Quelle: BKA, Bericht: Nach Corona – Reflexionen für zukünftige Krisen nach Corona, Ergebnisse aus dem Corona-Aufarbeitungsprozess

Zum einen wurden in insgesamt 5 sozialwissenschaftlichen Fallstudien wesentliche Kernaspekte des gesellschaftlichen Umgangs mit der Pandemie untersucht, zum anderen wurde ein Dialogprozess aufgesetzt, um die Bevölkerung in repräsentativer Weise in die Aufarbeitung einzubinden.

Die wesentlichsten Empfehlungen des Berichtes

  • Wissenschaft: Dem Phänomen der Wissenschaftsskepsis und Desinformation soll entschieden entgegengewirkt werden. Die Leistungsfähigkeit und die Grenzen wissenschaftlicher Forschung und Lehre sollen kommuniziert und das Verständnis dafür schon an den Schulen geschaffen werden.
  • Politik: Der gesamtgesellschaftliche Dialog soll gefördert und politische Entscheidungen sollen nachvollziehbar begründet werden. Entscheidungs- und Beratungsgremien sollen fachlich vielfältig besetzt, flexibel und transparent sein und ihre Erkenntnisse verständlich kommunizieren. Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufe sollen im Sinne einer vorausschauenden Krisenprävention attraktiver gemacht werden.
  • Medien: Vertrauen schaffen, positiv denken und Dialog als Grundsatz. Transparenz und Glaubwürdigkeit sollen gesteigert werden, damit das Vertrauen in die Medien wieder gestärkt wird. Konstruktiver Journalismus soll auch in Zeiten der Krise handlungs- und lösungsorientiert sein und nicht ausschließlich Extreme darstellen und Ängste schüren. Die Medien sollen eine Dialogfunktion erfüllen und verschiedene Perspektiven einbeziehen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass Medien die politische Unabhängigkeit wahren.
  • Bevölkerung: Die Bürgerinnen und Bürger sollen offen und respektvoll miteinander umgehen und in der Krise füreinander sorgen. Dazu bedarf es mehr miteinander statt übereinander reden.

Generelle Leitlinie aller diesbezüglichen Erkenntnisse ist es, die Sicherheit und Resilienz Österreichs zu erhöhen, die Bevölkerung vor den Folgen allfälliger Krisen besser zu schützen und transparente und nachvollziehbare Maßnahmen zu setzen, die bei der Bevölkerung auch eine hohe Akzeptanz haben.

1. Krisenresilienz erhöhen

Im Sommer 2023 wurde das Bundeskrisensicherheitsgesetz beschlossen, um die Sicherheit und Resilienz Österreichs zu erhöhen. Wesentliche Eckpfeiler dieses Gesetzes sind unter anderem das Bundes-Krisensicherheitskabinett unter der Leitung des Bundeskanzlers, das Beratungsgremium unter der Leitung der Krisensicherheitsberaterin oder des Krisensicherheitsberaters sowie die Fachgremien unter der Leitung der jeweiligen sicherheitspolitischen Expertinnen und Experten. Mit diesen Gremien soll eine gesamthafte strategische und transparente Beratung der Bundesregierung zur Krisenvorsorge sowie Krisenbewältigung sichergestellt werden.

2. Krisenkommunikation strukturiert etablieren

Resultierend aus den Empfehlungen des Berichtes wird zudem die künftige Krisensicherheitsberaterin bzw. der künftige Krisensicherheitsberater damit beauftragt, ein Konzept für eine transparente und einfach verständliche Krisenkommunikation zu erarbeiten, strukturiert abzubilden und diese sodann sicherzustellen, wobei ebenso ein Fokus auf regelmäßiger und krisenunabhängiger Kommunikation liegen soll.

3. Maßnahmen gegen Wissenschaftsskepsis

Um dem Phänomen der Wissenschaftsskepsis entgegenzutreten, sind die nun vorliegenden Fallstudien eine wichtige Grundlage. Bereits 2022 hat das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) eine Strategie zur Stärkung des Vertrauens in Wissenschaft und Demokratie mit einem 10-Punkte-Programm initiiert. Um ein differenziertes Bild zu diesem Thema zu bekommen, wurde zudem eine Studie beauftragt, die das IHS gemeinsam mit der Universität Aarhus durchgeführt hat. Auf deren Basis werden nun weitere Maßnahmen erarbeitet. Zusätzlich zur Fortsetzung der Maßnahmen, wie Sparkling Science und den Kinder- und Jugenduniversitäten, konnten etwa bereits Maßnahmen, wie die Wissenschaftsbotschafter/innen oder eine eigene Wissenschaftswoche in den Polytechnischen Schulen, umgesetzt werden. Darüber hinaus wird das Thema stärker in den Curricula verankert und ist künftig auch Teil der Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten.

4. Attraktivierung der Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufe

Eine der zentralen Empfehlungen an die Politik ist die Stärkung der Resilienz im Gesundheitssystem und in der Pflege. Dazu gehört besonders das Attraktivieren von Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen. Die Bundesregierung hat während und nach der Corona-Pandemie bereits umfangreiche Maßnahmen gesetzt, die in den kommenden Jahren ihre Wirkung entfalten werden – etwa ein monatlicher Zuschuss für Auszubildende und Entgelterhöhungen für Mitarbeitende in Pflege- und Sozialbetreuungsberufen sowie eine Entlastungswoche und bessere Vergütungen im Nachtdienst für Pflegeberufe.
Zudem wird der Pflegefonds ab 2024 mit 1,1 Mrd. Euro dotiert. Damit stehen den Bundesländern ausreichend finanzielle Mittel für die weitere Attraktivierung von Pflegeberufen und für die Ausbildung zusätzlicher Mitarbeitenden zur Verfügung. Die Einigung zum Finanzausgleich sichert diese Verbesserungen für die kommenden fünf Jahre ab.

5. Daten zur Planung nützen

Für eine treffsichere Entscheidungsfindung sind auch sichere Datenquellen unabdingbar. Die zeitnahe, regelmäßige und systematische Datenerfassung, -analyse und -interpretation ist die Grundlage für jedes Risikomanagement. Auch die Weiterentwicklung des bestehenden Dokumentations- und Informationssystems für Analysen im Gesundheitswesen zu einer vollwertigen behördlichen Datenauswerteplattform zur gemeinsamen Sekundärdatennutzung stärkt die evidenzbasierte Entscheidungsfindung. In einem ersten Schritt werden die Daten allen Systempartnern im Gesundheitswesen (Bund, Länder, Sozialversicherungsträger) zur besseren Steuerung zur Verfügung stehen. In einem zweiten Schritt soll auch die Forschung rasch Zugang zu Gesundheitsdaten erhalten. Verbesserte Datengrundlagen erlauben eine optimierte Planung und Steuerung von Strukturen im Gesundheitsbereich. Das trägt wesentlich zur Resilienz des Gesundheitssystems bei.

Nach Corona – Reflexionen für zukünftige Krisen nach Corona, Ergebnisse aus dem Corona-Aufarbeitungsprozess

FAZIT UND AUSBLICK

Akute Krisen verwandeln fragmentierte, pluralistische Gesellschaften in Gefahrengemeinschaften. Der anfängliche Schockmoment – in der Pandemie durch die Bilder aus Bergamo ausgelöst – ermöglicht den großen Schulterschluss, und zwar sowohl in politischer und sozialer als auch in normativer und epistemischer Hinsicht. In Stichworten heißt das: Vorrang der Exekutive; hohe Solidarität; breiter Wertekonsens und eindimensionale Problemwahrnehmung. Dieser Zustand weitreichender Homogenität und Eindeutigkeit lässt sich auf Dauer nicht konservieren und – im Laufe einer langwierigen Krise – auch nicht einfach politisch wieder aktualisieren. Welche Kosten anfallen, wenn man dies dennoch versucht, haben die Fallstudien dieses Bandes im Detail aufgezeigt.

Bezieht man diese Befunde systematisch aufeinander, wird deutlich, worauf man in zukünftigen Krisen besonders achten sollte, nämlich auf

  1. Reflexion des vorherrschenden Problemzuschnitts (Problem-Framing);
  2. Mut zur geregelten Konfliktaustragung und
  3. klare Grenzen zwischen Medien, Wissenschaft und Politik.

a) Die langfristige Dominanz einer virologisch-epidemiologischen Problemwahrnehmung hat es der Bildungspolitik schwer gemacht, genuin bildungswissenschaftliche Aspekte im Streit um die Schulschließungen stark zu machen. Mit seiner Strategie, die Schulen als Knotenpunkte des virologischen Geschehens für ein umfassendes Testregime zu öffnen und damit offenzuhalten, hat das Bildungsministerium letztlich zur Verfestigung der dominanten Problemwahrnehmung beigetragen. Wie wichtig es allerdings ist, vielfältige Perspektiven auf die Krise zuzulassen, zeigt sich auch im Bereich der wissenschaftlichen Politikberatung. Selbst multidisziplinär zusammengestellte Beratungsgremien können die Politik nur dann auf die vielen Facetten einer Krise aufmerksam machen (und damit politische Abwägungsprozesse anstoßen), wenn sie nicht darauf beschränkt sind, die im Rahmen einer dominanten Problemwahrnehmung erforderlichen Zahlen und Fakten zu liefern. Nur eine grundsätzliche Reflexion über den aktuell gewählten Problemzuschnitt eröffnet die Chance, in politischer Hinsicht neue Wege gehen zu können.

b) Gerade in zähen, langwierigen Krisen ist es wichtig, politische (Ziel-)Konflikte offen auszutragen. Angesichts unzureichender Datenlage, unübersichtlichen Wissens und konfligierender Grundwerte sind politische Entscheidungen aus Legitimationsgründen noch stärker als sonst auf einen fairen, transparenten Abwägungsprozess angewiesen. Der Streit um die Impfpflicht hat gezeigt, wie viel für die Beteiligten auf dem Spiel stand: für die einen das (erhoffte) Ende der Pandemie, für die anderen das (gefühlte) Ende der Freiheit. Es kann vor diesem Hintergrund keinen Weg geben, Konsens zu erzwingen, auch nicht durch den Rekurs auf Sachzwänge. Der Wunsch nach dem großen Schulterschluss, der in der Rhetorik der Alternativlosigkeit zum Ausdruck kam, eröffnete vielmehr radikal-oppositionellen Stimmen die Chance, sich als einzig wahre Alternative zu profilieren und das Unbehagen am Impfen erfolgreich zu bewirtschaften. Dies lässt sich im Medienbereich genauso feststellen wie in der Politik. Die Folge war, dass sich die Fronten verhärteten und der moralische Tonfall schärfer wurde. So hat das Impfen wie kein anderes Thema zur Polarisierung beigetragen. Wer Polarisierung vermeiden will, sollte sich um eine offene, argumentative Austragung von Konflikten bemühen.

c) In Krisen kommt es fast zwangsläufig zu einer engen Kopplung von Medien, Politik und Wissenschaft, insbesondere in akuten Phasen. Vertrauensverluste sind dann die Folge, wenn der Eindruck wechselseitiger Instrumentalisierung bzw. mangelnder Unabhängigkeit dieser drei Systeme entsteht. So ist die Überzeugung, dass die Wissenschaft von der Politik gesteuert werde, ein wichtiger Anlass für Wissenschaftsskepsis. Ähnliches gilt für die Medien, wenn diese als verlängerter Arm der Regierung wahrgenommen werden. Die Annahme einer allzu engen Verflechtung von Politik, Medien und Wissenschaft trägt zu einer generalisierten Institutionenskepsis bei. In der Pandemie führte dies letztlich dazu, dass wachsende Unzufriedenheit mit der Corona-Politik auch von Vertrauensverlusten in Wissenschaft und Medien begleitet wurde. Gerade in Krisenzeiten sollte man also besonders stark darauf achten, dass die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar verteilt sind und keine Grenzüberschreitungen stattfinden. Dies war im Übrigen auch die zentrale Forderung der Bürger:innen im Dialogprozess. Die Unabhängigkeit von Wissenschaft und Medien gilt ihnen als zentraler Faktor, um zukünftige Krisen besser meistern zu können.