Quelle: www.ethz.ch
Timothy Prior und Florian Roth vom Team «Risiko und Resilienz» beim Center for Security Studies (CSS) treten als Experten beim SRF-Thementag Blackout auf. Die beiden forschen auf dem Gebiet des Katastrophenmanagements, der Resilienz und der Risiko- und Krisenkommunikation. ETH-News wollte wissen, wie es um die Schweizer Verhältnisse steht.
Am Thementag spielt das SRF einen europaweiten Blackout durch. Wie gut wäre die Schweiz auf einen solchen Fall vorbereitet?
Prior: Die Schweiz ist auf der strukturellen Ebene sehr gut auf Katastrophen vorbereitet. Die Behörden sind gut ausgerüstet und die Verantwortlichen top ausgebildet. Die Hauptarbeit wird dabei auf der Ebene der Kantone und Gemeinden geleistet. Der Bund ist vor allem unterstützend und koordinierend tätig. Die Schweiz hat einen Bevölkerungsschutz, der sehr gut zum Land passt.
Roth: Da liegt auch der Knackpunkt: In der Schweiz ist der Katastrophenfall meist lokal oder regional gedacht. Was bei extremen Ereignissen mit nationaler oder gar internationaler Bedeutung passieren würde, dafür fehlt schlicht die Erfahrung.
Und was bedeutet das?
Prior: Wir sehen, dass vor allem Länder, die grössere Katastrophen hatten, aus den Erfahrungen gelernt und die Massnahmen angepasst haben.
Roth: In Japan wurde beispielsweise nach dem grossen Erdbeben von Kobe 1995 der Bevölkerungsschutz ins Bildungssystem aufgenommen und trainiert. Die Vorschriften für erdbebensicheres Bauen wurden enorm verschärft. Ohne diese Massnahmen wären beim Erdbeben von 2011 sicher noch viel mehr Opfer zu beklagen gewesen.
Dauert eine Krise an, stellt man sich Chaos und Plünderungen vor. Wie realistisch ist ein solches Szenario?
Prior: Die Bilder von Menschen, die im Krisenfall ohne jegliche Rücksicht agieren, haben wir vor allem wegen Hollywood und der Berichterstattung über Einzelfälle im Kopf. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen ein anderes Bild: In Ländern mit grosser Stabilität verhalten sich die allermeisten Menschen rational und solidarisch.
Wie sehen Sie die Zukunft?
Prior: Für mich gibt es zwei wichtige Punkte: Es gibt keine Katastrophe ohne Menschen – ein Erdbeben an einem Ort, an dem keine Menschen leben und es keine Infrastruktur gibt, ist nur ein Naturereignis, keine Katastrophe. Deshalb ist für uns die Frage der sozialen Verwundbarkeit, das heisst, wer am stärksten betroffen ist, so wichtig.
Zweitens bedeutet der Einfluss der Zivilgesellschaft und der sozialen Medien, dass die Behörden nicht mehr nur top-down kommunizieren können und damit auch ein Stück Deutungshoheit verlieren. In Zukunft werden die Behörden mehr in Dialog mit der Bevölkerung treten müssen. Das ist eine Herausforderung, weil Behörden beispielsweise erst informieren möchten, wenn eine Information als gesichert gilt. Die Bürger erwarten aber schnelle Informationen. Aber es ist auch eine grosse Chance für einen effizienteren Bevölkerungsschutz. In Zukunft können Behörden ihre Kommunikation noch stärker situativ anpassen.
Was kann jeder Einzelne tun, um sich besser vorzubereiten?
Prior: Wichtig ist, dass man die Gefahren kennt und weiss, was im Katastrophenfall zu tun ist. Obwohl der Notvorrat vielen etwas antiquiert erscheinen mag, ist er trotzdem eine gute Idee. Denn im Krisenfall wird sich die Schweiz gut organisieren, aber es kann sein, dass die Menschen die ersten zwei, drei Tage alleine über die Runden kommen müssen. Ganz allgemein zeigt sich, dass Haushalte, die sich einen Familiennotfallplan zurechtgelegt haben, Katastrophen besser überstehen als andere.
Kommentar
Die massive Unterschätzung der Folgen eines möglichen Blackouts sind überall ähnlich. Das bewährte Katastrophenschutzmanagement basiert auf einer funktionierenden Telekommunikationsinfrastruktur, wie sie im Fall eines Blackouts nicht zur Verfügung stehen wird. Wenn sie technisch funktioniert, wird sie wahrscheinlich ziemlich schnell überlastet sein und damit auch ausfallen. Daher zerfällt die Gesellschaft in Kleinststrukturen und muss durch lokale Selbstorganisation überleben. Aber auf dieser Ebene fehlt in vielen Bereichen die Vorbereitung, insbesondere was die aktive Einbindung der Bevölkerung in die Krisenvorsorge betrifft. Positive Ausnahme: Schweiz
Was leider auch häufig unterschätzt wird, ist der Faktor Kommunikation – vor, während und nach einem Ereignis. Unsere heutigen Strukturen sind kaum in der Lage die heutigen kommunikativen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Hier besteht noch häufig das top-down-Sender-Empfänger-Denken. Daher wird es hier in Folge eines Blackouts auch ziemlich große Überraschungen geben, vor allem, im Nachgang (Stichwort: Soziale Medien).
Siehe auch In der Silvesternacht versagte der Polizeifunk.
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