Das Buch von Walter Rüegg, „Zeitalter der Ängste: Aber fürchten wir uns vor dem Richtigen?“ ist wahrlich keine leichte Kost, denn es dürfte bei vielen Lesern schwere kognitive Dissonanzen auslösen.

Ich empfand es auf jeden Fall als hoch, weil es mit so manchen Mythen aufräumt. Ob die hier präsentierten Fakten zur Aufklärung beitragen, darf bezweifelt werden, denn in einer dogmatisch polarisierten Welt spielen Fakten eine eher untergeordnete Rolle. Die Ergebnisse zeigen aber auch das Bildungsdilemma und die Gefahren, die durch falsche Ängste entstehen. Und wir können davon ausgehen, dass dies nicht der einzige Bereich ist, in dem so viel Unwissenheit und Irrglaube vorherrschen. Auch wenn es – wie immer in systemischen Zusammenhängen – sicherlich auch Gegenbeispiele gibt, wo Gefahren bewusst heruntergespielt werden, wie dies auch beim Klimawandel der Fall ist. Wir leben in keiner einfachen Welt. Ganz im Gegenteil. Je mehr die Komplexität zunimmt, desto mehr werden wir mit kognitiven Dissonanzen und Widersprüchen konfrontiert, die sich mit unserem linearen Ursache-Wirkungs-Denken (Entweder-oder; Schwarz-Weiß-Denken) überhaupt nicht auflösen lassen. Auch hier sind wir wieder beim Bildungssystem bzw. bei der Bildung. Die Zukunft ist dennoch nicht festgelegt. Wir gestalten sie. 

Hier wieder einige Zitate aus dem Buch. Ich empfehle auch das Interview mit Walter Rüegg durch Eduard Heindl. Zuvor aber auch eine Zusammenfassung:

Zusammenfassung

Walter Rüegg argumentiert in seinem Buch „Zeitalter der Ängste: Aber fürchten wir uns vor dem Richtigen?“, dass die Gesellschaft oft übertriebene Ängste vor hypothetischen Risiken hat, während reale, größere Gefahren vernachlässigt werden. Hier eine Zusammenfassung besonders wichtiger Punkte und Vergleiche aus dem Buch:

  • Radioaktivität vs. andere toxische Materialien:
    • Das Buch betont, dass natürliche Substanzen oft toxischer sind als künstliche Giftstoffe, einschließlich radioaktiver Stoffe.
    • Arsen wird als Beispiel genannt: Die Menge an Arsen, die jährlich von der Menschheit erzeugt wird, übertrifft die Menge an Todesdosen, die in nuklearen Abfällen enthalten sind. Kohlekraftwerke und die Industrie sind Hauptverursacher der Arsenfreisetzung.
    • Natürliche Pestizide in unserer Nahrung sind mengenmäßig und teilweise gefährlicher als künstliche Zusätze.
    • Vergleich mit Bhopal-Gift (Methylisocyanat): Im Vergleich zum radioaktiven Fallout von Tschernobyl wirkt Methylisocyanat um Größenordnungen schlimmer.
  • Kernkraft vs. Photovoltaik:
    • Die Photovoltaik schneidet hinsichtlich des Rohstoffverbrauchs und der Abfallmengen überraschend schlecht ab. Um die gleiche Menge Strom wie ein 1-Gigawatt-Kraftwerk zu erzeugen, ist ein viel höherer Rohstoffbedarf erforderlich.
    • Die Kupfer-Tailings (Bergbauschlämme) der Photovoltaik sind ein Problem, da sie nicht radioaktiv sind und somit nicht zerfallen, wodurch sie ewig toxisch bleiben. Es gibt keine Lösung für die sichere Endlagerung dieser Schlämme.
    • Eine grobe Abschätzung zeigt, dass die Giftmengen, umgerechnet auf den produzierten Strom, bei Solar- und Kernenergie ähnlich groß sind (pro Gigawattstunde etwa 50.000 tödliche Dosen), aber nukleare Abfälle werden durch radioaktiven Zerfall abgebaut.
  • Feinstaub:
    • Eine Langzeitbelastung mit einer mittleren Feinstaubkonzentration von 10 µg/m³ PM2,5 verursacht ebenso viele Todesfälle wie eine Strahlendosis von 1 Sv.
    • In Tschernobyl und Fukushima wurde die Bevölkerung bereits bei weniger als einem Zehntel der Dosis evakuiert. Folglich müsste man konsequenterweise auch größere Städte evakuieren.
    • Die Feinstaubbelastung liegt risikomäßig in allen Agglomerationen weit über den „radioaktiven“ Evakuierungsnormen.
    • In Europa sind rund 900.000 zusätzliche Todesfälle pro Jahr auf Feinstaub zurückzuführen, weltweit sogar 7 Millionen.
    • Als Beispiel für einen Grenzwert wird der Feinstaub in der Luft genannt. Selbst 10 pg/m³ liegen noch im Bereich der gut nachweisbaren kurz- und langfristigen Mortalitätserhöhungen.
  • Beispiele für irrationale Ängste und Risikowahrnehmung:
    • Ein Raucher wäscht einen Apfel, um sich vor Pestizidresten zu schützen, obwohl letztere millionenfach harmloser sind als eine Zigarette.
    • Die Gefahren von radioaktiven Strahlen werden oft millionen- bis milliardenfach überschätzt.
    • Die Angst vor winzigen Strahlendosen führt zu einer wenig sinnvollen Überregulierung.

Rüegg plädiert dafür, sich auf realen Risiken zu konzentrieren und die Risikokommunikation zu verbessern, um unnötige Ängste abzubauen. Es wird betont, dass viele scheinbar bedrohliche Faktoren in kleinen Dosen keine messbaren negativen Folgen haben.

Zitate

Auch heute müssen wir in Furcht und Angst leben. Jedenfalls werden Medien, Politiker und Interessensverbände nicht müde, uns vor allen möglichen und unmöglichen Gefahren zu warnen — bis hin zum Weltuntergang. Das Problem: Es gibt mittlerweile Millionen von wissenschaftlichen Schriften. Exzellente, gute, mittelmässige, schlechte, miserable und katastrophale. Durch geschickte Auswahl und Interpretation lässt sich alles «beweisen». Nicht einfach, sich zurechtzufinden.

Kleindosen und Risiko: Besonders auf dem Gebiet der Radioaktivität scheint die Interpretation der immensen Informationsmenge sehr schwierig zu sein. Man stellt ein gigantisches Durcheinander von Fakten, Halbwahrheiten, Mythen und Lügen fest. Natürlich gibt es bei schwer lösbaren Problemen, wie z. B. bei der Wirkung von Kleindosen, viele unklare, mehrdeutige und widersprüchliche Resultate. Bei anderen Fragestellungen, wie bei der Höhe der tödlichen Dosis von radioaktiven Strahlen, herrscht unter den Experten Einigkeit. Trotzdem existiert selbst bei dieser klaren Faktenlage eine absurd verzerrte Risikowahrnehmung, auch bei gebildeten Leuten. Ich habe anhand einfacher Testszenarios festgestellt, dass das Todesrisiko von hohen Dosen millionen- und milliardenfach überschätzt wird (Kapitel 7). Einverstanden, eine tödliche Gefahr zu überschätzen, ist besser als sie zu unterschätzen. Doch wenn man masslos übertreibt, riskiert man andere Gefahren zu vernachlässigen oder gar zu «vergessen», mit üblen Folgen. Wir werden einige krasse Beispiele kennenlernen.

Die Folgen von kleinen und kleinsten Dosen (Strahlen und Chemikalien) sind ein zentrales Thema dieses Buches. In diesem Zusammenhang betrachte ich als typische Kleindosis einige Prozent einer tödlichen Dosis, als Kleinstdosis einige Millionstel einer tödlichen. Wir alle sind Tag und Nacht solchen Dosen ausgesetzt, schaden sie uns? Eine Gesetzmässigkeit hat Paracelsus vor etwa 500 Jahren klar formuliert: Die Dosis entscheidet, ob etwas ein Gift ist oder nicht.

In der Tat: Alle Substanzen oder Strahlen, egal ob natürlichen oder künstlichen Ursprungs, sind in hohen Dosen schädlich, ja tödlich. Dies gilt auch für lebensnotwendige Stoffe (Nahrungsmittel, Vitamine, Mineralien, Sauerstoff usw.), selbst für Wasser: Trinkt man mehr als 5 Liter in kurzer Zeit, besteht Lebensgefahr.

Das Kleindosisrätsel: Wenn alles in genügend hohen Dosen schädlich oder tödlich ist, gilt dann umgekehrt, dass bei sehr kleinen Dosen alles unschädlich ist? Bei vielen Substanzen und Strahlen ist dies mit Sicherheit so, insbesondere bei denjenigen, die lebensnotwendig sind.

Grenzwerte und Risikokommunikation: Eine der wichtigsten Leitlinien für die Festlegung von Geboten, Verboten und Grenzwerten ist heute das Vorsorgeprinzip. Es lautet, salopp ausgedrückt: Wenn man nicht beweisen kann, dass etwas unschädlich ist, muss man es verbieten.

Das Grenzwertchaos: Einen einmal «vorsorglich» erlassenen Grenzwert zu lockern ist praktisch unmöglich, auch wenn es sich später zeigt, dass er viel zu tief liegt. Ein Grund, dass gewisse Grenz- und Regulierungswerte meilenweit unter den ersten nachweisbaren Schäden liegen. Besonders irritierend ist die Tatsache, dass es heute Werte gibt, welche wesentlich unter den normalen von der Natur erhaltenen Dosen liegen.

Werte sind in einem durchaus vernünftigen Bereich und wieder andere liegen mitten im Schadensbereich. Ein Beispiel für extrem tiefe Werte: Nach Tschernobyl wurden in meist hektischen Aktionen Grenz- und Toleranzwerte für radioaktives Cäsium in Lebensmitteln festgelegt (Cäsium verursacht bei solchen Katastrophen die grösste Strahlenbelastung). Diese Werte variierten — und variieren auch heute noch zum Teil erheblich, je nach Behörde, Land, Bevölkerungsgruppe und Lebensmittelart. Ein häufig benutzter Grenzwert pro kg «verseuchter» Lebensmittel entspricht einem theoretischen Risiko von etwa 4 zusätzlichen Krebstoten unter 10 Millionen Menschen.

Wenn 10.000 Menschen je 1000 kg der verseuchten Lebensmittel essen, erwartet man 4 zusätzliche Todesfälle. Von 10.000 Menschen sterben im Mittel etwa 2.500 an Krebs; es können aber auch weniger als 2.000 sein oder mehr als 3.000. Denn die Krebsraten schwanken stark, zeitlich wie örtlich. Es ist völlig unmöglich herauszufinden, ob der oben erwähnte Grenzwert gerechtfertigt ist oder nicht. Mit Sicherheit steht nur fest, dass ein allfälliges Risiko extrem klein ist, viel kleiner als praktisch alle anderen Risiken des täglichen Lebens. Und damit kommen wir zur Risikokommunikation.

Die Todsünde der Risikokommunikation: Oft liest oder hört man, dass die Substanz X oder die Strahlung Y Krebs erzeugen kann. Völlig nichtssagend. Erkrankt nun fast jeder umgehend? Oder nur einer von einer Million, rein hypothetisch auf Grund der LNT-Extrapolation? Einverstanden, selbst ein Krebstoter mehr unter einer Million Menschen ist einer zu viel. Aber wäre die Sorge um die anderen 250.000 Krebstoten (in den Industrieländern sterben rund 25 % aller Menschen an Krebs) nicht unendlich viel sinnvoller? Und viel erfolgsversprechender. Denn die Fachleute sind sich heute einigermassen einig über die wichtigsten Einflussgrössen, wir besprechen dies in Kapitel 4.

Das Grundübel: Wir vergleichen die Risiken nicht. Und so kommt es, dass ein Raucher einen Apfel wäscht, um sich vor allfälligen Pestizidresten zu schützen, obwohl letztere Millionenfach harmloser sind als eine Zigarette.

Heute weiss man recht gut, welche «Bedrohungen» für einen Menschen keine messbaren Folgen haben: kleinste Dosen von Strahlungen aller Art, von Pestiziden, Nahrungsmittelzusätzen und ähnlichem Zeug. Selbstverständlich gilt dies nicht für hohe Dosen.

Aufgrund des guten Durchdringungsvermögens von Gammastrahlen werden sie in Technik und Medizin häufig eingesetzt. Ein (politisch) umstrittenes Einsatzgebiet ist das Abtöten von schädlichen Mikroorganismen in Lebensmitteln. Die Gammastrahlung kann in den bestrahlten Lebensmitteln keine Radioaktivität erzeugen. Die Aversion gegen diese recht elegante Sterilisierungsmethode ist vorwiegend «ideologisch» bedingt, obwohl sie keinerlei Chemikalien benötigt und viel schonender als Erhitzen ist.

Bei der Neutronenbombe wird dieser Effekt ausgenutzt, um Panzerbesatzungen mit einer tödlichen Strahlendosis auszuschalten. Neutronenbomben sind speziell gezüchtete kleine Wasserstoffbomben, die grosse Mengen an schnellen Neutronen freisetzen. Neutronen haben als Teilchenstrahlen eine genau bestimmte Reichweite, bei einer Neutronenbombe etwa 1,5 km. Innerhalb dieses Radius ist die Strahlung tödlich, ausserhalb passiert praktisch nichts. Neutronenbomben haben heute, zugunsten von viel kostengünstigeren Präzisionswaffen, ausgedient.

Neutronen aus der kosmischen Strahlung spielen auf Meereshöhe keine grosse Rolle (Anteil weniger als 10 %). Zwischen 5 km bis etwa 15 km dominieren sie aber. Die Besatzungen von Flugzeugen werden einer etwa 2-5 Mal höheren Dosis ausgesetzt als die nicht fliegenden Erdbewohner. Es gibt keine konsistenten Anzeichen für negative Effekte.

Im Durchschnitt enthält ein Kubikmeter Gestein 3-4 MBq. Die ersten 100 m Gestein beherbergen weltweit etwa 1,5×1023 Bq, sehr viel mehr als sämtliche Reaktoren und Atombomben je erzeugen.

In jedem Kubikmeter Erde findet man im Mittel 5 g Uran, 15 g Thorium, 4 g Kalium-40 und 40 g Rubidium-87. Die Folge: Der Garten eines Einfamilienhauses enthält im obersten Meter Erde mehrere kg dieser radioaktiven Stoffe.

Kalium ist eines der drei Hauptbestandteile eines mineralischen Pflanzenvolldüngers (neben Stickstoff und Phosphor). Der Dünger strahlt mit bis zu 5.000 Bq/ kg, in jedem Gartencenter leicht zu messen. Stark gedüngte Böden enthalten überdurchschnittlich viel K-40. Doch auch ein nicht gedüngter Boden ist in den ersten 50 cm (typische Wurzeltiefe) mit etwa 400.000 Bq/m² radioaktivem K-40 verseucht (mit allen anderen Radionukliden über 500 000 Bq/m²). In der Umgebung von Tschernobyl gilt bei mehr als 37.000 Bq/m² Cs-137 ein Boden als radioaktiv verseucht, bei mehr als 1.500.000 Bq Cs-137 als unbewohnbar. Cs-137 und K-40 wirken radiotoxisch ähnlich (Cäsium und Kalium sind chemisch Brüder). Das Cs-137 verschwindet relativ schnell wieder. Mit K-40 muss man etwas mehr Geduld haben: Nach 1,28 Milliarden Jahren ist erst die Hälfte zerfallen.

Kernkraftwerke und Wiederaufbereitungsanlagen: Ein Reaktor mit einer Leistung von 1 GW erzeugt jährlich etwa 100 PBq (1017 Bq) hochaktiven Abfall für die Endlagerung. Über 50 Jahre Betriebszeit summieren sich die weltweit von Kernreaktoren produzierten Abfälle auf ungefähr 2 x 1021 Bq. Immer noch wenig im Vergleich mit der Natur: In den ersten 100 Metern der Erdkruste sind 2 x 1023 Bq vorhanden, in den Ozeanen 1,5 x 1022 Bq. Würden die nuklearen Abfälle gleichmässig in den Ozeanen verteilt, stiege deren Radioaktivität um circa 13 % — vergleichbar mit den natürlichen Variationen. Mehr über Abfälle im Schnitt etwa 1,3 mg Uran und 3,2 mg Thorium pro kg.

Ein grosses Kohlekraftwerk verbrennt jährlich etwa 4 Millionen Tonnen Kohle, somit werden im Mittel etwa 5 Tonnen Uran und 13 Tonnen Thorium freigesetzt. Es erstaunt deshalb nicht, dass Kohlekraftwerke, besonders diejenigen mit älteren Filteranlagen, eine wesentlich höhere radioaktive Belastung für ihre Umgebung darstellen als Kernkraftwerke. Auch Erdgas ist nicht ganz harmlos, es enthält oft etwa 1.000 Bq/m³ Radon, Werte bis 50.000 Bq/m³ wurden auch schon gemessen.

Kernwaffentests und Tschernobyl: In den 1960er-Jahren erreichten die oberirdischen Kernwaffentests ihren Höhepunkt. Die Atommächte brachten etwa 520 Bomben mit total 540 MT zur Explosion. Dabei wurden 2,6 x 1021 Bq freigesetzt, etwa 20-mal mehr als bei Tschernobyl. Heute ist nur noch 0,02 % davon übrig, der Rest ist zerfallen. Auf den Testgeländen ist die Strahlung zwar immer noch deutlich erhöht, vor allem durch Cs-137 und Sr-90, trotzdem kann man sie betreten, ohne dass man bedenkliche Dosen befürchten muss.

Isst man Uran, so kann man die Gefährdung durch die Radioaktivität vernachlässigen, chemisch ist Uran einige 100-mal giftiger (vergleichbar mit Blei).

Schneeflocken entstehen durch Selbstorganisation, mit einem Minimum an Informationen. Einen «Bauplan» gibt es nicht. Und so funktioniert auch der Aufbau eines lebenden Systems. Eine Zelle ist zu 99,999… % ein sich selbst organisierendes System. Die DNA enthält ausschliesslich Rezepte für Proteine und RNA-Moleküle und beeinflusst mit verschiedenen Tricks, bedarfsgerecht, deren Produktion. Mehr nicht. Unser Körper wird, wie bei einer Schneeflocke, zur Hauptsache durch zwei Naturgesetze (Quantenmechanik und elektromagnetische Wechselwirkung) gebaut, organisiert und betrieben. Die extrem hohe Selbstorganisation ist einer der Gründe, wieso eine Zelle gegenüber Störungen so ungemein stabil ist. Und Störungen gibt es, wie wir noch sehen werden, beliebig viele.

In der DNA steht also nichts, aber auch gar nichts über den extrem komplexen Aufbau und Betrieb einer Zelle. In der menschlichen DNA wird man vergeblich nach einer Anleitung über die Anordnung der immerhin rund 1014 Zellen suchen. Man beginnt zu ahnen, dass es nicht so einfach ist, ein bestimmtes Merkmal und sei es etwas so Simples, wie die Haarfarbe aus der DNA herauszulesen. Selbst nachdem wir den ganzen DNA-Code eines Menschen entschlüsselt haben (das menschliche Genomprojekt) wissen wir, überspitzt formuliert, nicht viel mehr als vorher. Die eigentliche Arbeit besteht darin, herauszufinden, was genau die Funktion all dieser Proteine und der vielen steuernden RNA-Moleküle ist. Wie sie zusammenwirken, sich «von selbst» organisieren, wie sie im Wechselspiel mit der Umgebung agieren usw. Das zusätzliche Problem: Viele Proteine haben mehrere, völlig unterschiedliche Aufgaben, je nach Zelle, Umständen oder Zeit. Und von der Mehrzahl der vielleicht 100.000 verschiedenen RNA-Schnipsel, welche die DNA auch herstellt, wissen wir nicht, wofür sie gut sind. Viele Überraschungen werden noch auftauchen und noch viele Nobelpreise verteilt werden.

Wer verursacht die DNA-Schäden? Wie bereits erwähnt, sind die DNA-Schäden fast ausschliesslich hausgemacht. Eine Quelle sind Kopierfehler während der Zellteilung, doch die grösste Schadensrate erleidet die DNA durch die Radikale. 

Gegenüber den hausgemachten Schäden haben kleine Dosen von Chemikalien oder Strahlen eine viel geringere Schadensbilanz. Erst bei hohen Dosen und/oder jahrelangen Einwirkungen (z. B. Zigarettenrauch, Luftverschmutzung) können die externen Einwirkungen eine spürbare Rolle spielen. Eine extrem hohe Dosis stellt ein Sonnenbrand dar, verursacht durch die UV-Strahlen. Hunderttausende von DNA-Schäden werden erzeugt, in x-Milliarden Hautzellen. Trotzdem steigt die Hautkrebsrate wegen eines einzigen Sonnenbrands nicht an (zumindest nicht messbar).

Sicher seien über 99 % der Mutationen schädlich. Ist katastrophal falsch, die Zelle ist kein heikles Uhrwerk. Heute wissen wir, dass es genau umgekehrt ist, 99999999999999… % aller Mutationen sind harmlos. Trotzdem glauben die meisten Leute, dass jede Mutation, schlimmer noch, jedes Strahlenteilchen oder jedes Pestizidmolekül schädlich ist.

Krebs: Mit den Jahren steigt die Anzahl Mutationen in unseren Zellen. Gemäss vorherrschender Meinung ist dieser Prozess massgeblich verantwortlich für das steile Ansteigen der Krebsrate im alternden Organismus. Damit eine unkontrollierte Zellvermehrung (ein Tumor) entsteht, muss die DNA an vielen kritischen Stellen Fehler aufweisen. Die Weiterentwicklung eines Tumors zu einem bösartigen, metastasierenden Krebs benötigt nochmals eine ganze Reihe von neuen Mutationen. Dieser Prozess dauert in der Regel viele Jahrzehnte, aus diesem Grunde treten die meisten Krebsfälle erst im Alter auf; Der andere Grund: Das Immunsystem ist im Alter nicht mehr voll auf der Höhe und hat immer mehr Mühe, Krebszellen zu identifizieren und unschädlich zu machen.

Das Alter ist der grösste Risikofaktor: Die Krebsrate eines 80-Jährigen ist 50- bis 100-mal höher als diejenige eines 40-Jährigen. In den Industriestaaten werden bei rund der Hälfte aller Menschen Krebserkrankungen diagnostiziert, 20-25 % sterben daran. Wenn man genügend genau untersucht, findet man bei allen Menschen Tumorherde.

Da 20-25 % an Krebs sterben, müssen Aussagen wie «die Krebsrate hat sich verfünffacht» mit Vorsicht genossen werden. Man kann nur einmal sterben. Auch Aussagen folgender Art sind zu pauschal: «Seit unsere Gegend mit der Substanz xy verseucht wurde, gibt es in jeder Familie Krebsfälle». Das gibt es auch ohne «Verseuchung».

Ein Krebs ist das Ergebnis einer meist jahrzehntelangen Entwicklung (bei ein paar «einfachen» Arten, wie bei Leukämien, kann es schneller gehen). Tausend Faktoren fördern diese Entwicklung, und Tausend andere Faktoren verzögern sie. Die Liste ist lang: Rauchen, Trinken, Viren, Entzündungen, Ernährung, Übergewicht, Bewegung, Umwelt, sozioökonomischer Status, Stress, Chemikalien, genetische oder epigenetische Faktoren, alles beeinflusst die Krebsrate, genauer gesagt das Tempo der Krebsentwicklung. Im Prinzip ist es ein Wettrennen gegen andere jahrzehntelange negative Entwicklungen, wie Herzkreislauf-Erkrankungen. Denn an irgendetwas müssen wir sterben. Zahlen für die einzelnen Faktoren anzugeben ist schwierig, die Werte in den einzelnen Studien schwanken enorm. Ich versuche es trotzdem: Der Lebensstil könnte für rund die Hälfte der Krebsfälle verantwortlich sein. Allem voran das Rauchen mit vielleicht 25 %.

Die Forschung findet immer mehr Einflüsse auf die Krebsrate, direkte und indirekte, einige scheinen einigermassen gesichert zu sein. So kann auch Zucker als «krebserregend» bezeichnet werden, auf dem Umweg über Diabetes 2 oder Fettleibigkeit. Und beim Fleisch ist epidemiologisch nachgewiesen, dass ein Zusammenhang mit Dickdarmkrebs besteht. Wussten sie, dass auch Blutdruck- und Cholesterinsenker krebserregend sind? Denn weniger Herz-Kreislauf-Todesfälle führen automatisch zu mehr Krebstodesfällen, schliesslich müssen wir an irgendetwas sterben. Letzteres Beispiel zeigt, dass es sinnvoller ist, die Lebensspanne oder die verlorenen Lebensjahre als Risikomass zu benutzen und nicht die Todesursache. Und wenn schon die Todesursache, dann wenigstens die altersstandardisierten Raten.

Merken wir uns einfach, dass die biologische Wirkung der Strahlung in Sievert (Sv) gemessen wird. 5 Sv auf einen Schlag (Schockdosis) sind lebensbedrohend, mit einigen mSv (1 mSv = 1/1000 sv) bestrahlt uns die Natur jährlich. Statt Sv wird manchmal auch die Einheit Gray (Gy) benutzt, ein Gy ist ein sv, ausser bei Neutronen und Alphastrahlen (genaueres darüber im Anhang).

Die Dosis in Sv ist nicht zu verwechseln mit der Dosisrate, die Dosis pro Zeiteinheit, z. B. 5 mSv pro Jahr (mSv/J). Beim Wein, mit der Einheit Sv für eine Flasche Sauvignon, enthält eine Kiste mit zwölf Flaschen insgesamt 12 sv. Trinkt man sie in 360 Tagen, so hat man eine Dosis von 12 Sv erhalten, mit einer Dosisrate von durchschnittlich 0,033 Sv pro Tag (33 mSv/Tag) — täglich ein kräftiger Schluck. 5 Flaschen (5 sv) auf einmal — eine Schockdosis — sind tödlich, 33 mSv/Tag bekömmlich. Zumindest beim Wein.

Schockdosen über 1 Sv kamen bei den Atombombenexplosionen oder in den ersten Tagen der Tschernobyl-Katastrophe vor. Sie bewirken eine akute Strahlenkrankheit. Besonders betroffen von solchen Schockdosen sind sich schnell teilende Zellen, wie die blutbildenden Stammzellen im Knochenmark und die Epithelzellen. Letztere bedecken alle inneren und äusseren Körper- und Organoberflächen (Beispiele: Haut, Darm). Bei einer Chemotherapie mit Zytostatika — ein Zellgift — leiden die gleichen Zellen. Die Symptome gleichen sich deshalb: Haarausfall, Störungen im Magen-Darmtrakt und — besonders gefährlich — Schäden im Knochenmark. Dadurch wird die Produktion von Blutkörperchen reduziert oder gar unterbunden. Die Folgen: Anämie (Blutarmut), Schwächung des Immunsystems und Blutungen (fehlende Blutplättchen).

Und die Missgeburten? Die gründlichen Untersuchungen von etwa 77.000 Nachkommen bestrahlter EItern aus Hiroshima und Nagasaki ergaben ein erfreuliches Resultat: Keine Erhöhung der Mutationsrate, selbst bei den Kindern von sehr stark bestrahlten Eltern. Sie sind so gesund wie diejenigen der nicht bestrahlten Eltern.

Expansionen (Vermehrung) stark bestrahlter Zellen in Zellkulturen, welche 20 Generationen entsprechen, zeigten nichts Auffälliges. Hingegen konnte man bei den stark bestrahlten Opfern viele zusätzliche Gendefekte finden. Doch bei den Kindern solcher Eltern fanden die Forscher weniger (!) Gen-Mutationen. Die moderne Forschung konnte diesen Effekt mehrfach auch bei Fruchtfliegen-Kindern nachweisen: Deren natürliche Mutationsrate sank bei elterlichen Dosen bis etwa 1 Sv markant ab. Die Strahlung scheint, völlig entgegen der öffentlichen Meinung, eher zu einer kleineren Missgeburtenrate zu führen.

Bestrahlung während der Schwangerschaft: Eine Gefahr hingegen stellt eine heftige Bestrahlung (mehr als ca. 0,5 sv) zwischen der 8. und der 15. Schwangerschaftswoche dar.

Bei Dosen unter 1 Sv sind Rauchen, Bewegungsmangel, Feinstaub und sozialer Status sehr viel grössere Risiken. Zum Vergleich: Gesetzlich «zugelassen» ist eine Dosis von 0,001 Sv/Jahr.

Selbst bei einer fast tödlichen Schockdosis war die Wahrscheinlichkeit, später an Leukämie zu erkranken, «nur» etwa 3 %.

Viele Menschen glauben, dass jede Strahlendosis zu Krebs führt. Doch selbst bei einer nahezu tödlichen Schockdosis (3 Sv) erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, im Alter an Krebs zu sterben «nur» um ca. 20 %. Im Klartext bedeutet dies, dass 80 % der lebensgefährlich stark Bestrahlten nicht an einem durch die Strahlung bedingten Krebs sterben.

Eine Erhöhung der Strahlendosis um +1 mSv/J verlängert das Leben im Mittel um 18 Monate (Frauen) bzw. 24 Monate (Männer). Der Grund dafür ist vor allem die Krebsrate (Radon?). Pro 1 mSv/J mehr Strahlung sinkt sie bei Frauen um 250 Todesfälle pro Jahr je 100.000 Einwohner, bei Männern um 500. Könnte es sein, dass etwas Strahlung gesund ist?

Die biologische Wirkung der Strahlung wird in Sievert (Sv) gemessen. Eine Schockdosis von 5 Sv führt in 50 % der Fälle zum Tod. Hohe Dosen (über ca. 1 Sv) schädigen vor allem Haar- und Darmzellen sowie das Immunsystem und die Blutgerinnung. Eine radioaktive Bestrahlung ist nur schwach krebsfördernd. Selbst bei einer Dosis nahe der tödlichen wird die natürliche Krebsrate «nur» etwa verdoppelt, d. h. in 75 % der Fälle stirbt man nicht an einem von der Strahlung verursachten Krebs. Wenn eine tödliche Schockdosis über viele Jahre verteilt wird, sind die Auswirkungen kaum nachweisbar. Zumindest nicht bei den Bewohnern von Gebieten mit sehr hoher natürlicher Untergrundstrahlung. Die Strahlung erzeugt keine neuen Krankheitsformen, sie beschleunigt das Auftreten bestehender Formen, vor allem Krebs. Die Auswirkungen zeigen sich vornehmlich erst im hohen Alter, man stirbt bei einer Dosis von 1 Sv im Mittel einige Monate zu früh. Nach bestem Wissen und Gewissen stellen Schockdosen bis etwa 250 mSv kein Risiko dar. Bei verteilten Dosen ist bis einige 100 mSv/J kein Schaden konsistent nachweisbar. Auf jeden Fall gilt die Aussage, dass bis 1 Sv die anderen gesundheitlichen Risiken (wie Rauchen, Trinken, Bewegungsmangel, Übergewicht, Feinstaub) bei weitem überwiegen. Diese Tatsache macht es fast unmöglich, die Wirkung von kleinen Strahlendosen, etwa 100 mSv, bei Menschen zu messen. Umstritten ist die Situation bei Radon, kleine Konzentrationen scheinen gesund zu sein. Radon betrifft praktisch nur die Raucher.

Aber selbst, wenn sie um ein oder zwei Grössenordnungen falsch wären, kann man sich kaum der Schlussfolgerung entziehen, dass 100 mSv pro Jahr harmlos sind. Ein Grenzwert von 1 mSv/J ist zu viel des Guten, mit 100 mSv/J wären wir immer noch auf der sicheren Seite.

Biologische Systeme befinden sich meist in einem Gleichgewichtszustand, der Homöostase. Unzählige Regelmechanismen sorgen dafür. Wird dieses Gleichgewicht gestört, z. B. durch einen Giftstoff, durch Mikroorganismen oder durch Strahlung, reagiert ein biologisches System oft mit einer Überkorrektur von 30 % bis 60 %. Das Gleichgewicht wird dadurch besonders schnell wieder hergestellt. Eine leichte Überreaktion ist auch prophylaktisch sinnvoll; als Vorsorge bei einem weiteren Anstieg der schädlichen Einwirkung.

Mittlerweile versteht man die Mechanismen, welche zu solch positiven Effekten führen, recht gut. Sie wirken auf verschiedenen Ebenen. So werden die Reparatur- und Eliminationsmechanismen auf Zellebene angekurbelt, aber auch die Immunantwort wird verstärkt. Diese Effekte zeigen sich besonders deutlich bei den adaptiven Bestrahlungen. Bestrahlt man Versuchstiere mit einer ersten, kleinen Dosis, und etwas später mit einer hohen Dosis, sind die Schäden wesentlich kleiner als ohne die erste Dosis.

Doch die eigentliche Sensation war, dass die bestrahlten Tiere, besonders die männlichen, wesentlich länger lebten als die nicht bestrahlten — in Menschenjahre umgerechnet rund 10 Jahre. Die Schlagzeilen hätten lauten müssen: Mobilfunk verlängert das Leben. Im Artikel wird die Lebensverlängerung nur ganz nebenbei erwähnt.

Auch bei schweren Infektionskrankheiten scheinen Ganzkörperbestrahlungen positiv zu wirken.

Die Strahlenschutz- und Umweltbehörden ignorieren oder lehnen die Hormesis geschlossen ab. Denn Hormesis ist der Todfeind der LNT-Hypothese und ohne LNT wird die Gesetzgebung, wie schon mehrfach erwähnt, beliebig schwierig.

Es ist kaum zu bestreiten, dass viele (alle?) Substanzen und Einwirkungen, welche bei hohen Dosen toxisch sind, bei kleinen Dosen die Gesundheit positiv beeinflussen können (Hormesis). Dies gilt auch für kleine Strahlendosen. Bei Versuchstieren können sie positive Effekte hervorrufen, wie weniger Krebs oder längeres Leben. Selbst die Hiroshima/Nagasaki-Daten zeigen teilweise einen solchen Effekt, andere Humanstudien weisen in die gleiche Richtung. Mittlerweile sind die biologischen Mechanismen, welche zu solchen Effekten führen, recht gut verstanden. Allerdings gibt es noch viele offene Fragen, für die Regulierungsbehörden ein Grund, auf LNT zu beharren. Der andere: Ohne LNT wird die Regulierung sehr aufwendig. Gefühlsmässig stösst die Hormesis auf grosses Misstrauen, warum sollte ein Gift in kleinen Dosen plötzlich «gut» tun?

Der Mensch ist ein Herdentier. Äusserst wichtig für das Überleben in einer Welt mit Raubtieren, auf dessen Speiseplan wir standen. Denn eine grosse Herde hat mehr Augen, Ohren und Nasen als ein einzelnes Individuum. Entdeckt ein Mitglied eine Gefahr, kann es die ganze Gruppe warnen. Oft entsteht dann eine Massenpanik, alle versuchen zu fliehen. Dieser Herdentrieb ist auch heute noch in uns. Meinungen sind ebenso ansteckend wie eine Fluchtreaktion. Man orientiert sich an der Mehrheit, vertreten durch die Medien, den heutigen Leitkühen. Das Resultat sind oft kollektive, sich selbst verstärkende Ängste, im Extremfall eine Massenpanik. Solche Massenbewegungen lassen sich mit Sachlichkeit alleine nicht stoppen, zumindest nicht sofort. Die Orientierung an anderen Menschen wird stärker gewichtet als die Fakten.

Die Natur stellt immer noch Substanzen her, die wesentlich toxischer sind als unsere stärksten künstlichen Giftstoffe, inklusive aller radioaktiven. Und grosse, systematische Untersuchungen zeigen, dass es betreffend Krebsgefahr keinen Unterschied gibt zwischen natürlichen und künstlichen Chemikalien.

Der Nocebo-Effekt ist die böse Schwester des Placebo-Effektes: Schon die blosse Einbildung einer Einwirkung kann bei vielen Menschen zu echten negativen Gesundheitseffekten führen. Ein wunderschönes Beispiel dazu fand am 4. September 2012 statt, im grössten Briefverteilerzentrum der Schweiz: Aus einem Couvert rieselte ein weisses Pulver heraus. Ein Anschlag mit tödlichen Milzbrandsporen? Das Gebäude wurde sofort notfallmässig evakuiert. Die Rettungsdienste starteten einen Grosseinsatz. Von den etwa 200 Beschäftigten mussten 34 Personen hospitalisiert werden. Sie zeigten starke Vergiftungssymptome: Husten, Kopfschmerzen, Erbrechen, Reizung der Atemwege. Drei Stunden später konnte Entwarnung gegeben werden; das Pulver stellte sich als harmlose Stärke heraus. Die Angst, nicht ein Giftstoff, hat die Symptome ausgelöst.

Ein beliebtes Feld für Nocebo-Effekte stellen Strahlen aller Art dar, besonders der überall vorhandene Elektrosmog, ausgelöst von Mobilfunkstrahlen, WLAN oder von Stromleitungen. In einer viel beachteten Doppelblind-Studie der Universität Essex wurden 44 Probanden im Labor einem besonders starken Elektrosmog ausgesetzt. Das Besondere an diesen Probanden: Sie hielten sich alle für stark strahlenempfindlich. In der Tat berichteten sie über Übelkeit, Kopfschmerzen oder grippeähnliche Symptome – bei ausgeschaltetem Sender. Bei 12 Personen waren die Beschwerden so heftig, dass der Test vorzeitig beendet werden musste. Elektrosmog wirkt auch ohne Elektrosmog.

Studien zeigen, dass bei etwa einem Viertel der Menschen eine eingebildete Einwirkung genügt, um mehr oder weniger schwere negative gesundheitliche Effekte auszulösen, sie können auch tödlich enden. Bei den radioaktiven Strahlen dürfte der Nocebo-Effekt besonders stark wirken. Denn die meisten Menschen überschätzen heute die Gefahren von radioaktiven Strahlen Millionen- und Milliardenfach (mehr darüber weiter unten). Die Folge: Ängste und Stresslevel erhöht sich bei einem Teil der Betroffenen, z. B. in der Umgebung von Kernkraftwerken – mit möglichen negativen Auswirkungen auf ihre Gesundheit. Statistische Analysen könnten davon auch beeinflusst werden (Tschernobyl, Atombombenopfer).

Unser Angstzeitalter: Die Evolution hat uns nicht auf die Technik vorbereitet. Im Gegenteil, alles Neue wird zunächst einmal mit Gefahr assoziiert. Erst wenn die Vorteile offensichtlich überwiegen, sind wir bereit, etwas Neues zu akzeptieren. Es begann schon mit dem Feuer.

Und so befinden wir uns heute mitten in einer Eskalationsspirale der Ängste: Klimaerwärmung, Feinstaub, saurer Regen, Ozon, Herbizide, Insektizide, Fungizide, Gifte wohin man sieht, Nahrungsmittelzusätze, Bakterien, Viren, Prionen, Rinderwahn, Vogelgrippe, Genmanipulationen, Waldsterben, Artensterben, Überfischung, Umweltverschmutzung, Radon, radioaktiver Fallout, Kernkraftwerke, radioaktive Abfälle, Elektrosmog, Nanopartikel, Weichmacher, Plastikmüll, usw., die Liste ist endlos. Ein Wunder, dass wir überhaupt noch am Leben sind — und ein noch grösseres Wunder, dass wir immer länger leben. Dank einer gewaltigen Forschung werden fortlaufend neue Risiken entdeckt. Die Folge: Ein Tsunami von immer mehr Vorschriften, Gesetzen, Verordnungen, Verboten, Geboten, Dekrete, Grenz- und Regulierungswerten. Man kann es auch positiv sehen: Eine lange Liste weist darauf hin, dass wir in der glücklichen Lage sind, uns auf eine Unmenge kleiner, kleinster und hypothetischer Risiken konzentrieren zu können. Die Grossen haben wir eliminiert, sonst würden wir nicht doppelt so lange leben wie noch vor 200 Jahren.

Aber auch die fanatische Bekämpfung elektromagnetischer Felder, ionisierender Strahlen, Kunstdünger, Pestizide, Genmanipulationen und anderes mehr. Was vergessen geht: Jede dieser «Gefahren» hat Millionen das Leben gerettet.

Der Dunning-Kruger-Effekt: Bei Umfragen bezeichnet sich die Mehrheit der Automobilisten als überdurchschnittlich gute Fahrer. Eine solche Selbstüberschätzung wird Dunning-Kruger-Effekt genannt. Damit wird die Neigung von Menschen bezeichnet, das eigene Können und Wissen zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen. Man kann es auch so formulieren: Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. Etwas direkter formuliert: Je dümmer der Typ, umso weniger merkt er es. Sehr treffend bringt es Konfuzius, der grosse chinesische Philosoph, zum Ausdruck: «Dummheit ist nicht wenig wissen, auch nicht wenig wissen wollen, Dummheit ist zu glauben, genug zu wissen.»

Dunning und Kruger haben folgendes interessantes Experiment durchgeführt: Eine Gruppe Testpersonen wurde einem Wissenstest unterzogen. Anschliessend musste man schätzen, wie gut man abgeschnitten hat. Das Resultat: Je schlechter man abgeschnitten hatte, desto stärker überschätzte man das eigene Können. Es ist offenbar schwer, den Grad der eigenen Inkompetenz zu erkennen. Deshalb gilt: Je aggressiver und selbstbewusster eine Meinung vertreten wird, desto eher liegt der Verkünder im Diagramm der Figur 7-1 bei den Koordinaten 1,10. Und desto eher ist ein gewisses Misstrauen angebracht.

Sehr schwer ist ein Meinungsumschwung bei Menschen, welche fast religiös etwas «glauben», Anhänger einer Ideologie sind. Über die Grundprinzipien einer Ideologie zu streiten, ist faktisch unmöglich. Glauben beruht nicht auf Fakten und kann deshalb nur schwer mit Fakten bekämpft werden.

Pu-239 ist ein starker Alpha-Strahler, doch in der Luft kommen die Teilchen höchstens 5 cm weit. Gammastrahlen werden nur bei 0,05 % der Plutonium-Zerfälle ausgestrahlt, zudem sind sie sehr schwach auf der Brust (zu 98 % unter 53 keV).

Die moderne Risikoforschung zeigt, dass «normale» Risiken, wie z. B. Strassenunfälle, ordentlich genau geschätzt werden (tendenziell zwar etwas unterschätzt, aber kaum mehr als Faktor 10), dafür werden seltenere Risiken eher etwas überschätzt (z. B. Gefahr vor seltenen Erkrankungen), aber auch kaum mehr als ein Faktor 10. Doch bei den radioaktiven Strahlen hat man jedes Mass verloren. Eine groteske Situation: Über radioaktive Strahlen wird im Zusammenhang mit Kernkraft, nuklearen Abfällen oder Atombomben fast täglich berichtet und gewarnt, aber man schätzt sie milliardenfach falsch ein. Ein katastrophales Versagen des Bildungswesens und der Risikokommunikation von Behörden und Medien bzw. eine Glanzleistung der Kernkraftgegner. Wir befinden uns mitten in einer ausgewachsenen Massenradiophobie – so irrational wie der Hexenglaube vor nicht allzu langer Zeit.

Zu den grossen Sünden bei der Risikokommunikation gehören das Cherry-Picking, bei dem nur negative Resultate berücksichtigt werden, und noch wichtiger, das Ausbleiben von Vergleichen mit anderen Risiken.

Der Feinstaub: Ein Beispiel für einen solchen Grenzwert liefert der Feinstaub in der Luft. In der EU beträgt der PM2,5-Grenzwert72 25 pg/m³, Ziel für 2030: 10 pg/m³. Selbst 10 pg/m³ liegen noch im Bereich der gut nachweisbaren kurz- und langfristigen Mortalitätserhöhungen. In vielen Agglomerationen wird 10 pg/m³ überschritten, oft auch 25 pg/m³, zumindest zeitweise. Mit dem Resultat, dass man in Europa mit rund 900.000 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr zu rechnen hat. Weltweit tötet die Luftverschmutzung gemäss der WHO 7 Millionen Menschen. Etwa die Hälfte geht auf das Konto von Herz-Kreislauf-Krankheiten, der Rest verteilt sich auf Lungenkrebs und Atemwegskrankheiten. Gut messbar sind die kurzzeitig auftretenden Todesfälle. Steigt die PM2,5-Konzentration innert eines Tages um 10 pg/m³, erhöht sich die Anzahl Todesfälle am Folgetag um 0,5 % bis 1. Eine Dauerbelastung mit diesem Wert führt gemäss WHO zu einem Anstieg der Langzeitmortalität um 6 bis 8 %. Und verkürzt das Leben im Mittel um 4-6 Monate. Die Datenlage ist recht robust, dank über 100 hochwertiger Studien mit Millionen Menschen.

Wir müssen unsere Grossstädte evakuieren: Ein brisanter Vergleich: Eine Langzeitbelastung mit einer mittleren Feinstaubkonzentration von 10 pg/m³-PM2,5 verursacht ebenso viele Todesfälle wie eine Strahlendosis von 1 Sv. In Tschernobyl und Fukushima wurde die Bevölkerung bereits bei weniger als einem Zehntel der Dosis evakuiert. Konsequenterweise müssten wir auch unsere grösseren Städte evakuieren) sofort. Eine böse kognitive Dissonanz. Die Reaktion darauf ist wie aus dem Lehrbuch (Kap. 7): Verdrängen, ja nicht darüber reden oder gar Vergleiche anstellen. Und so bleiben die radioaktiven Grenzwerte noch lange unsinnig tief und die Feinstaubgrenzwerte relativ hoch.

Dank solcher Untersuchungen kamen die Forscher in den nachfolgenden Jahren zum Schluss, dass die Dosis ohne negative Folgen (die Toleranzdosis) zwischen 1 und 2 mSv/Tag oder 350—700 mSv/J liegen muss. Man orientierte sich an Berufsleuten, welche jahrelang ohne gesundheitliche Schäden mit solchen Dosen gearbeitet haben.

Grenzwerte im freien Fall: 1928 wurde die Vorgängerin der Strahlenschutzkommission ICRP gegründet. Diese empfahl 700 mSv/J, einige Jahre später 350 mSv/J (wohl unter dem Eindruck der Radiummalerinnen). Der Wert sank 1950 auf 150 mSv/J. Zum Vergleich: Der heutige Grenzwert für die Bevölkerung beträgt 1 mSv/J. 1946 wurde der Genetiker H. Muller für die Entdeckung von strahleninduzierten Mutationen bei Fruchtfliegen mit dem Nobelpreis geehrt. Er vertrat, wie bereits erwähnt, die Meinung, dass das Risiko von Mutationen bis hinunter zu kleinsten Dosen besteht; die LNT-Hypothese war geboren. Zwar hatte er Forschungsresultate, welche das Gegenteil bewiesen, unterschlagen. Doch die LNT-Hypothese setzte sich durch, beflügelt von den grössten Ängsten, welche werdende Eltern haben können — den Missgeburten. Und so kam es, dass die ICRP und andere Organisationen den Toleranzwert (Wert ohne einen Schaden) abschafften, zugunsten eines auf der LNT-Hypothese basierenden Grenzwertes. Inzwischen erwiesen sich die Befürchtungen betreffend Mutationen als unbegründet, die Ängste verlagerten sich auf die Krebserkrankungen.

1991 senkte die ICRP den Grenzwert für die Bevölkerung auf 1 mSv/J. Mittlerweile verkaufen die Behörden die LNT-Hypothese als bewiesene Tatsache, zusammen mit dem Glauben, dass selbst die winzigste Dosis schädlich ist und tödlichen Krebs «auslösen» kann. Dieser Glaube kommt einem Blankoscheck für beliebig tiefe Grenz- und Regulierungswerte gleich und damit auch für eine beliebig ausufernde Bürokratie.

Die Natur pfeift auf unsere Grenzwerte: Ein Spielverderber des heutigen Grenzwertes von 1 mSv/J ist die natürliche Strahlung: Sie bestrahlt uns mit durchschnittlich etwa 2,4 mSv/J (in der Schweiz mit 4,2 mSv/J). Spitzenwerte bis gegen 1 Sv/J kommen vereinzelt vor, ohne sichtbare negative Folgen. Ein Grenzwert, der von der Natur ständig überschritten wird, ergibt wenig Sinn. Die Fachleute sind sich völlig einig, dass kein Unterschied zwischen «natürlichen» und «künstlichen» Strahlen besteht. Es gibt somit keinen Grund, natürliche und künstliche Strahlendosen unterschiedlich zu behandeln. Ausser man ist der Meinung, dass künstliche Strahlen des Teufels sind und uns direkt in die Hölle schicken.

Schwer nachvollziehbar sind in diesem Zusammenhang die Evakuierungsgrenzwerte im Falle einer Nuklearkatastrophe; sie liegen zwischen 1 mSv/J und 20 mSv/J. Wendet man diese auf die natürliche Strahlung an, so müsste man umgehend Millionen Menschen evakuieren. Vor allem aus Teilen der Alpen, der Rocky Mountains, des Massiv Central, des Schwarzwaldes, des Erzgebirges, der Stadt Rom, um einige Beispiele zu nennen. Mehr darüber in den folgenden Kapiteln.

Regulierung ab 10 µSv pro Jahr: Heute herrscht eine irrationale Angst vor winzig kleinen Dosen. Dies führt zu einer wenig sinnvollen Überregulierung: Aufgrund der Empfehlungen des Fachverbandes ICRP wird in den meisten Ländern eine zusätzliche Jahresdosis ab 10 µSv gesetzlich reguliert. Ab diesem Wert ist eine Bewilligung erforderlich, allerdings nur, wenn die Strahlung künstlichen Ursprungs ist. In den nationalen Strahlenschutzgesetzen und -verordnungen findet man seitenlange Bussgeldlisten, aber auch Freiheitsstrafen. So droht in der Schweiz eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren, wer eine offensichtlich unnötige Bestrahlung verursacht (Art. 43, Strahlenschutzgesetz). Verursacht eine Fluggesellschaft eine unnötige Bestrahlung, wenn sie die Passagiere in 10 km Höhe einer Strahlung von 5 bis 10 µSv/h aussetzt? Je nach Sonnenaktivität und Breitengrad kann sie auf 20 µSv/h steigen. In 5 km Höhe wäre sie kaum 0,5 µSv/h stark.

Wie hoch ist das Risiko einer tödlichen Krebserkrankung bei einer ständigen Bestrahlung mit dem Regulierungswert von 10 µSv/Jahr wirklich? Gross kann es nicht sein, denn diese Dosis wird in ein bis zwei Tagen von der natürlichen Strahlung erreicht. Selbst das Risiko, in der sicheren Schweiz ermordet zu werden, ist rund zehnmal höher, berechnet aufgrund von real existierenden Leichen (kein hypothetisches LNT-Risiko). Fürchten wir uns vor dem Richtigen?

Grenzwert und Risikokommunikation: Eine gute Risikokommunikation basiert auf Vergleichen mit Alltagsrisiken, man kann es nicht genug betonen. Ein Vergleich mit Grenzwerten macht, wie bereits mehrfach erwähnt, oft keinen grossen Sinn. Informativer wäre ein Bezug zum NOAEL (NOAEL, no observed adverse effect level), den grössten Schadstoff- oder Dosiswert, ohne statistisch signifikante negative Effekte zu beobachten.

Der NOAEL-Wert bei einer radioaktiven Schockdosis liegt um 250.000 µSv, gemäss den besten Studien aus Hiroshima und Nagasaki. Wir regulieren ab 10 µSv/J.

Bei einer verteilten Dosis geht man von der Hälfte aus. Beim Regulierungswert von 10 µSv/J wird das Leben um knapp 4 Minuten gekürzt, bei 1000 µSv (Jahresgrenzwert) um etwa 6 Stunden. 1000 µSv/J wirken wie das Rauchen von drei Zigaretten pro Monat.

Hiroshima und Nagasaki: Kurz darauf begann man mit dem Bau von Brutreaktoren. Die Bauzeiten betrugen kaum mehr als ein Jahr. Die Sicherheit wurde grossgeschrieben, es gab nie ernsthafte Probleme. Erstaunlich, bei einer völlig neuen Technik, unter extremem Zeitdruck realisiert. Doch bereits beim CP-I hatte Fermi drei verschiedene Schnellabschaltungen installiert, zwei manuelle und eine vollautomatische. Vorbildlich. Tschernobyl verfügte über keine einzige Schnellabschaltung. Strafbar.

Die Bombe explodierte 600 m über dem Boden und erzeugte einen extrem heissen Feuerball mit einem Durchmesser von 370 m. Während 1-2 Sekunden sandte dieser eine brutale UV- und Hitzestrahlung aus. Fürchterliche Brandwunden waren die Folge (Figur 9-3), bis zu einer Entfernung von 2 km tödlich (Figur 9-4). Die Oberhaut verfärbte sich dunkelbraun bis schwarz und platzte ab. Tödlich, falls mehr als 20 % der Haut betroffen war. 30-50 % aller Todesfälle sind darauf zurückzuführen.

Die Nuklearstrahlung und der schwarze Regen: In den ersten 2-3 Sekunden wurde auch eine extrem starke nukleare Strahlung ausgesandt. Ungeschützt erhielt man bis in etwa 1 km eine tödliche Dosis, bis 1,5 km konnte man strahlenkrank werden. Praktisch die gesamte Strahlenbelastung stammte von dieser Schockstrahlung. Der Fallout (Spaltprodukte und radioaktive Bombenreste) spielte keine grosse Rolle, die Neutronenaktivierung des Bodens auch nicht. Der Feuerball mit dem Fallout erreichte den Boden nicht. Er stieg, getrieben durch die hohen Temperaturen, innert weniger Minuten bis in eine Höhe von 20 km. Dort blieb der Fallout als Gas oder Aerosol für Monate, verteilte sich über grosse Distanzen und zerfiel praktisch vollständig. Die Radioaktivität des Fallouts von Nuklearbomben nimmt aufgrund der physikalischen Gesetze sehr schnell ab, nach 14 Tagen ist sie noch rund 0,01 % derjenigen nach 10 Minuten, nach einem Jahr ist weniger als ein Millionstel vorhanden.

Ein kleiner Teil des Fallouts geriet auch in die unteren Teile der Atmosphäre. Vermischt mit Russteilchen von den Bränden fiel in einigen Gebieten ein «schwarzer Regen». Er strahlte teilweise relativ kräftig, aber kaum genug, um einen akuten Schaden anzurichten. Dies wurde durch unzählige wissenschaftliche Analysen immer wieder von Neuem bestätigt. Bodenproben aus den Regengebieten, drei Tage nach der Explosion gesammelt, werden bis heute aufbewahrt.

Nagasaki wurde drei Tage später von einer noch stärkeren Bombe heimgesucht, sie emittierte etwa 50 % mehr Neutronen. Von den relativ schnell zerfallenden, neutronenaktivierten Substanzen ist heute keine Spur mehr vorhanden, siehe Figur 9-6. Die Bombe verursachte etwas weniger Schäden, sie fiel nicht direkt über dem Stadtzentrum.

Opferzahlen, kurz- und mittelfristige Folgen: Zur Zeit der Explosion befanden sich etwa 320.000 Menschen in Hiroshima. Rund ein Drittel blieb unversehrt, ein weiteres Drittel wurde verletzt und zum Teil auch bestrahlt, erholte sich aber. Das letzte Drittel starb an den akuten Wirkungen und den Langzeitfolgen. Todesursachen gemäss den lokalen Gesundheitsbehörden: Brandwunden (60 %), Verletzungen durch Trümmer (30 %) radioaktive Strahlung und andere Ursachen (10 %). Über die Hälfte der Opfer starb noch am Tag der Explosion. In den nächsten Tagen und Wochen war die Mortalitätsrate entsetzlich hoch (kaum medizinische Versorgung), erst nach 2-3 Monaten sank sie auf das Niveau der unversehrten Nachbarstadt Kure. Diese diente bei den ersten Untersuchungen als Vergleich.

Strahlenkrankheit: Ab etwa 20 % der tödlichen Dosis wird man strahlenkrank. Rund 20.000 Überlebende waren davon betroffen. Am schlimmsten waren die Schäden der blutbildenden Zellen. Nach einigen Tagen beginnen Blutgerinnung und Immunsystem zu leiden, man stirbt meist an einer (sonst harmlosen) Infektion und/oder an Blutungen. Von einer nicht tödlichen Dosis erholt man sich in der Regel in 1-2 Monaten. Nach 2-3 Monaten hat sich auch das Immunsystem vollständig regeneriert. Ein Anstieg von Infektionskrankheiten wurde bei den Überlebenden bis heute nicht festgestellt, auch keine von chronischen Krankheiten. Hingegen stiegen die Fälle von grauem Star um einige Prozent an, die von grünem Star sanken leicht. Man fand auch etwas mehr Herz-Kreislauf-Krankheiten, doch die Datenlage ist unsicher. Unübersehbar waren die vielen bösen Narbenbildungen (Keloide), verursacht durch Brandwunden. Gut messbar sind auch die DNA-Schäden, zumindest bei hohen Dosen. Die gute Nachricht: Diese Schäden wurden nicht auf die Nachkommen übertragen, entgegen aller Befürchtungen.

Langzeitwirkungen: Nach der Erholung von einer Strahlenkrankheit folgte praktisch immer eine gesundheitlich normale Lebensphase. Erst im Alter steigt die Krebsrate steiler an als bei nicht Bestrahlten. Die wichtigste Ausnahme: Nach 2-3 Jahren verdoppelte sich die Leukämierate für mehrere Jahre (Figur 9-7). In beiden Städten zusammen dürfte die Bestrahlung für insgesamt 94 Leukämie-Todesfälle verantwortlich sein (hauptsächlich Kinder). Allerdings kann man nicht ausschliessen, dass auch die Unterernährung, die Seuchen, die Verletzungen und Verbrennungen und die traumatischen Erlebnisse die Leukämierate beeinflusste. Zudem schwankten die Fallzahlen sehr stark. Es gab sogar Jahre mit null Fällen, dann schnellten sie plötzlich wieder auf über 10, Ursache unklar. Die Leukämierate schwankte auch örtlich sehr stark, so haben die Bewohner von Nagasaki eine um ein Drittel kleinere Rate als die Bewohner von Hiroshima. Noch krasser sind die Unterschiede bei einer Unterart (ATL, adult T-cell leukemia): In Nagasaki fand man insgesamt 42 Fälle, in Hiroshima nur 5. Solange solche Unterschiede nicht erklärt werden können, ist es schwierig, genaue Angaben über den Anteil der Strahlung zu machen. Sicher ist nur, dass andere Ursachen die Leukämierate stark beeinflussen.

Die Nachkommen: Die schlechte Nachricht: Eine starke Bestrahlung während der Schwangerschaft, zusammen mit den traumatischen Erlebnissen, der Hungersnot und den schlimmen Verletzungen, liess die Fehlgeburtenrate stark ansteigen. Ebenso schlimm: eine heftige Bestrahlung zwischen der 8. und 15. Schwangerschaftswoche konnte eine Mikrozephalie auslösen, dadurch wurde vor allem die spätere geistige Entwicklung der Kinder negativ beeinflusst. Knapp 5 % der insgesamt 1467 bestrahlten Föten waren davon betroffen. Die gute Nachricht: Wie schon in Kapitel 5 beschrieben, zeigten sich bei den 77.000 Nachkommen der Überlebenden weder eine erhöhte Missbildungsrate noch andere spätere negative Effekte, selbst nicht bei den Kindern der am stärksten bestrahlten, strahlenkranken Eltern.

Die Überlebenden: Etwa 120.000 Überlebende beider Städte wurden für die verschiedenen, bis heute andauernden, äusserst gründlichen Langzeitstudien erfasst. 54.000 davon waren einer stärkeren radioaktiven Strahlung ausgesetzt. Die Zusammensetzung der Überlebenden ist etwas verzerrt. Vor allem fehlen die meisten gesunden Männer im Alter zwischen 18 und 50 Jahren, sie waren in der Armee. Als nicht bestrahlte Referenzgruppe dienten die Menschen in der Umgebung der Städte (2.4 bis 10 km) sowie Bewohner, welche zur Zeit der Explosionen nicht anwesend waren (NIC, «not-in-city») oder durch eine gute Abschirmung (massive Gebäude, Mauer) vor der Strahlung geschützt wurden. Das Problem: Die Krebsraten dieser Referenzgruppen unterscheiden sich um einige %, welche ist nun die «richtige»?

Die japanische Regierung identifizierte insgesamt 650.000 direkt oder indirekt von den Bomben betroffene Menschen («Hibakusha», Opfer der Bombe). Im Wesentlichen sind dies sämtliche Bewohner von Hiroshima und Nagasaki samt der weiteren Umgebung sowie deren Kinder und die vielen Einsatzkräfte. Zum 31. März 2023 waren noch 113.649 Hibakusha am Leben, darunter knapp 10.000 aus der Gruppe der bestrahlten Personen. Das Durchschnittsalter ist 86 Jahre, nicht wenige sind über 100 Jahre alt, so gesund wie andere Japaner in dieser Altersgruppe. Bei der Hibakusha wird ein strahlenbedingtes Leiden anerkannt.

Aus diesen Gründen erachten die RERF-Forscher nur die Resultate von hohen Strahlendosen (ab 1 Sv etwa 20 % der tödlichen Dosis) als wirklich zuverlässig.

Das Krebsrisiko: Die durch die Strahlung verursachten Krebstodesfälle unter den 54.000 Bestrahlten erreichen erst nach 2010, mit 20-30 Fällen pro Jahr, ihr Maximum, siehe Figur 9-7.

Figur 5-1 im Kapitel 5 zeigt den Zusammenhang von Dosis und Krebsrisiko. Insgesamt werden die Spätfolgen der beiden Bomben gegen 1.500 Opfer fordern, etwa 3 % aller bestrahlten Überlebenden. Im Klartext heisst das, dass 97 % der betroffenen Überlebenden sich gesundheitlich nicht von den Bewohnern einer anderen japanischen Stadt unterscheiden. Gemäss den neusten Statistiken erhöht sich das Krebsrisiko pro Sv im Alter um etwa 7 % (Männer) bzw. 10 % (Frauen). Die bestrahlten Überlebenden sterben im Mittel etwa 4 Monate früher als die nicht bestrahlten. Raucher sterben im Mittel 5-10 Jahre früher, die sozial untersten Schichten verlieren gegen 10 Lebensjahre gegenüber den obersten Schichten, in praktisch allen Ländern. Der Lebensstil (Rauchen, Ernährung, Bewegung usw.) und die Umwelteinflüsse haben einen wesentlich grösseren Einfluss auf die Gesundheit der Überlebenden als die Strahlung.

Die heilige Kuh aller Strahlenschutzbehörden ist die LNT-Hypothese: Es gibt keine ungefährliche Dosis und das Risiko steigt linear mit der Dosis an. Die LNT-Kronzeugen sind die Resultate aus Hiroshima und Nagasaki. Doch es zeigt sich immer mehr, dass diese der LNT-Hypothese widersprechen. Im unteren Dosisbereich, bis einige 100 mSv, unterscheidet sich die Krebsrate kaum von der «normalen», eine Schwelle könnte bei etwa 0,25 Gy oder Sv liegen.

Neben den verschiedenen akuten Schäden lässt die Strahlung Krebsgeschwüre schrumpfen und könnte vielleicht auch, zumindest gelegentlich, solche auslösen. Krebs war (und ist) ein seltener Effekt der radioaktiven Strahlung. Die grosse Sorge galt den genetischen Effekten, insbesondere den Missgeburten. Diese lösen die grössten Ängste aus, welche eine Mutter haben kann. Bis heute sind solche Ängste tief in der Öffentlichkeit verankert, allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz. Denn in den 1960er-Jahren sickerte langsam durch, dass selbst die Kinder der am stärksten bestrahlten, schwer strahlenkranken Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki keine Erhöhung der Missgeburtenrate zeigen.

Man realisierte, dass die Schutzmechanismen (vor allem die DNA-Reparaturen und das Immunsystem) extrem gut funktionieren. So gut, dass nach einer Bestrahlung auch gleich einige natürliche Mutationen repariert werden (Kap. 6). Auf jeden Fall zeigten die Kinder der sehr stark bestrahlten Eltern von Hiroshima und Nagasaki eher weniger(!) Mutationen als die Kinder von nicht bestrahlten Eltern. Doch diese Resultate finden kaum je den Weg in die Öffentlichkeit. Und so bleiben uns die irrationalen Ängste vor den mutagenen Gefahren der Strahlen noch lange erhalten.

Nuklearer Weltkrieg – Ende der Menschheit? Die heutigen strategischen Bomben sind einige 100 kg schwer, die einer Sprengkraft zwischen 100 kT bis 500 kT – apokalyptisch gegen weiche Ziele wie Bevölkerungszentren. Doch zuoberst auf den Ziellisten stehen nicht sie, sondern die gegnerischen Systeme für einen nuklearen Gegenschlag. In zweiter Priorität folgen militärischen Anlagen, dann die Industrie- und Infrastrukturbauten und erst zum Schluss die Städte. In den 1980er-Jahren umfassten die Listen über 10.000 Ziele, sowohl in den USA als auch in der Sowjetunion. Einsatzbereit waren 1985 etwa 23.000 strategische Bomben mit einer Sprengkraft von 14.000 MT.

Abhängig vom Fallout kann es notwendig sein, mehrere Tage oder Wochen im Schutzraum zu bleiben. Die Strahlung nimmt sehr schnell ab. Nach zwei Tagen ist sie auf 1 % der Intensität wie nach einer Stunde gefallen. Ein erster kurzer Aufenthalt ausserhalb des Schutzraumes ist möglich (Nahrungsbeschaffung, Orientierung), selbst in Gebieten mit viel Fallout. Nach zwei Wochen ist die Strahlenintensität auf 0,1 % gesunken, nach einem Jahr auf 1/200.000. Um es nochmals zu sagen: Gefährliche Falloutmengen sind gut sichtbar, sie bedecken als dünne Sand- oder Staubschicht alle Oberflächen. Wenn sich auch auf glatten Oberflächen, wie zum Beispiel einem Autodach, kein Staub zeigt, besteht kaum Gefahr.

Wasserstoffbomben über Grossstädte: Bei einem Einsatz einer grossen Wasserstoffbombe über einer Stadt spielt die radioaktive Strahlung keine grosse Rolle. Um eine möglichst grosse Fläche zu zerstören, würden solche Bomben hoch über dem Boden gezündet. Bei einer 1 MT-Bombe, gezündet in 3 km Höhe, hat die nukleare Strahlung Mühe, den Boden zu erreichen. Noch wichtiger ist, dass ohne Bodenkontakt des Feuerballs kein nennenswerter lokaler oder regionaler Fallout entsteht. Einzig Regen könnte eine gefährliche Konzentration am Boden erzeugen. Dafür sind die anderen Wirkungen verheerend: Weitgehende Zerstörung aller Gebäude im Umkreis 3 km, nur wenige Bewohner überleben. Bis in 6 km Entfernung erleiden Backsteinhäuser mittelschwere Schäden. Am weitesten wirkt die Hitzestrahlung. Sie kann bis in 12 km Verbrennungen dritten Grades erzeugen. Werden grosse Regionen von vielen Explosionen heimgesucht, bricht die Zivilisation für Monate zusammen, die vollständige Erholung braucht Jahre. Hungersnöte, Seuchen, Krankheiten und Unruhen können mehr Menschen töten als die Bombe selbst.

«Saubere» Bomben?: Alle heutigen Nuklearbomben sind Fusionsbomben (Wasserstoffbomben), auch die kleinen taktischen für Einsätze auf dem Schlachtfeld. Die Fusionsreaktionen produzieren keine radioaktiven Stoffe. Doch zum Zünden und für sehr grosse Kaliber benötigt man Uran oder Plutonium, deren Spaltprodukte sind hochradioaktiv. Seit den 1960er-Jahren ist es möglich, relativ «saubere» Bomben mit nur wenigen % Spaltanteil zu bauen. Eine moderne 100 kT-Bombe produziert nur noch einige 100 Gramm Spaltprodukte, weniger als die Hiroshima-Bombe (15 kT). Es ist unklar, in welchem Ausmass ein heutiger Nuklearkrieg «sauber» wäre. Zudem kann bei modernen Bomben das Kaliber und damit auch der Verschmutzungsgrad vor dem Einsatz eingestellt werden. Die Ziele sind auch unklar: Die Militärs bevorzugen die gegnerischen militärischen Anlagen, die Politiker vielleicht eher die Bevölkerungszentren.

Die heutige Bedrohung: Nach 1985 sank die Zahl der strategischen Nuklearbomben dramatisch — eine Folge der Abrüstungsverträge. Zudem wurden die Bomben kleiner und «sauberer». 2024 verfügen die USA und Russland noch über je etwa 1.500 einsatzbereite strategische Bomben (1985: 23.000), mit total etwa 1000 MT Sprengkraft (1985: 14.000 MT).

Allerdings: Mit «nur» 2000 taktischen Bomben kann Russland die westlichen Streitkräfte aus 30 Staaten nicht kriegsentscheidend treffen. Diese sind auf tausende von Stützpunkten verteilt. Um einen mittelgrossen Stützpunkt mit vielen Bunkern und 1-2 Landebahnen nachhaltig zu zerstören, benötigt man eine zweistellige Anzahl Nuklearbomben. Selbst eine grosse 300 kT-Bombe, einige Meter tief im Boden gezündet, kann nur im Radius von etwa 100 m einen unterirdischen Bunker zerstören. Auf grossflächigen Schlachtfeldern sind kleine, taktische Nuklearwaffen auch nicht sehr effizient. Eine 10 kT-Bombe kann Panzer nur in einem Umkreis von rund 500 m zerstören. Praktisch unzerstörbar sind die in den Weltmeeren patrouillierenden U-Boote mit über 1.000 strategischen Nuklearwaffen.

Abfälle und Risiko: Zwei Faktoren beeinflussen das gesundheitliche Risiko von Abfällen: Toxizität (Giftigkeit) und Expositionswahrscheinlichkeit. Als Mass für die Toxizität eignet sich die tödliche Dosis. Die Expositionswahrscheinlichkeit, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass wir dem Giftstoff ausgesetzt werden, ist sehr viel schwieriger zu bestimmen. Wir beschränken uns primär auf die Giftmengen, angegeben in Anzahl tödlicher Dosen.

Der nukleare Brennstoff: Abgebrannter nuklearer Brennstoff besteht zu 95 % aus relativ harmlosem Natururan (U-238), der Rest aus stark strahlenden Spalt- und Brutprodukten. Vor der Endlagerung lässt man die Brennelemente gut 50 Jahre lang abklingen. Für die nächsten 200-300 Jahre sind die Spaltprodukte, allen voran Cs-137 und Sr-90, am gefährlichsten. Sie strahlen stark (Gamma- und Beta-Stahlen), sind wasserlöslich und wanderfreudig und werden vom Körper gerne aufgenommen. Doch nach 300 Jahren sind sie weitgehend verschwunden, und mit ihnen auch der grösste Teil der externen Strahlung. Ein Aufenthalt von einer Stunde, ein Meter neben einer Tonne Abfälle (ohne jede Abschirmung), würde keine messbare Wirkung erzeugen. Denn dann dominieren die Alphastrahler, prominentestes Mitglied ist Pu-239 (etwa 1 % der Brennelemente). 

Das Risiko: Die Experten sind sich einig, dass das grösste Risiko von einer Einnahme ausgeht. Anfänglich liegt die tödliche Dosis um 50 mg, vergleichbar mit Strychnin. Allerdings sind die strahlenden Substanzen in einer extrem wasserunlöslichen Glas- oder Keramikmasse eingebettet. Isst man Abfälle, selbst fein vermahlte, scheidet der Körper in 2-3 Tagen praktisch alles wieder aus. Realistisch (grüne Werte in Tabelle 11-1) dürfte die tödliche Dosis nach 50 Jahren bei etwa 1 g liegen, auch kernkraftkritische Quellen zitieren diesen Wert. Nach 1.000 Jahren sind die Abfälle ähnlich toxisch wie Kupfer oder Aspirin, nach 10.000 Jahren kann man sie kaum noch als gefährlich bezeichnen. Natürlich enthalten sie auch nach einer Million Jahren, stark verdünnt, noch ein paar tödliche Dosen, ein Chemiker könnte sie daraus extrahieren. Einfacher würde es mit normaler Erde gehen, sie enthält gut 100 tödliche Dosen pro m³, vor allem Arsen und Beryllium.

Die 450 Kernkraftwerke dieser Welt erzeugen jährlich netto rund 10.000 t abgebrannten Kernbrennstoff. Leider wird nur etwa ein Drittel wiederaufbereitet. Dabei entfernt man das Plutonium und verwendet es in neuen Brennelementen. Doch die Spaltprodukte (etwa 4 %) müssen — verglast — sicher gelagert werden. Eine grobe Abschätzung zeigt, dass die Kraftwerke jährlich etwa 100 Milliarden (1011) tödliche Dosen erzeugen, siehe Anhang 11.9. Rein theoretisch könnte man die Menschheit damit 12-mal umbringen — eine enorme Giftmenge. Aber die grösste?

Arsen und andere Giftstoffe: Arsen ist zuoberst auf der Prioritätsliste der gefährlichsten Gifte, gefolgt von Blei und Quecksilber. Die semiletale Dosis (LD50) von Arsen in seiner normalerweise vorliegenden Form (AsO) beträgt bei einem Erwachsenen etwa 100 mg. Arsen wirkt ähnlich wie radioaktive Strahlen, es ist akut toxisch, greift die DNA an, ist fruchtschädigend und krebserregend. Über 100 Millionen Menschen, besonders in Bangladesch, China, Chile und Thailand, sind davon betroffen, vor allem durch das Arsen im Trinkwasser. Bei chronischer Aufnahme muss man im Laufe der Jahre das 10- bis 100-fache einer tödlichen Einzeldosis einnehmen, um mit hoher Wahrscheinlichkeit daran zu sterben. Krebs ist die häufigste Todesursache. Bei den radioaktiven Substanzen liegen ähnliche Verhältnisse vor. Die epidemiologische Datenlage ist bei chronischer Exposition recht mager, siehe Kap. 5. Für alle nachfolgenden Vergleiche verwende ich deshalb die besser bekannten, akut toxischen, tödlichen Dosen. Man kann diese Zahlen als theoretische Obergrenze betrachten.

Jedes Jahr erzeugt die Menschheit, ohne die Bergbauabfälle mitzurechnen, rund 150.000 Tonnen Arsen. Diese Menge entspricht etwa 700 Milliarden Todesdosen und übertrifft damit die nuklearen Abfälle (100 Milliarden Todesdosen). Hauptverursacher sind Kohlekraftwerke und die Industrie. Der Grossteil des Arsens gelangt in unsere Umwelt, nur ein kleiner Teil kommt in ein Endlager.

Leider ist Arsen nicht radioaktiv, es zerfällt nicht, auch nach einer Milliarde Jahre ist es unverändert toxisch (so lange könnte die Erde noch bewohnbar sein). Eine sichere Endlagerung, mit den gleichen Kriterien wie bei den radioaktiven Abfällen, ist unmöglich. Die gleichen Abschätzungen und Überlegungen wie bei Arsen kann man für viele weitere Substanzen machen: Blei, Cadmium, QueckSilber, Chlor, Phosphor, nur um einige zu nennen. Im Weltmassstab ist bei den Abfällen der Bergbau der Rekordhalter, gefolgt von der Kohlekraft und dem Sondermüll, siehe Tabelle 11-2. Die nuklearen Abfälle sind abgeschlagen, besonders bei den Todesfällen (letzte Kolonne) spielen sie keine Rolle.

Der Müll der Welt: Die Welt produziert jährlich rund 400 Millionen t «hazardous waste», gefährlicher Sondermüll, mit einer Giftmenge, die 20-mal grösser sein dürfte als die aller radioaktiven Abfälle. Leider lässt sich nur ein Teil des Sondermülls unschädlich machen oder rezyklieren, mit dem Rest müssen wir leben. Die Folge: etwa eine Million Todesfälle jährlich (gemäss WHO und anderen Quellen). Es gibt zwar einige Endlager, aber nur für einen kleinen Teil der Abfälle. Das Weltgrösste befindet sich in Herfa-Neurode, Deutschland, in sehr stabilen geologischen Verhältnissen. Hier lagern etwa 3-5 Mio. t Giftmüll. Zitat: «600 Meter unter der Erde lagert in einer alten Kaligrube genug Arsen, um alles Leben auf der Erde auszulöschen. Und Arsen ist nur eines der Gifte in Heda-Neurode, der grössten Untertagedeponie der Welt: Quecksilberhaltiges, Furane, Dioxine, alles, was für die Oberwelt zu gefährlich ist, wird in Fässern und Kunststoffpaketen verpackt und in die Tiefe befördert.»

Uran könnte man auch ohne Abfälle gewinnen, aus dem Meer, kleine Testanlagen wurden schon gebaut. Meerwasser enthält 3-3 Tonnen Uran/km³, in den Ozeanen wäre genug Uran vorhanden für mehrere Zehntausend Jahre Kernkraft.

Energie und Abfälle: Jede Art von Stromerzeugung erzeugt Abfälle, Spitzenreiter ist die Kohlekraft. Im Jahre 2023 erreichte der Kohleverbrauch mit 8,5 Milliarden Tonnen einen neuen Rekordwert. Dabei fielen 20-30 Milliarden Tonnen Abfälle an. Die Verbrennung von Kohle verursacht gemäss WHO 1 Million Todesfälle/J. Die anderen Techniken sind aber auch keine Musterknaben.

Die Photovoltaik – sauber? Die Abfallmengen bei der Stromerzeugung werden vom Rohstoffverbrauch für den Bau und Betrieb einer Anlage bestimmt. Überraschenderweise schneidet die Photovoltaik in dieser Hinsicht nicht besonders gut ab. Um dieselbe Menge Strom wie ein 1-Gigawatt-Kraftwerk zu erzeugen, benötigen wir in mittleren Breiten etwa eine Million Dachanlagen zu je 50 m², eine Million Wechselrichter und viele Millionen Meter dicker Stromkabel. Die Folge: Ein Rohstoffbedarf, der je nach Material bis hundertmal höher ist als bei einem konventionellen Kraftwerk. Der Kupferbedarf ist etwa fünfzigmal höher. Auf ein einzelnes Solarmodul entfallen über 1 kg – und etwa 200 kg Tailings (Bergbauschlämme), siehe Anhang 11.10.

Streng nach dem Verursacherprinzip, müsste zu jedem Solarmodul ein 200 kg Fass mit toxischen Abfall-Schlämmen zur Entsorgung mitgeliefert werden (Figur 11-5). Auch die Kernkraft verursacht Bergbauschlämme, allerdings wesentlich weniger, zudem bleibt über die Hälfte des Erzes Dank dem In-situ-Leaching-Verfahren im Berg. Ganz sauber wäre, wie bereits erwähnt, die Gewinnung von Uran aus dem Meerwasser.

Leider sind die Bergbauabfälle nicht radioaktiv: 2023 verursachte die Photovoltaik rund 100 Millionen Tonnen Kupfer-Tailings, mit 150 Milliarden Todesdosen. Leider zerfallen Bergbau-Abfälle nicht, und so bleiben sie bis in alle Ewigkeit toxisch. Für die sichere Endlagerung von Milliarden Tonnen dieser Schlämme ist keine Lösung in Sicht. Verglichen damit ist die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle geradezu einfach. Die Mengen sind vergleichsweise winzig, der Zeithorizont überschaubar.

In Ökobilanzen schneidet die Photovoltaik schlechter ab als die Kernkraft. Besonders erstaunlich: Vergleicht man die «solaren» Bergbauabfälle mit den nuklearen Abfällen (inkl. Uranbergbau), so zeigt eine grobe Abschätzung (Anhang 11.10), dass die Giftmengen, umgerechnet auf den produzierten Strom, ähnlich gross sind, pro Gigawattstunde (GWh) rund 50.000 tödliche Dosen. Der Unterschied: Nach einigen 100 Jahren ist bei den nuklearen Abfällen nur noch ein Bruchteil vorhanden – Dank des radioaktiven Zerfalls.

Hochradioaktive Abfälle sind anfänglich sehr toxisch, vergleichbar mit Strychnin (tödliche Dosis 50 mg). Die gefährlichsten Bestandteile, die Spaltprodukte, sind nach 300 Jahren fast vollständig verschwunden. Transurane wie Plutonium sind anschliessend am gefährlichsten. Nach etwa 10.000 Jahren sind die Abfälle kaum toxischer als Kupfer oder Blei.

Man kann es drehen und wenden, wie man will, die Photovoltaik setzt Giftmengen frei, welche von der gleichen Grössenordnung sind wie bei der Kernenergie.

Tschernobyl: Die nachfolgende Auflistung beschreibt 11 Sündenfälle. Wenn nur ein einziger nicht passiert wäre, hätte die Katastrophe nicht stattgefunden oder sie wäre vergleichsweise harmlos ausgefallen.

Die Reaktoren jener Zeit hatten eine Kernschmelzwahrscheinlichkeit von etwa pro Jahr. In der Tat gab es im Westen etwa 10 Kernschmelzen, aber nur bei einer entwichenen nennenswerten Menge radioaktiver Stoffe (Windscale, 1957). Die nächste Generation (II), ab 1970, weist eine Kernschmelzrate von etwa 0,01 % pro Jahr auf (ohne Nachrüstung). Dank eines Containments ist die Wahrscheinlichkeit einer grösseren Abgabe von Radioaktivität nochmals 10- bis 100-mal kleiner. Die meisten heute betriebenen Kraftwerke gehören dieser Generation an. Die aktuell gebauten Werke (Generation III) sind noch einmal gut 10-mal sicherer, und die Wahrscheinlichkeit einer Freisetzung von Strahlung wurde zusätzlich um einen Faktor 10 reduziert (Wahrscheinlichkeit dafür ist 10-8 bis 10-9/J).

In Tschernobyl wurden die unbeschädigten Reaktoren der Blöcke 1, 2 und 3 nach dem Unglück weiterbetrieben, aber umgehend mit vielen zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen aufgerüstet, für etwa 400 Millionen $. Wie auch die anderen zwölf «Tschernobyl»-Reaktoren im Sowjetreich. Unter anderem bekamen sie eine «richtige» Schnellabschaltung, zudem verunmöglichen verschiedene Umbauten eine explosive Leistungsexkursion. Ein neues «Tschernobyl» mit einem massiven Austritt von radioaktiven Substanzen kann aus physikalischen Gründen ausgeschlossen werden, eine «normale» Kernschmelze aber nicht. Stand Februar 2024 sind in Russland noch 7 «Tschernobyl»-Reaktoren im Betrieb, grössere Probleme gab es nie.

2015: In der Stadt Pripyat, 3-4 km vom Unglücksreaktor entfernt, herrschte in den ersten Tagen nach der Explosion eine Strahlung von einigen 100 µSv/h bis zu einigen 1.000 µSv/h. 2015 massen wir über den asphaltierten Flächen 0,2-0,3 µSv/h, ein Wert, der auch in anderen Städten (z. B. Rom, Hongkong) natürlich vorkommt.

Bei viel Moos oder über Naturboden stieg er auf 1-3 µSv/h (Moos liebt Cäsium-137). Im Innern von Gebäuden lagen die Strahlungswerte, mit wenigen Ausnahmen, zwischen 0,1-0,2 µSv/h, Werte wie überall auf der Welt. Die durchschnittliche Strahlung während meines gesamten Aufenthalts in Pripyat betrug 1,0 µSv/h (Mittelwert, alle 10 sec. eine Messung). Dies entspricht einer externen Jahresdosis von 8,8 mSv. Allerdings bewegten wir uns zum grössten Teil ausserhalb der Gebäude, suchten bewusst nach «heissen» Stellen und legten die Messgeräte darüber. Ein heutiger Bewohner dürfte kaum über 5 mSv/J kommen, selbst wenn er sich vorwiegend im Freien aufhält. Der weltweite Durchschnitt der natürlichen Strahlung liegt zwischen 2 und 3 mSv/J, doch viele Gebiete (z. B. in den Alpen, im Erzgebirge, in Süditalien, in den Rocky Mountains) glänzen mit mehr als 5 mSv/J. Eliminiert man alle Moosbeete, kann man in Pripyat mit etwa 3 mSv /J externer Dosis rechnen (total etwa 5 mSv/J).

Direkt an der Wand des Sarkophags des Unglücksreaktors (Block 4) misst man etwa 100 µSv/h, einige 10 m entfernt noch 10 µSv/h. Aber vor dem Block 1 haben wir völlig harmlose Pegel registriert, siehe Figur 12-2.

Einigermassen einig ist man sich bei den mehreren Tausend Schilddrüsentumoren von Kindern. Bisher starben 10 Kinder an diesem Tumor oder an Komplikationen. Eine einfache Warnung vor dem Konsum von Frischmilch hätte die Mehrzahl dieser Tumore verhindert.

Wann soll man evakuieren? Als Umsiedlungskriterium hat man eine Lebensdosisgrenze von 350 mSv festgelegt (eigentlich hat man eine Bodenkontamination von 555 kBq/m² Cs-137 gewählt, daraus kann die Lebensdosis abgeschätzt werden). Das Dilemma: Diese Dosis wird in vielen Gebieten der Erde von der natürlichen Strahlung übertroffen.

Das Gegenargument: Ohne Evakuierungen würden gemäss der LNT-Hypothese etwa 1.500 Krebsfälle zusätzlich ausbrechen. 1.500 Krebsfälle sind für Politiker und Gesundheitsbehörden ein untragbares Risiko, selbst wenn man sich darüber streiten kann, ob es in diesem unteren Dosisbereich überhaupt ein Risiko gibt (Kap. 5). Man kann sich auch darüber streiten, ob die Entwurzelung von 336.000 Menschen nicht zu einer noch höheren Anzahl vorzeitiger Todesfälle führt. Auf jeden Fall scheinen die wenigen verbliebenen Bewohner eine längere Lebensspanne aufzuweisen als die Evakuierten.

Vergleich mit anderen radiologischen Katastrophen: Tabelle 12-1 vergleicht die Mengen radioaktiver Substanzen aus verschiedenen Quellen. Die Anzahl Strahlenkranker und die der Akut-Toten (durch die Strahlung) sind wenig umstritten. In Hiroshima verursachte die extrem starke Primärstrahlung praktisch alle Strahlen-Opfer (5—10 % aller Todesfälle), der Fallout war vergleichsweise unbedeutend. Die Angabe der Toten bei Hiroshima/Nagasaki beruht auf sorgfältigen statistischen Auswertungen.

Fukushima: Am 11. März 2011 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 9, das stärkste je in Japan gemessene, die Ostküste. Auf einen Schlag fiel der Boden um einen Meter nach unten und verschob sich um 5 Meter horizontal. Kein «normales» Gebäude kann dem standhalten. Insgesamt 14 Leistungsreaktoren waren betroffen, ohne ernsthafte Schäden. Doch kurz darauf erfolgte die zweite Katastrophe, ein Monstertsunami. Er überflutete über 500 km² Küstenfläche. Die Folge: 19 000 Tote, 250 000 ganz oder teilweise zerstörte Häuser, 750 000 beschädigte Häuser, 500 000 Obdachlose und 25 Millionen Tonnen Schutt. Schlimmer hat es Japan seit dem Zweiten Weltkrieg nie getroffen. Und dann gerieten gleichzeitig drei Reaktoren in einen kritischen Zustand. Sowohl das gesamte Reaktorgelände als auch die Zufahrtsstrassen waren von Tsunamitrümmern übersät und unpassierbar.

Eine schlechte und eine gute Nachricht: Die schlechte Nachricht zuerst: Die drei ältesten Reaktoren (Modelle aus den 1960er-Jahren, fertiggestellt in den 70er-Jahren) überlebten den Tsunami nicht. Die gute Nachricht: Alle elf anderen später gebauten Anlagen überstanden sowohl das extreme Erdbeben als auch den Megatsunami praktisch unbeschadet, einen brutaleren Stresstest gibt es nicht. Die Gründe und die Abläufe der Katastrophe sind inzwischen gut bekannt.

Im umfassenden UNSCEAR Bericht wird darauf hingewiesen, dass man die künstliche Radioaktivität mit der natürlichen vergleichen soll. Nur so können die Zahlen eingeordnet werden. In der Tat: Die ersten 30 cm des Bodens in Japan enthalten über 100-mal mehr natürliche Radioaktivität als der Fukushima-Fallout. Das Natururan produziert auch Radon, pro Jahr etwa 50 GBq/km². Auf die Fläche Japans umgerechnet ergeben sich rund 20 PBq, Jahr für Jahr. Mehr als die Reaktorkatastrophe an Cs-137 in die Umgebung entlassen hat. Und die kosmische Strahlung «erzeugt» weltweit, in Bq gemessen, die 100-fache Fukushima-Menge, unter anderem auch viel mehr Tritium. Die natürliche Radioaktivität des Nord-Pazifiks übersteigt die aus Fukushima entlassenen Mengen grob um das 100.000-fache. Alle diese natürlichen radioaktiven Substanzen und Emissionen sind fein verteilt über die ganze Erde und deshalb – auch weil sie von Mutter Natur kommen – nicht auf dem Radar der Öffentlichkeit. Aber gemäss LNT-Hypothese ist ihre Wirkung auf die Erdbevölkerung viel, viel schlimmer als Tschernobyl, Fukushima und alle Testexplosionen zusammen.

Natürlich sagt die Aktivität, gemessen in Bq, nichts Genaues über die gesundheitlichen Folgen aus. Sie bietet jedoch einen ersten Anhaltspunkt. Die radioaktiven Substanzen im Boden sind eher gefährlicher als der Cs-137-Fallout, die kosmogen erzeugten eher weniger gefährlich.

Die Nahrung: Ein grosser Teil des Cs-137 landete im Pazifischen Ozean. 2011 überschritten 41 % der vor der Küste gefangenen Meerestiere den Grenzwert von 100 Bq/kg. Nach 2015 fand man praktisch keine Überschreitungen mehr. Die ins Meer gelangten radioaktiven Substanzen wurden durch die riesigen Wassermengen des Ozeans schnell auf winzige Werte verdünnt, weit unter der natürlichen Radioaktivität des Meerwassers.

Situation 2023: Die Strahlung im Umkreis von ein paar km um das Kraftwerk erreichte anfänglich Werte über 100 µSv/h. Heute findet man nur noch ganz vereinzelt Messpunkte mit über 5 µSv/h (Figur 13-1, Stand 2023).

Wendet man beim Feinstaub die gleichen Risikokriterien an wie bei der radioaktiven Strahlung (zwingende Evakuierung bei 20 mSv/J, Lebensdosis von 60 mSv), müssten wir praktisch alle Agglomerationen dieser Welt räumen.

Die drei grossen Dilemmas:

  1. Die heutigen Evakuierungslimits würden, auf die natürliche Strahlenbelastung angewendet, in praktisch allen Ländern die Evakuierung grosser Gebiete erzwingen.
  2. Die Feinstaubbelastung liegt risikomässig in allen Agglomerationen weit über den «radioaktiven» Evakuierungsnormen.
  3. Der Konsum von Meerestieren müsste verboten oder zumindest streng überwacht werden. Das in allen Meerestieren vorkommende Polonium überschreitet meistens die entsprechenden Risikowerte für Cs-137.

Die natürlichen, als krebserregend identifizierten Pestizide in unserer Nahrung übertreffen bei weitem die künstlichen Zusätze sowohl an Menge als teilweise auch an Gefährlichkeit.

Die Behörden neigen dazu, auf der sicheren Seite stehen zu wollen und verkünden, dass die Substanz X wahrscheinlich krebserregend ist – selbst wenn die Mehrheit der Studien bei hohen Dosen keinen Effekt sieht. Ehrlicher wäre es dann zu verkünden, dass X wahrscheinlich harmlos ist, zumindest bei kleinen Dosen. Glyphosat ist eines von vielen solchen Beispielen. Eine Unmenge von Studien wurde durchgeführt, die überwiegende Mehrheit findet keine Effekte.

Die Helikopterperspektive: Wir kommen mit immer mehr synthetischen Chemikalien in Kontakt, ebenso wie mit mehr Elektrosmog durch Mobilfunk und WLAN. Wir konsumieren viele «unnatürliche», industriell gefertigte Nahrungsmittel, die mit Zusatzstoffen angereichert sind. Gleichzeitig steigt die Anzahl Fettleibiger, verbunden mit einem geringeren Konsum von Obst und Gemüse sowie weniger körperlicher Aktivität. Und dann die Medizin: Die Vorsorgeuntersuchungen (Screenings) boomen, und die diagnostischen Methoden werden immer ausgefeilter, sodass selbst kleine Krebsherde gefunden werden können.

Aus all diesen Gründen erwartet man einen starken Anstieg der diagnostizierten Krebsfälle und der Inzidenzrate. Doch das Gegenteil ist der Fall: Heute erkranken wir, altersstandardisiert, weniger häufig an Krebs. In den letzten 20 Jahren ist die Inzidenzrate bei Männern in den USA um etwa 20 % gesunken (laut WHO), bei Frauen ist dieser Trend etwas weniger ausgeprägt. Noch stärker sind die Todesraten zurückgegangen. Dies sind alles gute Nachrichten, doch die Furcht vor synthetischen Chemikalien scheint dennoch zuzunehmen.

Ein direkter Vergleich mit dem Bhopal-Gift (Methylisocyanat) zeigt jedoch, dass dieses wesentlich toxischer wirkt, siehe Figur 14-2. In einem Gebiet von etwa 5 km² wurde eine tödliche Dosis Methylisocyanat bereits nach wenigen Minuten erreicht, während es in Tschernobyl etwa 5 Stunden dauerte. Und dies, trotzdem in Tschernobyl die Radioaktivität von 500 bis 1.000 modernen Wasserstoffbomben freigesetzt wurde.

Wir nehmen durch den Verzehr von Obst und Gemüse hohe Dosen natürlicher Pestizide auf, viel mehr als künstliche. Die Wirkung von kleinen Dosen auf Menschen ist schwer zu bestimmen, die vielen Studien ergeben unterschiedliche Resultate. Trotzdem gibt es keine Zweifel, dass es künstliche Chemikalien gibt, welche extrem toxisch sind. Im direkten Vergleich mit dem radioaktiven Fallout von Tschernobyl wirkt das Bhopal-Gift (Methylisocyanat) um Grössenordnungen schlimmer.

Wer ist schuld an unserem Tod? Eine erste Antwort findet man in den vielen Statistiken über die Todesursache. Die beiden Alterskrankheiten, Herzkreislauf-Probleme und Krebs, liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, sie sind für ungefähr 2⁄3 aller Todesfälle verantwortlich. Der Rest verteilt sich auf Infektions- und Stoffwechselkrankheiten, Unfälle und Gewalt, Autoimmunkrankheiten und Alzheimer (vor allem in den Industriestaaten). Doch den «Krebs» oder die «Arterienverkalkung» auf die Anklagebank zu zerren, greift zu kurz.

Ein sinkender Lebensstandard aufgrund einer schweren Wirtschaftskrise birgt grössere Gesundheitsrisiken als eine Nuklearkatastrophe.