Letzte Aktualisierung am 17. Januar 2020.

Quelle: Sicher. Und morgen? Die Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2020 der Direktion für Sicherheitspolitik des Verteidigungsministeriums (AUT)

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Resilienzgefährdende Extremereignisse

Unter diesem Abschnitt sind beispielhaft drei sogenannte Extremereignisse zusammengefasst, die sowohl intentional als auch nichtintentional die Resilienz Österreichs extrem gefährden könnten. Massenmigration, Pandemie und Blackout stehen in der verteidigungspolitischen Risikobewertung für jene Risikokategorie, in der das Österreichische Bundesheer vorrangig als Assistenzleister zu zivilen Behörden fungieren muss.

Die Massenmigration bleibt aufgrund der Konfliktentwicklung im Nahen Osten und in Nordafrika, der demografischen und wirtschaftlichen Parameter in Afrika sowie der Handlungsschwäche der Europäischen Union für Österreich dauerhaft eine der größten Herausforderungen, deren Auswirkungen auf die staatliche Stabilität in all ihren Teilbereichen überaus kritisch zu betrachten sind.

Ähnlich wie bei der Massenmigration gehören Klimawandel und Globalisierung zu den großen Treibern der Pandemie. Neben der Möglichkeit einer »Disease X«, ausgelöst durch einen gänzlich unbekannten Erreger, lassen extremistische Ideologien und technologische »Fortschritte« in der Biotechnologie die Gefahr der Synthetisierung vor allem von biologischen Kampfstoffen zunehmend in den Bereich des Wahrscheinlichen rücken. Aufgrund der raschen Verbreitungsdynamik verschiedener Erreger muss bei Angriffen auf den »Westen« bzw. Europa auch mit massiven Auswirkungen in Österreich gerechnet werden.

Unter den technologischen Risiken nimmt das »Blackout«, ein überregionaler, länger anhaltender Stromausfall, eine herausragende Stellung ein. So ist nach Meinung der Experten die Wahrscheinlichkeit des Eintretens in den nächsten fünf Jahren mittlerweile sehr hoch. Zur hohen Wahrscheinlichkeit trägt die Mixtur aus Extremwetter, menschlichem Versagen, Cyberangriffen, Erdbeben oder einfach einer Komplexitätsüberlastung wesentlich bei. Da in Österreich weder der Staat noch die Bevölkerung auf dieses Szenario vorbereitet sind, besteht die Gefahr, dass der über Jahrzehnte aufgebaute Wohlstand binnen weniger Tage zerstört wird. 

Brigadier Mag. Gustav E. Gustenau Direktion für Sicherheitspolitik/BMLV

Handlungsfähigkeit und Handlungsoptionen bei Extremereignissen am Beispiel Blackout

Zusammenfassung

Die Möglichkeit eines europaweiten Strom- und Infrastrukturausfalls („Blackout“) bzw. dessen Folgen werden weitgehend unterschätzt. Dies insbesondere, da die vielschichtigen Veränderungen im europäischen Verbundsystem sowie die steigenden gesellschaftlichen Abhängigkeiten von lebenswichtigen Infrastrukturen nur selten in ihrer vollen Tragweite wahrgenommen werden. Dabei ist ein Blackout ein sehr realistisches Szenario, mit dem binnen der nächsten fünf Jahre zu rechnen ist. Die derzeitigen Planungen für den Systemumbau stehen im Widerspruch zu den physikalischen Möglichkeiten und Grenzen des Systems.

Mangels Evidenz lässt sich jedoch keine statistische Wahrscheinlichkeit berechnen. Bei extrem seltenen aber mit extremen Auswirkungen verbundenen Ereignissen („Schwarzen Schwänen“) ist das jedoch auch die falsche Methode für die Risikobewertung.

Entscheidend ist, dass die europäische und damit auch österreichische Gesellschaft so gut wie nicht auf ein derartiges Szenario vorbereitet sind. Wie Untersuchungen zeigen, wären bei einer weitreichenden Versorgungsunterbrechung bereits am Ende der ersten Woche rund zwei Drittel der Bevölkerung nicht mehr in der Lage, sich selbst ausreichend versorgen zu können. Aber auch im Best-Case-Szenario wird die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern nicht vor einer Woche wieder anlaufen können.

Eine weitreichende Versorgungsunterbrechung würde unsere moderne und stromabhängige Gesellschaft binnen weniger Tage an den Rand der Belastbarkeit bringen, da weder die Bevölkerung, noch die Unternehmen oder der Staat darauf vorbereitet sind.

Ausgangslage

Das europäische Stromversorgungssystem befindet sich seit rund zwei Jahrzehnten in einem massiven Umbruch. Mit der Marktliberalisierung („Unbundling“) ab der Jahrtausendwende erfolgte eine Aufsplittung in unterschiedliche Akteurs- und Interessensgruppen, die per Definition teilweise widersprüchliche Interessen verfolgen. Bei der Energiewende wird ein systemwichtiges Element, konventionelle Kraftwerke, durch ein nicht gleichwertiges Element ersetzt. Im Gegensatz zu den bisherigen Kraftwerken verfügen PV- und Windkraftwerke über keine Speicher, um die volatile Erzeugung ausgleichen zu können, noch gibt es eine entsprechende gesamtheitliche Energiebevorratung. Das Stromversorgungsystem funktioniert jedoch nur, wenn permanent die Balance zwischen Erzeugung und Verbrauch sichergestellt werden kann. Seit Jahren steigen daher die Aufwände für die Aufrechterhaltung der Systemstabilität. Alleine in Österreich sind die Kosten für kritische Systemeingriffe in sieben Jahren von 2 Millionen Euro auf 346 Millionen Euro im Jahr 2018 explodiert. Mittlerweile sind fast tägliche zunehmend aufwändigere Interventionen erforderlich, um einen Kollaps zu verhindern. Nicht nur in Österreich. Aber auch die voranschreitende Vernetzung („Digitalisierung“) schafft neben den Vorteilen auch neue Verwundbarkeiten (Stichwort: Komplexität, Cyber-Angriffe). Hinzu kommen vermehrt Extremwetterlagen (Hitze- und Kältewellen, Hoch- und Niedrigwasser, Stürme etc.).

Ein Blackout wird nur durch die Kumulation von an und für sich beherrschbaren Einzelereignissen ausgelöst, was durch eine permanent angespannte Netzsituation wesentlich begünstigt wird. Als Trigger kommen unterschiedliche Ereignisse in Frage, wie Extremwetter, technisches oder menschliches Versagen, Cyber-Angriffe oder IT-Störungen, Terroranschläge oder auch Sonnenstürme und Erdbeben. Als derzeit wahrscheinlichstes Szenario wird vom Autor eine Komplexitätsüberlastung mit einem Kollaps ohne externe Intention erwartet.

Bei diesem Best-Case-Szenario ist mit einem mehrtägigen Stromausfall zu rechnen. In Österreich mit zumindest 24 Stunden, auf europäischer Ebene mit rund einer Woche, bis die Stromversorgung wieder halbwegs stabil funktioniert. Wie lange es dauern wird, bis danach die Telekommunikationsversorgung wieder weitgehend funktioniert, ist unklar. Es sollten zumindest mehrere Tage erwartet werden (Hardwareschäden, technische Probleme, Überlastung). Damit funktionieren weder Produktion, Treibstoffversorgung noch die Verteilung von Waren. Zusätzlich ist die Versorgung hochgradig transnational organisiert und abhängig.

Der Wiederanlauf der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern sollte daher nicht vor der zweiten Woche erwartet werden. Viele Vorsorgemaßnahmen beschäftigen sich jedoch hauptsächlich mit der Phase 1, dem Stromausfall. Zudem wird die Rolle des eigenen Personals völlig unterschätzt, das in der Regel genauso schlecht vorgesorgt hat, wie der Rest der Gesellschaft. Wenn jedoch die Menschen zu Hause mit der Krisenbewältigung beschäftigt sind, werden sie weder anderen helfen, noch die Systeme wieder hochfahren können. Ein Teufelskreis, der dadurch verstärkt wird, indem kaum jemand über die Möglichkeit eines Blackouts und seine Folgen wirklich informiert ist. Viele Krisenpläne werden der erwartbaren Realität nicht standhalten.

Hier hat sich ein Sicherheits- bzw. Verletzlichkeitsparadox eingestellt: Je sicher ein System scheint, desto verwundbarer ist es, da die Handlungskompetenzen und Vorsorgemaßnahmen fehlen, um mit größeren Störungen umgehen zu können.

Ableitungen für die Krisenbewältigung

Im Gegensatz zu vielen anderen möglichen und bekannten Szenarien kann ein solches Ereignis nur auf der lokalen Ebene bewältigt werden. In der Familie, in der Nachbarschaft und in der Gemeinde. Alles andere wird nicht funktionieren, da alle selbst betroffen sind bzw. der Umfang der Betroffenheit einfach zu groß ist. Durch den Ausfall fast aller Kommunikationskanäle ist auch kaum eine übergeordnete Koordinierung und damit Krisenmanagement möglich. Hier bestehen jedoch viele falsche Erwartungen.

Eine punktuelle Hilfe kann nur dann funktionieren, wenn in der jeweiligen Organisation eine entsprechende ganzheitliche Vorsorge getroffen wurde. Das beginnt bei der Vorsorge in der Familie, damit überhaupt mit einer ausreichenden Personalverfügbarkeit gerechnet werden kann. Das Personal muss dann auch darauf vertrauen können, dass man im Dienst/Einsatz ausreichend versorgt wird, was derzeit in vielen Bereichen fraglich ist. Auch im Österreichischen Bundesheer.

Um die aufgezeigte gesellschaftliche Verwundbarkeit reduzieren zu können, ist dringend eine breite gesellschaftliche Debatte und Eigenvorsorge möglichst vieler Menschen erforderlich. Diese stellt das wesentliche Fundament für alle anderen organisatorischen Maßnahmen dar.

Das Österreichische Bundesheer könnte diese wichtige Debatte anstoßen. Einerseits, aufgrund der kommunizierten fehlenden eigenen Ressourcen und damit Handlungsfähigkeit und zum anderen, aus Eigeninteresse: Die eigene Handlungsfähigkeit erfordert zwingend handlungsfähige Soldaten und Soldatinnen. Die Basis dafür ist die versorgte Familie.

Kernaussagen

  • Die gesellschaftliche Verwundbarkeit war aufgrund der vielschichtigen Abhängigkeiten von lebenswichtigen Infrastrukturen noch nie so hoch wie heute.
  • Ein europaweiter Strom- und Infrastrukturausfall („Blackout“) hat das Potential, den über Jahrzehnte aufgebauten Wohlstand binnen weniger Tage zu zerstören.
  • Eine weitreichende Versorgungsunterbrechung, wie nach einem Blackout, kann auch durch andere Ereignisse, wie einer Pandemie, einem Kernkraftwerksunfall, einem Erdbeben oder Cyber-Zwischenfall ausgelöst werden.
  • Ein derartiges Szenario ist ohne eine selbstwirksame und vorbereitete Bevölkerung nicht beherrschbar, was derzeit nicht gegeben ist.

Autor

Herbert Saurugg, MSc, geboren am 12. Februar 1974, Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen, war 15 Jahre Berufsoffizier des Österreichischen Bundesheeres, zuletzt im Bereich IKT-/Cyber-Sicherheit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit den möglichen Folgen der steigenden Vernetzung und Komplexität und ist über die Grenzen Österreichs hinaus als weitsichtiger Querdenker und Fachexperte bekannt.

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