Szenarien – Handlungsspielräume – Zielkonflikte
Ortwin Renn (Hrsg.)

Quelle: energiesysteme-zukunft.de

Es erfolgt hier eine auszugsweise Wiedergabe mit besonderem Fokus auf Punkte, die auch auf dieser Seite thematisiert werden (Krisenvorsorge, Energiezellensystem). Die hier angeführten Zitate bestätigen die bisher getroffenen Annahmen und Erkenntnisse durch eine wissenschaftlich Betrachtung, was uns natürlich sehr freut. Die Studie wurde für Deutschland erstellt. Daher muss hier einmal mehr angemerkt werden, dass es sich nicht um ein nationales Stromversorgungssystem, sondern um ein europäisches Verbundsystem handelt, wo die Entwicklung in eine gemeinsame Richtung gehen sollte, da ansonsten die Systemsicherheit gefährdet wird, wie das derzeit der Fall ist. Nichtsdestotrotz machen dezentralisierte, robuste und autonome Energiezellen immer Sinn, da sie dadurch auch bottom-up das Gesamtsystem robuster machen. Aus unserer Sicht geht es daher vor allem um Robustheit. Der Begriff Resilienz (~Lernfähigkeit!) passt besser zu Menschen, deren Resilienz durch robuste technische Systeme erhöht werden kann, was etwa auch bestätigt wird: „Das Energiesystem sollte als lernendes System gestaltet werden, das auf Ereignisse und Entwicklungen flexibel und adaptiv reagieren kann. Dies erfordert unter anderem, die Improvisationsfähigkeit von Akteuren zu stärken.“  Nur Menschen können lernen und es geht nicht nur um die Betreiber, sondern vor allem um die Bevölkerung insgesamt! Besonders hervorzuheben ist auch der Satz: „Wichtig ist daher ein Wechsel der Perspektive: weg von kurzfristiger Optimierung hin zu langfristigem, strategischem Denken.“ Hier haben wir aber mit unserem derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Denken einen kaum auflösbaren Zielkonflikt, der uns immer wieder zum Schluss kommen lässt, dass eine solche Ausrichtung wahrscheinlich erst nach einer Katastrophe durch einen europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall („Blackout“) passieren wird. Nicht weil wir Pessimisten sind, sondern weil wir fast täglich mit der Realität konfrontiert sind. Wie die vorliegenden Studien auch einmal mehr zeigen, fehlt es nicht am Wissen, sondern an den erforderlichen langfristig ausgerichteten Entscheidungen und Handlungen.

Vorwort

In der vorliegenden Analyse werden derartige Gefahren in narrativen Bedrohungsszenarien beschrieben und ausgewertet. Dabei geht diese Arbeit über Einzelereignisse hinaus und erklärt, wie sich zunächst kleinere Entwicklungen gegenseitig verstärken und dadurch verheerende Auswirkungen auf das Gesamtsystem haben können.

Um derartige Bedrohungen abzuwehren, gilt es, mögliche Schwachstellen frühzeitig identifizieren und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Es ist die Aufgabe einer vorsorgenden Energiepolitik, das Versorgungssystem resilient zu gestalten. Das heißt, es muss in der Lage sein, auch unter Belastungen seine Funktionsfähigkeit zu bewahren und Energie bereitstellen zu können.

Die Arbeitsgruppe „Risiko und Resilienz“ des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ hat untersucht, welche Ereignisse und Entwicklungen Deutschlands Ener­gieversorgung gefährden und wie diese bewältigt werden können. Dabei zeigen die AG­Mitglieder politische Gestaltungsspielräume auf, um die Energieversorgung früh­zeitig gegen Gefahren zu wappnen, ohne andere energiepolitische Ziele wie Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit außer Acht zu lassen. Zielkonflikte sind dabei unvermeidbar. Hier sind die Entscheidungsträger gefordert, entsprechende Prioritäten zu setzen. Bei dieser Abwägung sollte Resilienz ein wichtiges Kriterium sein.

Zusammenfassung

Die Energiewende ist kein Selbstläufer. So gut sie auch geplant und umgesetzt wird – ganz können Bedrohungen nie ausgeschlossen werden. Das gilt umso mehr, je unbekannter und unerwarteter diese Gefahren sind. Um die Energiewende da­gegen zu wappnen, muss sie resilient gestaltet werden. Resilienz bezeichnet die Fähigkeit von Systemen, ihre Funktionsfähigkeit unter Stress und Belastungen aufrechtzuerhalten beziehungsweise kurzfristig wiederherzustellen.

Die vorliegende Analyse untersucht, was Resilienz aus interdisziplinärer Perspektive bedeutet. Sie lotet aus, welche Risiken Wirtschaft, Politik und Zivilgesell­schaft drohen, wenn die Energieversorgung nicht resilient genug ist. Zuletzt zeigt sie Wege, um die Energiewende vorausschau­end, robust und lernfähig zu gestalten.

Kern dieser Analyse sind sechs narrative Bedrohungsszenarien. Sie sind keine Prognosen, sondern skizzieren, welche künftigen Entwicklungen möglich sind. Möglich bedeutet, dass die Szenarien ers­tens in sich schlüssig sind und zweitens mit dem heutigen Wissen übereinstim­men. Dabei wollen die Szenarien kei­neswegs alle vorstellbaren Bedrohungen beschreiben. Stattdessen dienen sie als exemplarische „Stresstests“ für die Energiewende, um zu zeigen, wo das System verwundbar ist.

Folgende Bedrohungsszenarien durchgespielt:

  1. Das Szenario Anschläge skizziert, wie terroristische Angriffe den Erfolg der Energiewende gefährden. Weil die Regierung zu stark auf Kostenreduk­ tion und kurzfristige Effizienz gesetzt hat, wurde die Sicherheit vernachläs­ sigt. Dadurch entstehen Einfallstore für Anschläge und Hackerangriffe.
  2. Das Szenario Wetterextreme beschreibt, wie Stürme, Überschwem­mungen oder auftauende Perma­frostböden die Energieversorgung beeinträchtigen. Auch Hitzewellen können zu Stromausfällen führen. Das liegt in erster Linie daran, dass in ganz Europa Gas­ und Kohlekraftwerke ausfallen, weil es an Kühlwasser fehlt.
  3. Das Szenario Rohstoffverknappung Erdgas führt aus, wie interna­ tionale Entwicklungen auf dem Markt für Flüssiggas die Versorgungssicher­ heit in Deutschland gravierend beein­ trächtigen. Der Auslöser dafür ist, dass die unkonventionelle Gewinnung von Erdgas („Fracking“) in den USA schlag­ artig zurückgeht. Das ist kritisch, weil Deutschland in einer Übergangsphase aus Klimaschutzgründen auf Erdgas anstelle von Kohle oder Erdöl setzt.
  4. Das Szenario Rohstoffverknappung Metalle zeigt, wie politische Entscheidungen und lokale Proteste in Exportländern zu Versorgungseng­ pässen bei Platingruppenmetallen führen. Diese sind für die Energie­ wende essenziell, weil sie unter ande­ rem für Brennstoffzellen und Elekt­ rolyseure benötigt werden.
  5. Das Szenario Governance-Versagen veranschaulicht, wie wechselnde Regierungen es versäumen, attraktive Rahmenbedingungen für Investoren zu schaffen. Weil notwendige Inves­ titionen ausbleiben, genügt die Ener­ gieinfrastruktur nicht mehr den An­ sprüchen.
  6. Das Szenario Akzeptanzentzug zeigt, wie für sich vergleichsweise un­ gefährliche Ereignisse in der Summe dazu führen, dass die Bevölkerung die Energiewende nicht mehr unterstützt. Dazu zählt unter anderem, dass Bür­ gerbeteiligungsprozesse scheitern und aufgrund unausgereifter Software die Versorgung ausfällt.

Diese Bedrohungen lassen sich auf drei Arten bewältigen:

  • Stressoren abbauen
  • Verwundbarkeiten verringern
  • negative Folgen bewältigen

Diese Ansätze schließen einander nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig. Nur in der Kombination führen sie zu einer erfolgversprechenden Resilienzstrategie.

Die drei Ansätze werden für die skizzierten Bedrohungsszenarien durchgespielt, um Interventionen zu entwickeln. Solche Interventionen können einem bestimmten Ziel dienen: Das Sparen von Rohstoffen und Energie etwa verringert Abhängigkeiten und erhöht so die Versorgungssicherheit des Systems.

Gleichzeitig können entsprechende Interventionen dem Erreichen eines anderen Ziels im Weg stehen. Selbst Energieeffizi­enz hat ihre negativen Seiten: Sie kann die Auslastung von Kraftwerken verringern und damit die Kosten pro erzeugter Ein­heit Nutzenergie erhöhen.

Für alle Interventionen kann es sowohl Zielkonflikte als auch Zielkomplementaritäten geben. Es ist daher wichtig, diese bereits zu diskutieren, bevor eine Intervention zum Einsatz kommt Das erfolgt in dieser Analyse nur exemplarisch. Der Fokus liegt dabei auf Komplementaritäten und Konflikten bei den Zielen Klima­ und Umweltverträglichkeit Wirtschaftlichkeit/Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit, Ressourcenschonung Sozialverträglichkeit und Akzeptanz und europäische/globale Verantwortung. Zentraler Konflikt ist der zwischen Resilienz und kurzfristiger Effizienz: Zunächst ein­mal kosten Resilienzmaßnahmen Geld.

Auf Basis der Interventionen für die sechs Bedrohungsszenarien werden zuletzt zehn Interventionstypen identifiziert. In der Regel wird die Energiewende resi­lienter, wenn Vorsorgemaßnahmen aus gebaut und wirksamere Recyclingmethoden und Ersatzmöglichkeiten für Metalle entwickelt werden. Auch Redundanzen im System und zusätzliche Energiespeicher tragen dazu bei. Darüber hinaus wird die Versorgung resilienter, wenn die Vielfalt der Anlagentechnologien erhöht und unabhängige Versorgungseinheiten geschaffen werden, ohne die Bevölkerung stärker zu belasten. Zu einer wirksamen Resilienzstrategie gehören zuletzt ein sys­tematisches Gefahrenmonitoring, Notfallvorkehrungen sowie Dialogangebote und partizipative Verfahren. All das ist die bestmögliche Versicherung, um die Energieversorgung sowohl resilient als auch umweltverträglich, sicher und bezahlbar zu gestalten.

2.3 Kalkulierbare Risiken, „schwarze Schwäne“ und unterschätzte Bedrohungen

Bisher haben sich Energieforschung und Energiepolitik überwiegend mit Risiken befasst, die bekannt, gut beschreibbar und als Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß quantifizierbar sind. Meist können die Auswirkungen sol cher Risiken entsprechend abgeschätzt werden. Zu ihnen gehören etwa der Aus­fall technischer Systemkomponenten oder Schwankungen globaler Energiepreise.

Die Bedrohungen, die in dieser Analyse thematisiert werden, umfassen auch solche Risiken. Der Fokus liegt jedoch auf Belastungen, die weder mit einer rein technischen noch mit einer vorwiegend auf erwartbare Störungen fokussierten Risikoanalyse vollständig erfasst werden können. Schließlich wirken bei der Ener­giewende technische, organisatorische, verhaltenssteuernde, gesellschaftliche und politische Faktoren zusammen. Hinzu kommen Wetterextreme, die ebenfalls auf den Wandel des Energiesystems ein­wirken können. Die Faktoren beeinflussen sich zum Teil gegenseitig [Hinweis auf ein komplexes System und systemische Risiken]. In diesem Kontext, der stark durch die Dynamik der Energiewende geprägt ist, sind Eintritts­wahrscheinlichkeit und Schadensausmaß möglicher Störungen schwierig oder auch gar nicht numerisch zu bestimmen. Hierzu zählen auch Bedrohungen, die bislang unbekannt waren oder deren Eintrittswahrscheinlichkeit sehr gering ist. Angesichts dessen, wie komplex und dynamisch die Energiewende ist, muss damit gerechnet werden, dass derartige nichtlineare überraschende Entwicklun gen und Ereignisse eintreten.

Solche unbekannten Bedrohungen und quantitativ unkalkulierbaren Risiken wurden bisher wenig diskutiert. In einer Ausschreibung betonte inzwischen aber das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, dass auch das Risikopotenzial von unwahrscheinlichen und nicht zu erwartenden Ereignissen berücksichtigt werden muss, die es als „schwarze Schwä­ne“ bezeichnet. Dieser Begriff wird auch in dieser Analyse verwendet.

Für den Essayisten und Risikotheo­ retiker Nassim Taleb, der die „schwarzen Schwäne“ populär gemacht hat, ist deren zentrales Element, dass sie wirkmächtig und für sich betrachtet sehr unwahrscheinlich sind. Allerdings sind so viele dieser Bedrohungen möglich, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass irgendeine davon eintritt. Bei „schwarzen Schwänen“ handelt es sich um disruptive Vorfälle, die sich im Einzelfall nicht kalkulieren und prog­nostizieren lassen: „Where we don’t know what we don’t know the prospect is raised of possib­le „black swans“. These challenges are not about calculable risk, but inherently unquantifiable surprises. Here again, to seek to assign single definite values for „risk“ are not just irrational but dangerous.“

Wichtigstes Merkmal der Bedrohungen, die in den Szenarien der vorliegenden Analyse skizziert werden, ist ihr Überraschungseffekt. Um „schwarze Schwäne“ in Talebs Sinn handelt es sich dabei jedoch nicht. Schließlich kann nichts mehr eine echte Überraschung sein, das einmal aufgeschrieben ist. Vielmehr kennzeichnet die im Folgenden skizzierten Bedrohungen, dass sie wirkmächtig und zugleich unterschätzt sind. Ebenfalls angelehnt an Taleb lassen sie sich als „graue Schwäne“ bezeichnen.

Das Durchspielen dieser Bedrohungen dient als eine Art Stresstest: Er identifiziert mögliche Folgen der Belastungen und lotet aus, was gegen sie getan werden kann. Dabei wird darauf gesetzt, dass das Beseitigen erkannter Schwachstellen gegenüber „grauen Schwänen“ auch die Resilienz des Energiesystems gegenüber „schwarzen Schwänen“ erhöht. An dieser Stelle wechselt der Fokus wieder von den Bedrohungen auf das System, vom Risikomanagement zur Resilienz.

Indem mögliche Einfallstore für widrige Ereignisse identifiziert und entfernt werden, kann das Energiesystem ertüchtigt werden, auch viele unterschätzte oder völlig unerwartete Ereignisse zu bewältigen. Aber auch bei Eintritt eines solchen Ereignisses und danach können ver­schiedene Maßnahmen ergriffen werden, um problematische Folgen zu mildern. Kombiniert man sie sinnvoll, können die Energiewende und das Energiesystem resilient gegenüber fast allen Herausforderungen werden, die auf sie zukommen.

Deutschland ist bisher von Ausfällen der Versorgung durch Wetterextreme weitgehend verschont geblieben. Daher liegt jedoch kaum Handlungswissen für derartige Situationen vor; die Konsequenzen könnten besonders gravierend ausfallen. Dies könnte verhindert werden, wenn sowohl die Bevölkerung als auch spezifische Nutzergruppen für die Gefahren sensibilisiert würden. Beispiele für konkrete Maßnahmen sind regelmäßige Notfallübungen, Planspiele, Blackout-­Simulationen, Informationen über Vorsorgemaßnahmen für Privathaushalte und eine offene Kommunikation über mögliche Risiken.

Wegen der erhöhten Gefahr eines Blackouts sollten Erneuerbare­-Energie-­Anlagen frühzeitig auf Schwarzstartfähigkeit vorbereitet werden, damit sie auch unabhängig vom Stromnetz agieren können. Dazu gehören Maßnahmen auf Ebene der Einzeltechnologien, zum Beispiel Notstromversorgung von Windenergieanlagen, Synchronisierung der Wechselrichter mit einem semi-­stabilen Netz und der verstärkte Einsatz von Hochleistungshalbleitern. Darüber hinaus müssen die Netze umgestaltet werden. Durch ein zelluläres Design der Stromversorgung beispielsweise werden im Falle eines Blackouts zunächst Inseln der Stromversorgung wiederaufgebaut, die sich zunehmend miteinander vernetzen. Auch durch das Verlegen von Erdkabeln auf der Hoch­ und Höchstspannungsebene würde die Gefahr von großflächigen Stromausfällen reduziert, denn dadurch gäbe es weniger Masten und Freileitungen, die Stürmen, Vereisungsbedingungen und Heißwetterlagen ausgesetzt sind.

Resilienzförderung

Das Vorsorgeprinzip sollte im Zuge der Energiewende stärker berücksichtigt werden. Zwar führen Vorsorgemaßnahmen zumindest kurzfristig zu Effizienzverlusten. Allerdings sind sie eine kluge Rückversicherung gegenüber unvorhersehbaren Störungen und negativen Ereignissen, die sich einer genaueren quantitativen Abschätzung entziehen.

Zur Verringerung der Verwundbarkeit sollten nicht nur zentrale, sondern auch dezentrale Energiewandler und ­speicher ausgebaut werden, die bei großflächigen Ausfällen so lange einen Inselbetrieb sicherstellen, bis das gesamte System wieder funktioniert. Dadurch werden die Versorgungssysteme diversifiziert und unabhängiger von zentralen Strukturen.

Darüber hinaus sollten Anlagen technisch diversifiziert werden. Technologien, die sich grundsätzlich in ihrer Funktionsweise unterscheiden (Varietät), streuen das Risiko, dass Störereignisse das gesamte Versorgungssystem beeinträchtigen. Diese Risikostreuung wird verstärkt, wenn zusätzlich auf eine angemessene „Mischung“ (Balance) dieser Technologien geachtet wird.

Anlagen zur Energiegewinnung und -verteilung müssen geografisch so verteilt werden, dass sie einerseits unabhängige Versorgungseinheiten bilden, [Energiezellensystem] andererseits aber auch der Wahrnehmung der Bevölkerung von einer fairen Lastenverteilung Rechnung tragen.

Indem frühzeitig Notfallvorkehrungen und ­regelungen getroffen werden, können negative Konsequenzen im Falle einer unerwarteten Krise verringert werden. Geeignete Notfallpläne sind zum Beispiel Sensibilisierungs­ und Übungsmaßnahmen mit beteiligten Akteuren. Werden sie transparent und offen kommuniziert und umgesetzt, ist nicht zu erwarten, dass damit unnötige Ängste oder Abwehrhaltungen gegenüber der Energiewende geschürt werden. Dabei sollte deutlich gemacht werden, welche Handlungsoptionen und Präventivmaßnahmen zur Verfügung stehen.

Hintergründe, Notwendigkeiten und Risiken der Energiewende sind vielen Bürgerinnen und Bürgern noch nicht bewusst und können mit zielgerichteten Informations­ und Bildungsprogrammen verbreitet werden. Diese Programme könnten bewirken, dass die Bevölkerung die mit Krisen verbundenen Herausforderungen in ihrem Umfeld besser meistert und negative Auswirkungen vermeiden oder abmildern kann.

 

Maßnahmen für eine gesicherte Versorgung

Quelle: energiesysteme-zukunft.de

Zusammenfassung

Mit der Energiewende betritt Deutschland in vielen Bereichen unbekannte Pfade. [Und damit das gesamteuropäische Verbundsystem!] Der damit verbundene sozio-technische Umbruch macht das Energiesystem zunehmend komplex. Einige Beispiele: Verbraucherinnen und Verbraucher werden zu „Prosumentinnen und Prosumenten“, die auch Strom ins Netz einspeisen. Stromerzeuger genauso wie Verbraucher können durch intelligente Netze digital gesteuert werden. Durch unterschiedliche Techniken wie Elektromobilität oder das Herstellen von synthetischem Gas als Speichermedium werden die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität stärker miteinander verknüpft.

Dieses Mehr an Komplexität verspricht das künftige Energiesystem in vielerlei Hinsicht effizienter und flexibler zu machen. So können intelligente Stromnetze dazu beitragen, den Verbrauch besser auf die wetterabhängig schwankende Einspeisung aus Windrädern und Photovoltaikanlagen abzustimmen. Gleichzeitig wird es schwieriger, Gefährdungen der Versorgungssicherheit abzuschätzen. Je komplexer ein System ist, desto mehr Ansatzpunkte gibt es für unvorhersehbare Störungen, und desto eher können Probleme, die in einem Teilbereich auftauchen, das gesamte System beeinträchtigen. Über intelligente Stromzähler (Smart Meter) können Haushalte zum Einfallstor für Angriffe auf das Gesamtsystem werden. Zu vielen dieser Gefährdungen liegen kaum Erfahrungen vor. Dazu trägt bei, dass die Energiewende das System vergleichsweise schnell tiefgreifend verändert. Belastungen entstehen auch durch „externe“ Faktoren: Dazu zählen nicht nur Hackerangriffe auf die Energieversorgung.

Wenn der Klimawandel voranschreitet, kann die Versorgung mit russischem Erdgas ausfallen, weil Permafrostböden auftauen und damit Gasleitungen unterbrechen. Gleichzeitig wachsen mit der Umsetzung der Energiewende die Ansprüche an die Energieversorgung. Im Kern lauten sie: „grüne Energie“ zu bezahlbaren Preisen und bei gleichbleibend hoher Versorgungssicherheit. Umso drängender stellt sich die Frage: Wie kann das im Umbau befindliche deutsche Energiesystem weiterhin ein hohes Maß an Versorgungssicherheit gewährleisten?

Vor diesem Hintergrund erfordert eine vorausschauende Energiepolitik neben klassischen Risiko- und Kostenanalysen eine Resilienzstrategie. Resilienz bedeutet, dass ein System seine Funktionsfähigkeit auch unter hoher Belastung aufrechterhält oder nach Versagen schnell wiederherstellt und aus solchen Vorgängen lernt. In dieser Stellungnahme wird Resilienz als Gewährleistung der Versorgungssicherheit im Rahmen der Energiewende verstanden.

Weil nicht vorhersehbar ist, welche Ereignisse und Entwicklungen im Wechselspiel von internen und externen Einflüssen zu massiven Störungen der Energieversorgung führen könnten, müssen Schutzkonzepte über den wahrscheinlichen und erwartbaren Störfall hinausgehen. Resilienzstrategien setzen genau hier an. Sie dienen dazu, Systeme so zu ertüchtigen, dass sie auch bei unwahrscheinlichen und überraschenden Belastungen ihre Funktionsfähigkeit und Lernfähigkeit aufrechterhalten beziehungsweise kurzfristig wiederherstellen können.

Notwendig sind dafür Maßnahmen, die gegenüber möglichst vielen verschiedenen Belastungen wirken. Eine probate Methode, Handlungsspielräume auszuloten und geeignete Maßnahmen zu identifizieren, sind Szenarien. In dieser Stellungnahme skizzieren Kurz-Szenarien beispielhafte Bedrohungskonstellationen:

  • Sabotage und Anschläge
  • Naturgefahren infolge des Klimawandels
  • Rohstoffknappheiten durch internationale Risiken
  • Ungeeignete Infrastruktur durch falsche Investitionsanreize

Eine Resilienzstrategie muss auch die Möglichkeit einer Kombination solcher (und weiterer) Szenarien berücksichtigen. Für kombinierte Szenarien gilt das Gleiche wie für die einzelne Bedrohung: Zwar ist es unwahrscheinlich, dass eine der hier ausgeführten Bedrohungskonstellationen genau so eintritt wie beschrieben. Je mehr Konstellationen allerdings möglich sind, und bei komplexen Systemen wächst deren Zahl rapide, desto wahrscheinlicher wird es, dass irgendeine davon eintritt.

Eine Resilienzstrategie umfasst die vier Handlungsfelder:

Risiken und Schwachstellen identifizieren

  • Das System robust und vorsorgend gestalten
  • Ausfälle überbrücken und die Systemleistung wiederherstellen
  • Flexible und adaptive Systeme aufbauen

Umsetzen lässt sich die Resilienzstrategie mit Maßnahmen. Deren Ausgangspunkt sind oft Kooperationen: zwischen Behörden und Energieversorgern oder Netzbetreibern, vor allem aber zwischen Staaten.

Fast alle der folgenden zehn Typen von Resilienzmaßnahmen für das Energiesystem werden durch Kooperationen wirksamer:

Monitoring dient dazu, Schwachstellen und Gefährdungen des Energiesystems zu identifizieren. Hier kann auf Erkenntnisse des Risikomanagements zurückgegriffen werden. Um auch unerwartete Belastungen besser meistern zu können, müssen zunächst einmal Kriterien und Methoden entwickelt werden, um die Resilienz des Energiesystems zu messen. Zweckmäßig ist ein regelmäßiges Monitoring des gesamten Energiesystems.

Partizipation und Lastenausgleich tragen dazu bei, dass die Zivilgesellschaft die Energiewende und den Bau nötiger Infrastruktur akzeptiert oder unterstützt. Mittel dafür sind Bürgerforen, Ombudsstellen, ein möglicher Entschädigungsfonds für Belastungen durch den Bau von Infrastruktur oder Möglichkeiten finanzieller Teilhabe.

Für Elektroautos und Elektrolyseure sind Seltene Erden und Metalle notwendig, die Deutschland importiert. Um hier Engpässe auf dem Rohstoffmarkt und die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern zu reduzieren, ist es sinnvoll, das Recycling etwa von Platingruppenmetallen und das Entwickeln von Ersatzstoffen voranzutreiben. Eine wichtige Grundlage dafür sind ausreichende Finanzierung der Forschung und verbesserte Gesetze und Standards.

Durch die Diversifizierung von Anlagen zur Stromerzeugung können Risiken gestreut werden. Windräder sind nicht von Hitzewellen betroffen und Gaskraftwerke können dann Strom erzeugen, wenn weder der Wind weht, noch die Sonne scheint. Standards können mit verhindern, dass intelligente Netze oder Zähler mit identischer Software ausgestattet werden, was sie anfälliger gegenüber Hackerangriffen macht.

Redundanz bedeutet, Leitungen, Generatoren und andere Elemente häufiger zu installieren als für den Normalbetrieb nötig. Dann bleibt die Versorgung auch erhalten, wenn einige dieser Elemente ausfallen. Wenn Daten in intelligenten Netzen stets mehrfach und über verschiedene Kanäle übermittelt werden, sind Manipulationen durch Hacker weniger wirksam.

Puffer, Speicher und Ressourcen aller Art können kurzfristige Engpässe abfangen. Dazu zählen Erdgasspeicher oder Lager von Metallen. Dazu zählen aber auch unverplante Ressourcen wie Reparatureinheiten oder „Springer“, die bei Bedarf schnell eingesetzt werden können.

In Stromnetzen könnten „Systembeobachter“ zum Einsatz kommen, die engen Kontakt zu Reparatureinheiten halten. Wenn das Gesamtsystem als Summe für sich funktionsfähiger Teilsysteme angelegt wird, sinkt das Risiko, dass Ausfälle sich großräumig ausbreiten. Ein solches „zelluläres Design“ setzt voraus, dass Stromerzeuger, Speicher, aber auch Reparatureinheiten räumlich verteilt und auch die Netze intelligent verknüpft werden.

Information und Aufklärung der Bevölkerung können dazu beitragen, dass die Folgen von Versorgungsausfällen weniger dramatisch ausfallen. Erfahrungen aus Großbritannien zeigen, dass Unterricht und Schulungen signifikante Wirkung zeigen. Ebenfalls zur Versorgungssicherheit beitragen können Kampagnen für Energieeffi­zienz oder für das Installieren lokaler Speicher, um das System flexibler zu machen. Mit Notfallregelungen lassen sich Störungen überbrücken und der Betrieb des Systems schneller wiederherstellen.

Digitale Notbetriebs-Infrastrukturen können einspringen, wenn beispielsweise die Hauptrechner zerstört wurden. Verteilnetze könnten so umgebaut werden, dass bei Störungen stufenweise Verbraucher abgekoppelt werden können. Dabei würden weniger wichtige Verbraucher wie Leuchtreklamen zuerst, essenzielle Verbraucher wie Feuerwehrzentralen dagegen nie von der Versorgung getrennt.

Lernen ist wichtig, um das System stets an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Dafür ist es hilfreich, Ausfälle genauso zu dokumentieren wie „Beinahe-Katastrophen“. Kritische Situationen können durch Simulationen vorweggenommen werden. Hierfür müssen Modelle weiter und neuentwickelt und Netz- und Kraftwerksbetreiber damit vertraut gemacht werden.

Angesichts der Vielfalt möglicher Belastungen im künftigen Energiesystem ist damit zu rechnen, dass eine erfolgversprechende Resilienzstrategie einer Kombination von Maßnahmentypen bedarf. Nicht in jeder Situation greift die gleiche Maßnahme oder Maßnahmenkombination. Resilienzförderung erfordert Maßnahmen, die auf Rahmenbedingungen und Akteure zugeschnitten sind. Das Energiesystem sollte als lernendes System gestaltet werden, das auf Ereignisse und Entwicklungen flexibel und adaptiv reagieren kann. Dies erfordert unter anderem, die Improvisationsfähigkeit von Akteuren zu stärken.

Ein wichtiges Bewertungskriterium für Resilienzmaßnahmen ist deren Effizienz in einer Langfristperspektive. Schließlich kostet Resilienz zunächst einmal Geld. Eine allzu kurzfristige Perspektive ist dabei allerdings problematisch. Langfristig ist Resilienz eine lohnende Investition. Wichtig ist daher ein Wechsel der Perspektive: weg von kurzfristiger Optimierung hin zu langfristigem, strategischem Denken. Es ist die Aufgabe der Politik, diesen Perspektivwechsel voranzutreiben und die Förderung von Resilienz so zu steuern, dass Maßnahmen und Akteurs-Verantwortlichkeiten bestmöglich aufeinander abgestimmt sind.

3 Mehr als die Summe ihrer Teile: die Resilienzstrategie

Zwar sind bestimmte Entwicklungen, die für das Energiesystem bedrohlich werden könnten, absehbar. Die Einzelereignisse und ihre Abfolge, für die vier mögliche Entwicklungen beispielhaft skizziert wurden, sind es aber nicht. Hinzu kommt die Gefährdung durch die genannten „schwarzen Schwäne“. Überraschende, neue und unterschätzte Ereignisse hebeln Präventionsmaßnahmen aus, die auf spezielle Belastungen zugeschnitten sind.

Im Folgenden geht es daher nicht darum, bestimmten Risiken mit einer auf sie zugeschnittenen Strategie oder gar punktuellen Gegenmaßnahmen beizukommen – das wäre klassisches Risikomanagement. Eine Resilienzstrategie ist nicht auf erwartbare externe Belastungen fokussiert. Ihr Ziel ist es vielmehr, das System so robust zu gestalten, dass es seine Funktionsfähigkeit erhalten oder – egal was passiert – so schnell wie möglich wiederherstellen kann. Sie trägt dazu bei, mit unterschiedlichsten Belastungen umzugehen, auch mit unterschätzten („graue Schwäne“) und schwer prognostizierbaren und überraschenden („schwarze Schwäne“).

Die im Folgenden skizzierte Resilienzstrategie unterscheidet sich vom Ablauf des Verhaltens resilienter Systeme, der in internationaler Literatur beschrieben wird. Sie wurde für diese Stellungnahme entwickelt und ist stärker auf die Handlungsspielräume der Akteure und die genannten Maßnahmentypen fokussiert als das internationale Modell. Ihre vier Handlungsfelder ergänzen sich und bauen aufeinander auf. Allerdings ist es möglich, einzelnen der vier Handlungsfelder ein stärkeres und anderen ein weniger starkes Gewicht beizumessen.

Risiken und Schwachstellen identifizieren: Idealerweise sollen Belastungen für die Energieversorgung schon neutralisiert werden, bevor sie sich auswirken können. Außer technischen Belastungen können das auch Faktoren wie unzureichende Investitionen in die Infrastruktur sein. Dazu gehört, sie zu identifizieren und ihre potenziellen Auswirkungen auf das Energiesystem zu untersuchen (Risikoanalyse). Des Weiteren müssen Schwachstellen im System identifiziert werden (Vulnerabilitätsanalyse). Daten aus dem Monitoring des Energiesystems und den Dokumentationen vergangener Krisen können dazu beitragen, Simulationsmethoden zu verbessern. Aus den Ergebnissen können wirksame Präventivmaßnahmen und neue Vorgaben für die Planung von Energieinfrastrukturen abgeleitet werden.

Das System robust und vorsorgend gestalten: Belastungen sollen die Funktion des Systems nur minimal beeinträchtigen. Redundanz, also das Vorhalten von mehr Betriebsmitteln als für den Normalbetrieb notwendig, oder andere Formen von Puffern wie Speicher oder Reparaturtrupps können Schwachstellen beseitigen. Vorhandene Technik kann durch alternative Lösungen ergänzt und damit das System diversifiziert werden. Dabei sollen auch Schwachstellen identifiziert werden, die bislang nicht belastet wurden und auch noch nicht zu Ausfällen geführt haben. Durch Analyse, Diversität, Redundanz und eine möglichst offene und nachjustierbare Gestaltung kann das Energiesystem robuster gemacht werden. Das gilt besonders, wenn neue Technologien zum Einsatz kommen oder bisher unabhängige Infrastrukturen miteinander verknüpft werden. Bei der intelligenten Kopplung von Sektoren (Strom, Wärme, Mobilität) ist eine maximale Flexibilität bei gleichzeitiger Minimierung gegenseitiger Abhängigkeiten das Ziel.

Ausfälle überbrücken und Systemleistung wiederherstellen: Um Schäden durch einen Energieausfall lokal zu begrenzen und die Funktionen des Systems so schnell wie möglich wiederherzustellen, müssen Bevölkerung und Unternehmen gut informiert und bei der Selbsthilfe unterstützt werden. Dazu dienen Notfallpläne und regelmäßige Übungen, die Zivilschutzorganisationen wie das Technische Hilfswerk organisieren können. Die kritischsten Folgen haben langanhaltende Stromausfälle, aber auch das Unterbrechen der Wärme- und Kraftstoffversorgung ist problematisch. Wenn das Energiesystem dezentraler wird, müssen auch die Möglichkeiten zur Notfallversorgung und zum Wiederaufbau der Versorgung dezentral angelegt sein. Hier können auch mobile Erzeuger eine Lösung sein, etwa Aggregate, die mit synthetischen Treibstoffen betrieben werden können. Bereits bestehende dezentrale Strukturen wie lokale Strom- oder Wärmenetze müssen möglicherweise angepasst werden, damit sie das System stabilisieren und/oder nach Ausfällen zu dessen Wiederherstellung beitragen können. [Besonders wichtig ist die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung, also der Mensche! Es geht nicht nur um Technik!]

Lernende und adaptive Systeme aufbauen: Ziel sollte sein, sowohl aus eingetretenen als auch aus vermiedenen Katastrophen zu lernen und dadurch das System anpassungsfähig zu halten. Entscheidend ist dabei nicht, dass die Struktur oder bestimmte Elemente des Energiesystems – etwa Wärmenetze oder Kohlekraftwerke – erhalten bleiben, sondern die Dienstleistungen, die das System bereitstellt – in diesen Fällen Wärme und Strom. Hierfür müssen Störfälle und überstandene Krisen dokumentiert (Wissensspeicher) und systematisch ausgewertet (Lösungsspeicher) werden, sodass sie als Grundlage für Planspiele und Notfallszenarien verwendet werden können. Auf diese Weise können auch Sicherheitsstandards regelmäßig überarbeitet werden. Welche Belastungen in Zukunft auf das Energiesystem zukommen können, ist unsicher. Es ist daher wichtig, dass die beteiligten Akteure improvisieren können. Ferner sind technische und organisatorische Strukturen regelmäßigen Stresstests zu unterziehen, bei denen Simulationen zum Einsatz kommen können.

Zuletzt müssen die gesellschaftliche Akzeptanz für eine langfristige Transformation des Energiesystems und das Bewusstsein, dass es zu Störungen und Ausfällen kommen kann, gefördert werden. Schließlich können Widerstand der Bevölkerung und soziale Unruhen das Wiederherstellen der Energieversorgung nach Ausfällen beträchtlich verlangsamen.

4 Maßnahmen

Um das Energiesystem resilient zu gestalten, sind zehn Maßnahmentypen wichtig; oft sind deren Grundlage – vor allem internationale – Kooperationen. Einige Überschneidungen in Kauf nehmend, können sie den vier Handlungsfeldern der Resilienzstrategie zugeordnet werden. Wie diese wurden die zehn Maßnahmentypen für diese Stellungnahme entwickelt. Einige davon sind eher geeignet, mittel- und langfristig Verwundbarkeiten des Systems zu reduzieren, andere sind darauf ausgerichtet, kurzfristigen Störungen oder Schocks zu begegnen (siehe Abbildung 2). Für viele der genannten Maßnahmen werden Kosten anfallen. Wie hoch sie im Einzelnen ausfallen, wurde allerdings nicht berechnet und wird daher im Folgenden auch nicht beziffert.

 

Der Schwerpunkt der hier beschriebenen Maßnahmen liegt auf dem Stromsektor. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist es sehr wahrscheinlich, dass in den nächsten Jahrzehnten die Bedeutung des Stroms zunehmen wird, da die Sektoren Wärme und Mobilität in großen Teilen elektrifiziert werden. Zum anderen ist die Stromversorgung die zentrale Infrastruktur schlechthin: Vom Strom sind weitere Infrastrukturen direkt abhängig, etwa die Wasserversorgung oder die Telekommunikation. Hier spielen Wechselwirkungen zwischen den Systemen eine wichtige Rolle: So kann es funktionierende Kommunikationsnetze und Informationstechnik – die wiederum Strom brauchen – erfordern, um das Stromnetz nach einem Ausfall wiederherzustellen. Aus diesen Gründen würden großflächige und andauernde Stromausfälle die modernen Gesellschaften sehr viel unmittelbarer und stärker treffen als etwa Knappheiten von Treibstoffen. Und auch hier gilt: Ohne Strom fallen selbst die Zapfsäulen an den Tankstellen aus.

 

Um die Funktionsfähigkeit des Systems zu gewährleisten, sind internationale und sektorübergreifende Kooperationen unerlässlich. Schon heute wird im Stromsystem auf europäischer Ebene zusammengearbeitet, etwa um die Funktionsfähigkeit auch in Krisenfällen zu sichern. Eine wichtige Maßnahme, um die Stromversorgung aufrechtzuerhalten, ist der europaweite Ausbau der Übertragungs- und Verteilnetze. Kooperation auf europäischer Ebene ist auch bei Gefährdungen von außerhalb der eigenen Landesgrenzen sinnvoll. Der intensive Austausch der Sicherheitsbehörden senkt das Risiko durch im Ausland vorbereitete Sabotage deutscher Infrastruktur.

Die Sicherung der Rohstoffversorgung, gleich ob für Energie- oder metallische Rohstoffe, ist eine privatwirtschaftliche Aufgabe. Staatlicherseits kann Rohstoffbezug flankierend durch internationale Abkommen abgesichert werden. Durch verstärkte Kooperation (zum Beispiel durch eine gemeinsame Versorgungs- und Reservepolitik) lassen sich im Krisenfall Ausgleiche herstellen, etwa durch längerfristige Lieferverträge zwischen Unternehmen.

Damit die Bevölkerung die Energiewende langfristig unterstützt – und auch den Bau notwendiger Infrastrukturen hinnimmt –, sollten sich möglichst viele andere Länder zu vergleichbaren Anstrengungen bekennen. Ein Schritt in diese Richtung ist der in Paris ausgehandelte Klimavertrag, der am 4. November 2016 in Kraft getreten ist.

Parallel zum mittelfristigen Aufbau eines zentralen Resilienz-Monitorings sollte das Augenmerk kurzfristig auf lokale Bedrohungen gelegt werden. Um Gefahren frühestmöglich zu identifizieren, ist es sinnvoll, die notwendige Expertise zusammenzuführen. Dafür könnten Behörden und Systembetreiber etwa mit großen Versicherern zusammenarbeiten.

Damit Netzbetreiber beispielsweise in der Lage sind, Regionen mit Störfällen schnell vom Netz zu isolieren, müssen verlässliche Modelle durchgerechnet worden sein und als Handlungsunterlagen ausgearbeitet vorliegen. Betreiber kleiner Verteilnetze oder Erzeugungsanlagen sind dafür auf die Unterstützung externer Fachleute angewiesen. Hier können Kooperationen weiterhelfen. Eine Initiative der Netzbetreiber in der Regelzone 50 Hertz führte unter anderem zu einem gemeinsamen Konzept, um das Stromnetz nach Ausfällen wiederaufzubauen. Für den Austausch von Daten zwischen Übertragungsnetz-, Verteilnetz- und Anlagenbetreibern werden aber auch Vorgaben vom Regulator nötig sein, etwa der Bundesnetzagentur.

4.7 Dezentralität und funktionsfähige Teilsysteme

Die Verwundbarkeit des Gesamtsystems lässt sich deutlich reduzieren, wenn es als Summe einzeln funktionsfähiger Teilsysteme angelegt wird. [Energiezellensystem] Dem Versagen eines für das System essenziellen Elements, dem sogenannten „Single Point of Failure“, wird so vorgebeugt. Im Fall von Anschlägen oder Störungen fielen dann nur die betroffenen Teilsysteme aus, ohne dass Dominoeffekte das Gesamtsystem in Leidenschaft zögen. Überdies könnte bei Stromausfällen von weiterhin funktionierenden Teilsystemen aus der Regelbetrieb in betroffenen Teilsystemen schneller wiederhergestellt werden.

Autarkiefähige Teilsysteme bedingen eine Dezentralisierung der Energieinfrastruktur sowie die Bereitstellung netzunterstützender Systemdienstleistungen. Das gilt für Vorräte von Erdgas oder anderen Energierohstoffen genauso wie für Batterie- oder Pumpspeicher. Sie würden bei großräumigen Ausfällen beziehungsweise einer Trennung des Versorgungsverbundes einen Inselbetrieb sicherstellen, bis die Störung behoben ist. Kohle- und Gaskraftwerke ebenso wie Erneuerbare-Energien-Anlagen müssten so verteilt sein, dass sie die wichtigsten Bereiche des Teilsystems, zu dem sie gehören, ausreichend versorgen können. Dasselbe gilt für Stromtrassen und Gasleitungen, die so verteilt und vernetzt sein müssten, dass Untersysteme mit ihnen versorgt werden können. Die Infrastruktur für den Notfall und Reparatureinheiten sollten so verteilt sein, dass mehrere Teilsysteme auf sie zugreifen können.

Die Digitalisierung des Energiesystems bietet ebenfalls Möglichkeiten, dessen Resilienz zu erhöhen. IKT-basierte Intelligenz macht dynamische zelluläre Stromnetze möglich, in denen sich Zellen je nach Bedarf bilden, miteinander verschmelzen und wieder aufteilen, zum Beispiel um lokal erzeugte Energie optimal zu nutzen. Hierzu müssen Algorithmen und Verfahren in Bereichen wie Bedarfssteuerung und -planung, Zell- und Netzsteuerung sowie Energiepreisgestaltung angepasst und erweitert werden. Besondere Bedeutung hat intelligente Steuerung in Ortsnetzen, die bislang noch mit keiner oder wenig Sensorik ausgerüstet sind und von Stadtwerken „blind“ gesteuert werden. Auch in Fällen von Energieknappheit, -überversorgung und technischen Störungen sind intelligente zelluläre Strukturen heutigen zellulären Netzen überlegen, beispielsweise dann, wenn betroffene Netzsegmente zu isolieren und gleichzeitig benachbarte Netzsegmente weiterzubetreiben sind.

Ein weiterer Vorteil eines dezentral ausgelegten Energiesystems wäre, dass es dem Bedürfnis der Bevölkerung nach einer gerechteren Verteilung der Belastungen durch die Energieinfrastruktur entgegenkäme. Dezentral ausgelegte Stromnetze sind allerdings teurer als zentrale.

Regionale zellförmige Energienetze

Ein über sieben Jahre laufendes Pilotprojekt in West-Dänemark hat gezeigt, dass es möglich ist, lokale zellförmige Stromnetze zu bilden und vom Übertragungsnetz abzukoppeln, ohne dass es zu Stromausfällen kommt [siehe auch das US-Projekt Smart Power Infrastructure Demonstration for Energy Reliability and Security (SPIDERS)]. Seit Dezember 2016 läuft auch in Deutschland ein entsprechendes Projekt. Im Projekt C/Sells werden Erfahrungen mit regionalen zellförmigen Netzen gesammelt, in denen ein hoher Anteil des Stroms aus wetterabhängig schwankenden erneuerbaren Energien stammt. Diese Zellen sollen sich zuerst selbst versorgen. Dazu gehört, Spannung und Frequenz im Stromnetz lokal stabil zu halten und Wärme und Energie für Mobilität ebenfalls lokal bereit zu stellen. Damit werden auch Speicher und das Umwandeln von Strom in Wärme und in Kraftstoffe für eine regionale und dezentrale Energieversorgung relevant. Es wird getestet, wie derartige Zellen im Verbund interagieren und welche Voraussetzungen nötig sind, damit regionale Systemdienstleistungen auch an den Strommärkten gehandelt werden können. Auch Kosten und Nutzen zellförmiger Energiesysteme sind noch genauer auszuloten

Der zelluläre Ansatz ist derzeit noch für die komplette Neugestaltung einer integrierten Strom-, Wärme- und Kraftstoffversorgung angelegt. Er muss sich also zunächst im Feldtest behaupten. Vor dem Einrichten zellförmiger Energiesysteme wäre außerdem zu klären, inwiefern auch Energiemärkte und Systemführerschaft regionalisiert werden müssten. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob geeignete Plattformen eingerichtet werden müssten, um Expertise aufzubauen und weiterzugeben. Daran zu beteiligen wären die Betreiber von Übertragungs- und größeren Verteilnetzen, die Kommunen und regionalen Energieversorger, sowie die Betreiber von dezentralen Erzeugungsanlagen. Die entsprechenden Gesetze müsste der Bundestag beschließen, für ihre Durchsetzung wäre die Bundesnetzagentur verantwortlich.

4.8 Information und Aufklärung der Bevölkerung

Aufklärung kann dazu beitragen, dass die Bevölkerung durch ihr Verhalten mithilft, Verwundbarkeiten des Energiesystems zu mildern und auf widrige Ereignisse wie großräumige Stromausfälle angemessen zu reagieren. Bislang trifft die überwiegende Mehrheit der Menschen keinerlei Vorsorge, um mögliche längere Stromausfälle zu überbrücken.

Ziel von Information und Aufklärung ist es, die Eigenverantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Der Maßnahmentyp folgt damit dem Subsidiaritätsprinzip, dem zufolge soweit möglich das Individuum beziehungsweise die jeweils kleinste Einheit eines Gemeinwesens Angelegenheiten regeln sollte [siehe auch Konzept Selbsthilfe-Basis]. Ministerien oder Behörden müssten entsprechende Strategien entwickeln. Dabei lohnt der Blick über den nationalen Tellerrand, da solche Maßnahmen in Resilienzforen oder Lehreinheiten an Schulen, etwa in Japan, den USA oder Großbritannien, zum Teil seit langer Zeit umgesetzt werden. Dabei ist es wichtig, dass Informationen nicht nur weitergegeben, sondern ausgetauscht werden. Das Ziel sind dabei „Dialoge auf Augenhöhe“ [vgl. Sicherheitskommunikation].

Es ist wichtig, den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, dass sie durch adäquates Verhalten selbst zur Steigerung der Resilienz des Energiesystems beitragen können. Eine Möglichkeit dafür ist, Energie zu sparen, eine andere, das System durch das Installieren sicherer intelligenter Zähler oder lokaler Speicher flexibler zu machen. Es wäre zudem sinnvoll, Methoden und Wege für den Austausch zwischen den relevanten staatlichen Akteuren wie dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe oder den Katastrophenschutzbehörden und den von Ausfällen der Energieversorgung betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch Energieversorgern und Netzbetreibern zu entwickeln. Soziale Medien können für solche Maßnahmen besonders hilfreich sein. Das in der Gesellschaft vorhandene Wissen über das Energiesystem wächst durch den Umbau zu einem dezentral organisierten Netz an, da lokale Energieexpertinnen und Energieexperten über nützliche Informationen zur Erhöhung der Resilienz des Energiesystems verfügen. Die Aufgabe besteht darin, dieses Wissen für relevante Stellen zu erheben und systematisch zur Verfügung zu stellen.

Eine Resilienzoption für digital betriebene Elemente des Systems bilden Notbetriebs-Infrastrukturen, die bei Hackerangriffen die ausgefallene Primärinfrastruktur ersetzen können. Ihre Funktion ist es, die Mindestversorgung zu gewährleisten. Im Normalfall befinden sie sich im Standby­Betrieb. Weil sie außerdem so gut wie möglich vom Primärsystem getrennt sind, können Notbetriebs-Infrastrukturen eingesetzt werden, wenn das Primärsystem beschädigt ist

Aufnahme des Resilienzkonzepts in Bildungspläne

Unterricht und Schulungen können dazu beitragen, das Verständnis für die Energiewende, das Energiesystem, die Möglichkeit widriger Überraschungen und das Handeln im Extremfall zu erhöhen. So entwickelte etwa der Essex Civil Protection & Emergency Management Service des britischen Countys Essex Spiele, Bücher und weitere Unterrichtsmaterialien zum Umgang mit Katastrophen. Sie wurden zunächst im Rahmen von Pilotprojekten an Schulen eingesetzt. Die anschließende Evaluierung zeigte, dass sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch ihre Eltern und Verwandten nach dem Projekt wesentlich besser über Risiken und das richtige Verhalten im Extremfall informiert waren [siehe auch Sicherheitskommunikation].

In Deutschland bietet zum Beispiel das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zielgruppengerechte Materialien zum Umgang mit Katastrophen an. Ähnliches könnte für die Risiken beim Ausfall der Energieversorgung entwickelt und in Lehrpläne integriert werden. Diese Aufgabe kann nur langfristig gelingen und erfordert ein Zusammenwirken der zuständigen Organe für den Bevölkerungsschutz, der Bildungsforschung sowie der Bundesländer über die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland.

Netzumbau in hierarchischen Stufen

Unter bestimmten Voraussetzungen können großräumige Stromausfälle nur noch dadurch verhindert werden, dass der Bedarf schlagartig reduziert wird. Bei der heutigen Architektur des Netzes und den heute verwendeten Notabwurfplänen können räumlich definierte Netzteile – etwa Straßenzüge oder Stadtteile – immer nur als Ganzes von der Versorgung getrennt werden. Notabschaltungen betreffen daher alle Verbraucher gleichermaßen.

Abhilfe schüfe der Umbau des Netzes in „hierarchische Stufen“. Dafür müssten trennscharf Abnehmergruppen definiert und die Verteilnetze entsprechend angepasst werden. Diese müssten auch zentral ein- und abschaltbar sein. Je nach Notfall könnten zuerst weniger wichtige Verbraucher (zum Beispiel Leuchtreklamen) vom Netz getrennt werden, dann Privathaushalte und gewerbliche Verbraucher. Die Stromversorgung für Verkehrsampeln oder die Telekommunikation bliebe so lang wie möglich aufrechterhalten, die von Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Feuerwehr- und Polizeileitstellen muss durchgehend gewährleistet bleiben. Wenn Telekommunikationssysteme weiter funktionieren, über die sich Anlagen aus der Ferne überwachen und wiedereinschalten lassen, können Probleme schneller identifiziert und die Versorgung schneller wiederhergestellt werden. Und wenn die Raumbeleuchtung weiterhin funktioniert, geraten die Menschen weniger schnell in Panik.

Die Rahmenbedingungen dazu müsste die Bundesnetzagentur setzen; umsetzen müssten den Umbau die Betreiber der Verteilnetze. Dabei würden erhebliche Kosten anfallen. Die Kosten könnten über die Netzentgelte umgelegt werden. Sie wären als Investition in die allgemeine Versorgungssicherheit zu sehen.