Quelle: von Ullrich Fichtner, André Geicke, Matthias Geyer, Andreas Wassermann, DER SPIEGEL, 19.08.2017

Seit elf Jahren wird in Berlin an einem Flughafen gebaut. Er ist noch immer eine Ruine, die täglich eine Million Euro kostet. Hier ist ihre Geschichte. Sie erzählt vom Versagen deutscher Politik, deutscher Industrie – und vom Kollaps deutscher Tugenden.

Genehmigung, Verantwortung und Haftung, die nur leider alle früher oder später brachen. Hauptgrund dafür war – und allein deshalb gibt es weiterhin großen Aufklärungsbedarf –, dass es vielen, wenn nicht den meisten Verantwortlichen, den Bauherren zumal und den sogenannten Aufsichtsräten, in teils eklatantem Maß an Verantwortungsbewusstsein mangelte. Über einschlägige Sachkenntnis verfügten die meisten Entscheider ohnehin nicht.

Die Teile dieses journalistischen Puzzles ergeben – einmal zum Ganzen gelegt – das Bild eines deutschen Bankrotts. Zu ihm gehört, nicht zuletzt und wie so oft, die menschliche Unzulänglichkeit. Sie ist ein wesentlicher Treiber auch dieses Desasters, in dem Weltgeschichte und Kirchturmpolitik, Großmannssucht und Kleinkariertheit, Rechtsstaat und Rechthaberei so durcheinandergehen, dass jahrzehntelang alles Mögliche geschieht, nur das eigentlich Geplante nicht: die Errichtung und Eröffnung eines neuen Flughafens.

Der Betrieb eines Flughafens ist offenkundig etwas anderes als der Bau eines Flughafens, und wer das eine kann, kann noch lange nicht das andere. Im Organigramm hat sich das aber nie ausreichend niedergeschlagen.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass beide Bosse der Flughafengesellschaft nicht wissen wollen, was auf der Baustelle passiert. Sie wollen vor allem nichts über Probleme hören, sie wollen gute Nachrichten, mit denen sie im Aufsichtsrat gut dastehen. Wer dieses Schweigekartell durchbricht und normale Fragen stellt wie ein erwachsener Mensch oder einfach eine Wahrheit ausspricht, selbst wenn sie unangenehm ist, wird in Sitzungen angeschrien, beschimpft und zum Schweigen gebracht.

Es ist ein bitterer Befund: Die Verantwortungslosigkeit ist allgemein. Die Staatssekretäre des Bundes, Gatzer und Bomba, gut ausgebildete, gut informierte Leute, sie sitzen da und schweigen und lassen alles laufen, genau wie alle anderen. Wie die Minister und Senatoren, die Betriebsräte und Gewerkschafter, alle tun entweder ahnungslos, oder sie sind es, was im Ergebnis auch keinen Unterschied macht. Es ist eine seltsame, peinliche Stille.

Kommentar

Eine bittere Geschichte, die leider wohl nicht einzigartig bleiben wird. Auch die deutsche Energiewende weist ähnliche Muster auf: Markt & Wunschvorstellungen zählen mehr, als physikalische Gesetze und infrastrukturelle Rahmenbedingungen. Die steigende Verwundbarkeit der Infrastrukturen wird ausgeblendet, oder wie heute John Casti meine Einschätzung wieder einmal bestätigte: I could not agree with you more. Absence of evidence is never evidence of absence. We’re sitting on top of a volcano—-but no one wants to recognize it because they haven’t the faintest idea what to do.“

Besonders gut gefällt mir der Satz: Chaos hat die Eigenschaft, nicht linear zu wachsen, sondern exponentiell. 

Etwas, dass auch beim Szenario „Blackout“ völlig unterschätzt wird.