Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht daran erinnert werden, dass wir in unsicheren Zeiten leben. Diese Aussage bezieht sich auf das allgemeine Gefühl der Unsicherheit, das viele Menschen in der heutigen Zeit empfinden. Sie weist auf zwei Aspekte hin, die es zu berücksichtigen gilt. Zum einen werden wir ständig mit Nachrichten und Ereignissen konfrontiert, die dieses subjektive Gefühl verstärken. Zum anderen gibt es objektive Hinweise auf Veränderungen, die zur Verunsicherung führen können.

Mögliche Gründe für das subjektive Empfinden sind in der Medienlandschaft zu finden.

In einem 24/7-Nachrichtenzyklus liegt der Fokus auf negativen Ereignissen. Informationen verbreiten sich über soziale Medien rasend schnell und vor allem weitgehend unkontrolliert.

Objektiv entstehen Unsicherheiten durch Globalisierung, Klimawandel und Umweltkrisen, geopolitische Spannungen (von Krisen bis zu Kriegen), wirtschaftliche Unsicherheiten und den immer schnelleren technologischen Wandel.

Komplexität

Ein Wertewandel, eine Veränderung gesellschaftlicher Normen, Weltbilder und Wertvorstellungen, die sich meist über einen längeren Zeitraum vollzieht, verbindet objektive und subjektive Faktoren. Wie in früheren Zeiten erleben wir einen Prozess, in dem etablierte und bewährte Grundwerte innerhalb einer Gesellschaft oder Wertegemeinschaft durch neue Werte ersetzt werden. (Siehe hierzu etwa auch „Weltordnung im Wandel: Vom Aufstieg und Fall von Nationen“ von Ray Dalio oder auch Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten von Axel Bojanowski)

Als historische Beispiele können Stefan Zweig und Konrad Adenauer dienen, beide Zeitzeugen des frühen 20. Jahrhunderts. Sie beschrieben den Wertewandel und den Verlust von Sicherheit nach dem Ersten Weltkrieg.

Zweig sprach davon, dass man sich daran gewöhnen musste, „ohne Boden unter den Füßen zu leben, ohne Recht, ohne Freiheit, ohne Sicherheit“ (Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, S. 6).

Adenauer erinnerte sich in einer Weihnachtsansprache 1958 „an jene Zeiten vor 1914, in denen in Wirklichkeit Friede, Ruhe und Sicherheit auf Erden weilten, an jene Zeiten, in denen man die Angst nicht kannte.

Heute erleben wir Angst als diffuses Hintergrundrauschen, u.a. getriggert durch eine Vielzahl von Akteuren, erleichtert durch die Erosion sozialer Systeme: Der Verlust von Gemeinschaften in Dörfern und Kleinstädten sowie die Anonymität in Großstädten führen zu einem Gefühl der Entfremdung. Flexibilisierung und Globalisierung der Arbeitsmärkte verändern den Arbeitsalltag und erzeugen Unsicherheiten, die bis in die Mittelschichten hineinreichen.

Die ständige Konfrontation mit beunruhigenden Nachrichten durch Medien und soziale Netzwerke überfordert und verstärkt Angstgefühle.

Als Folge dieser diffusen Angst erleben wir einen Vertrauensverlust in demokratische Institutionen und zivilgesellschaftliche Akteure und gleichzeitig den Aufstieg populistischer Führungsfiguren, die Schutz und einfache Lösungen versprechen.

Wenn wir also subjektiv diffuse Angst und Unsicherheit konstatieren, stellt sich die Frage, ob aus diesem subjektiven Sicherheitsempfinden auch Sicherheitshandeln erwächst.

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich Hinweise, dass zwischen subjektiven Wahrnehmungen und objektiven Gefährdungen der Sicherheit oftmals eine ausgeprägte Diskrepanz besteht. (vgl. Sicherheitsempfinden, Sicherheitskommunikation und Sicherheitsmaßnahmen oder Das subjektive Sicherheitsgefühl).

Verschiedene Faktoren verhindern ein realistisches Risikobewusstsein und damit rationales Handeln:

  • Menschen neigen dazu, Risiken zu über- oder zu unterschätzen (kognitive Verzerrungen).
  • Oft besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der empfundenen Bedrohung und dem wahrgenommenen Risiko. Die tatsächliche Situation stellt sich in der Regel anders dar, als von den Menschen angenommen (Diskrepanz zwischen Gefühl und Wahrnehmung).
  • Die ständige Konfrontation mit beunruhigenden Nachrichten durch Medien und soziale Netzwerke kann Angstgefühle verstärken und zu einer Überschätzung von Risiken führen. Sie kann aber auch zu einer Abstumpfung und Ausblendung von Risiken führen (Medieneinfluss).
  • Die individuelle Risikobereitschaft ist ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal, das die Wahrnehmung und Bewertung von Risiken beeinflusst (Persönlichkeitsfaktoren). So finden sich zwischen „Risiko-Ignoranten“ und „Risikobereiten“ alle Schattierungen. Auf der einen Seite stehen die „Normalbürger“, die sich nicht einmal an die Empfehlungen der Regierung halten, Lebensmittel für zehn Tage vorrätig zu haben. Am anderen Ende des Spektrums stehen die „Prepper“, die große Vorräte anlegen, immer einen Notfallrucksack dabeihaben, sich mit der autonomen Energieversorgung beschäftigen oder – im Extremfall – als „Apokalyptiker“ vom bevorstehenden Zusammenbruch („Tag X“) der Gesellschaft überzeugt sind.
  • In Gruppen, insbesondere bei älteren Menschen, kann es zu einer starken normativen Prägung dessen kommen, was als „richtiges“ oder „falsches“ Sicherheitsverhalten gilt (soziale Einflüsse).

Gerade in diesem Jahr 2024 haben wir viele extreme Wetterereignisse erlebt oder beobachten können. Diesmal waren es vor allem Starkregenereignisse mit all ihren Begleiterscheinungen. Siehe hierzu auch den eigenen Beitrag Vom Tropfen zum Strom: Effektive Kommunikation in Hochwasserkrisen.