Quelle: www.nzz.ch (29.09.18), Update 02.12.18: www.srf.ch
Seit mehr als zehn Jahren sieht sich die Schweiz gezwungen, jeweils im Winter Strom zu importieren, um ihren Bedarf zu decken. Dies entsprach der bisherigen Strategie, die darin bestand, möglichst viel Strom selber herzustellen, jedoch zu importieren, was sich darüber hinaus als nötig erwies. Deutschland und Frankreich sind dafür die wichtigsten Lieferanten.
Der Europäische Netzbetreiberverband hat bereits 2015 warnend darauf hingewiesen, dass Deutschland vom Jahr 2025 an selber zu Importen genötigt sein wird, da dem Land zu Spitzenzeiten bis zu 9000 Megawatt fehlen; das kommt dem neunfachen Output des Kernkraftwerks Gösgen gleich. Und obschon Frankreich keineswegs die Absicht hat, die Kernenergie auslaufen zu lassen, wird auch dieses Land im Jahr 2025 zu wenig Strom für den Eigenbedarf zur Verfügung haben: Der europäische Netzbetreiberverband rechnet damit, dass die Franzosen dann 3500 Megawatt oder 3,5-mal die Produktion von Gösgen einführen müssen.
Darüber hinaus geht der wissenschaftliche Dienst der EU-Kommission davon aus, dass bis 2025 etliche Kohlekraftwerke den Betrieb einstellen, was zu einem zusätzlichen Mangel an Strom in der Grössenordnung von 45 000 Megawatt führt. Diese Lücke entspricht der 45-fachen Leistung des AKW Gösgen, oder um es noch drastischer auszudrücken: Das entspricht der zweifachen Stromproduktion der gesamten Schweiz.
Wenn die Schweiz hofft, ihr selbstverschuldetes Versorgungsproblem künftig mit vermehrten Importen aus dem Ausland lösen zu können, dann dürfte sie bitter enttäuscht werden. Selbst wenn unsere Nachbarn uns helfen wollten, könnten sie nicht.
Update 02.12.18: Bald zu wenig Strom – oder doch nicht?
Die Aufsichtsbehörde der Strombranche, die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom), schlägt Alarm: Die Engpässe im Winter bei der Stromversorgung könnten sich in den kommenden Jahren verschärfen; es brauche zusätzliche Kapazitäten und Anreize für die heimische Stromproduktion.
In Deutschland und Frankreich werden in den kommenden Jahren etliche Elektrizitätswerke vom Netz genommen. Dies beunruhigt die Schweizer Behörden. Das seien Fakten, die man deutlich kommunizieren wolle, sagt ElCom-Präsident Carlo Schmid. «Wir müssen uns auf eine Situation vorbereiten, in der wir nicht importieren können.»
Daher müsse die Schweiz im Winter eine eigene Stromproduktion aufbauen. Dabei lässt die ElCom offen, wie der heimische Strom produziert werden soll. Wasser, Gas oder Solar mit Speicher: Es sei Aufgabe der Politik entsprechende Lösungen zu finden.
Ganz anders sieht das Energieministerin Doris Leuthard. An einem Forum in Bern beruft sie sich auf Studien: «Diese Studien zeigen, dass in der Schweiz die Versorgungssicherheit bis mindestens 2025 gesichert ist – auch in Extremszenarien.» Mit Importen könnten Engpässe überbrückt werden, so Leuthard. «Die sehr gute physische Einbindung der Schweiz in das europäische Stromnetz ist vorhanden. Und sie trägt massgeblich zur Versorgungssicherheit bei.» Zudem sollen zusätzliche Speicherkapazitäten aufgebaut werden. Es tut sich also ein Dissens auf zwischen der Aufsichtsbehörde, die warnt, und der Regierung, die keinen akuten Handlungsbedarf sieht.
Kommentar
Gestern Belgien, heute die Schweiz … und alle Aussagen zeigen auf rot, wie auch weitere Meldungen die steigende Problematik bis spätesten 2025 unterstreichen und damit die These, dass wir ein Blackout in naher Zukunft erleben werden, unterstreichen.
Ergänzung 02.12.18: Wenn einmal die Aufsichtsbehörde Klartext spricht, dann brennt der Hut schon wirklich. Zum anderen zeigt die politische Aussage, dass man das Problem nicht verstanden hat! Einerseits hilft die internationale Einbindung wenig, wenn niemand exportieren kann. Zum anderen ist 2025 nicht mehr so fern. Und wenn auch dann erst der Hut brennt, ist es bereits viel zu spät. Denn Infrastrukturprojekte dieser Größe brauchen zumindest mehrere Jahre Vorlaufzeit und da ist dann 2025 wesentlich schneller da, als man heute glaubt. aber dann sind die heute agierenden Politiker wahrscheinlich nicht mehr an der Macht. Übrig bleibt dann wie so oft, die Bevölkerung, die dann den Rest ausbaden muss. Studien gibt es zudem viele … oft auch mit gegenteiligen Ergebnissen.
Ergänzungen von Franz Hein
Dieser Gastkommentar in der Neuen Züricher Zeitung zeigt auf, dass wir über mehrere Jahre hinweg keine wirklich zukunftsträchtigen Investitionen getätigt haben – nicht nur in der Schweiz, auch in Deutschland. In Deutschland treiben wir nun besonders in der Höchstspannungsebene einen Netzausbau voran, der auf den gewaltigen Zubau an Windkraftwerken im Norden eine Antwort sein soll. Dabei wird vergessen oder unterschlagen, dass der mit diesen Kraftwerken im Norden erzeugte Strom nur dann transportiert werden kann, wenn gleichzeitig viel Wind im Norden weht und der damit erzeugte Strom im Süden gebraucht wird. Leider wird damit weiterhin nicht an eine Pufferung und Zwischenspeicherung gedacht und damit in diesen dringend notwendigen Infrastrukturausbau nicht investiert.
Richtig ist, bei dem Gastkommentar darauf hinzuweisen, dass eine vernünftige und zukunftsträchtige Planung nicht darauf aufbauen kann, dass von irgendwo her Strom (oder auch Gas) bezogen werden kann. Das ist keine Zukunftsvorsorge, sondern höchstens eine Zwischenlösung, aber eine höchst fragwürdige. Wir sind verwöhnt von der stets „regelbaren“ Versorgung mittels fossiler Energien und damit von der Nutzung einer „natürlichen“ Pufferung über extrem lange Zeiträume, in welche die Natur ohne unser Zutun „investiert“ hat. Wir leben von der Substanz. Das notwendige Umdenken gelingt uns offenbar weiterhin nicht. Das dürfte noch einige Zeit so andauern, bis eine größere Katastrophe und zum Umdenken zwingt.
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