Letzte Aktualisierung am 01. August 2016.

Quelle: Master Thesis, Katastrophenkommunikation in der digitalen Welt: Möglichkeiten und Grenzen der Verwendung von Social Media in der Katastrophenkommunikation von ausgesuchten Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in der Steiermark, Thomas Meier

„Wer nichts verändert wird auch das verlieren, was er bewahren möchte“.
Gustav Heinemann

In Fortführung dieses Gedankens bin ich der Meinung, dass die Zeit für eine Veränderung in der BOS Ereigniskommunikation gekommen ist und Neues auch gut sein kann. Um das Aufzuzeigen, habe ich mein Bestes gegeben und hoffe, mit dieser Arbeit einen Beitrag zum An-, Um- und Querdenken geleistet zu haben.

Menschen „googeln“, „bloggen“, „chatten“, „adden“, „liken“ und „sharen“. Das ist kein neues, aber ein relevantes Phänomen. Im Besonderen für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Weltweit entdecken immer mehr Katastrophenschützer die Überlegenheit von Social Media in der Ereigniskommunikation, da das Informationsbedürfnis der Bevölkerung in Ausnahmesituationen akut und unmittelbar ist. Vor allem pressiert jenes der unmittelbar Betroffenen.

Dass nun weder Extremereignisse, noch Social Media Plattformen vor den steirischen Landesgrenzen haltmachen, liegt auf der Hand. Welche Möglichkeiten ergeben sich aber im konkreten Fall für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in der Katastrophenkommunikation der Steiermark im Zeitalter der Vernetzung von „Vielen und Vielem“? Wo sehen sie ihre Grenzen?

Diesen und weiteren Fragestellungen widmet sich die vorliegende Masterarbeit. Anhand qualitativer Interviews mit „Entscheidungsträgern“ und „Kommunikatoren“ im steirischen Katastrophenschutzmanagement wird untersucht und analysiert, ob die steirischen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben den Herausforderungen der Katastrophenkommunikation in der digitalen Welt gewachsen sind.

Conclusio und Schlussfolgerungen

Die Bewältigung von Schadenslagen großer Dimension verleiht dem Zivil- und Katastrophenschutz in der Steiermark einen bedeutenden Stellenwert. Notsituationen aus der Vergangenheit und der Gegenwart zeigen immer wieder, dass die Öffentlichkeit bei Elementarereignissen oder in Katastrophenfällen auf ein starkes Netzwerk kompetenter Hilfeleistung im steirischen Katastrophenschutz vertrauen darf. Feuerwehren, Rettungsorganisationen, Polizei und Bundesheer arbeiten mit der Steiermärkischen Landesregierung, den zuständigen Katastrophenschutzbehörden sowie den Gemeinden im Anlassfall eng und vertrauensvoll zusammen. Die steirische Sicherheitsarchitektur setzt sich aus einer Vielzahl von Spezialisten zusammen, die in den unterschiedlichsten Disziplinen ihr Wissen und ihr Know-how zu Gunsten des steirischen Katastrophenschutzes einfließen lassen. Grundlegend für alle Prozessbeteiligten im Katstrophenschutz ist, sich ihre Stärken und Schwächen bewusst zu machen und welche Entwicklungen wann, wie und warum notwendig sind – vor allem in der Domäne einer proaktiven Ereigniskommunikation. Der Fortschritt hält Veränderungen für viele Bereiche der Gesellschaft bereit. Das ist Fakt. Das „wann“ ist klar – es ist das „Jetzt“. Die Vernetzung von Vielen ist Teil einer neuen, aber realen Lebenswelt. Nahezu jedes, (noch so) private Ereignis, wird mit der Welt im Social Web geteilt. SoMe bestimmen als Teil eines irreversiblen und dynamischen Informationsprozesses den Alltag.

Demgegenüber steht, dass bei den steirischen BOS zurzeit keine konkreten Überlegungen zur Nutzung von SoMe in der Ereigniskommunikation existieren. Die Historie zeigt jedoch, dass SoMe in der behördlichen wie zivilen Katastrophenkommunikation einen immer größer werdenden Zuspruch erfahren. Beispiele dafür zeigen sich gleichermaßen in Europa, wie im Rest der Welt. Im Folgenden werden die drei wichtigsten Erkenntnisse aus den BOSExpertengesprächen, die ein repräsentatives Stimmungsbild der handelnden Personen im steirischen Katastrophenschutzmanagement widerspiegeln, reflektiert.

Ja zu Social Media in der Ereigniskommunikation

Den Ergebnissen der Befragung zu Folge besteht bei allen Interviewpartnern prinzipielle Übereinstimmung darüber, dass Ausnahmesituationen von BOS besondere kommunikative Maßnahmen bedingen. In diesem Kontext bilden der Informationstransfer, hinsichtlich gegenwärtiger und künftiger Maßnahmen in der Ereignis- bzw. Katastrophenbewältigung, sowie das Erteilen von Anweisungen in punkto Verhaltensregeln etc. die gemeinsame Basis der Experten.

Laut Bewertung der Schlüsselkommunikatoren erfordert im Besonderen die digitale Evolution eine Weiterentwicklung bisheriger Arbeits- und Denkweisen. Vor allem wird aber ein neues Verständnis der BOS in der digitalen Ereigniskommunikation benötigt. Werkzeuge des Social Web seien laut den Befragten in diesem Kontext ebenbürtige Kommunikationskanäle, denen man sich als BOS keinesfalls länger verschließen dürfe. Konkret wird die Unentbehrlichkeit von SoMe – im Sinne einer „Conditio sine qua non“ – in der Katastrophenkommunikation postuliert. Auch die „Entscheidungsträger“ erkennen an, dass durch die „neuen Medien“ ein völlig neuer Weg im Kommunikationsmanagement einzuschlagen ist, dessen Richtung sich schon erahnen lässt: Bewährtes erhalten und Neues in Angriff nehmen.

Ja zu „liken“, „sharen“ und „twittern“: Facebook und Twitter

Dem klassischen Internet-Nutzer steht eine Vielzahl an Informations- und Kommunikationstechnologien zur Verfügung. Dass BOS in der Ereigniskommunikation nicht alle Formate und Kanäle synchron zu „bespielen“ vermögen, liegt auf der Hand. Und die Entscheidung darüber, welcher Kanal sich am besten eignet, muss langfristig Bestand haben. Das mit Abstand meist genutzte soziale Netzwerk in Österreich (wie auch weltweit) ist Facebook. Ebenso bietet sich Twitter als zügiger Informationskanal an und wird von Journalisten sowie Medienhäusern immer häufiger zur Informationsbeschaffung und Informationsverbreitung verwendet. Auch Behörden nutzen diesen MicrobloggingDienst als Kommunikationsinstrument im Zivilschutz (vgl. Kapitel 6.1.2). Diesem Trend Rechnung tragend, fokussieren die BOS-Experten auf die Nutzung dieser beiden im Social Web etablierten Dienste.

Ja zur Interoperabilität, aber…

Gibt es eine neue Dimension in der Ereigniskommunikation? Als innovatives Ergebnis der Expertengespräche präsentiert sich die prinzipielle Bereitschaft der Interviewpartner zu einer gemeinsamen SoMe-Ereigniskommunikation. Die große Mehrheit der Befragten zieht für zukünftige Entwicklungen einen moderaten Ansatz in Betracht, wonach die „Kommunikationshoheit“ zwar behördlich begleitet, jedoch der jeweils einsatzführenden Organisation – im Kontext zu den Erfordernissen einer spezifischen Einsatzsituation – zuzubilligen sei. Davon ausgenommen blieben nur Belange, die ausschließlich der behördlichen Autorität unterliegen würden. Grundsätzlich setzt das Abrücken vom behördlichen Informationsmonopol einen Paradigmenwechsel in der Katastrophenkommunikation voraus.

Ein Fazit: Möglichkeiten und Grenzen

Das Zeitalter der grenzenlosen Digitalität ist da. Computer, Smartphones und Internet etc. haben die Kommunikation in einer Art und Weise verändert, wie kaum eine andere technische Erfindung zuvor. Ein Leben ohne die Annehmlichkeiten sozialer Medien ist für einen Großteil der Gesellschaft kaum noch vorstellbar. So ist die bewusste Auseinandersetzung mit der „Katastrophenkommunikation in der digitalen Welt“ auch für BOS von besonderer Relevanz. Während sich steirische BOS dem Thema SoMe im Katastrophenmanagement noch zaghaft nähern, gibt es positive Beispiele aus dem europäischen und US-amerikanischen Raum. Diese zeigen Möglichkeiten auf, wie Maßnahmen rund um das Thema Bevölkerungsschutz und Ereigniskommunikation im Social Web praktikabel und nutzerzentriert zu lösen sind.

Diese Beispiele signalisieren aber auch, dass die Ereigniskommunikation der BOS Steiermark in der digitalen Welt noch nahezu inexistent ist. Um in diesem Kontext als Behörde oder Einsatzorganisation überhaupt erfolgreich zu bestehen, muss über bisherige Grenzen klassischer Kommunikationskanäle sowie bestehende Informationsmonopole hinausgedacht werden. Zur Entwicklung eines dynamischen Informationsinstruments im Bevölkerungsschutz braucht es eine langfristige Strategie. Diese beginnt mit einem ersten Schritt, der im Sinne von Effizienz und Effektivität in der Ereigniskommunikation bereits im „Jetzt“ beginnen muss, um noch vor der „nächsten Großschadenslage“ eine Präsenz im Social Web aufbauen und Vertrauen schaffen zu können. Denn, neben der Kommunikation von individuellen Schutzmaßnahmen in punkto Vorsorge, Aufklärung und Warnung, geht es in der digitalen Ereigniskommunikation im Wesentlichen darum, zu erkennen, was die Menschen in Ausnahmesituationen wirklich bewegt – um punktgenau und empathisch zu reagieren.

Es wird Weitsicht und flexibles Handeln gebraucht, um die digitale Welt im heimischen Katastrophenmanagement real werden lassen zu können. Nicht alles, was sich erneuert, kann und wird zur Zufriedenheit Aller gereichen. Für den steirischen Zivil- und Bevölkerungsschutz offenbart der (mögliche) Einstieg in die „neue Form“ der Katastrophenkommunikation jedoch eine große Chance, an gesellschaftlichen wie auch informationstechnologischen Entwicklungen zu partizipieren und davon zu profitieren. Nicht selten ist es bekanntlich in Ausnahmesituationen der Fall, dass Bürger über wesentlich mehr relevante und für BOS in der Erstphase eines Ereignisses nützliche Daten und Informationen verfügen. Tatsache bleibt, dass die noch anstehenden Aufgaben für BOS in Belangen der digitalen Katastrophenkommunikation herausfordernd sein werden.

Neben den Möglichkeiten sind auch Grenzen zu nennen, selbst wenn das Social Web im allgemeinen Verständnis „grenzenlos“ zu sein scheint. Denn wenn es um die Entwicklung eines neuen Instruments oder eine Plattform für den Bevölkerungsschutz geht, so zeigen sich im Besonderen Grenzen für Behörden vor dem Hintergrund rechtlicher Rahmenbedingungen auf. Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht oder datenschutzrelevante Aspekte sind jene Einflussgrößen, die es klar zu prüfen und regeln gilt.

Dass soziale Medien überdies missbräuchlich oder irreführend (z.B. Hoax, Falschmeldung) verwendet werden (können), ist ebenso nicht auszuschließen, wie die Möglichkeit eines „Shitstorms“. Beides sind im SoMe-Alltag mögliche Erscheinungsformen, die im Akutfall einer Ereigniskommunikation zu besonders intensiven Herausforderungen für BOS-Kommunikatoren werden, aber in einem stringent organisierten Katastrophenschutzmanagement nicht unlösbar scheinen. Als weitere Grenzen werden fehlende personelle Ressourcen oder eine unzureichende finanzielle Mittelausstattung indiziert, die durch entsprechende Argumentation auch als prinzipiell überwindbar angesehen werden können.

Ausblick

Aufgrund der Erkenntnisse aus der Fachliteratur und den Expertengesprächen werden abschließend vom Verfasser folgende Empfehlungen abgegeben.

Aufbau einer Community

Um im Social Web als BOS erfolgreich zu interagieren, wird eine entsprechende „Community“ vorausgesetzt. Diese zum Zweck der Ereigniskommunikation aufzubauen, setzt innovative Maßnahmen im behördlichen Umfeld voraus. Insbesondere ist die „Entscheidungsträgergruppe“ der Fachabteilung für Katastrophenschutz und Landesverteidigung darin gefordert, über die Implementierung von SoMe-Kanälen (Facebook und Twitter) zu befinden. Es scheint zielführend zu sein, diese zwei SoMe-Kanäle im direkten Umfeld der Landeswarnzentrale anzusiedeln, da diese im permanenten Betrieb rund um die Uhr geführt wird. Im Regelbetrieb ist die Betreuung durch das diensthabende Disponententeam gewährleistet. Für den Fall einer Akutlage sind Personalressourcen vorzuhalten. Strategien im Hinblick auf das Kommunikationsmanagement, wie z.B. die Beantwortung oder Weiterleitung von Anfragen, sind behördlicherseits zu definieren.

Übergreifendes Informationsmanagement

Die Verwendung von SoMe-Kanälen zeigt sich gegenwärtig als äußerst heterogen. Nicht für alle BOS zählt die Präsenz im Social Web zur Selbstverständlichkeit. Eine digitale Ereigniskommunikation der steirischen BOS setzt entsprechende Homogenität voraus. Dies bedingt wiederum ein kanalübergreifendes Informationsmanagement und „Monitoring“. Eine interessante Perspektive bietet in diesem Kontext das Projekt RESCUE an, in dem an der Entwicklung einer webbasierten Anwendung zur überorganisationalen Zusammenarbeit bzw. am „Monitoring“ bzw. der Verifizierbarkeit von Datenströmen gearbeitet wird.

Bedarfsorientierter Informationstransfer

Neben der (behördlichen) Publikation aktueller BOS-Lageinformationen im Falle einer Großschadenslage oder einer Katastrophe scheint für den Anlassfall eine standardisierte Bevölkerungswarnung über BOS-Websites und BOS-SoMe-Kanäle sinnvoll zu sein. Dies kann durch die Entwicklung einheitlicher Templates zu verschiedensten Gefahrensituationen (Eisregen, Schneefall, Straßenglätte, Sturm, Starkregen etc.) bewerkstelligt werden. Mehrsprachig verfasst, ist eine Ausrichtung entlang essentieller Paramater im Zivilschutzbereich wie „Warnung, Einschränkung, Aufruf, Beurteilung, Empfehlung bzw. Entwarnung“ erstrebenswert. Nach entsprechender behördlicher Beauftragung kann eine Distribution über die Kanäle der BOS als gewährleistet angesehen werden. Die nachfolgenden Grafiken sollen dazu eine Anregung geben. Überdies ist im Rahmen des bedarfsorientierten Informationstransfers ein Dialog mit österreichischen Netzbetreibern zu führen, um netzunabhängig eine behördlich autorisierte „Push-SMS-basierte“ Akutwarnung an Menschen übermitteln zu können, deren Smart- bzw. Mobiltelefone in Sendemasten einer gefährdeten Region eingeloggt sind.

Internetplattform

Als klare Schlussfolgerung dieser Arbeit sollte eine strategische Zielsetzung die Entwicklung und der Aufbau einer interaktiven Bevölkerungsschutzplattform mit Applikationen für mobile Endgeräte sein. Eine Orientierung kann am Beispiel der Schweiz (ALERTSWISS) oder der US-amerikanischen Katastrophenschutzbehörde FEMA erfolgen. Dies indiziert die ehestmögliche Implementierung eines Arbeitskreises unter der koordinativen Leitung der Fachabteilung für Katastrophenschutz und Landesverteidigung. Konkret ist die Beteiligung aller für die Katastrophenkommunikation relevanten BOS-Kommunikatoren anzustreben, um im nachfolgenden strategischen Diskurs eine größtmögliche thematische Breite abzudecken. Die Bestimmung des Arbeitskreises besteht in der Definition von Aufgaben und Zielen in der Domäne der digitalen Katastrophenkommunikation. Das folgt auch dem Gedanken der angestrebten Interoperabilität in der Ereigniskommunikation.

Zum Abschluss

Zusammenfassend lag das Hauptziel des Verfassers dieser Arbeit darin, den erheblichen Mehrwert von SoMe in der Ereigniskommunikation aufzuzeigen. Die Ausführungen in diesem Werkstück sollen den Blick auf die digitale Welt in Bezug auf die BOS-Kommunikation in Ausnahmesituationen schärfen. Die prinzipielle Intention ist darüber hinaus, ein An-, Um-, Über- und Querdenken kommunikativer Prozesse im Katastrophenschutzmanagement zu erreichen.

Kommentar

Siehe dazu auch „Die integrierte Sicherheitskommunikation„, „Staatliches Katastrophenmanagement: Krisenkommunikation 2.0, 2014, und „Die Netzwerkgesellschaft und Krisenmanagement 2.0„, 2012.

Und wie sich zeigt, gibt es zwischen „ja, sollte man machen und nutzen“ und „tatsächliches Handeln“ eine massive Lücke. Das Thema wird schon seit langem aufgezeigt, aber kann sich offensichtlich in Österreich nicht etablieren.