Letzte Aktualisierung am 15. Juni 2016.
Von Franz Hein (10.09.14):
Die Meldung (spiegel.de) selbst, besonders aber die gewählte Überschrift und dann die Vielzahl wie auch die Vielfalt der eingegangenen Kommentare zeigen auf, dass die Gewährleistung der Stabilität des Stromnetzes und die Netzregelung im inzwischen europäischen Energieversorgungssystem für die allermeisten ein Buch mit sieben Siegeln ist.
Tatsache ist, dass ein hoher Gleichzeitigkeitsfaktor bei Leistungsänderungen die Stabilität der Energieversorgung beeinträchtigen oder sogar so stören kann, dass ein Blackout unvermeidbar ist. Das wäre dann der Fall, wenn so ein „quasi“ gleichzeitig einwirkendes Ereignis das dynamische Gleichgewicht zwischen Stromeinspeisung und Stromentnahme sehr rasch und sehr umfangreich auslenkt. Allerdings wird nun sogar im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gesetzlich vorgeschrieben, dass Leistungsveränderungen über Fernsteuerung ermöglicht werden muss. Jede solche Fernsteuerung von außen über ein Informationsnetz kann jedoch grundsätzlich fehlerbehaftet sein oder sogar missbraucht werden. Trotzdem wird diese wirklich reale Gefahr derzeit negiert (weil die Wahrscheinlichkeit als gering eingeschätzt wird und die in anderen Branchen bereits bekannten Vorfälle in der Energiebranche immer noch ignoriert werden).
Die Drehmassen der am Netz befindlichen Synchrongeneratoren bilden eine Momentanreserve. Das ist ein inhärent im Gesamtsystem enthaltener Energie“vorrat“. Bei einer Auslenkung aus dem Leistungsgleichgewicht wird bei Leistungsmangel dem in der Momentanreserve steckenden Energievorrat Energie entzogen. Im umgekehrten Fall wird Energie eingespeichert. Das ist ein nach physikalischen Gesetzen ablaufender Vorgang (Satz von der Erhaltung der Energie). Eine Änderung der Energie in der Momentanreserve ändert die Drehgeschwindigkeit der bewegten Massen. Da die Drehgeschwindigkeit der Synchrongeneratoren direkt die Netzfrequenz ergibt, kann an der Frequenz abgelesen werden, ob momentan Leistung fehlt oder Leistung im Überfluss vorhanden ist. Die Netzregelung greift hier ein und versucht (so rasch wie möglich) immer wieder das Leistungsgleichgewicht herzustellen. Die Stabilität des Stromnetzes hängt an diesem dynamischen Gleichgewicht. Dazu muss jedoch eingegriffen werden. Heute geschieht das (immer noch fast ausschließlich) durch Änderung der Einspeiseleistung bei konventionellen Kraftwerken. Pumpspeicherwerke sind rar.
Leider muss festgestellt werden, dass zurzeit immer mehr konventionelle Kraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen außer Betrieb genommen werden und Kernkraftwerke aus an sich ideologischen/ politischen Gründen ebenfalls. Wenn dabei nun auch noch die Synchrongeneratoren dieser Kraftwerke aus dem Netzverbund entfernt werden, dann wird die Momentanreserve in jedem Falle verkleinert. Damit wird das Energieversorgungssystem deutlich fragiler – also fortlaufend verletzlicher!
Als Konsequenz müsste die Netzregelung noch schneller als bisher eingreifen können und durch bewusst höhere Einspeisung oder niedrigere Stromentnahme einem Leistungsverlust entgegen wirken bzw. durch Absenken der Einspeisung oder höherer Stromentnahme einen Leistungsüberfluss abbauen. Das muss im Sekundenbereich erfolgen – braucht also Automatismen, welche die Frequenz messen und direkt auf den Leistungsfluss in der richtigen Richtung einwirken können.
Die Sonne hat nun aber weder einen Schalter noch einen von uns zu bedienenden Regler. Photovoltaikanlagen könnten höchstens abgeschattet oder ganz abgeschaltet werden. Das ist keine Regelung, sondern ein Absenken des Leistungsflusses. Beim Wind ist leider auch kein Schalter bedienbar. Auch da könnte höchstens durch Verändern der Stellung der Rotorblätter die Leistung vermindert werden. Ein vergleichbares Verändern bei der Stromentnahme wird Lastmanagement genannt. Das steckt aber noch in den Kinderschuhen. Grundsätzlich jedoch bietet das jetzt schon, besonders aber künftig ein immens großes Potenzial.
Würde, was auch möglich ist, von vornherein Photovoltaik und Windenergie unterhalb der maximal möglichen Leistung betrieben, dann wird zufließende Energie „verschenkt“, die wir eigentlich dringend für solche Zeiten bevorraten müssten, in denen die von der Sonne zufließende Energie fast versiegt (nachts scheint immer noch keine Sonne auf dem von der Sonne abgewendeten Teil der Erde) und der Wind kann tatsächlich nicht „eingeschaltet“ werden. Fossile Rohenergien wie Kohle, Erdöl und Erdgas sind in jedem Falle endlich und deshalb irgendwann endgültig verbraucht. Auch die „Energiepuffer“ bei den heute noch vorhandenen Kraftwerken (Kohlehaufen, Öltanks, Gasspeicher) sind dann verschwunden. Was dann? Ohne Pufferung der Energie keine Netzregelung!
Eine Sonnenfinsternis kommt und geht mit einer Rampenfunktion, ist also nichts Schlagartiges. Bei der nun kommenden ist der Zeitverlauf und sind die Auswirkungen auf das Leistungsgleichgewicht gut vorhersehbar. Konventionelle Kraftwerke sind noch vorhanden. Die Ausregelung müsste tatsächlich noch gut gelingen. Was aber geschieht dann bei der nächsten Sonnenfinsternis, die in jedem Falle kommt – sogar wieder exakt vorher berechenbar? Was ist bezüglich einer wirklich ausreichenden Energiebevorratung bis dahin realisiert? Kann der notwendige Energievorrat rechtzeitig und im ausreichenden Umfang aus erneuerbaren Energien angesammelt werden? Und kann das dann vorhandene Netz die Leistungstransporte vornehmen? Wird die Netzregelung in Zukunft die Möglichkeiten des raschen Leistungsausgleichs noch haben? Müssen dann endgültig „alle“ mithelfen, das Energieversorgungssystem stabil und leistungsfähig zu halten? Haben wir nicht alle Verantwortung für unsere Infrastruktur? Sie ist schließlich lebensnotwendig!
Resümee zur eingangs zitierten Meldung: Von einer gelungenen Energiewende sind wir noch meilenweit entfernt. Statt uns vor einer Sonnenfinsternis zu fürchten, sollten wir dieses immer wiederkehrende Ereignis zum Anlass nehmen, endlich ernsthaft und zielstrebig die Energiewende anzupacken. Sehen wir diese Sonnenfinsternis als einen „Fingerzeig“, uns zu besinnen (statt uns gegenseitig mit Kommentaren zu „bekriegen“). Wir schaffen die Energiewende nur gemeinschaftlich. Und die Sonne wartet nicht auf Lob und Bitten, aufzugehen (siehe Epiktet, 50 – 138, griechischer Philosoph).
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