Letzte Aktualisierung am 26. April 2017.
Thomas Grüter stellt in seinem Buch “Offline! – Das unvermeidliche Ende des Internets und der Untergang der Informationsgesellschaft” die These auf, dass das Internet in den nächsten 50 Jahren zusammenbrechen wird – und damit die Informationsgesellschaft.
Was auf dem ersten Blick völlig hypothetisch klingen mag, ist sehr gut argumentiert. Wir haben eine hochkomplexe Infrastruktur geschaffen, die laufend erneuert werden muss, damit sie weiter funktioniert. Die Zyklen sind sehr kurz und betragen nur wenige Jahre. Gleichzeitig führt der Preisdruck dazu, dass es immer weniger Produzenten für High-Tech-Produkte (Chips) gibt. Damit entstehen sehr hohe und gefährliche wechselseitige Abhängigkeiten. Das ganze Spiel funktioniert aber nur, so lange es ein Wachstum gibt … bricht dieses ein, könnte damit auch die Grundlage des Internets und damit unserer “Informationsgesellschaft” wegbrechen. Mit fatalen Folgen, da es bereits heute sehr hohe wechselseitige Abhängigkeiten im Infrastrukturbereich gibt. Ganz abgesehen davon, dass bei einem auseinanderbrechen auch unsere Daten davon betroffen sind, die wir immer häufiger in der undurchsichtigen Cloud hinterlegen. Ein Schwarzer Schwan, der schon sehr grau ist …
Und er bleibt nicht nur beim Internet hängen, sondern stellt auch einen Bezug zur Stromversorgung und möglichen Blackouts her.
Einige Auszüge
Münsterland 2005
Blackout im Münsterland 2005: Viele Schweinezüchter; mehr als 500 mobile Notstromaggregat wurden organisiert.
Infrastrukturerhaltung
Jedes Jahr unterbleiben Milliardeninvestitionen zur Erhaltung von Gebäuden, Wasserleitungen, Straßen, Brücken und Stromkabeln. Der sogenannte Investitionsstau soll hierzulande inzwischen die Größenordnung von 100 Milliarden Euro erreicht haben. S. 53.Die komplexen elektronischen Baugruppen digitaler Netze müssen ständig ausgewechselt werden, denn sie haben eine Lebensdauer von nur drei bis fünf Jahren. S. 59.
Thailand Hochwasser 2011: Von Oktober bis Dezember 2011 wurden weltweit nur 122 Millionen Computerfestplatten ausgeliefert, etwa 50 Millionen weniger als im Quartal zuvor. Er ein Jahr später, im Oktober 2012, hatte sich die Liefersituation wieder normalisiert. Ein Viertel der Weltproduktion an Festplatten stammt aus Bangkok. Ein Krieg in Korea würde wichtige Lieferketten in der Elektronik-Industrie unterbrechen. S. 62.
2011 gab es weltweit nur noch vier Festplattenhersteller: Hitachi (Japan), Western Digital Corporation (USA), Toshiba Corporation (Japan) und Samsung Group (Korea). Inzwischen sind es nur noch 3. Hitachi wurde von Western Digital übernommen. S. 62f.
Der Prozessorhersteller und Marktführer Intel vermutet, dass ab etwa 2016 nur noch vier Hersteller von komplexen Computerchips übrig geblieben sein werden. S. 63.
Regionale Nachhaltigkeit bei der Stromerzeugung ist nicht weiter als ein frommer Selbstbetrug, denn nach der Installation und Inbetriebnahme wäre man bei Ersatzteilen und Wartung alles andere als autark. S. 66.
Regionale Nachhaltigkeit bei der Stromerzeugung ist nicht weiter als ein frommer Selbstbetrug, denn nach der Installation und Inbetriebnahme wäre man bei Ersatzteilen und Wartung alles andere als autark. S. 66.
Wie schon gezeigt, kann die gegenwärtige Computerindustrie nur funktionieren, wenn die Arbeitsteilung zwischen allen Kontinenten ständig reibungslos funktioniert. S. 73.
Wir haben einen nie gekannten Komfort geschaffen, der auf einem beispiellosen Netzwerk von regionalen, nationalen und weltweiten Infrastrukturen beruht. Darauf können wir stolz sein, aber seltsamerweise bemühen wir uns ständig, das alles zu verbergen. (…) Niemand möchte neben einer Mobilfunkbasisstation wohnen, aber jeder erwartet immer und überall ein zuverlässiges Netz. Also versteckt sich die Technik, wo immer das möglich ist. S. 78.
Voraussetzung für die Erhaltung des Internets: S. 147.
- Ständiger Nachschub an Komponenten,
- ungestörter Welthandel,
- intakte, gut gewartete Infrastrukturen für Transport, Strom und Kommunikation,
- Aussicht auf Wirtschaftswachstum.
Vielleicht überlegen sich die europäischen Staaten auch noch, dass bestimmte Komponenten von höchster strategischer Bedeutung sind und deshalb in Europa gefertigt werden sollten. S. 156.
Hindsight bias
Im Nachhinein wissen wir genau, dass es so kommen musste, und im Grunde haben wir es schon damals gewusst. Die Psychologie nennt dieses Phänomen einen Rückschaufehler (hindsight bias). Er führt dazu, im Nachhinein zu glauben, der Lauf der Ereignisse sein notwendig und vorhersehbar gewesen. S. 58 [vgl. „Der Schwarze Schwan“ von Nassim Taleb]
In Kriegs- und Krisenzeiten bricht ein gefährlicher, kaum kontrollierbarer Nationalismus durch, der jede Vernunft überrennt. S. 140.
Vernetzte Abhängigkeiten
Weil immer mehr Daten auf immer kurzlebigeren Datenträgern aufbewahrt werden, müssen die Inhalte in immer kürzeren Abständen migriert, d. h. umgeschichtet werden. Archive und Bibiliotheken klagen schon heute über Geldmangel. Wenn nur für ein paar Jahre oder gar Jahrzehnte zu wenig Mittel zur Verfügung stehen, zerfallen unsere Archive mit einer nie geahnten Geschwindigkeit. Sollten wir eines Tages eine große weltweite Wirtschaftskrise erleben, werden wir innerhalb von wenigen Jahren unglaublich viele Daten und Informationen unwiderruflich verlieren. Dieses immaterielle Vermögen bildet jedoch die Grundlage unserer Gesellschaft. S. 100.
Im Jahr 2010 veröffentlichte die EU-Kommission das Arbeitsgruppenpapier Critical Raw Materials for the EU. Darin wird festgestellt, dass die Versorgung der EU mit verschiedenen wichtigen Rohmaterialien bereits heute kritisch ist. „Kritisch“ bedeutet dabei, dass die Belieferung nicht gesichert ist, obwohl die Stoffe eine hohe wirtschaftliche Bedeutung haben. (…) Die für elektronische Bauelemente entscheidend wichtigen Seltenen Erden stammen zu mehr als 95% aus China, das damit Preis und Liefermengen diktieren kann. S. 123.
Internet, World Wide Web und soziale Netze dringen immer tiefer in unsere Leben ein. Sie werden Teil der selbstverständlichen Infrastruktur, ebenso wie Strom und Wasser. Das macht uns abhängig von einer ständigen Versorgung mit Geräten und Bauteilen, die in Europa niemand mehr herstellt. Immer weniger Hersteller bauen immer teurere Fabriken, um die Nachfrage so günstig wie möglich zu befriedigen. (…) All das funktioniert nur, solange der Markt wächst. Was aber geschieht, wenn das Wachstum an seine Grenzen gelangt? S. 107.
Menschen reagieren auf Probleme erst dann, wenn sie selbst betroffen sind oder wenn starke Gefühle angesprochen werden. S. 139.
Wenn das Internet zusammenbricht, hinterlässt es einen verkrüppelten Staat mit einer zerstörten Wirtschaft. S. 202.
Bis 2030 wird das Internet das zentrale Nervensystem der Gesellschaft sein. Aus gutem Grund haben sich in der Evolution Tiere durchgesetzt, die ihr Gehirn mit einer stabilen Knochenhülle schützen. Außerdem ist es so gebaut, dass es auch schwere Verletzungen überstehen kann. Das zentrale Nervensystem funktioniert in der Regel noch, wenn ein beträchtlicher Teil der Nervenzellen geschädigt oder abgestorben ist. Das Internet hingegen zerfällt ohne Nachschub binnen weniger Jahre und ist gegen Angriffe nur sehr unzureichend geschützt. S. 208f.
Das Internet ist das oberste, empfindlichste und kurzlebigste Teil unserer ohnehin extrem künstlichen Umwelt. Gleichzeitig ist es die Grundlage der modernen Lebensweise. Wir müssen Konzepte entwickeln, um unsere Infrastrukturen gegen Krisen zu härten. S. 214.
Jeder Bürger in Deutschland muss sich darüber im Klaren sein, dass die derzeitige Infrastruktur pro Jahr zwischen 20 und 100 Milliarden allein für ihre Instandhaltung verschlingt. Modernisierungen und Verbesserungen kosten extra. S. 216.
Die weltweite Internetwirtschaft ist zu einem einzigen riesigen Wesen verschmolzen, das seine lebenswichtigen Organe über die ganze Welt verteilt hat. Wenn man es zerteilt, wird es sterben. S. 224.
Was tun? S. 211ff.
- Die Erhaltung, Sicherung und Modernisierung der kritischen Infrastruktur muss absolute Priorität erhalten.
- Mehre Weltregionen müssen unabhängig voneinander in der Lage sein, das Internet zu erhalten und auszubauen. Sie müssen das Know-how und die Anlagen vorhalten, alle Komponenten notfalls selbst herstellen.
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