Beitrag für WKO – Umweltschutz der Wirtschaft – Spezialausgabe 3/2016

Reichen neue Technologien für den Wandel, oder braucht es doch mehr?

Wir stehen in vielen Bereichen vor enormen Herausforderungen und fundamentalen Umbrüchen. Ob dies die dringend notwendigen Maßnahmen zur Reduktion des Treibhausgasausstoßes und der damit verbundenen Energiewende betrifft, oder die sogenannte „Digitalisierung“ aller Lebensbereich, fast immer stehen sogenannte „Smarte IT-Technologien“ im Zentrum der Überlegungen. Gleichzeitig steigt die Komplexität durch die voranschreitende technische Vernetzung, welche mit ständig neuen Herausforderungen und einer bisher nicht bekannten Verwundbarkeit von Infrastrukturen einhergeht. Es vergeht kaum ein Tag wo nicht ein erfolgreicher Cyber-Angriff bekannt wird. Dabei stellen folgenschwere Infrastrukturausfälle noch die Ausnahme dar. Können daher diese beiden Dinge überhaupt unter einem Hut gebracht werden?

Auf den ersten Blick scheint das kaum möglich zu sein. Aber hier sollten wir Alber Einstein zu Rate ziehen, der gemeint haben soll, dass man Probleme nicht mit der selben Denkweise lösen kann, mit der die Probleme entstanden sind.

Transformation zur Netzwerkgesellschaft

Wir befinden uns in einer fundamentalen Transformation von der Industrie- zur Netzwerkgesellschaft, die viele bisherige erfolgreiche Paradigmen auf den Kopf stellt und noch stellen wird. Diese Entwicklungen hängen eng mit unseren technischen Vernetzungsanstrengungen zusammen, die eine völlig neue Kommunikationsstruktur und -kultur schaffen. Bisher sehr erfolgreiche hierarchische Strukturen sind immer weniger dazu geeignet, um mit der durch die Vernetzung entstehenden Dynamik und Veränderungsgeschwindigkeit umzugehen. Flache, flexible und agile Strukturen etablieren sich und können wesentlich besser mit den neuen Herausforderungen umgehen, auch wenn wir gleichzeitig noch häufig mit einer Abwehr- bzw. Lernsituation konfrontiert sind.

Dezentralisierung

Ein wesentliches Kennzeichen der Netzwerkgesellschaft ist die Dezentralisierung und Selbstorganisation, wie auch Transparenz, Partizipation und Kollaboration. Dinge, die wir bereits auf vielen Ebenen erleben: die Energiewende von der zentralisierten zur dezentralisierten Energieerzeugung, regionale Autonomiebestrebungen, die wachsende Sharing-Ökonomie, 3-Druck, die Entwicklungen zur beinahe Null-Grenzkosten-Gesellschaft oder auch die Selbstorganisation der Zivilgesellschaft infolge der Flüchtlingswelle 2015.

Grenzen des Wachstums

Wenn man diese Entwicklungen nicht mitbetrachtet, dann besteht die große Gefahr, dass Lösungsansätze in eine Sackgasse bzw. zu unangenehmen Überraschungen führen. Das betrifft genauso die Grenzen des Wachstums. Unser Denken und Handeln basiert in vielen Bereichen noch auf unserer bisherigen Sozialisierung und gesellschaftlichen Ausrichtung in der Industriegesellschaft. Gleichzeitig wissen wir jedoch aus den Systemwissenschaften, dass ein System, das nur durch Wachstum überleben kann, langfristig nicht überlebensfähig ist.

Technikgläubigkeit

Aktuell stellen „Smarte“ Technologien einen großen Hype dar. Diese sollen mit einer „Intelligenz“ ausgestattet werden und unsere Probleme lösen; so wird es uns zumindest versprochen. Leider oder zum Glück kann sich Technik die erforderliche Intelligenz noch nicht selber beibringen, auch wenn es bereits erste Ansätze dazu gibt („Deep Learning“). Daher ist es bis auf weiteres notwendig, dass Menschen diese „Intelligenz“ implementieren. Und genau hier setzt das Problem an. Denn wer definiert, was intelligent, nachhaltig, zukunftsträchtig, gemeinwohlorientiert, etc. ist? Oder zählen weiterhin nur Absatzzahlen und Wachstums bei möglichst geringen Kosten? Dass das Thema „Sicherheit“ in seinen vielschichtigen Ausprägungen dabei zu kurz kommt, zeigt die Praxis.

Smart Grids, Smart Meter und neue Verwundbarkeiten

Eine große Hoffnung wird bei der Energiewende in Smart Grids und Smart Meter gelegt, welche zur Lösung der aktuellen Herausforderungen, die durch die Dezentralisierung der Stromerzeugung, sowie durch die geänderte Erzeugungskarakteristik (etwa Volatilität in der Erzeugung) lösen sollen. Viele derzeitige Lösungsansätze sind jedoch nicht zu Ende gedacht. Etwa, wenn intelligente Stromzähler plötzlich nicht nur mehr Zähler sondern Fernwirksysteme sind, die aus der Ferne abgeschaltet  werden können. Oder wenn, wie eine deutsche Studie belegt, flexible Tarife zu einem Schwarmverhalten führen, dass in einem Systemcrash endet. Aber auch zentralisierte Smart Grid Ansätze, die etwa eine zentrale (Kunden-)Steuerung („Lastmanagement“) vorsehen bzw. hauptsächlich die IT-(Sicherheits)Seite betrachten.

Cyber-Bedrohungen

Spätestens seit dem 23. Dezember 2015 sollte jedoch allen klar sein, dass Cyber-Angriffe nicht nur Daten betreffen können. Denn an diesem Tag kam es in der Ukraine zum weltweit ersten Blackout, welches durch einen Cyber-Angriff ausgelöst wurde. Aber es müssen nicht immer Angriffe sein, die eine Infrastruktur lahm legen können. Im Mai 2013 ist auch Österreich und damit wahrscheinlich Europa an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Wie kaum bekannt ist, führte damals ein fehlkonfiguriertes Steuersignal von einem deutschen Gasnetzbetreiber zu einer schweren Leittechnikstörung im österreichischen Stromnetzbetrieb. Kaum auszudenken, welche Folgen ein solches Ereignis unter den heute zunehmend angespannten Netzbetriebssituationen haben könnte. In den letzten Monaten kam es zudem zu mehreren großen Infrastrukturstörungen (Internet, Mobilfunknetz, Bankomatsystem). Bisher waren die Auswirkungen noch überschaubar. Jedoch anzunehmen, dass es nicht doch noch schlimmer kommen könnte, wäre aber naiv.

Abhängigkeit von der Stromversorgung

Wie sich leider immer wieder zeigt, ist den wenigsten Menschen aber auch Verantwortungsträgern unsere Abhängigkeit von der Stromversorgung wirklich bewusst, was auf die sehr hohe Versorgungssicherheit zurückzuführen ist. Dass diese kein Naturgesetz ist, sondern auf umfangreichen Aufwendungen basiert, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen, wird dabei gerne übersehen. Die umfangreiche Vernetzung unserer wichtigsten beiden Infrastrukturen bzw. der intensive Einsatz einer an und für sich nicht sicheren Technologie schafft daher eine Komplexität, die mit unserem heutigen Denken nicht beherrschbar ist.

Betriebswirtschaftliche Kurzsichtigkeit

Daher ist es auch nicht weiter verwunderlicher, dass auch dieser überlebenswichtige Sektor zunehmend rein kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Überlegungen ausgesetzt ist, was noch fatale Folgen nach sich ziehen könnte. Gleichzeitig konzentriert sich die „Energiewende“ fast ausschließlich auf eine Stromwende, obwohl der Stromsektor nur rund ein viertel des Gesamtenergieverbrauchs ausmacht. Besonders fatal ist dabei, dass auch auf europäischer Ebene keine koordinierte Vorgangsweise beim Umbau dieser wichtigsten Infrastruktur feststellbar ist. Fast jeder Mitgliedsstaat betrachtet nur seine nationalen Infrastrukturen bzw. die nationalen Interessen, obwohl es sich um ein europäisches Verbundsystem handelt, welches nur im Ganzen funktioniert bzw. wo sich Fehler in einem Teilbereich auf das Gesamtsystem ausbreiten können.

Lebensfähige Systeme

Aus den System- und Komplexitätswissenschaften wissen wir, dass komplexe lebensfähige Systeme drei wesentliche Merkmale aufweisen bzw. für eine evolutionäre Weiterentwicklung erforderlich sind:

  • Eine Energie- bzw. Ressourcenbedarfssenkung, um die Abhängigkeiten zu senken.
  • Eine fehlerfreundliche Systemgestaltung, den das Misslingen ist von Natur aus normal und das Gelingen immer das Besondere.
  • Eine dezentrale, zelluläre Systemgestaltung, da sich komplexe Systeme nicht auf Dauer zentral managen und steuern lassen. Etwa durch ein Energiezellensystem in der Stromversorgung.

Wenn wir diese drei Merkmale auch bei „smarten“ technischen Lösungen bzw. bei sozialen Strukturen in den Vordergrund stellen, dann wird es uns hoffentlich gelingen, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Nichtsdestotrotz wird auch eine Wertediskussion erforderlich sein, denn die Energiewende stellt nicht nur eine Technik- sondern auch eine Kulturwende dar.

Keine 100%-Sicherheit

Dabei geht es nicht nur um Technik alleine, denn es gibt nirgends eine 100%-Sicherheit. Auch wir Menschen müssen an unserer Resilienz arbeiten, um uns in die Lage zu versetzen, auch mit größeren Infrastrukturstörungen und –ausfällen umzugehen, worauf wir derzeit überhaupt nicht vorbereitet sind. Denn wir wissen nicht, woher zukünftige Bedrohungen und Störungen kommen werden. Vielleicht aus dem Cyber-Raum, aber es können genauso gut Extremwetterereignisse in Folge des Klimawandels sein (Hitzewellen, Überschwemmungen, Stürme), die dazu führen, dass unsere zentralisierten Infrastrukturen nicht mehr funktionieren. Dezentrale, autonom funktionierende und damit robuste Strukturen zu schaffen bedeutet daher, sich nicht auf mögliche Bedrohungen zu konzentrieren, sondern auf die Bewältigung jeglicher Störungen, auch auf noch unbekannte. Das erfordert ein komplementäres Denken und das Zusammenspiel und die Kooperation auf vielen Ebenen.

Vernetztes Denken und Handeln

Gleichzeitig muss uns klar sein, dass eine Lösung nicht auf nationalstaatlicher, ja nicht einmal auf europäischer, Ebene ausreicht, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Jedoch ist nicht zu erwarten, dass es unter den derzeitigen Rahmenbedingungen klar strukturierte Top-Down-Ansätze geben wird. Daher werden auch hier Bottom-Up-Lösungen und Veränderungen die wirklichen Treiber werden, wenngleich immer ein sowohl-als-auch notwendig sein wird. Hier besteht auch für die österreichische Wirtschaft eine große Chance, dann nämlich, wenn wir in der Lage sind, komplementäre Lösungsansätze zu entwickeln und zu implementieren, die bereits in das Konzept der Netzwerkgesellschaft passen. Das Potenzial ist grundsätzlich vorhanden. Was noch fehlt, ist eine klare gesellschaftspolitische Ausrichtung Richtung einer kooperativen und ressourcenschonenden Gesellschaftsentwicklung, die den Herausforderungen des Klimawandels und der Energiewende gerecht werden. Denn wenn etwa weiterhin fossile Energieträger gefördert werden, können die erforderlichen Ziele nicht erreicht werden. Langfristig tragfähige Lösungen haben den Nachteil, dass in der Regel zuerst einmal Verschlechterungen bzw. ein Mehraufwand in Kauf genommen werden muss. Hier sind daher mutige Schritte, die auch die aktive Einbindung der Bevölkerung  und eine transparente Kommunikation beinhalten, erforderlich, damit diese auch von der Bevölkerung mitgetragen werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt daher weniger in Smarten Technologien, welche zwar eine wichtige Rolle spielen werden, als vielmehr in einer offenen und transparenten Kommunikation.