Letzte Aktualisierung am 13. Mai 2021.
Quelle: Die Welt Online vom 30.09.2012 (Aufgrund einer Vortragsvorbereitung habe ich diesen alten Artikel wieder hervorgeholt)
Europäische Atomkraftwerke weisen erschreckende Sicherheitsmängel auf. Das belegen umfangreiche Stresstests. Französische AKW schneiden besonders schlecht ab – aber auch deutsche AKW sind betroffen.
Die Europäische Kommission hat bei der Überprüfung europäischer Atomkraftwerke schwere Mängel festgestellt. Nach dem Atomunfall von Tschernobyl 1986 hätten die EU-Staaten dringende Sicherheitsmaßnahmen vereinbart. „Auch Jahrzehnte später steht deren Umsetzung in einigen Mitgliedsländern noch immer aus.“
Die Sicherheitsstandards von Europas Nuklearanlagen weisen große Unterschiede auf. „Hunderte technische Verbesserungsmaßnahmen“ seien identifiziert worden, „praktisch alle Anlagen bedürfen verbesserter Sicherheitsmaßnahmen“. Das ist das Abschlussergebnis der Stresstests, die die EU-Kommission nach dem Atom-Unglück im japanischen Fukushima im März 2011 durchführen ließ.
‚In vier Reaktoren, die in zwei verschiedenen Ländern liegen, haben die Betreiber weniger als eine Stunde Zeit, um nach einem kompletten Stromausfall oder/und einem Ausfall der Kühlsysteme die Sicherheitssysteme wieder hochzufahren‘, heißt es in dem EU-Report weiter.
In der EU stehen in 14 Ländern Atomkraftwerke. Insgesamt zählt die Union 68 Nuklearanlagen mit 134 Reaktoren auf ihrem Territorium. „Mobiles Equipment, vor allem Dieselgeneratoren im Fall eines totalen Stromausfalls, äußerer Zwischenfälle oder einer schweren Unfallsituationen sind bereits in sieben Ländern vorhanden und werden in den meisten anderen installiert“ (!?)
Die EU-Kommission rechnet wegen der unzureichenden Sicherheitsausstattung mit hohen Nachrüstungskosten für die Betreiber. „Die Identifizierung von Hunderten notwendigen Sicherheitsverbesserungen für die existierenden Nuklearanlagen erfordern eine Gesamtinvestition zwischen zehn und 25 Milliarden Euro in den kommenden Jahren“, lautet die Analyse.
Auch für den Abschlussbericht wurden nur 24 der insgesamt 68 AKW überprüft. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland kamen nur vereinzelte Anlagen unter die Lupe.
Kommentar
Einfach nur unglaublich …
Ein Nuklear-Risikoforscher hat eine Berechnung anhand der statistischen Ausfallwahrscheinlichkeit von Notstromaggregaten (failure-to-start and failure-to-run) durchgeführt. Dabei wurden 3 Netzersatzanlagen und 140 Reaktoren angenommen. Demzufolge besteht eine hohe statistische Wahrscheinlichkeit, dass bereits in den ersten 24 Stunden eines Stromausfalls 2 Reaktoren in der EU in einen kritischen Zustand geraten. Sollte der Stromausfall eine Woche anhalten, was doch eher unwahrscheinlich ist, so müsste man demnach bereits bei 17 Reaktoren mit Schwierigkeiten – bis hin zum SuperGAU – rechnen!
Hier auch eine Screenshot von einer ARD-Sendung
EU stress tests and follow-up
The European Council of 24/25 March, 2011, requested that the safety of all EU nuclear plants should be reviewed, on the basis of a comprehensive and transparent risk and safety assessment (’stress tests‘). These ’stress tests‘ were defined as targeted reassessments of the safety margins of nuclear power plants, developed by ENSREG, including the European Commission.
As security threats were not part of the mandate of ENSREG, a two-track process has been developed.
The ’safety track‘ covers extraordinary triggering events like earthquakes and floods and the consequences of any other initiating events (e.g. transport accidents, such as airplane crashes) potentially leading to multiple loss of safety functions requiring severe accident management. All the operators of nuclear power plants in the EU had to review the response of their nuclear plants to those extreme situations. The operators’ reports were first reviewed by the national nuclear regulators. They then prepared summary national reports.
The final national reports were peer-reviewed by review teams, set up by ENSREG. As soon as the peer review process started, the public and stakeholders were provided with the opportunity to engage in the ’stress tests‘. In April 2012, ENSREG endorsed the Summary Report (http://www.ensreg.eu/EU-Stress-Tests/EU-level-Reports) with the 17 country specific peer-review reports attached to it.
The Commission presented an interim report to the European Council in December 2011 and another report in October 2012. The ENSREG Report was presented at the June 2012 European Council for information.
Regarding the ’security track‘, the Council’s Permanent Representatives Committee (COREPER) decided on the establishment of the Ad Hoc Group on Nuclear Security, which presented it final report in June 2012.
The European Commission is also in close contact with countries outside the EU and is working with them on re-assessing their nuclear power plants.
Testergebnisse
http://www.ensreg.eu/EU-Stress-Tests/Country-Specific-Reports/EU-Member-States
Zusatzinformationen (Insider)
Hinsichtlich der Dauer der möglichen Notstromversorgung ist es etwas schwierig eine allgemeine Aussage zu machen. Im französischen Bericht wird z.B. vermerkt, dass die Atomaufsichtsbehörde ASN (Autorité de sûreté nucléaire) fordert, die Autonomie der Standorte hinsichtlich der Notstromversorgung künftig für zwei Wochen zu garantieren.
Im deutschen Bericht findet sich dergleichen nicht, aber auch keine Angabe zur verfügbaren Autonomie. Diese wird für die einzelnen Notstromaggregate mit 24 bis 36 Stunden angegeben, allerdings gibt es pro Strang vier Aggregate und an vielen Standorten zwei komplette Stränge, wobei innerhalb eines Strangs und auch zwischen den Strängen Aggregate auf die Tanks anderer Aggregate umgeschaltet werden können und es eine weitere Kraftstoffreserve am Standort im Zusammenhang mit der zusätzlich vorzuhaltenden mobilen Notstromversorgung gibt. Aus alledem würde ich schließen, dass die Autonomie der Notstromversorgung bei mindestens einer Woche liegt, wobei es im Detail letztlich auf die einzelne Anlage ankommt.
In Deutschland und in der Schweiz sind Atomkraftwerke inselbetriebsfähig: https://www.ensi.ch/de/2014/11/07/schweizer-kernkraftwerke-koennen-sich-selbst-mit-strom-versorgen/