Einrichtungen der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung der Bevölkerung sind von Elektrizität unmittelbar abhängig. Das dezentral und hocharbeitsteilig organisierte Gesundheitswesen kann den Folgen eines Stromausfalls daher nur kurz widerstehen. Innerhalb einer Woche verschärft sich die Situation derart, dass selbst bei einem intensiven Einsatz regionaler Hilfskapazitäten vom weitgehenden Zusammenbrechen der medizinischen und pharmazeutischen Versorgung auszugehen ist.
Bereits nach 24 Stunden ist die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens erheblich beeinträchtigt. Krankenhäuser können mithilfe von NSA noch einen eingeschränkten Betrieb aufrechterhalten, Dialysezentren sowie Alten- und Pflegeheime aber müssen zumindest teilweise geräumt werden und Funktionsbereiche schließen. Die meisten Arztpraxen und Apotheken können ohne Strom nicht mehr weiterarbeiten und werden geschlossen.
Arzneimittel werden im Verlauf der ersten Woche zunehmend knapper, da die Produktion und der Vertrieb pharmazeutischer Produkte im vom Stromausfall betroffenen Gebiet nicht mehr möglich sind und die Bestände der Krankenhäuser und noch geöffneten Apotheken zunehmend lückenhaft werden. Insbesondere verderbliche Arzneimittel sind, wenn überhaupt, nur noch in Krankenhäusern zu beziehen. Dramatisch wirken sich Engpässe bei Insulin, Blutkonserven und Dialysierflüssigkeiten aus.
Der dezentral strukturierte Sektor ist schon nach wenigen Tagen mit der eigenständigen Bewältigung der Folgen des Stromausfalls überfordert. Die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens wird nicht nur durch die zunehmende Erschöpfung der internen Kapazitäten, sondern auch durch Ausfälle anderer Kritischer Infrastrukturen reduziert. Defizite bei der Versorgung, beispielsweise mit Wasser, Lebensmitteln, Kommunikationsdienstleistungen und Transportdienstleistungen, verstärken die Einbrüche bei Umfang und Qualität der medizinischen Versorgung.
Die Rettungsdienste können nur noch begrenzt für Transport- und Evakuierungseinsätze eingesetzt werden. Sie sind durch die Beeinträchtigungen der Kommunikationsinfrastruktur von Notrufen der Bevölkerung weitgehend abgeschnitten. Auch ist die Koordination der Einsätze erheblich erschwert. Probleme bereitet auch die schwindende Verfügbarkeit von Treibstoff. Die präklinische medizinische Versorgung ist deshalb massiv beeinträchtigt. Der Zusammenbruch der in Krankenhäusern konzentrierten Versorgung droht. Einige Krankenhäuser können zunächst eine reduzierte Handlungsfähigkeit bewahren und sind dadurch zentrale Knotenpunkte der medizinischen Versorgung. Sie verfügen meistens noch über einen gewissen Bestand an Medikamenten sowie ausreichend Personal und Treibstoff. Medizinisches Personal der ambulanten Versorgung unterstützt die Arbeit der Krankenhäuser. Jedoch führt diese verhältnismäßig gute Ausstattung auch dazu, dass dann, wenn andere Einrichtungen (wie Alten- und Pflegeheime, Dialysezentren) geräumt werden müssen, auf Krankenhäuser ausgewichen wird, sodass der Zusammenbruch der noch vorhandenen Kapazitäten droht. Zwar ist in den Notfallplänen der Krankenhäuser die Entlassung möglichst vieler Patienten vorgesehen. Doch können wegen der katastrophalen Zustände außerhalb der Kliniken allenfalls Patienten entlassen werden, die sich selbstständig versorgen können.
Spätestens am Ende der ersten Woche wäre eine Katastrophe zu erwarten, d. h. die gesundheitliche Schädigung bzw. der Tod sehr vieler Menschen sowie eine mit lokal bzw. regional verfügbaren Mitteln und personellen Kapazitäten nicht mehr zu bewältigende Problemlage. Ohne weitere Zuführung von medizinischen Gütern, Infrastrukturen und Fachpersonal von außen ist die medizinischpharmazeutische Versorgung nicht mehr möglich.
Krankenhäuser spielen als Ankerpunkte der medizinischen Versorgung der Bevölkerung eine zentrale Rolle. Zwar kann ihnen eine gewisse Robustheit zugebilligt werden, diese wird aber nicht ausreichen, um die Ausfälle aller weiteren Einrichtungen – insbesondere der dezentralen ambulanten Versorgung – zu kompensieren. Für die zumeist vorhandenen NSA muss deshalb eine kontinuierliche Nachführung von Treibstoff sichergestellt werden. Dazu kämen in begrenztem Umfang die Vorhaltung von Treibstoff auf dem Gelände oder Vereinbarungen mit Lieferanten (die Lieferungen angesichts der allgemeinen Folgen des Stromausfalls wahrscheinlich kaum realisieren könnten) infrage. Einspeisepunkte für die Notstromversorgung wären grundsätzlich bereits bei der Planung vorzusehen. Schließlich sollten Krankenhäuser als prioritär Berechtigte für die Zuteilung von Treibstoff durch die Katastrophenschutzbehörde bestimmt werden. Ein weitergehender Ansatzpunkt ist die Gewinnung eines möglichst hohen Grades an Energieautarkie und Inselnetzfähigkeit, wie in Kliniken im Ansatz bereits vielfach im Rahmen von Umweltschutzbemühungen und Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs realisiert. Zur Sicherstellung der Trinkwasserversorgung von Krankenhäusern sollten verstärkt Möglichkeiten zur Aufbereitung bzw. zum Transport des Wassers aus Notbrunnen zu den Krankenhäusern bzw. Behelfskrankenhäusern geprüft werden.
Eine verbesserte Bevorratung von Sanitätsmitteln könnte zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit erheblich beitragen. Es könnte auch erwogen werden, im Arzneimittelgesetz weitere Ausnahmeregelungen für Notfälle und Katastrophen vorzusehen. Ziel müssten praxisnahe Regelungen für den langandauernden Katastrophenfall und die Versorgung der Bevölkerung sein. Schließlich erscheint es unabweisbar, Hersteller und Großhandel sowie Apotheken in die Katastrophenbewältigung einzubeziehen. Voraussetzung wäre dabei, dass die genannten Akteure Vorsorge für Herstellung und Verteilung bei einem längeren Stromausfall zu treffen hätten. Dazu müsste geprüft werden, in welcher (rechtlichen) Form dies umsetzbar sein könnte.
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