Quelle: www.deutschlandfunk.de

Im Jahr 1983 kündigte US-Präsident Ronald Reagan seine „Strategic Defense Initiative“ an, mit der er neben feindlichen Atomraketen auch gegnerische Satelliten lahmlegen wollte. Wegen der eher größenwahnsinnigen Dimension erhielt die Initiative den Beinamen „Star Wars“.

Am 11. Januar 2007 startet China eine Rakete in den Weltraum. Es ist keine gewöhnliche Trägerrakete vom Typ Langer Marsch, mit der China sonst Satelliten ins All schießt. Es ist eine militärische Mittelstreckenrakete. Und sie steigt bis auf 865 Kilometer auf. In eine Höhe auf der militärisch betriebene Satelliten vieler Staaten kreisen.

Das Geschoss trifft und zerstört einen eigenen Satelliten: FengYun-1C. Ein ausgedienter, acht Jahre alter chinesischer Wettersatellit. Brian Weeden hat das Manöver analysiert. Lange war er Offizier bei der US-Luftwaffe, heute ist er technischer Berater beim unabhängigen Thinktank Secure World Foundation in Washington DC:

„Seit zehn Jahren entwickelt China jetzt Waffensysteme, die Satelliten zerstören können. Beim Test von 2007 wurde ein Projektil vom Boden aus auf einen ihrer eigenen Satelliten geschossen. Und das erzeugte ungefähr 3000 Fragmente größer als zehn Zentimeter.“

Trümmer wirken in der Umlaufbahn wie Geschosse. Sie gefährden alles, was dort kreist. Warum hat China diesen Kollateralschaden in Kauf genommen – für einen Test ohne Not?

„Der Raketentreibstoff Hydrazin ist für den Menschen gesundheitsschädlich. Und wir versuchen, dieses Risiko zu verringern.“

Das gibt US-Sicherheitsberater General James Cartwright in einer Pressekonferenz am 14. Februar 2008 zu Protokoll, gerade ein Jahr nach Chinas Satellitenabschuss. Sieben Tage später steigt von einem Lenkwaffenkreuzer im Pazifik eine Boden-Luft-Rakete auf und zerstört USA-193, einen offenbar defekt gestarteten Satelliten des US-Geheimdienstes. Immerhin in einer Höhe von nur 250 Kilometern, wo Weltraumschrott in der dünnen Restatmosphäre schnell verglüht. Es ist der erste Anti-Satelliten-Einsatz des US-Militärs seit zwei Jahrzehnten.

Holger Krag ist bei der ESA zuständig für Weltraumschrott. Großen Trümmern könnten Satelliten ausweichen, sagt er. Sorge bereiten ihm deshalb vor allem die kleinen Trümmer, denn die sind unsichtbar für jedes Radar. Krags Murmel hat die zehn Zentimeter dicke, massive Aluminiumplatte spielend durchbohrt.

„Von diesen Objekten, ein Zentimeter und darüber, schätzen wir, dass wir 700.000 im All haben. Die Dynamik ist eine ganz andere als die, die wir durch Gewehrkugeln kennen mit den niedrigen Geschwindigkeiten. Wir nennen das die Hochgeschwindigkeitseintrittsphysik.“

Raumfahrtingenieure fürchten bei weiteren Zusammenstößen eine Kettenreaktion, die die Trümmer immer weiter fragmentiert. Die größte Wolke aus Weltraumschrott kreist heute in einer Höhe von rund 800 Kilometern, genau dort also, wo strategisch entscheidende Spionage- und Kommunikationssatelliten ihre Bahnen ziehen, aber auch viele Erdbeobachtungssatelliten und Wettersatelliten. Ein Raketeneinschlag wäre hier verheerend.

Satelliten zählen heute zur kritischen Infrastruktur, die im Falle eines Konflikts im All auf Jahrhunderte eingeschränkt werden würde. Eine Zeit ohne Satelliten wäre für Brian Weeden schwer vorstellbar.

Im Frühjahr 2015 manövriert sich ein militärischer Satellit Russlands direkt zwischen zwei kommerzielle Kommunikationssatelliten aus den Vereinigten Staaten. Er bezieht gerade noch zehn Kilometer entfernt Stellung. Eine Nachfrage des Betreibers bei der russischen Botschaft über den Zweck des Manövers bleibt unbeantwortet.

Eine Detonation in der Umlaufbahn birgt ein hohes Risiko für alle, die dort arbeiten wollen. Auch deshalb blieb es dort so lange ruhig. Doch das Waffenarsenal im All entwickelt sich weiter. Die Angreifer bewegen sich bereits unauffälliger, ihre Manöver sind schwerer nachzuverfolgen. Und gerade tut sich eine recht neue Möglichkeit auf, Satelliten völlig unbemerkt zu schädigen.

Ruben Santamarta ist Hacker. Er arbeitet für die angesehene Sicherheitsfirma IOActive. Und er fand heraus, dass viele Hersteller von Satellitenhardware bisher nicht damit rechnen, ein Ziel für Attacken zu werden. Er untersuchte Satellitenterminals.

Ein Satelliten-Terminal ist ein Gerät für den Zugriff auf Satelliten. Man findet sie auf Flugzeugen Schiffen, in militärischen Fahrzeugen, also an ganz unterschiedlichen Orten.“

Eine kleine steuerbare Parabolantenne und ein kleiner Computer: Mehrere Millionen dieser Geräte von mehreren Dutzend Anbietern sind weltweit im Einsatz.

Alles was Ruben Santamarta tat, war, die frei verfügbare Software zu untersuchen, die den Datenaustausch mit den Satelliten regelt. Seine Resultate sind bemerkenswert:

„Ich habe einige Dinge gefunden, die ich nicht erwartet hatte, um ehrlich zu sein. Es gibt grob vier verschiedene Schwachstellen: Da sind Hintertüren, also eigentlich Zugangsmöglichkeiten für den Entwickler. Einige Passwörter auf dem Gerät waren fest gespeichert und ließen sich nicht ändern. Die könnte man verwenden, um in das Gerät einzudringen. Und es gab auch Schwachstellen in der eingebauten Verschlüsselung, unsichere und nicht dokumentierte Protokolle zur Kommunikation.“

Mit anderen Worten: Die Sicherheitsexperten konnten die Satelliten-Terminals dazu bringen, beliebigen und potenziell auch schadhaften Code auszuführen.

„Sie haben die Möglichkeit, bösartige Daten an den Satelliten zu schicken in einer Art und Weise, auf die der Satellit gar nicht eingerichtet ist.“

2007 griffen Hacker laut eines internen Untersuchungsberichts der NASA ein Rechenzentrum des Goddard Space Flight Centers an. Sie entwendeten Daten des Erdbeobachtungs-Programms. Ein Jahr später erlangten Unbekannte Zugriff auf Terra, einen NASA-Umweltsatelliten. Die Eindringlinge stellten eine Datenverbindung zu Terra her, hätten nun unberechtigt Kommandos übertragen können. Aber aus unbekannten Gründen taten sie nichts dergleichen. Wer dahinter steckte, ist bis heute ungeklärt.

Brian Weeden: „Es ist einer der wenigen mir bekannten Fälle eines Cyberangriffs auf einen Satelliten.“

Bisher flogen vor allem uralte Satelliten durchs All. Jeder von ihnen tonnenschwer und viele Millionen Euro teuer, die Elektronik an Bord hoffnungslos veraltet. Und wer sich Zugriff verschaffen wollte, brauchte eine passende Antenne.

Das ändert sich gerade. Heute wirkt zunehmend der Geist von Silicon Valley und Internettechnologie. Dinge passieren schneller und häufiger. Und sie werden schneller weiterentwickelt.

Der Trend lässt sich nicht nur bei kommerziellen Anbietern beobachten. Hunderte neue, kleine Satelliten sollen Kunden weltweit günstiger und schneller Internetverbindungen ermöglichen. Selbst das US-Militär experimentiert mit winzigen CubeSats. Der Erdorbit wird Teil des „Internets der Dinge“.

Ruben Santamarta: „Für unsere Branche ist es das nächste große Ding. So viele Geräte werden mit dem Internet verbunden sein, deren Sicherheit wahrscheinlich nicht die beste ist.“

Kommentar

Der ganze Bericht ist lesenswert und verdeutlicht leider einmal mehr, wie leichtsinnig wir mit unserer Sicherheit umgehen und wie schnell hitzköpfige Entscheidungen, wie wir sie heute leider immer häufiger sehen, zu verheerenden Kettenreaktionen führen könnten. Und gleichzeitig haben wir so gut wie keine Rückfallebenen, sollten solche wichtigen Systeme ausfallen. Kein angenehmer Gedanke.