Letzte Aktualisierung am 14. August 2015.
Das bereits 2008 erschienene Buch „Weltrisikogesellschaft – Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit“ vom Anfang 2015 verstorbenen Soziologen Ulrich Beck vermittelt weitere Einblicke in die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen (Stichwort: Transformation zur Netzwerkgesellschaft – von Ulrich Beck als „Zweite Moderne“ bezeichnet). Viele Aspekte passen auch zum Risikoparadox von Ortwin Renn. Zum anderen haben sich einige Aussagen von damals bereits mehrfach in der Zwischenzeit in der Realität bestätigt.
Ulrich Beck zeigt einmal mehr, dass es oftmals nicht am Wissen, sondern an unseren Schlussfolgerungen und am entsprechenden Handeln fehlt.
Hierzu möchte ich hier wieder einige relevante Zitate bringen:
Eine Versuchung zur unzulässigen Vereinfachung liegt darin, die jeweilige Entscheidung als eine Entscheidung zwischen sicheren und riskanten Alternativen darzustellen, indem man die Unwägbarkeiten des eigenen Vorschlags verdrängt, die Riskanz der anderen Risiken dagegen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. S. 17.
In der Kategorie des Risikos drückt sich also der Umgang mit Ungewißheit aus, die heute oft nicht durch ein Mehr an Wissen überwunden werden kann, sondern aus einem Mehr an Wissen hervorgeht. Manchmal wird dieses Nicht-Wissen-Können verdrängt, manchmal gerät es ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wird zum Schreckensszenario, mit dem sich trefflich Geschäfte und Machtspiele betreiben lassen. S. 22.
Die Undurchdringlichkeit, Allgegenwart und Unentscheidbarkeit systemischer Risiken werden auf den einzelnen abgewälzt. S. 23.
Der Glaube, die moderne Gesellschaft könne die in ihr erzeugten Gefahren kontrollieren, zerfällt – nicht aufgrund von Versäumnissen und Niederlagen der Moderne, sondern aufgrund ihrer Siege. S. 26.
Es gehört zur Erfolgsgeschichte des Terrorismus, daß weder die US-Regierung noch die europäischen Regierungen, noch die in den Massenmedien tätigen Journalisten diese Bedeutung der Inszenierung bislang erkannt haben: Wie sie die Täter ungewollt unterstützen, indem sie im Kampf um die Bilder in den Köpfen der Menschen die Antizipation des Terrorismus als globale Gefahr inszenieren, zumindest daran mitwirken – und ihnen auf diese Weise zu weiterer Macht verhelfen. S. 31.
Siehe hierzu auch meine Publikation Hybride Bedrohungspotenziale im Lichte der Vernetzung und Systemischen Denkens bzw. die Kommentare unter dem Tag Terrorismus.
Es ist unwesentlich, ob wir in einer Welt leben, die ‚objektiv‘ sichererer ist als alle vorangegangenen – die inszenierte Antizipation von Zerstörungen und Katastrophen verpflichtet zu vorbeugendem Handeln. Dies gilt insbesondere für den Staat, der – weil die Garantie der Sicherheit seiner Bürger zu seinen vorrangigen Aufgaben gehört – damit zu Antizipation und Vorsorge gezwungen ist, und dies selbst dann, wenn die zuständigen Instanzen (Wissenschaft, Militär, Rechtsprechung) nicht über die entsprechenden Mittel verfügt (z. B. weil ihre Antwortmöglichkeit auf globale Risiken auf den Horizont des Nationalstaats begrenzt sind). S. 32.
Die Riskanz der Risikoanalyse liegt also darin, daß das Denken bislang undenkbarer Gefahren zu deren ungewollter Geburtshilfe werden kann. S. 39.
Alle rationalen Kontrollanstrengungen zeitigen neue ‚irrationale‘, unberechenbare, unvorhersehbare Folgen. Dies belegt die bisherige Geschichte und Erforschung der ‚Nebenfolgen‘. S. 47.
Das aber heißt, Normalitätsstandards, Meßverfahren und damit die Kalkulationsgrundlagen für Gefahren erweisen sich als unanwendbar, Unvergleichbares wird verglichen, Kalkulation schlägt in Verschleierung um: Es entsteht die „organisierte Unverantwortlichkeit“. Sie beruht auf einer „Verwechslung der Jahrhunderte“ Die Herausforderungen zu Anfang des 21. Jahrhunderts werden in Begriffen und Rezepten behandelt, die der früheren Industriegesellschaft des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts entnommen sind. Die Gefahren, denen wir ausgesetzt sind, entstammen einem anderen Jahrhundert als die Sicherheitsversprechen, die sie bändigen versuchen. S. 62.
Zwei gegenläufige historische Entwicklungen prallen also in Europa aufeinander: ein hohes Sicherheitsniveau, das auf der Perfektionierung technisch-bürokratischer Normen und Kontrolle gründet, und die Verbreitung historisch neuartiger Gefahren, die durch alle Maschen von Recht, Technik und Politik fallen. Dieser nichttechnische, gesellschaftlich-politische Widerspruch bleibt verdeckt, solange die alten industriellen Rationalitäts- und Kontrollmuster halten. Er bricht in dem Maße offen aus, in dem – wie seit den letzten Jahrzehnten – unwahrscheinliche Ereignisse wahrscheinlicher werden. S. 63.
Die Großrisiken besitzen also neben ihrer physikalischen eine soziale Explosivität. Den Institution werden mit dem Hervortreten der Gefahren, für die sie zuständig und auch wieder nicht zuständig zeichnen, immer neue Sicherheitsversprechen abgepreßt, die einzuhalten sie überhaupt nicht in der Lage sind. Einerseits geraten sie in den Dauerzwang, das Sicherste immer noch sicherer zu machen; andererseits wird auf diese Weise der Erwartungsbogen überspannt, und es werden Aufmerksamkeiten geschärft, so daß am Ende nicht allein faktische Unfälle, vielmehr bereits deren mögliches Eintreten die Fassaden der Sicherheitsbehauptungen zusammenbrechen läßt. Die andere Seite der Anerkennung von Gefahren ist das Versagen der Institutionen, die aus der Nichtexistenz der Gefahr ihre Berechtigung ableiten. S. 63.
Was taugt ein Rechtssystem, das die technisch handhabbaren Kleinrisiken in allen Einzelheiten regelt und verfolgt, die Großgefahren jedoch, soweit sie sich einer technischen Minimierung entziehen, kraft seiner Autorität legitimiert und allen – auch den vielen, die sich dagegen zur Wehr setzen – zumutet? Wie läßt sich demokratisch-politische Autorität aufrechterhalten, die dem unbegrenzt wachsenden Gefahrenbewußtsein mit energischen Sicherheitsbehauptungen entgegentreten muss, sich dadurch allerdings dauerhaft in die Defensive begibt und mit jedem Unfall oder Anzeichen eines Unfalls die gesamte Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt? S. 64.
Mit Zunahme der „ungesehenen und ungewollten Nebenfolgen“ wird es unmöglich, gemäß den geltenden Rechtsnormen die Schäden, die viele, im Grenzfall alle, erleiden, einem Verursacher zuzurechnen und zur Verantwortung zu ziehen. S. 65.
Es gibt also zwei Varianten der „organisierten Unverantwortlichkeit“: Die eine existiert innerhalb der Nationalstaaten und basiert auf der rechtlich begründeten Unzurechenbarkeit der gefahrvollen Folgen von Entscheidungen, die andere entsteht aus der Fragmentierung der Rechtsräume zwischen den Nationalstaaten. S. 68.
So hat beispielsweise eine Expertenkommission Präsident Bush die Terroranschläge in den USA wenige Monate vor ihrer Durchführung vorhergesagt und ihre Folgen beschrieben. Diese Warnung wurde als „zu hypothetisch“, als völlig unglaubwürdig in den Wind geschlagen. Nach de m global-massenmedial erfahrenen Trauma der Gewalt und Hilflosigkeit ist die Befürchtung, es komme zu weiteren Terrorattentaten, plötzlich allpräsent. Die Katastrophe selbst ist örtlich, zeitlich und sozial fixiert, sie hat einen klaren Anfang und ein klares Ende. Dies gilt nicht für das Terrorrisiko, die Inszenierung, die Erwartung der Katastrophe. S. 81.
Die Wahrscheinlichkeit unwahrscheinlicher Unfälle wächst mit der Zeit und der Zahl durchgesetzter Großtechnologien. S. 87.
Was wieder unmittelbar mit unserem Vernetzungsgrad und den damit verbundenen wechselseitigen Abhänigkeiten (Interdependenzen) zusammenhängt. Indirekt ist das auch eine Bestätigung für die Warnung vor möglichen Blackouts bzw. auch vor der unüberlegten Vernetzung in Kritischen Infrastrukturen (Stichwort: Smart …).
Auch daran entscheidet sich die Zukunft er Demokratie: Sind wir in allen Einzelheiten des Überlebens – von unserem Alltag bis zu den globalen Veränderungen – von Experten, auch von Gegenexperten, abhängig, oder gewinnen wir mit einer kulturell herzustellenden Wahrnehmbarkeit der Gefahren die Kompetenz des eigenen Urteils zurück? Lautet die Alternative nur noch: autoritäre oder kritische Technokratie? Oder gibt es einen Weg, der Entmündigung und Enteignung des Alltagslebens im Risikozeitalter entgegenzuwirken? Soziologen reden und forschen viel über Unsicherheit, aber meinen damit zumeist soziale Unsicherheit, wodurch sie übersehen, mit welchem dramatischen Niedergang der ontologischen Sicherheit die Lebenswelten, selbst in den friedlichen Ecken der Welt, heute konfrontiert sind: Die drei Säulen der Sicherheit erodierten – der Staat, die Wissenschaft, die Wirtschaft versagen bei der Erzeugung von Sicherheit – und ernennen den „selbstbewußten Bürger“ zu ihrem rechtmäßigen Erben. Aber wie sollen Individuen schaffen, was Staaten, Wissenschaft und Unternehmen nicht vermögen? Wenigsten die Soziologie muß die Lebenslüge der Zweiten Moderne aufdecken und fragen: Was heißt und wie wird das Leben in der Weltrisikogesellschaft möglich? S. 93.
Je entschiedener die Weltrisikogesellschaft geleugnet wird, um so eher wird sie Wirklichkeit. Die Mißachtung der sich globalisierenden Risiken verstärkt die Globalisierung des Risikos. (Die Vogelgrippe ist ein weiteres einschlägiges Beispiel: Die Nicht-zur-Kenntnisnahme von deren globalen Ausbreitung beschleunigt die globale Ausbreitung des Infektionsrisikos.). S. 95.
Auch hier wiederum der Bezug zum Thema „Blackout“ – je weniger wir die Möglichkeit akzeptieren und konkret entgegen steuern, desto wahrscheinlicher wird der Eintritt. Für die größte Infrastrukturtransformation aller Zeiten haben wir weder einen Plan B noch rechnen wir mit Zwischenfällen, obwohl der Umbau am „offenen Herzen“ erfolgt.
Die Ironie des Risikos liegt hier darin, daß Rationalität – und das heißt: zurückliegende Erfahrungen – dazu verleitet, die Risikobewertung nach völlig unangebrachten Maßstäben vorzunehmen, Risiken für berechenbar und kontrollierbar zu halten, während sich Katastrophen stets in Situationen ereignen, über die wir kein Wissen besessen haben und die wir folglich nicht antizipieren können. S. 95f.
Risiko bedeutet Ambivalenz. In der Moderne ist das Eingehen von Risiken für den Einzelnen wie die Regierung eine Notwendigkeit. S. 96.
Wenn das Risiko als allgegenwärtig wahrgenommen wird, stehen drei Reaktionsmöglichkeiten offen: Verleugnung, Apathie oder Transformation. S. 97.
Die Erwartung des Unerwarteten führen dazu, daß das Selbstverständliche nicht länger als selbstverständlich gilt. Der von der Gefahr erzeugte Schock verlangt nach einem Neuanfang. Wo es zu eine Neuanfang kommt, eröffnen sich neue Handlungsmöglichkeiten. S. 97.
Auch hier wieder die Bestätigung für den Ansatz, das Risiko eines möglichen Blackouts klar anzusprechen und gesellschaftlich Bewusst zu machen.
Anstelle des Entweder-Oder suche ich nach einem Sowohl-als-Auch: einem Weg, um zwei Fähigkeiten zum Neuanfang – ins Gleichgewicht zu bringen. S. 99.
Gaußsche Glockenkurve: Diese Kurve ist mehr als eine technische Beschreibung. Sie bestimmt unser Denken. Wir denken in Normalverteilungen. Das Problem dabei ist jedoch, daß Messungen von Unsicherheit mittels der Glockenkurve die Möglichkeit von abrupten Sprüngen oder Diskontinuitäten unberücksichtigt lassen, ihnen keine Bedeutung beimesse. (…) Tatsächlich können aber die gelegentlichen und unvorhersagbaren großen Abweichungen, auch wenn sie selten sind, nicht als „Ausreißer“ abgetan werden, da ihre kumulierten Auswirkungen dramatisch sind. Traditionelle Instrumente des Risikomanagements konzentrieren sich auf normale Abläufe und betrachten Extreme als Nebensächlichkeiten. In der Weltrisikogesellschaft führt dieses Vorgehen in die Irre, da hier eine Wendung zur nichtlinearen Betrachtung notwendig ist: Das Hauptaugenmerk muss sich auf die Ausnahmen richten, die nur scheinbar die Regel bestätigen. S. 101.
Jede Modellisierung von Ungewißheit verbleibt im Bannkreis der Tradition von Risikoanalyse und Risikomanagement, die ihre Wurzeln in der klassischen Sicherheitsforschung hat und die von dem Bemühen um eine gesellschaftlich akzeptierbare und effiziente „Bewältigung“ der Ungewißheit geleitet wird. S. 102.
Solche globale Risiken weisen drei Merkmale auf: 1. Delokalisation, 2. Unkalkulierbarkeit und 3. Nicht-Kompensierbarkeit: Der Sicherheitraum der Ersten Moderen schloß Schäden (auch größeren Ausmaßes nicht aus, doch galten sie als kompensierbar, ihre schädlichen Auswirkungen waren (durch Geld etc.) rückgängig machbar.
Angesichts dieser neuen Qualitäten der „Bedrohung der Menschheit!“ verliert die Logik der Kompensation ihre Gültigkeit und wird durch das Prinzip der Vorsorge durch Vorbeugung ersetzt. S. 103.
Die Basisinstitutionen, die Akteure der Ersten Moderne, deren Aufgabe darin besteht, die hergestellten Ungewißheiten zu beurteilen und zu kontrollieren, werden durch das wachsende Bewußtsein von der eigenen Ineffizienz, ja von der Konterproduktivität ihrer Maßnahmen unterminiert. Dies geschieht nicht planlos, sondern systematisch. Die Radikalisierung der Moderne bringt diese Ironie des Risikos hervor: die Wissenschaften, der Staat und das Militär werden zu einem Teil des Problems, das sie bewältigen sollen. S. 108.
Die Massenmedien gehorchen nicht den Prinzipien der Aufklärung, sondern denen der Marktrationalität und der Kapitalverwertung. S. 114.
Mit dem Siegeszug der Industriemoderen setzt sich überall eine zweckrationale Ordnungspolitik durch. Das Selbstverständnis dieser Epoche wird gertragen von einer Alles-im-Griff-Mentalität, die auch das selbsterzeugte Unkontrollierbare für kontrollierbar hält. S. 176f.
Risiken beruhen immer auf Entscheidungen, setzen also eine Entscheidungsmöglichkeit voraus. S. 202.
Das technische Risiko mag im Fall der low probability but high consequences risks gegen null tendieren, das ökonomische Risiko läuft gleichwohl gegen unendlich. S. 203.
Was gerade beim Szenario Blackout besonders schwerwiegend ist.
Wir haben es in der Weltrisikogesellschaft mit einer Nichtwissensgesellschaft in einem sehr präzisen Sinn zu tun: Sie kann nicht – wie die Vormoderne – durch mehr und besseres Wissen, mehr und bessere Wissenschaft überwunden werden, sondern wird gerade umgekehrt durch mehr und bessere Wissenschaft erzeugt. S. 211.
Je größer die Gefahr, desto größer das Nichtwissen, desto notwendiger und unmöglicher die Entscheidung (Entscheidungsparadox). S. 215.
Vorsorge für den schlimmstmöglichen Fall dagegen muss sich auf mehr oder weniger fiktive Vermutungen, Hypothesen und Phantasien verlassen, weil sie sich nicht auf entsprechende Erfahrungen stützen kann und darf. S. 217f.
Das Vorsorgeprinzip enthält die Aufforderung, Wahrscheinlichkeitsanalysen zu relativieren und der Gefahrenphantasie freiem Lauf zu lassen, also zweifelhafte Hypothesen oder auch simple Verdachtsmomente zur Grundlage von Entscheidungen zu machen. Wiederum: Was man nicht wissen kann, muß verhindert werden. S. 218.
Man weiß generell (unabhängig also von den Abstufungen von Wissen und Nichtwissen im konkreten Fall), daß nicht gesehene, ausgeblendete „Nebenfolgen“ die Selbstgefährdung, die sie zu erkennen geben, nicht auslöschen, sondern verschärfen. S. 231.
Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen. Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden versuchten (z. B. Ödipus). (…) Die nicht-erkennbaren Risiken der Risikomodelle verstecken sich unter der Oberfläche der Kontrollierbarkeit. Da moderne Formen des Risikomanagements meistens mathematische Präzisionsverfahren maximieren, unterschätzen sie systematisch das Eintreten unerwarteter und unwahrscheinlicher, aber deswegen keineswegs unmöglicher Ereignisse, und zwar sowohl was deren Häufigkeit als auch das Ausmaß der Schäden betrifft. An dieser scheinbar minimalen Differenz zwischen „unwahrscheinlich“ und „unmöglich“ trennen sich die Welten. S. 235.
Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern. S. 236.
Es gibt kein risikofreies Verhalten, damit kein gefahrenfreies. Die Übernahme von Risiken zu verweigern ist seinerseits riskant geworden. Risiken sind, vorausgesetzt, man kann überhaupt entscheiden, nicht zu vermeiden. Deshalb muß man die Hoffnung fahrenlassen, beispielsweise durch verstärkte Forschung Sicherheit wiederzuerlangen. Aus dieser Sicht erscheinen alle Versuche, auf die Selbstgefährdungen der Moderne hinzuweisen oder gar nach neuen institutionellen Antworten zu suchen, als Teil des Problems. S. 258.
Nebenfolgenkatastrophen sind dadurch charakterisiert, daß einzelne Entscheider und Entscheidungen nicht identifizierbar sind. S. 278.
Es beginnt die rastlose Suche nach der verlorenen Sicherheit mittels Maßnahmen und Strategien, die Kontrolle und Sicherheit eher vorgaukeln als gewährleisten und das allgemeine Unsicherheits- und Bedrohungsgefühl schüren. S. 279.
Erfolgskriterium ist unter anderem das Verstecken der hochgradig zivilgesellschaftlichen Verwundbarkeit des Westens. S. 280.
Je größer das Nichtwissen oder das Halbwissen um die Wirklichkeit und Möglichkeit unerwarteter Gefährdungen, desto größer die kommunikativen und politischen Turbulenzen vor und insbesondere im Katastrophenfall. Weil man nichts oder nicht Genaueres weiß, kulminieren die kulturellen und politischen Probleme, wuchern die Gerüchte und erneuern sich die Feindbilder. Gerade das macht grenzübergreifende Risiko- und Gefahrenverteilungen politisch so explosiv. Im aktuellen Katastrophenfall gelten die strikten Abgrenzungen der rechtlichen Zuordnung, Verantwortung, aber auch Information, so daß zwischen den Staaten ein heilloses Durcheinander von Sicherheitsstandards, technischen Wissen, Abwehr- und Präventionsnormen, betroffenen Märkten und politischen Eliten hervorbricht (paradigmatischer Fall: die BSE-Krise. S. 300.
Auch hier einmal mehr der Hinweis auf die Notwendigkeit einer integrierten Sicherheitskommunikation.
Transnationalstaatliche Kooperation ist die Voraussetzung auch und gerade für erfolgreiches nationales und lokales Risikomanagement. Nicht im Besehen auf lokale Autonomie und nationale Souveränität, sondern genau im Gegenteil, in deren gezielter Mißachtung kommt die Summe der Fähigkeiten hervor, die es am Ende erlaubten, über weltweite Umwege den kürzesten Weg zur Lösung der Fragen in der Region zu finden. S. 313.
Im Zuge der Globalisierung von Risiken sind Schlüsselprobleme grundsätzlich in ihrer Verursachung und in den erwartbaren Konsequenzen nicht-linear geworden, diskontinuierlich sowohl im Raum als auch in der Zeit, was sie ihrer Natur nach unvorhersehbar, kaum begreifbar und noch weniger „manageable“ macht – gemessen an den traditionellen Methoden der Beobachtung und Kontrolle. S. 316.
Daß Risiko und Verwundbarkeit zwei Seiten derselben Medaille sind, ist eine vertraute Weisheit für alle Ansätze, die Risiko als Koprodukt sehen. Doch in den letzten Jahren ist das Schlüssel- und Rätselwort „Verwundbarkeit“ zu einem Kernelement der globalen Sozialstrukturanalyse geworden: Soziale Prozesse und Verhältnisse erzeugen ein ungleiches Ausgeliefertsein an Risiken, und die daraus resultierenden Ungleichheiten müssen weitgehend als Ausdruck und Produkt von Machtbeziehungen im nationalen und globalen Rahmen gelten. Soziale Verwundbarkeit ist ein Summenbegriff, der die Mittel und Möglichkeiten umgreift, über die Individuen, Gemeinschaften oder ganze Bevölkerungen verfügen, um mit den Risiken – den „unbekannten Unbekannten“ – und den (sozialen) Unsicherheiten in ihrem Dasein fertig zu werden – oder eben nicht. S. 317f.
Als ex-post-Feststellung trägt eine Verursacherzurechnung bei irreversiblen Schäden weder zur Prävention noch zur Schadensbehebung bei. S. 328.
Existent und nicht-existent: Risiko ist nicht Katastrophe, es ist die Antizipation der Katastrophe. Damit führt das Risiko eine dubiose, heimtückisch potentielle Existenz voller Anspielungen: Es ist existent und nicht-existent, anwesend und abwesend, zweifelhaft und verdächtig. Es kann schließlich überall vermutet werden und begründet so eine Politik der Prävention. Antizipation erzwingt Vorsorge, und diese folgt – beispielhaft gesprochen – dem Kalkül: Wenn du jetzt einen Cent zahlst, sparst du morgen einen Euro. Vorausgesetzt, die Gefahr, die (noch) nicht existiert, existiert doch. S. 335.
Individuelle und soziale Verantwortung: Schon im kleinstdenkbaren Mikrokosmos definiert das Risiko eine soziale Beziehung, eine Beziehung zwischen mindestens zwei Personen: dem Entscheider, der etwas wagt, und auf diese Weise Folgen für andere auslöst, die sich nicht oder kaum wehren können. Dementsprechend lassen sich zwei Begriffe von Verantwortung unterscheiden: eine individuelle Verantwortung, die der Entscheider in Hinblick auf die Konsequenzen seiner Entscheidung für sich auf sich nimmt. Davon zu trennen ist die Verantwortung für andere, die soziale Verantwortung. Risiken werfen prinzipiell die Frage auf, welche (und darin liegt schon eine Abwehr und Abwertung) „Nebenfolgen“ ein Risiko für Andere hat, um welche Anderen es sich dabei handelt und in welchem Maße diese an der Entscheidung beteiligt sind oder eben nicht? S. 335.
Vergleiche die „unsichtbaren Fäden„.
Der Bildschirm spendet Sensation, ohne Verantwortung zu fordern, und er involviert uns in ein Spektakel, ohne uns mit der Komplexität seiner Realität zu konfrontieren. S. 339.
Diejenigen, die die Vorteile der Risiken genießen, sind nicht dieselben, die die Nachteile ausbaden müssen („Antagonismus des Risikos“). S. 341f.
Weltrisikogesellschaft: Handelt es sich doch um Gefahren und Unsicherheiten, die – anders als in vorangegangenen Epochen – nicht aus den Fehlern, sondern aus den Erfolgen der Modernisierung hervorgehen, also abhängig sind von menschlichen Entscheidungen, durch die Perfektionierung von Wissenschaft und Technik erzeugt werden, der Gesellschaft immanent sind und infolgedessen nicht externalisierbar. Sie werden kollektiv aufgezwungen und sind daher individuell unvermeidbar, objektiv unkontrollierbar und in ihrer finalen Einzigartigkeit der Weltrisikogesellschaft, die diese Epoche von der nationalen Industriegesellschaft, aber auch von allen vorangegangenen Zivilisationen unterscheidet, liegt in der entscheidungsabhängigen Verfügungsmöglichkeit über das Leben auf der Erde, was die historisch beispiellose Möglichkeit der Selbstvernichtung ebenso einschließt wie die Möglichkeit der anthropologischen Selbstveränderung des Menschen, die mit der Entdeckung der Blaupause des menschlichen Genoms im Sommer 2000 eingeleitet wurde. S. 343f.
Es sind sehr wohl Zuständigkeiten auszumachen, aber diese sind auf mehrere gesellschaftliche Teilsysteme verteilt. S. 345.
Es handelt sich also um ein weitverzweigtes Labyrinth, dessen Konstruktionsplan nicht Unzuständigkeit oder Verantwortungslosigkeit ist, vielmehr die Gleichzeitigkeit von Zuständigkeit und Unzurechenbarkeit, genauer: Zuständigkeit als Unzurechenbarkeit oder: organisierte Unverantwortlichkeit. S. 345.
Risiken können nicht länger als Nebenfolgen abgetan werden. Sie werden vielmehr zum Binnenproblem scheinbar abgeschlossener gesellschaftlicher Systeme. Zugleich erzeugt jeder Versuch, die Risikokomplexität zu managen, die Notwendigkeit, auf Abstraktionen und Modelle zurückzugreifen, die neue Unsicherheiten erzeugen. Hier liegt ein weiterer institutionalisierter Widerspruch begründet: Risiko und Nichtwissen erzeugen den Ruf nach Sicherheit und führen im allgemeinen Herumstochern im Nebel der Unwissenheit und Ungewißheiten zu neuen Unsicherheiten und Ungewißheiten. Mehr noch: Parallel mit dem Zwang, Entscheidungen zu treffen, wächst die Unentscheidbarkeit der Probleme, die gleichwohl entschieden werden müssen. S. 347.
Wer warum an ein Risiko glaubt, wird wichtiger als die ausgetüftelten Wahrscheinlichkeits-Szenarien der Experten. S. 350.
Die politische Herausforderung der Risikogesellschaft liegt darin, wie die unterschiedlichen Systemlogiken aufeinander einwirken können, ohne diese vollständig aufzuheben. Das bedeutet: Es ist eine Strategie notwendig, die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Kommunikationsströmen ermöglicht, ohne daß dadurch die Systeme ihre immanenten Logiken preisgeben. S. 354.
Da alle Teilsysteme der modernen Gesellschaft auf jeweils andere Teilsysteme angewiesen sind, wäre ein Ausfall des Finanzsystems katastrophal. Und wohl kein anderes Funktionssystem hat eine derart prominente Rolle in der Moderne, wie die Wirtschaft. Die Weltwirtschaft ist deshalb zweifellos eine zentrale Risikoquelle in der Weltrisikogesellschaft. S. 359.
Interdependenz ist keine Geisel der Menschheit, vielmehr, ganz im Gegenteil, die Voraussetzung ihres Überlebens. Kooperation ist nicht länger ein Mittel, sondern das Ziel. S. 368.
Wer sich mit Risiken realistisch befassen will, muß sich für Alternativen öffnen. Auch hier gilt: Der Möglichkeitssinn wird zu Wirklichkeitssinn. S. 373.
Und überall gilt auch das Gesetz: Nach der Katastrophe erhalten die warnenden Gegenexperten recht. Und: Nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe. S. 374.
Es ist der idealistisch-philosophische Blick, der darüber hinwegtäuscht, daß reale Gewißheiten nicht von oben (gleichsam von irgendeiner Baumart der Erkenntnis) herabfallen, sondern von unten erzeugt, erkämpft, praktiziert werden müssen. Lösungen und Erlösungen wurden stets aus den untergegangenen Gewißheiten der vorangehenden Epoche geformt. S. 385.
Wieso konnten Menschen dazu gebracht werden, an das Seltsamste zu glauben, beispielsweise daran, Probleme, die die Technik in die Welt setzt, könnten durch immer neue Technik gelöst werden? Warum soll mehr Markt die Probleme lösen, die weniger Markt erzeugt hat? S. 385.
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