Letzte Aktualisierung am 10. Juni 2015.

Das neue Buch „Schwarmdumm: So blöd sind wir nur gemeinsam“ von Gunter Dueck (siehe auch Aufbrechen! Warum wir eine Exzellenzgesellschaft werden müssen; Dueck war bis 2011 Chief Technology Officer der IBM Deutschland) ist eine große Bereicherung und ermöglicht einen etwas anderen Blick auf viele aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen. Sie ergänzen andere Einblicke, etwa die vom Managementexperten Fredmund Malik („Shareholder-Value“) oder vom Soziologe Hartmut Rosa (Podcast Zeitproblem).

Was mich etwas überrascht hat ist, dass Gunter Dueck, den ich bisher als besonderen Optimisten wahrgenommen habe, in diesem Buch doch etwas ratlos und resignierend herüberkommt. Nicht, weil er den Ausweg nicht kennen würde, sondern ob der gesellschaftlichen Beharrlichkeit, weiter in die Sackgasse gehen zu wollen und dass eine Abkehr scheinbar nur durch Katastrophen absehbar ist. Womit sich einmal mehr die „Schöpferische Zerstörung“ und auch meine Wahrnehmungen bestätigen würden. Duecks Fokus liegt auf Unternehmen. Seine Einsichten lassen sich jedoch einfach auf andere Systeme, etwa auch auf Infrastruktursysteme, übertragen.

re:publica 2015 – Gunter Dueck: Schwarmdummheit!

Kernaussagen im Buch

Dankenswerter Weise von Gunter Dueck zur Veröffentlichung autorisiert.

  • „Die bisher besprochenen Möglichkeiten, zu mehr Gewinn zu kommen, versuchen, die Spielregeln möglichst krass auszunutzen. Alles, was irgendwie erlaubt ist, wird gemacht, eventuell noch ein bisschen mehr. Man schaut nicht so genau hin, ob es immer noch Fett ist, was beim Optimieren abgeschnitten wird, oft ist schon Muskelfleisch des Unternehmens dabei und es blutet beim Schneiden. Statt solcher rigorosen Optimierung innerhalb der Spielregeln des Marktes kann man aber auch versuchen, die Regeln zu ändern.“ S. 245. Siehe auch Wenn betriebswirtschaftliche Optimierungen systemgefährdend werden.
  • „Diese Gesamtdummheit kann nur aufgehoben werden, wenn sich die Mehrheit mit dem berechnenden Opportunismus aufhört und wieder einen Sinn für Schwarmintelligenz entstehen lässt. Ich sehe kaum, wie das gehen soll, so weit hat sich die Todesspirale schon gedreht. Das Ausbrechen wird täglich schwerer. Am leichtesten könnte das gelingen, wenn wir eine lange Prosperitätsphase in der Wirtschaft bekommen, sodass wir wieder großzügiger werden und uns allseits gut leben lassen.“ S. 114. –
  • Akerlof-Spirale: Georg Arthur Akerlof, Nobelpreisträger 2001 mit „The Market for Lemons“ (Zitronenproblem). Wenn die Marktteilnehmer mit dem Informationsvorsprung opportunistisch1 bis hinzu ausbeuterisch umgehen, dann kommt es zu der Todesspirale des ganzen Marktes, bis es nur noch niedrigste Qualität zum Schleuderpreis gibt. S. 110.
  • „Wie kann man von der Akerlof-Abwärtspirale in eine Aufwärtsspirale kommen? Das ist die entscheidende Frage. Die Antwort liegt fast auf der Hand: radikale Umkehr. Das aber wollen die Politiker, Manager, Lobbyisten, Beratungsfirmen, Einzelmenschen absolut nicht. Sie suchen die einfache Erfolgsformel für die schnelle Lösung – „Quick Fix“. Die aber gibt es nicht.“ S. 185.
  • „Ich sage nicht, dass die eine oder die andere Seite besser oder schlechter ist. Es ist aber dumm, nur eine zu kennen und zum Maßstab zu machen. (…) Aber das Management erklärt die eigene Auffassung zum Standard und versucht, alle anderen Menschen zu seiner Seinsauffassung zu zwingen. Sie zwingen die Fachleute, unter leistungsschwächendem Stress zu arbeiten und schlechte Ergebnisse zu erzielen. Dann gibt es noch mehr Stress, wenn die Ergebnisse schlecht sind! Es ist aber eine Art globaler Wahnsinn der Manager, alles müsste unter Stress stehen!“ S. 207.
  • „Misstrauen Sie allen Aussagen der Form „X bewirkt Y.“ S. 207. (Einfache Kausalitäten sind in komplexen Systemen meist falsch.)
  • „Diese Sucht, alles bis an die Oberkante des gerade Legalen und oft etwas darüber hinaus auszureizen, war ein wesentlicher Auslöser der globalen Finanzkrise. Jetzt muss der Steuerzahler einstehen.“ S. 221.
  • „Wie kann sich nun Vernunft im Zahlenwahn behaupten? Die traurige Wahrheit: Vernunft wird im dummen Schwarm als extrem nörglerisches Omega wahrgenommen. Die Vernunft sieht ja die ganze Akerlof-Spirale, sie sieht, dass restlos alles gegen die Wand fährt, sie kritisiert das Ganze radikal – weit über die jeweilige Abteilung hinaus, in der sie Kritik übt. Und eben deshalb sagen alle zur Vernunft: „Bring einfach deine Zahlen, halte nicht alles durch sinnloses Predigen auf. Wir wissen, was eigentlich und theoretisch vernünftig wäre, aber wir leben in der Realität. Deshalb ist die Vernunft in einem schwarmdummen System ein Netzbeschmutzer. “ S. 237f.
  • „Wir denken zu oft, dass Zahlen in Stein gemeißelt sind, und vergessen, wie sehr und wie oft dabei getürkt wird.“ S. 258.

Weitere Zitate:

„Alles ist voneinander abhängig geworden“, sagt der Chef und tut so, als sei das „gottgegeben immer so“, wo doch offensichtlich nur Zeitspielräume fehlen, in denen man Fehler berichtigen oder Rückstände aufholen kann. S. 9.

Als Einzelne sind wir klug und stark, aber als Team spinnen wir. Wir agieren als Unternehmen, als Team, als Gremium oder als Partei gemeinschaftlich so, wie wir es einzeln als Mensch ohne Fesseln und Zwänge nie täten. Wir sind aktiver Teil eines Ganzen, dass gegen all das handelt, was unsere persönliche Intelligenz und unser eigenes Herz uns raten. S. 10.

In schwarmdummen Teilen der Betriebswirtschaftslehre wird oft von Skalierung geschwärmt. (…) Die Erkenntnis, dass sich bei einer Vergrößerung viele Zahlenverhältnisse verzerren, ist nicht sehr verbreitet. (…) Eine Größenverzehnfachung bedeutet stets ein Volumenvertausendfachung! Das Volumen eines Körpers wird in „hoch 3“ gemessen. S. 26.

Siehe auch exponentielle Entwicklungen, die bei komplexen Systemen eine zentrale Rolle spielen.

Wer unter Beschleunigung arbeitet, muss sehr viel präziser arbeiten, weil Fehler unter Stress öfter vorkommen und sich schrecklicher auswirken (es ist keine Zeit, sie zu berichtigen). S. 28.

Man kann nicht einfach so alles verdoppeln oder schneller machen. Wenn man ein Ganzes vergrößert oder verkleinert, wenn man es beschleunigt oder verlangsamt, muss man daran denken, dass es unter Umständen ein (ganz) anderes Ganzes werden muss. S. 29

Nun sparen und beschleunigen wir ganz schleichend schon um die 20 Jahre. Erst in den letzten Jahren kommt Kritik auf. S. 53.

Wenn in einem Computernetzwerk die Auslastung des Netzes über 85 Prozent steigt, werden große Mails einige Sekunden bis wenige Minuten verzögert geschickt, damit das Netzwerk weiter gut läuft. Oft schicken sich aber Leute, die gerade telefonieren, solche Anhänge zu. Und schicken sie gleich noch einmal, weil vermeintlich nichts angekommen ist. Wenn das jetzt viele Leute im Netz tun, steigt die Auslastung des Netzes auf – sagen wir – 90 Prozent, und jetzt schicken noch mehr Leute ihre Mail doppelt und dreifach. Dann bricht das Netz zusammen. Denken Sie auch an das Telefonieren zum Jahreswechsel. „Das Netz ist überlastet. Versuchen Sie es noch einmal.“ Das tun Sie dann prompt sehr oft, dadurch belasten Sie das Netz immer mehr … Man kann deshalb in etwa so sagen: Alles über 85 Prozent Auslastung führt zu Chaos bis hin zu Katastrophen. S. 61.

Denn die Warteschlangenformel legt eines unmittelbar nahe: Die wichtigen Menschen sollten mit geringerer Auslastung arbeiten als die weniger wichtigen oder qualifizierten. Wenn hohe Manager nur wenige offene Vorgänge haben, muss niemand lange auf eine Entscheidung warten – alles kann fließen. Wenn die Top-Experten immer Zeit haben, kann jedes auftretende Problem schnell gelöst werden. S. 68.

Der durch den Auslastungswahn erzeugte Stress führt zu einer Aversion gegen alles, was nicht gerade jetzt im Augenblick wichtig ist. Diese Aversion erzeugt einen Tunnelblick auf die aktuellen Probleme, die zu einem großen Teil aus einer Zusatzarbeit besteht, die aus dem Stress entstanden ist. S. 78.

Im Grunde aber ist alles weg- bis totgespart worden und man hat die Überlastung von Menschen und Maschinen geradezu zum neuen Prinzip erhoben. S. 82.

Wenn die Marktteilnehmer mit dem Informationsvorsprung opportunistisch bis hinzu ausbeuterisch umgehen, dann kommt es zu der Todesspirale des ganzen Marktes, bis es nur noch niedrigste Qualität zum Schleuderpreis gibt. S. 110.

Der Opportunismus bezeichnet die Anpassung an die zweckmäßige jeweilige Situation beziehungsweise Lage. Der Opportunist geht weiter, er nutzt eine günstige Gelegenheit ohne Rücksicht auf Konsequenzen oder eigene Wertvorstellungen zu seinem Vorteil. Es ist ein überwiegend negativ besetzter Begriff: Der Opportunismus stellt eine ihm günstig erscheinde Zweckmäßigkeit über die Grundsatz- und Prinzipientreue.

Es ist schleichend so gekommen: Die ganze Welt hat sich „ökonomisiert“, sie hat es erlaubt und eigentlich sogar propagiert, dass sich die Unternehmen und Menschen bei asymmetrischer Information opportunistisch verhalten. Wer einen Informationsvorsprung hat, nutzt ihn aus. Wer ihn nicht hat, wird ausgenutzt. Wer die Macht hat, nutzt sie aus – oder er wird ausgenutzt. S. 110.

Das frühere Umsorgen des Kunden wich einer immer stärker kalt berechnenden Verhaltensweise. Akerlof hatte nur den Gebrauchtwagenhandel untersucht. Dieser begann seinen Niedergang, als einzelne Marktteilnehmer ihre Kunden in opportunistischer Weise leimten, weil sie einerseits ihr besseres Wissen um den Zustand des Autos und andererseits die noch vorhandene Vertrauensseligkeit der Käufer ausnutzten. Die Kunden fühlten sich hereingelegt, wurden wachsam und waren auch nicht mehr bereit, für echte Qualität die früheren Preise zu zahlen. Das trieb die besten Anbieter aus dem Markt. (…) Zitronenproblem – die hochqualitativen Anbieter können sich ja nicht aus dem Markt zurückziehe. Wenn alle mit dem Betrügen beginnen, kann doch ein ehrliches Unternehmen nicht so einfach sagen, es mache da nicht mit! Soll es sich den selbst aufgeben? Das tut es gewiss nicht. Es macht eben mit. Es betrügt auch. S. 111

Bekleidung wird uns so oft zum halben Preis angeboten, dass wir uns beim Bezahlen eines Normalpreises latent übers Ohr gehauen fühlen. S. 112

Selbst wenn etwas „ehrlich“ wäre, wie wüssten wir es denn? Wir sind eigentlich überall verdrossen, weil wir immer weniger vertrauen können. (…) Aber dieses Misstrauen, so berechtigt es auch ist, schadet den echten Qualitätsanbietern – so, wie Akerlof es voraussagt. S. 113.

Mit anderen Worten: Auch wir als Kunden sind opportunistisch und unfair geworden, wir missbrauchen unsere Lieferanten. Wir leisten damit unseren noch existierenden Qualitätsanbietern aktive Sterbehilfe oder treiben sie ebenfalls in den Opportunismus. Wir lassen die ehrlichen Unternehmen nicht mehr leben. S. 113

Diese Gesamtdummheit kann nur aufgehoben werden, wenn sich die Mehrheit mit dem berechnenden Opportunismus aufhört und wieder einen Sinn für Schwarmintelligenz entstehen lässt. Ich sehe kaum, wie das gehen soll, so weit hat sich die Todesspirale schon gedreht. Das Ausbrechen wird täglich schwerer. Am leichtesten könnte das gelingen, wenn wir eine lange Prosperitätsphase in der Wirtschaft bekommen, sodass wir wieder großzügiger werden und uns allseits gut leben lassen. S. 114.

In einer opportunistischen Wirtschaftsordnung dienen die Unternehmen nicht mehr vorrangig der Deckung des Bedarfe. Sie nutzen Sehnsüchte und Unwissen aus, um sich zu bereichern. Die scheinbare Tätigkeit, Bedarfe zu decken, ist nur das Mittel zum Zweck. S. 115.

Ich habe das eben beschriebene Fondsbeispiel Bankern vorgelegt. Sie lächeln dann alle sehr speziell und sagen zu mir: „Gott bewahre uns vor aufgeklärten Googlern wie Ihnen!“ S. 117.

Das ist dann das Ende der allseitigen Opportunismus-Spirale. Wir haben alle mitgemacht. Die einen beraten nicht mehr, die anderen bezahlen anständige Arbeit nicht mehr. Wir haben un alle einander entfremdet, weil wir uns alle auf den allgemeinen Zitronenhandel eingelassen haben. S. 121.

Wenn sich in einem Schwarm alle „Intelligenten“ bemühen, alle anderen als „Dumm“ Aufgefassten übers Ohr zu hauen, wird der Schwarm insgesamt dumm und misstrauisch. S. 122.

Der einsame Mahner mitten im opportunistischen Schwarm

Was kann ein einzelner Vernünftiger tun? Ich habe einmal als Berater den kompletten Vorstand eines Unternehmens gewarnt, jedes Vorstandsmitglied einzeln nacheinander, dass es logisch gesehen eine große Katastrophe gegen würde. Sie blockten ab. Einer sagte – das habe ich heute noch im Ohr: „Es ist logisch, was Sie sagen. Wahrscheinlich stimmt es sogar. Aber es sagst sonst niemand. Nur Sie. Nehmen wir an, ich setze um, was Sie sagen – und nehmen wir an, es geht schief. Dann werden mich die Shareholder fragen, warum ich so entschieden habe – als Einziger unter vielen Unternehmenschefs. Ich werde dann antworten, dass mir Gunter Dueck das so empfohlen hat. Den Dueck kennen meinen Shareholder leider nicht – ich wäre daher sofort meinen Job los. Warum also soll ich Ihnen überhaupt zuhören, wenn Sie etwas vorschlagen, was keiner sonst vorschlägt?“ – Ich erwiderte: „Weil es nach normaler Logik eine Vollkatastrophe gibt, wenn Sie nicht auf mich hören.“ – „Aber nicht für mich, Herr Dueck, weil alle anderen Unternehmen ebenfalls in dieselbe Katastrophe laufen. Wenn mich dann die Shareholder fragen, warum ich versagte, dann kann ich damit auftrumpfen, dass es in der Branche niemand richtig gemacht hat, sodass ich es also nicht habe erkennen können, weil es ja kein Einziger erkannt hat. Sie sind sehr intelligent, Herr Dueck, ich aber auch. Verstehen Sie mich in der vollen Tragweite?“

Wenn alle dumm zu sein scheinen, ist es unter vielen Umständen besser, sich selbst auch dumm zu stellen. (…) Wie ging es weiter? Logik ist Logik, die Katastrophe kam sechs Monate später. (…) Man löst im Schwarm Probleme, wenn sie kommen, eins nach dem anderen – und man wartet gelassen (= schwarmdumm?), bis sie kommen. Es hat keinen Sinn – so sagen viele oder so sagt die Mehrheit -, Probleme zu lösen, die noch nicht gekommen sind. Vieles erledigt sich bekanntlich von selbst, und die meisten Probleme kommen dann doch nicht. Manager sind nicht gut beraten – so sagen viele -, zu sehr auf dünnhäutige Schwarzseher zu hören. S. 122f

Ein Phänomen, dass ich auch immer wieder im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Thema „Blackout“ feststelle.

Die Book Smart reden immer vom Wohlstand für alle, die Street Smarts vom Siegen über andere oder vom Überleben im Wettbewerb. Die Praxis der Street Smarts hat zu unsinnigen Überlastungen und der Akzeptanz des opportunistischen Verhaltens der Marktteilnehmer geführt. Die Wirtschaft ist zum Straßendschungel geworden,. Wer einen Wissensvorsprung hat, nutzt ihn aus („monetarisiert ihn“). Alle diese Street-Smart-Effekte zusammen leiten einen Teufelskreis ein, eine Akerlof-Spirale, die zu immer größerem Opportunismus der Anbieter, zum Sinken der Kundentreue und zu immer schlechterer Leistungsqualität („das tut’s“) führt. S. 127.

William Edwards Deming: „Beschuldigt nicht die Arbeiter – die machen nur 15 Prozent der Fehler selbst, während die restlichen 85 Prozent aus unbeabsichtigten Konsequenzen eines Systems resultieren, dass das Management so designt hat, wie es ist.“ Aber ich allein kenne so viele Manager, die ihren Mitarbeitern genau das aufdrücken: nicht immer über die Unvollkommenheiten des Systems zu meckern, sondern damit verdammt noch mal fertig zu werden. „Ich muss mit diesem System schließlich selbst auch fertig werden, das verlange ich von Ihnen auch.“ S. 128.

Auch technische Systeme werden zunehmend stärker ausgelastet.

Wollen wir wirklich wieder nach den Gesetzen des Dschungels leben? Haben wir nicht schon erkannt und akzeptiert, dass wir ohne große Kriege besser leben und Rüstungsspiralen schwarmdumm sind? Warum glauben wir den, dass „Kampf um das Überleben“ in Privatleben und Ökonomie besser sei als gesunde Vernunft? Die Schwarmdummheit lastet auf uns. S. 129.

Erstklassige sehen das Ziel, etwas genial einfaches Exzelentes zu erschaffen. Dann suchen sie nach Mitteln dafür, es zu erreichen. Sie nehmen sich Zeit, es zu erreichen. Sie üben und üben und streben. Zweitklassige Book Smarts schauen nach rechts und links: Sind sie selbst aus Ihrer Sicht und im Vergleich zu anderen „in Ordnung“? Haben sie ihre Pflicht getan? Was tun die anderen? Sind sie schon weiter oder besser? Wer ist Klassenprimus? Ist man selbst noch besser als der Durchschnitt? Zweitklassige Street Smarts denken im Hier und Jetzt: Was ist jetzt im Augenblick an Gewinn für sie drin? Was bringt es jetzt sofort? Der große Unterschied liegt zwischen der absoluten Sicht der Erstklassigen und der relativen Sicht der Zweitklassigen. Darauf will ich jetzt ein erstes Blitzlicht werfen. Wenn es in irgendeinem Schwarm dazu kommt, dass das Zweitklassige die Mehrheit erringt, dann setzt sich das Denken der Zweitklassigen durch. Sie sehen nicht mehr auf das gemeinsame Ziel, sondern achten nur noch darauf, gut zu arbeiten. Die Schwarmdummheit setzt ein, wenn sich das Erstklassige nicht mehr gegen das Zweitklassige halten kann. Das ist regelmäßig der Fall, wenn Firmen sehr groß werden. Nur wenige große Firmen behalten ihre Größe, wenn sie größer werden. Die großen Schwarmdummen täuschen bald nur noch Erstklassigkeit vor. Sie sind nicht mehr erstklassig, aber sie können noch lange Zeit so tun als ob („faken“). S. 134.

Fast alle Großen haben einen besonderen Charakter, sie begründen neue Wissenschaften, sind auf einem Gebiet kreative Schöpfer oder prägen einen eigenen Stil. Das ist manchmal leicht zu sehen, aber die Vielfalt und das überraschend Einzigartige an ihnen macht es ganz schwer, sie „nach einheitlichen Kriterien“ zu beschreiben. Man kann das Große nur im Ganzen erfassen – ja, und manchmal lässt sich das Geniale erst viel später erkennen. (…) Die Zweitklassigen brauchen Regeln, Empfehlungen und Rezepte, um etwas zu erzeugen – und die gibt es für das Erstklassige eben meistens nicht. S. 136.

Erstklassigkeit verlangt ein Gespür für die Inhalte. (…) Wirkliche Erstklassigkeit in einem zweitklassigen Unternehmen wirkt auch immer wie ein Vorwurf an die Zweitklassigkeit – den muss jemand, der Sehnsucht erzeugen will, unbedingt vermeiden. Vorwürfe aber prallen ab. Also: keine Vorwürfe! S. 151.

Man kann aus Datenzusammenhängen nur selten gleich eine Erklärung für den Zusammenhang abgeben. Es ist leicht, Zusammenhänge in Daten zu finden. Es ist meistens sehr schwer, den Zusammenhang wirklich gut zu erklären. Die Studien stellen fast immer nur den Zusammenhang fest, geben aber keine wahre und überprüfbare Erklärung des Zusammenhangs ab. S. 176.

Der Schwarm erklärt den Zusammenhang dumm einfach und falsch als simple Kausalbeziehung. S. 177.

Das feste Behaupten oder Suggerieren von (falschen) Kausalzusammenhängen ist ein fabelhaftes Mittel zur Verdummung, zum Verkaufen, zum politischen Agitieren und Manipulieren und zum Erzeugen vorschneller Vorurteile. S. 180.

Die Tendenz, aus Studien über bloße Zusammenhänge heraus einen Wirk- oder Kausalzusammenhang quasi zu erfinden und danach zu behandeln, ist wohl die größte Quelle der Schwarmdummheit. S. 181.

Oft ist es möglich, dass die Zusammenhänge zwischen einem Merkmal X und einem anderen Merkmal Y durch eine dritte Variable Z („Hintergrundvariable“) besser oder ganz erklärt oder mindestens erhellt werden können. S. 181.

Wie kann man von der Akerlof-Abwärtspirale in eine Aufwärtsspirale kommen? Das ist die entscheidende Frage. Die Antwort liegt fast auf der Hand: radikale Umkehr. Das aber wollen die Politiker, Manager, Lobbyisten, Beratungsfirmen, Einzelmenschen absolut nicht. Sie suchen die einfache Erfolgsformel für die schnelle Lösung – „Quick Fix“. Die aber gibt es nicht. S. 185.

Eine im Ganzen verlorene Balance kann fast niemand durch den „Fokus“ auf nur eine einzige Erlösungsrichtung wiedergefunden werden. Der Wechsel von „nicht vital“ zu „vital“ ist sehr grundsätzlich und absolut umfassend. Er bedeutet einen Wandel im Ganzen. S. 187.

Ich sage nicht, dass die eine oder die andere Seite besser oder schlechter ist. Es ist aber dumm, nur eine zu kennen und zum Maßstab zu machen. (…) Aber das Management erklärt die eigene Auffassung zum Standard und versucht, alle anderen Menschen zu seiner Seinsauffassung zu zwingen. Sie zwingen die Fachleute, unter leistungsschwächendem Stress zu arbeiten und schlechte Ergebnisse zu erzielen. Dann gibt es noch mehr Stress, wenn die Ergebnisse schlecht sind! Es ist aber eine Art globaler Wahnsinn der Manager, alles müsste unter Stress stehen! S. 207.

Misstrauen Sie allen Aussagen der Form „X bewirkt Y, so wie „Eine schicke Frisur bringt frische Liebe“. Vermuten Sie am besten dahinter eine ganz simple Datenerhebung. (…) Denken Sie über Zusammenhänge so oft nach, wie Sie können. Hier im Beispiel kann es sein, dass der neuen Frisur absichtlich im Zusammenhang mit einem neuen Leben stand. Das kann man verstehen! Aber wenn ich Leute zufällig von der Straße hole und ihnen einen anderen Haarschnitt verpasse, dann kommt bestimmt keine neue Liebe! Ein Zusammenhang ist daher verständlich, die dumm-einfache Kausalität sicher falsch. Versuchen Sie, jede solche behauptete Wirkung „X führt zu Y“ in dieser Weise auseinanderzunehmen. Sie werden eine spannende Zeit haben und merken, dass die Welt vor erfundenen (falschen) Kausalbeziehungen nur so wimmelt. S. 207f.

Es gibt kaum Abteilungen und kaum Jahre, in denen es keine Sonderfaktoren gibt, die sich gravierend auswirken. Mann kann ja nicht vorher sagen, welche Risiken für das Folgejahr bestehen. S. 217.

In Wahrheit sind viele Ziele immer so konzipiert, dass sie schon dann ehrgeizig sind, wenn das ganze Jahre über Schönwetter herrscht, wenn absolut rein gar nichts dazwischenkommt. S. 218.

Die Balance Scorecard war als intelligenter Versuch gedacht, ein Unternehmen und die Wirkweisen von Handlungen in ihm zu verstehen. Sie verkam zu einem Trend, das Unternehmen anhand der vielen neuen Kennzahlen stärker zu „motivieren“. S, 218.

Diese Sucht, alles bis an die Oberkante des gerade Legalen und oft etwas darüber hinaus auszureizen, war ein wesentlicher Auslöser der globalen Finanzkrise. Jetzt muss der Steuerzahler einstehen. S. 221.

Eine Vollkatastrophe wird derzeit durch eine Nullzinspolitik abgewendet oder aufgeschoben. Der Sparer bekommt eben nichts, bis es den Banken wieder gut geht. S. 221.

Ein nachhaltiges Unternehmen modernisiert kontinuierlich! Ein gieriges Unternehmen betreibt Raubbau, weist riesige Gewinne aus und beschert dem Management große Boni, Muss dann ab und zu einmal doch aufgeräumt werden, entschuldigt sich das Management mit einer „einmaligen“ Sonderbelastung, die „ja nicht schlimm ist“. S. 222.

Wer also seine „Zahlen macht“, wie auch immer, wird unausgesprochen vom System gedeckt und nur dann „exemplarisch“ als „bedauerlicher Einzelfall“ in der Öffentlichkeit „hart und entschlossen“ bestraft, wenn jemand die Sünden von außen aufdeckt. Solange nichts ans Licht kommt, bleiben Sünden im Namen des Systems geduldet. Dadurch höhlt sich das System von selbst aus. Es wird innen morsch, hohl und fault. Ist das noch Schwarmdummheit? Oder schon Schwarmirrsinn? Oder bloß die allgemeine Tragik zu großer Organisationen? Es ist so, also ob ein Ameisenhaufen die Ameisen plötzlich umprogrammiert, sodass diese fortan nur noch dafür arbeiten, den Ameisenhaufen in protzige Dimensionen zu vergrößern, aber keine Nachkommen mehr aufziehen, weil dazu keine Zeit ist … S. 233.

Wie kann sich nun Vernunft im Zahlenwahn behaupten? Die traurige Wahrheit: Vernunft wird im dummen Schwarm als extrem nörglerisches Omega wahrgenommen. Die Vernunft sieht ja die ganze Akerlof-Spirale, sie sieht, dass restlos alles gegen die Wand fährt, sie kritisiert das Ganze radikal – weit über die jeweilige Abteilung hinaus, in der sie Kritik übt. Und eben deshalb sagen alle zur Vernunft: „Bring einfach deine Zahlen, halte nicht alles durch sinnloses Predigen auf. Wir wissen, was eigentlich und theoretisch vernünftig wäre, aber wir leben in der Realität.“ S. 237.

Deshalb ist die Vernunft in einem schwarmdummen System ein Netzbeschmutzer. S. 238.

Letztlich kann man arbeiten, wie man will, aber es ist immer problematisch, anders als die anderen zu arbeiten. Mit diesen Problemen muss man fertig werden – es hat keinen Sinn, diese Probleme grundsätzlich nicht haben zu wollen. S. 239.

Die bisher besprochenen Möglichkeiten, zu mehr Gewinn zu kommen, versuchen, die Spielregeln möglichst krass auszunutzen. Alles, was irgendwie erlaubt ist, wird gemacht, eventuell noch ein bisschen mehr. Man schaut nicht so genau hin, ob es immer noch Fett ist, was beim Optimieren abgeschnitten wird, oft ist schon Muskelfleisch des Unternehmens dabei und es blutet beim Schneiden. Statt solcher rigorosen Optimierung innerhalb der Spielregeln des Marktes kann man aber auch versuchen, die Regeln zu ändern. S. 245.

Bei vielen Veränderungen, zum Beispiel bei größeren Innovationen, lässt sich nicht vorher berechnen, wie viel Mehrgewinn eingefahren werden kann. Es geht einfach nicht! S. 247.

Leider ist das Unternehmen durch seine jahrzehntelang geübten Effizienzprozesse vollkommen vernagelt und denkt nur noch in diesen Prozessen. Es kann also nichts mehr tun, was sich nicht mehr vorher berechnen lässt. Werden nun solche Innovationen, deren Nutzen nicht berechnet werden kann, in Prozessmühlen verarbeitet, deren Hauptprinzip ist, den Nutzen vorher zu berechnen, dann kann das Ergebnis nur Ablehnung sein! Diese lähmende Verkrustung ist mindestens schwarmdumm, wenn nicht tödlich. S. 248.

Wirklich verändernde Innovationen oder Wechsel zu neuen Technologien oder Geschäftsmodellen sind inzwischen fast unmöglich geworden. Sie scheitern an den Denkgewohnheiten und den Genehmigungsprozessen, die an jeder Stelle nach einem exakt berechneten Nutzen in kurzer Zeit fragen. „Alles, was Geld kostet“, steht so sehr unter Tabu, dass es kaum noch gedacht wird, weil ein solches Denken fast schon ganz verdrängt worden ist. S. 249.

Das ist nicht nur gesunder Menschenverstand, es ist Mathematik: Irgendwann ist das lokale Optimieren „fertig“, und von diesem Zeitpunkt an werden die Kosten nur noch hin und her geschoben. S. 253.

Schwarmdumme Unternehmen ohne Keller (für verdeckte Innovationen) haben keine Zukunft. Das könnte auch ein Fazit des ganzen Buches sein. Schwarmdumme Unternehmen richten den Blick aus der Pflichtbrille des Effizienzdenkens nur noch auf die Zahlen, Auslastungen und Kosten. (…) Sie scheitern. Es sei denn, in ihrem Keller gibt es noch eine geschützte Zone für Schwarmintelligenz. S. 256.

Wir denken zu oft, dass Zahlen in Stein gemeißelt sind, und vergessen, wie sehr und wie oft dabei getürkt wird. S. 258.

Müssen wir die großen Firmen irgendwie als unreformierbare Zone „aufgeben“? Wir stehen vor einer unfassbar schwierigen Aufgabe, wenn wir umkehren wollen. S. 315.

Ländern, Organisationen, Unternehmen oder Schwärme im Aufbruch zu neuen Ufern vergessen die Schwarmdummheit. Sie haben dafür keine Zeit. S. 323.

Eine Ergänzung aus der IT-Welt – ein Auszug aus der Ö1 Matrix Sendung vom 30.11.14: