Das letzte Buch „Die Metamorphose der Welt“ des 2015 verstorbenen Soziologen Ulrich Beck enthält interessante Blickwinkel und Puzzelsteine für die Transformation zur Netzwerkgesellschaft. Hier einige Zitate daraus.
Metamorphose von der Industrie- zur Netzwerkgesellschaft
In diesem Sinne bedeutet Metamorphose schlicht, dass das gestern Undenkbare heute nicht nur möglich, sondern längst Realität geworden ist. S. 12.
Das Wort „Metamorphose“ impliziert eine weitaus radikalere Veränderung: Die ewigen Gewissheiten moderner Gesellschaften brechen weg, und etwas ganz und gar Neues tritt auf den Plan. S. 15.
Das Wort „Metamorphose“ bezeichnet eine tiefgehende Veränderung oder Umwandlung der Form. Daher lässt sich eine Metamorphose als umfassende Verwandlung definieren, aus der ein vollständig anderer Typus, eine andere Realität, eine andere Art des In-der-Welt-Seins, der Weltsicht und des politischen Handelns hervorgehen. S. 19.
Wir alle wissen, dass sich die Raupe in einen Schmetterling verwandeln wird. Aber weiß es die Raupe auch? Das ist die Frage die man den Katastrophikern stellen muss. Sie gleichen Raupen, die, eingepuppt im Weltbild ihrer Raupenexistenz, keine Idee von Metamorphose haben. Sie vermögen nicht zu unterscheiden zwischen Zerfall und Anders-Werden. Sie sehen die Welt und ihre Werte untergehen, wo nicht die Welt, sonder ihr Weltbild untergeht. Die Welt geht nicht unter, wie die Katastrophiker glauben, und auch die Rettung der Welt steht nicht bevor, wie es die Fortschrittsoptimisten beschwören – vielmehr metamorphosiert die Welt auf überraschende, aber nachvollziehbare Weise, indem sich der Bezugshorizont und die Koordinaten des Handelns verwandeln, die die Vertreter beider Positionen stillschweigend als konstant und unveränderbar voraussetzten. S. 31.
Vollkommen durcheinander sind wir, weil das, was gestern noch undenkbar war, aufgrund der Metamorphose der Welt heute eine reale Möglichkeit ist: Und wenn wir diese Metamorphose wirklich verstehen wollen, müssen wir den Blick nicht nur auf zerfallende gesellschaftliche und politische Realitäten, sondern auch auf die Neuanfänger richten. Auf das, was gerade entsteht, auf die Strukturen und Normen von morgen. S. 31f.
Die Metamorphose der Welt vollzieht sich selbst und folgt keinem Programm. S. 33.
Wenn ich sage, dass die Metamorphose der Welt das prägende Merkmal der Gegenwart ist, soll das auch nicht heißen, dass sie an jedem Ort der Welt dieselben Formen annimmt. S. 35.
Wandel bewegt sich stets innerhalb der bestehen Ordnung. Die Metamorphose zerstört diese Grundlagen und setzt die bestehenden Institutionen zugleich unter einen enormen Druck, beispiellos neue Praktiken zu erfinden, um handlungsfähig zu bleiben. Diesem Druck lässt sich, wie gesagt, mit herkömmlichen Konzepten und Instrumenten nicht standhalten. S. 48.
Die Metamorphose ist durch und durch ambivalent. S. 66.
Anders als die Französische Revolution beschränkt sich die Metamorphose der Welt nicht auf das politische Machtzentrum; sie findet überall zugleich statt: vor Ort, in den Regionen, auf nationaler und globaler Ebene – wenn auch mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Sie folgt keiner Absicht, keinem Programm keine Ideologie und wird durch politisches Nicht-Handeln nicht gebremst, sondern noch vorangetrieben. S. 80.
Diese alles erfassende, keiner Absicht , keiner Ideologie folgende Metamorphose, die Zugriff auf das alltägliche Leben der Menschheit gewinnt, greift nahezu unaufhaltsam um sich, und zwar mit enormer Beschleunigung, die die bestehenden Möglichkeiten, sie theoretisch zu begreifen und handelnd in sie einzugreifen, beständig überfordert. S. 81.
Die laufende Metamorphose hängt zutiefst mit dem Konzept des Nichtwissens zusammen, das eine grundsätzliche, nachhaltige Paradoxie aufweist. Einerseits unterstreicht der Begriff des Nichtwissens die inhärenten Grenzen des Wissens, insbesondere jene, die darin bestehen, dass wir mache Dinge nicht wissen können, andere gar nicht so dringlich wissen wollen. Andererseits bergen Nanotechnologie, Bio-Engineering und andere Arten neuer Technologien eben nicht nur erkennbare, sondern auch solche Risiken in sich, von denen wir jetzt noch nichts wissen, weil es so etwas wie Zeitfenster bezüglich der Fähigkeit einer Gesellschaft gibt, Risiken überhaupt wahrzunehmen und zu regulieren. S. 138.
Die Metamorphose ist ohne Kommunikation nicht denkbar: Sie konstituiert sich nicht zuletzt im Reden über sie. S. 167.
Die Metamorphose im soziologischen Sinne ist kein schicksalhafter, naturgesetzlicher Vorgang wie ihr Pendant in der Biologie. Sie unterscheidet sich von diesem erstens dadurch, dass wir ihr Ende nicht kennen. Zweitens: Sie beruht auf der „Politik der Nebenfolgen“ im Rahmen des Machtkampfs zwischen denen, die die nationalstaatliche Ordnung und die politische Orthodoxie verteidigen, und denen, die beides infrage stellen, indem sie die Regeln der Herrschaft und Politik neu formulieren. S. 197.
Wie lebt und überlebt man in einer permanenten Metamorphose, von der niemand sagen kann, worauf sie hinausläuft, einer Metamorphose, die Peripherie und Zentrum betrifft, Arm und Reich, Muslime, Christen und Agnostiker gleichermaßen, einer Metamorphose, die nicht auf ein Versagen, eine Krise oder auf Armut zurückzuführen ist, sondern die gerade mit den Erfolgen der Modernisierung voranschreitet und an Tempo gewinnt, einer Metamorphose, die durch Nichthandeln nicht gebremst, sondern im Gegenteil noch beschleunigt wird? S. 241.
Die junge Generation ist unideologisch und hat kein klares Bild davon, was der richtige Weg in die Zukunft wäre; immerhin weiß sie aber genau, was jedenfalls nicht mehr funktioniert. S. 243.
Kopernikanische Wende 2.0:
Das Klimarisiko sagt uns, dass der Nationalstaat nicht der Mittelpunkt der Welt sein kann. Die Erde dreht sich nicht um Nationalstaaten (egal welche), sondern die Nationen kreisen um die neuen Fixsterne „Welt“ und „Menschheit“. Das Internet ist ein Beispiel dafür. Erstens vereint es die ganze Welt in einem einzigen Kommunikationsraum. Zweitens erschafft es so etwas wie „die Menschheit“ – schlicht, in dem es jedem Menschen ermöglicht, mit buchstäblich jedem anderen in Verbindung zu treten. S 18f.
Kopernikanische Wende 2.0:
Die digitale Kommunikation verwandelt die überkommenen Vorstellungen von Öffentlichkeit
Die digitale Kommunikation verdrängt die alten Modelle von Öffentlichkeit nicht, sondern führt zu einer spezifischen Vermischung des Alten und es Neuen. Das klassische Modell der Massenmedien ist das antike Theater.
Parallel dazu entsteht eine neue Unvorstellbarkeit von Daten und Zahlen. Digitale Kommunikation bedeutet systematische Produktion und Konsumption von Daten in nicht mehr vorstellbarem Ausmaß.
Während die heutigen Gesellschaften nationalstaatlich organisiert sind, bringt die digitale Kommunikation eine Weltgesellschaft hervor – so scheint es jedenfalls. Doch das ist falsche. Sie bringt unendlich viele „Weltgesellschaften“ hervor.
Die Welt wird individualisiert und fragmentiert. Das Individuum – das „Unteilbare“ – wird zum wichtigsten Bezugspunkt und verliert zugleich jede Bedeutung.
Bei der Metamorphose der digitalen Kommunikation spielen Meme (sich via Internet „viral“ verbreitende Gedanken) eine zentrale Rolle.
Die bei der digitalen Kommunikation anfallenden Daten sind nicht bloß Daten, sondern reflexive Daten. Entscheidend ist, dass die Akteure einer Kommunikation nicht realisieren, dass sie beobachtet werden können – und tatsächlich auch beobachtet werden. Das führt dazu, dass sich das Individuum in einer „filter bubble“ wiederfindet, das heißt, in einer auf seine Vorlieben und Gewohnheiten zugeschnittenen digitalen Welt gefangen ist. S. 177ff.
Machtverlust der Nationalstaaten und neue Machtstrukturen
Allerdings lösen sich Nationen und Nationalstaat nicht einfach auf und verschwinden, sondern durchlaufen eine Metamorphose. Sie müssen ihren Platz in der digitalen Weltrisikogesellschaft neu bestimmen, in der Grenzen flüchtig und flexibel werden; sie müssen sich selbst (neu) erfinden, weil sie auf eine Kreisbahn um die neuen Fixsterne „Welt“ und „Menschheit“ gesetzt werden. S. 20. [siehe The Third Wave/Die dritte Welle von Alvin Toffler]
Ein Bauunternehmer, der (etwa in Deutschland) strikt in nationalen Grenzen denkt – billige ausländische Arbeiter ablehnt und nur angemessen entlohnte deutsche Bauarbeiter beschäftigt -, wird Bankrott anmelden müssen. Anders gesagt: Wer sein Handeln im Nationalstaat orientiert und vor dem Überschreiten der Landesgrenze zurückschreckt, wird in der kosmopolitischen Welt zum Verlierer. S. 22f.
Nur wenn man begreift und berücksichtigt, auf welche Weise Kriminelle oder auch „trans-legal“ operierende Konzerne ihrer kosmopolitisierten Handlungsräume nutzen und bewirtschaften, wird ein adäquater Umgang mit ihnen möglich. S. 24.
Dass kein Nationalstaat der Welt das globale Klimarisiko für sich allein bewältigen kann, weiß heute jedes Kind. Daraus erwächst die Erkenntnis, dass das Prinzip nationaler Souveränität, Unabhängigkeit und Autonomie ein Hindernis für das Überleben der Menschheit darstellt und dass wir die „Unabhängigkeitserklärung“ in eine „Erklärung wechselseitiger Dependenz“ verwandeln müssen: Wer die Kooperation verweigert, wird untergehen! S: 58f.
Soziale Bewegungen sind bei der Schaffung eines kosmopolitischen Rahmens ebenfalls mitbestimmend, allerdings treffen sie keine kollektiv bindenden Entscheidungen. Hier bedürfte es des Nationalstaates und seines Gewaltmonopols. Doch sein Macht erodiert. Stattdessen spielen Weltstädte eine zunehmend wichtige Rolle, wenn es um solche Entscheidungen geht. S. 67.
So entstehen neue Machtstrukturen; ihre Träger sind die gut ausgebildeten Berufstätigen in den Weltstädten – Angehörige einer transnationalen urbanen Klasse mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. S. 68.
Die Weltstädte begründen eine neue Welt der Inklusivität, deren Potenzial zur Veränderung der bestehen rechtlichen Regelungen stetig wächst. S. 68.
Auf dem Gebiet der politischen Machtausübung hat die Demokratie seit ihrer Erfindung und Implementierung die Norm der „Gewaltenteilung“ hervorgebracht. Eine der Haupteigenschaften des nuklearen Machtkomplexes liegt darin, dass es eine solche Gewaltenteilung in Hinsicht auf die Definitionsmacht nicht gibt. S. 143.
Vor dem Hintergrund globaler Risiken entsteht mit der Metamorphose eine Kluft zwischen Erwartungen und Problemempfinden einerseits und den bestehenden Institutionen andererseits. Innerhalb des alten Bezugsrahmens mögen die Institutionen einwandfrei zu funktionieren scheinen. Innerhalb des neuen jedoch scheinen sie zu versagen. Daher ist das gleichzeitige Funktionieren und Versagen von Institutionen ein Schlüsselmerkmal des metamorphotischen Zustands. S. 185.
Weil sie im Bezugsrahmen nationalstaatlichen Denkens konstruiert wurden, sind sie für die kosmopolitische Realität nicht gerüstet. S. 190.
Damit wird klar, dass politisches Handeln und politische Macht in der Übergangsphase zwischen dem Ende der nationalstaatlichen und dem Beginn der kosmopolitischen Epoche zwei vollkommen unterschiedlichen und dennoch ineinander verwobenen Skripten folgen. Es stehen sozusagen zwei Akteure auf der Weltbühne, von denen jeder ein anderes Stück aufführt, das seiner jeweiligen Perspektive entspricht, so dass eine hochgradige paradoxe Vermischung des etablierten, die nationalstaatliche Ordnung der Weltpolitik verteidigende, und des alternativen politischen Dramas entsteht, das die Regeln und Rollen des Machtspiels auf kosmopolitischer Weise zu ändern sucht. S. 197f.
Betrachtet man aber die Metamorphose der Welt aus kosmopolitischer Perspektive, kehr sich das Verhältnis zwischen Staaten und Weltstädten um. Konfrontiert mit globalen und kosmopolitischen Risiken, bleiben die Staaten in der egoistischen Fiktion der Souveränität gefangen und versagen. Die Weltstädte dagegen hocken nicht in fiktiven nationalen Containern. Im Gegenteil: Schon in der Vergangenheit haben sie öfters unabhängige Positionen vertreten. Und angesichts globaler Risiken stehen sie kosmopolitischen Kooperationen mit weit größerer Offenheit gegenüber. Infolgedessen verändert sich die Rollenverteilung zwischen Staat und Stadt. Die Städte werden zu Pionieren, die die Herausforderung einer kosmopolitischen Moderne annehmen und Lösungen für die Weltrisikogesellschaft suchen und erproben. S. 215.
Eine „Gemeinschaft“ ist mehr als ein „Netzwerk“. Gemeinschaft heißt mehr als Verbundenheit und wechselseitige Abhängigkeit; heißt auch mehr als Informationsaustausch oder regelmäßige Diskussion über gemeinsame Probleme. S. 216.
Der Nationalstaat, der von seinem Wesen her zu Rivalität und wechselseitiger Ausgrenzung neigt, scheint in der Weltrisikogesellschaft des 21. Jahrhunderts eher Teil des Problems als Teil der Lösung zu sein. In einer metamorphosierenten Welt könnten die globalen Städte eine zentrale Position zurückerobern, die der ähnlich ist, die sie vor langer Zeit, vor der Erfindung des Nationalstaates [Industriegesellschaft] innehatten. Der abenteuerliche Weg der Menschheit in der Politik begann in der polis, der Stadt. Die Stadt war der Pionier der Demokratie. Heute aber versagt der Nationalstaat vor den globalen Risiken. Die Städte – in der Vergangenheit schon öfters sozialer Boden bürgerlicher Befreiungsbewegungen – könnten in der gegenwärtigen kosmopolitisierten Welt globaler Gefahren einmal mehr zur größten Hoffnung der Demokratie werden. S. 237.
Globale Risiken
Das Klimarisiko gibt die Richtung vor. Was nicht heißt dass wir die Strecke auch bewältigen werden. Durchaus möglich, dass die Menschheit einen Weg einschlägt, der in die Selbstzerstörung führt. Diese Möglichkeit erscheint sogar recht plausible – weil gerade, wenn man sich dies vor Augen hält, die „ewige Gewissheit“ des nationalen Weltbildes sichtbar werden, als kurzsichtig und falsch, und als Glaubenssätze einer ganzen Epoche ihrer Selbstverständlichkeit verlieren. S. 20.
Die Literatur zum Klimawandel hat einen Supermarkt von Weltuntergangsszenarien eröffnet. Statt mit Untergängen sollten wir uns jedoch lieber mit dem befassen, was gerade im Entstehen ist: zukünftigen Strukturen, Normen, Anfängen. Metamorphose heißt auch, dass im Zeitalter globaler Risiken Normen auf neue Weise entstehen. S. 60.
Globale Risiken haben zwei Aspekte: zum einen die traumatisierende Gefährdung aller, zum anderen die daraus erwachsende Verantwortung für das Überleben aller, schließlich des eigenen. Das zwingt uns, uns immer wieder daran zu erinnern, dass die Menschheit die eigene Existenz gefährdet. S. 66.
Der französische Philosoph Blaise Pascal sagte: Entweder es gibt einen Gott oder es gibt ihn nicht. Ich weiß es nicht. Dennoch muss ich mich für Gott entscheiden, denn wenn es ihn gibt, habe ich gewonnen; und wenn nicht, jedenfalls nicht verloren. Ebenso wie Pascal wissen auch wir nicht mit Bestimmtheit, ob es den Klimawandel „wirklich“ gibt. Trotz substanzieller Daten bleibt ein Rest an Ungewissheit. Wir müssen also akzeptieren, dass es schlicht unmöglich ist zu bestimmen, ob eine Naturkatastrophe Folge eines vom Menschen herbeigeführten Klimawandels ist. Und in diesem Moment der Ungewissheit kommt es entscheidend auf den politischen Willen an. Zwei Szenarien sind denkbar. Erstens: Wir leugnen den Klimawandel, womit jede neue Naturkatastrophe die Unverantwortlichkeit unseres Handelns belegt. Zweitens: Wir nehmen an, dass der Klimawandel tatsächlich stattfindet, übernehmen Verantwortung und stellen uns den nötigen moralischen und politischen Veränderungen im Riesenmaßstab. Wie im Falle Pascals liegen somit auch für uns – selbst für die Leugner! – gute, praktische, handfeste Gründe vor, an den Klimawandel zu glauben. Womöglich ist er der Auslöser für eine bessere Welt. Definieren wir den Klimawandel als ein globales, alle zivilisierten Nationen bedrohendes Risiko, könnte er zum Mittel gegen die Plage des Krieges werden. S. 69.
Zum einen ist das die Paradoxie – wer die zerstörerischen Nebenfolgen der Siege der Modernisierung (des Fortschrittsglaubens) ignoriert, beschleunigt den latenten Zerstörungsprozess und intensiviert und universalisiert ihn. S. 89.
Das zweite Schlüsselargument ist, dass die destruktiven Folgen industrieller Produktion nicht auf alle Zeit externalisierbar sind. Der Super-Fortschrittsglaube, der sich mit hartnäckiger Ignoranz, Leugnung oder Verharmlosung von allen Risiken freispricht, ist genau die Handlungsform, die neue Globalrisiken unbekannten Ausmaßes in die Welt setzt, potenziert und globalisiert. S. 90.
Je erfolgreicher die Modernisierung, desto mehr bads bringt sie hervor. Und je hartnäckiger diese als Kollateralschäden des Modernisierungsprozesses ignoriert und abgetan werden, desto größer und mächtiger werden sie. Erst wenn die Beobachterperspektive beide Prozesse zusammenbringt, eröffnen sich wirklich neue Handlungsoptionen. Wer nur einen der beiden Prozesse in den Blick nimmt, kann die Metamorphose der Welt unmöglich erkennen – weil sie die Synthese aus beiden sowie ihrer Wahrnehmung durch den Beobachter ist. S. 95f.
Wer den Klimawandel leugnet, riskiert, die Zerstörung zu beschleunigen und mögliche, unbedingt nötige Handlungsalternativen zu verpassen. S. 121.
Unterscheidung zwischen natürlicher („gegebener“) und hergestellter Unsichtbarkeit zivilisatorischer Risiken: Die zentralen Risiken der Weltrisikogesellschaft – unter anderem Klimawandel, Atomkraft, Finanzspekulation, Genmanipulation, Nanotechnologien und Reproduktionsmedizin – sind in ihren (mit einem Höchstmaß an Synergie- und Schwelleneffektn aufwartenden) Verläufen und Auswirkungen von zunehmenden Komplexität und, was ihr Ausmaß betrifft, zeitlicher und räumlicher Expansivität. Aufgrund ihrer Komplexität und der zeitlichen Verzögerung ihrer Folgewirkungen zeichnen sie sich durch natürliche Unsichtbarkeit aus, dann paradoxerweise gilt: Je komplexer Produktion und Art der Risiken und je abhängiger ihre Produktion und Definition von der globalen Vernetzung, desto „natürlicher“ ist ihre Unsichtbarkeit. S. 132.
Es gibt kein Sensorium für globale Risiken, keine direkte Wahrnehmungs- oder Erfahrungsmöglichkeit, keine allein durch gesunden Menschenverstand herstellbare Evidenz. Globale Risiken (wie radioaktive Strahlung, aber auch der Klimawandel), die die Wissenschaft nicht erkennt, existieren weder in rechtlicher noch in medizinischer, technischer oder gesellschaftlicher Hinsicht. Daher können sie weder verhindert noch eingedämmt werden, und daher erhalten die durch sie Geschädigten auch keinerlei Kompensation. S. 133.
Bewusstes Nichtstun ist die billigste, effektivste und mächtigste politische Strategie zur Simulation der Beherrschbarkeit unkontrollierbarer Risiken und Katastrophen ungewissen Ausgangs. Dabei ist das nahezu vollständige Verbergen unsichtbarer Risiken vor der Öffentlichkeit, anders als man denken könnte, keine Spezialität bestimmter politischer Systeme, etwas des sowjetischen nach der Katastrophe von Tschernobyl. Solche Praktiken finden sich auch in westlichen Demokratien. Auch hier versagen die für die Risikostreuung geschaffenen Institutionen, während sie funktionieren. Sie versagen, weil sie keine Idee haben, wie sie mit globalen Risiken umgehen sollen. Und sie funktionieren, insofern sie diese Risiken durch ihre Politik der Unsichtbarkeit routinemäßig vor der Öffentlichkeit verbergen. Hier findet etwas statt, das man „funktionelles Versagen“ oder „funktionelle Dysfunktionalität“ nennen könnte. In allen Ländern der Welt werden alle möglichen nicht wahrnehmbaren Risiken „von den sie produzierenden Industrien mit Unterstützung von Regulierungsbehörden, die wegsehen, fortwährend unsichtbar gemacht. S. 134.
Aber Wissenschaft und Experten übernehmen in der Risikogesellschaft zunehmend einander widersprechende Aufgaben, wodurch ihre Macht und Legitimität ernstlich untergraben zu werden drohen. Ein Beispiel ist die janusköpfige Position der Atomindustrie und ihrer Experten: Sie sind zugleich Verursacher und Bewerter der von ihnen geschaffenen Risiken. S. 137.
Während die Risiken und Ungewissheiten des Lebens in der „Ersten Welt“ besonders für junge Leute zunehmen, bleiben diese Länder Traumziel für viele junge Menschen aus den ärmeren Regionen des Planeten. S. 252.