Schwarzstart & Netzwiederaufbau
Damit es tatsächlich zu einem überregionalen Strom-, Infrastruktur- und Versorgungsausfall („Blackout“) kommt, müssen sehr viele Dinge zur falschen Zeit zusammenkommen und schieflaufen. Ausgeschlossen werden kann dies jedoch nicht, wie der jüngste Blackout in Europa am 21. Juni 2024 erneut gezeigt hat, auch wenn dieses Ereignis relativ glimpflich verlief und in Mitteleuropa kaum wahrgenommen wurde. Niemand weiß aber, ob die umfassenden Sicherheitsvorkehrungen immer in dieser Form greifen und ob immer eine so schnelle Wiederherstellung gelingt, sodass auch die Folgewirkungen weitgehend ausbleiben.
Die sich ändernden Rahmenbedingungen machen die Bewältigung und eine mögliche Wiederherstellung nicht einfacher. Daher soll hier ein Einblick gegeben werden, wie ein solcher Schwarstart aussehen könnte, wenn ein Weiterschalten aus benachbarten, nicht ausgefallenen Bereichen nicht möglich sein sollte.
Drei Faktoren für einen sicheren Netzbetrieb
Um die Versorgungs- und Funktionsfähigkeit des Stromversorgungssystems auch bei (extremen) Störungen aufrechtzuerhalten und Kaskadeneffekte zu verhindern, wurden drei wesentliche Fähigkeiten definiert:
- Robustheit: Der Begriff umfasst die Widerstandsfähigkeit von Betriebsmitteln im Normalzustand unter Einhaltung des n-1-Kriteriums. Der Normalzustand (n-0) ergibt sich, wenn ein Netzelement ohne direkte Konsequenzen ausfallen darf. Erst danach geht das System in den n-1-Zustand über.
- Anpassungsfähigkeit: Im n-1-Fall geht das System in den gefährdeten Zustand über. Alle Normwerte werden weiterhin eingehalten, durch die Redundanz im Netz. Dennoch müssen Maßnahmen ergriffen werden, um das ursprüngliche Sicherheitsniveau n-0 wiederherzustellen. Kann das System nicht schnell genug wiederhergestellt werden und fallen weitere Betriebsmittel durch Grenzwertverletzungen aus, geht das System in den Notzustand über.
Zur Stabilisierung des Netzes greifen die Systemkoordinatoren auf Systemdienstleistungen (Bsp. Regelenergie) zurück. Fällt die Frequenz trotzdem unter einen kritischen Wert, erfolgt die Trennung von einzelnen Verbrauchern / Netzabschnitten.
- Erholungsfähigkeit: Haben die Maßnahmen zur Netzstabilisierung nicht ausgereicht und ist es zur Trennung von Netzabschnitten oder dem Ausfall des gesamten Netzes gekommen, ist das Netz schrittweise auf seinen alten Zustand hochzufahren. Bei einem vollständigen Netzzusammenbruch erfolgt der Wiederaufbau in zwei Phasen. Phase 1 ist das Ziel, das Übertragungsnetz wieder unter Spannung zu setzen und ausreichend Systemdienstleistung zu reaktivieren. In Phase 2 erfolgt die schrittweise Synchronisierung mit den Erzeugern und Verbrauchern im Netz, bis der Ursprungszustand wiederhergestellt ist.
Nach einem Blackout („Schwarzfall“): Schwarzstart & Netzwiederaufbau
Kommt es trotz aller Sicherheitsvorkehrungen zu einem großflächigen Stromausfall, spricht man in Fachkreisen von einer Großstörung oder einem Blackout. Dann sind nicht nur die Leitungen stromlos, sondern auch die Kraftwerke haben sich zum Selbstschutz spätestens bei 47,5 Hertz vom Netz getrennt.
Die meisten Kraftwerke können auch nicht einfach wieder hochfahren und ans Netz gehen. Dazu müssen sie „schwarzstartfähig“ sein, d.h. ihren Eigenbedarf aus unabhängigen Stromquellen decken können, regelbar sein und schnelle Lastwechsel sowie ausreichend große Lastsprünge („Laststöße“) verkraften können.
In Österreich gibt es offiziell zwei schwarzstartfähige Kraftwerke mit einer Leistung von ca. 1,5 GW im Übertragungsnetz. Aus der Vergangenheit gibt es in Österreich aber noch einige weitere kleinere dezentrale schwarzstartfähige Kraftwerke, in der Regel Wasserkraftwerke bzw. Speicherkraftwerke in den Verteilnetzen. Insbesondere Pumpspeicherkraftwerke haben eine sehr hohe Leistungs- und Regelfähigkeit, was auch erklärt, warum in Österreich nur 2 Kraftwerke und in Deutschland 120 Kraftwerke vorgehalten werden, obwohl der Leistungsunterschied nur das 6,4-fache beträgt. Und nur weil man ein Kraftwerk schwarz starten kann, heißt das noch lange nicht, dass man damit auch den Netzwiederaufbau bewältigen kann. Grundsätzlich gilt: Je kleiner die Anlagen, desto schwieriger und langwieriger ist das Hochfahren. In der Schweiz sollen je nach Quelle vier bis zehn schwarzstartfähige Kraftwerke vorgehalten werden.
Auch für Deutschland gibt es unterschiedliche Zahlen: 120 schwarzstartfähige Kraftwerke (9,7 GW) oder „Gemäß Monitoring nach § 35 EnWG gibt es in Deutschland 174 schwarzstartfähige Anlagen (Kraftwerksblöcke bzw. Turbinen), die über eine Netto-Nennleistung von mindestens 10 MW verfügen. Diese sind aktuell in Betrieb oder werden als Teil der Netzreserve für den Schwarzfall vorgehalten. Von den insgesamt 174 schwarzstartfähigen Anlagen werden 26 Anlagen tatsächlich von den Übertragungsnetzbetreibern für einen Netzwiederaufbau vorgesehen.“ Ein weiteres Problem stellt die Kommunikation zwischen Kraftwerks- und Netzbetreibern dar, die für die Koordination der Maßnahmen unerlässlich ist. Zwar gibt es grundsätzlich eigene Kommunikationsnetze, die aber nicht überall im gleichen Umfang ausgebaut sind.
Vergleich
Der tägliche Netzbetrieb und ein Schwarzstart können mit dem Fliegen verglichen werden. Der tägliche Betrieb ist wie ein Flug. Manchmal gibt es Turbulenzen, dann muss der Pilot eingreifen. Ansonsten kann auch der Autopilot fliegen. Der Start eines Flugzeugs erfordert jedoch besondere Aufmerksamkeit und Fähigkeiten. Das gilt auch für einen Schwarzstart. Dieser kann aber nur im Simulator geübt werden. Zum anderen sitzen dann nicht nur zwei Piloten für ein paar Minuten am Steuer, sondern viele und das über viele Stunden oder gar Tage. Das wird also kein Spaziergang, auch wenn sich die Netzbetreiber sorgfältig auf den Tag X vorbereiten.
Ein Schwarzstart ist daher keine rein technische Herausforderung. Vielmehr sind auch organisatorische und personelle Voraussetzungen für das Gelingen ausschlaggebend. Daher ist auch ein koordinierter Schwarzstart mit mehr Kraftwerken wesentlich aufwendiger und fehleranfälliger als etwa mit 2 Kraftwerken. Gerade beim Zusammenschalten der Teilnetze können Fehler auftreten, die zum erneuten Kollaps des bereits wieder funktionierenden und verbundenen Netzgebiets führen können. Höre dazu auch: Stromkollaps im Extremwinter
Stromkollaps im Winter 1978/79
Die Vorarlberger illwerke vkw haben dazu auch ein hervorragendes Erklärvideo erstellt.
Wichtig ist auch zu wissen, dass eine Weiterschaltung oder ein Schwarzstart mit anschließendem Netzwiederaufbau durchaus länger dauern können und hier gerne von unterschiedlichen Dingen gesprochen wird. Wenn zum Beispiel ein Übertragungsnetzbetreiber von Netzwiederaufbau und Fertigstellung spricht, dann bezieht sich das im Prinzip auf das Übertragungsnetz. Und dementsprechend gibt es dann auch unterschiedliche Angaben, wie lange es dauern kann, bis der letzte Kunde im Verteilnetz wieder versorgt ist. Während am 21. Juni 2024 die Wiederherstellung des Übertragungsnetzes etwa 2 Stunden gedauert hat, gibt es auch Berichte, dass Kunden 8 Stunden ohne Strom waren.
Je länger der Ausfall im Übertragungsnetz dauert, desto länger und schwieriger wird die Wiederherstellung der Versorgung auf Kundenebene. Auch das wird nicht überall gleich sein, weil es von unterschiedlichen Rahmenbedingungen abhängt, die im Vorfeld schwer vorhersehbar sind. Daher die dringende Empfehlung: Lieber mit einem längeren Ausfall und schwerwiegenderen Folgen rechnen und hoffentlich positiv überrascht werden als umgekehrt.
Mögliche Probleme beim Wiederhochfahren mit EE
Quelle: www.scinexx.de
Wie gut funktioniert das Hochfahren des Stromnetzes mit Windparks und Solaranlagen?
Für den Ernstfall: Das Wiederhochfahren des Stromnetzes nach einem großflächigen Stromausfall ist diffizil. Wie gut dies mit dezentralen Wind- und Solaranlagen geht, haben Forscher jetzt in Feldtests und Simulationen ausprobiert. Das Ergebnis: Es kann funktionieren, wenn Windparks und Photovoltaikanlagen im Blackout-Fall zentral ferngesteuert werden und wenn sie über spezielle Störfall-Modi verfügen. Dafür ist allerdings noch einiges an technischer Aufrüstung nötig, denn bisher fehlt die Technik dafür meist.
Das Stromnetz ist nur dann stabil, wenn sich Spannung und Frequenz des Wechselstroms in einem eng definierten Rahmen bewegen. Kommt es zu größeren Abweichungen, kollabiert das sensible Gleichgewicht von Einspeisung und Entnahme und die Stromversorgung bricht zusammen. Um einen solchen Blackout zu verhindern, haben die Übertragungsnetzbetreiber – die für die überregionalen Hochspannungsnetze Verantwortlichen – verschiedene automatisierte Schutzmechanismen und Notfallprotokolle entwickelt.
Perfekte Balance beim Hochfahren entscheidend
Doch was ist nach einem Blackout? Ein Stromnetz nach einem großflächigen Ausfall wieder hochzufahren, erfordert ein komplexes Jonglieren mit Stromlieferanten und Stromabnehmern. Nach dem Ausfall speisen zunächst einige schwarzstartfähige Kraftwerke Strom ein und bilden erste funktionierende Inseln im Stromnetz. Schwarzstartfähig sind Anlagen wie Gas- oder Wasserkraftwerke, die schnell und unabhängig von externer Stromversorgung hochfahren und die selbständig die geforderte Spannung und Frequenz einstellen können.
Sobald dann der erste Strom fließt, steuern die Übertragungsnetzbetreiber das Zuschalten weiterer Stromerzeuger und Verbraucher. Kommt es dabei zu einer Dysbalance, gerät das Stromnetz wieder aus dem Sollbereich und kollabiert erneut. Entsprechend viel Erfahrung und zentrale Kontrollmöglichkeiten erfordert dieses Hochlaufen. Bisher liegt die Verantwortung dafür bei den Betreibern der überregionalen Hochspannungsnetze, weil die Großkraftwerke ihren Strom direkt in diese leistungsstärksten Netze einspeisen.
Kontrolle verlagert sich in die Verteilnetze
Mit der Energiewende ändert sich dies: Die Stromgewinnung wird dezentraler und basiert stärker auf vielen kleinen Windkraft- und Solaranlagen. Diese erzeugen zu wenig Strom, um direkt in die Hochspannungsnetze einzuspeisen, und sind daher an die Verteilernetze mit Mittel- und Niederspannung angeschlossen. „Diese Veränderungen der Erzeugungs- und Laststruktur auf der Verteilnetzebene erfordern neue Fähigkeiten der Verteilnetzbetreiber“, erklärt Jonathan Bergsträßer vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE.
Im Falle eines Blackouts verlagert sich das diffizile Wiederhochfahren damit künftig auf die bisher wenig darauf vorbereiteten Verteilnetze, wie der Forscher erklärt. Selbst wenn Gas- und Wasserkraftwerke weiterhin den Schwarzstart übernehmen, hängt es vom balancierten Zuschalten der dezentralen Wind- und Solaranlagen ab, ob das Stromnetz wieder stabil wird oder nicht. „Uns Verteilnetzbetreibern kommt mit der Energiewende eine neue Rolle im Energiesystem zu – auch beim Wiederhochfahren nach einem großflächigen Stromausfall“, sagt Thomas Schmidt, Projektleiter beim Netzbetreiber Westnetz in Rheinland-Pfalz.
Ob und wie das funktionieren könnte, haben Bergsträßer und seine Kollegen nun in einem dreijährigen Projekt mit mehreren Feldtests und Simulationen untersucht.
Wichtigste Voraussetzung: die Fernsteuerung
Eines der ersten Ergebnisse: Ohne Möglichkeiten der zentralen Kontrolle geht es nicht. Das Wiederhochfahren funktioniert nur dann, wenn Windparks und Solaranlagen im Notfall von den Netzbetreibern gesteuert werden können. [Was heute die Ausnahme ist!] Dafür muss es entsprechende Internet- und Mobilfunkschnittstellen geben sowie die Option, voreingestellte Parameter zu überschreiben.
Für Windparks hat das Projektteam eine solche Schnittstelle bereits entwickelt und in ersten Windparks im Testgebiet installiert. „Im Gegensatz zu Anlagen mit heutigem Betriebsverhalten können Windparks mit Störfallregelung aktiv und konstruktiv in bestehende Netzwiederaufbaukonzepte integriert werden, wodurch sich neue Möglichkeiten ergeben und Ausfallzeiten reduzieren lassen“, erklären die Wissenschaftler.
Aus vielen Solaranlagen wird ein virtuelles Flächenkraftwerk
Für die zahlreicheren und kleineren Solaranlagen hat das Team das Konzept der Flächenkraftwerke entwickelt, mit dem Photovoltaikanlagen einer ganzen Region zusammengeschlossen und zentral gesteuert werden können. „Durch die zentrale Ansteuerung dieser Anlagen und der damit verbundenen Latenzzeit der Kommunikationskanäle können Leistungsreserven im Zeitbereich einiger Sekunden bis wenigen zehn Sekunden aktiviert werden“, erklärt das Projektteam. Erste Feldtests mit einem Solar-Flächenkraftwerk verliefen erfolgreich.
Eine weitere Voraussetzung sind möglichst präzise Vorhersagen dazu, wie viel Strom die Wind- und Solaranlagen unter den aktuell herrschenden Wetterbedingungen liefern können. [Und diese benötigen ebenfalls Strom & Datenverbindungen, was bei einem Blackout aber nur teilweise sichergestellt werden kann!9 „Im Projekt wurde eine Prognostik entwickelt, die stör- und schwarzfallrobust in jeder Netzsituation den Netzbetreiber mit aktuellen Daten versorgen kann“, berichtet Lukas Holicki, Projektleiter bei ENERCON. Dafür wurden Modellrechnungen mit Wetterdaten und anlagenspezifische Betriebsdaten kombiniert.
Feldtest mit Windpark erfolgreich
Ob das Ganze im Ernstfall funktionieren würde und wo es noch hapert, haben die Forschenden in Feldtests im Gebiet des Verteilnetzbetreibers Westnetz untersucht. Dabei wurde ein Windpark des Betreibers Alterric Deutschland mit 22 Windturbinen und 52 Megawatt Leistung zunächst mit den entsprechenden Kontrolltechnologien ausgerüstet, dann schnitt der Netzbetreiber die Stromzufuhr oberhalb des Einspeisepunkts ab – und simulierte so den Blackout.
Es funktionierte: Dank der neuinstallierten Fernsteuerungstechnik konnte der Netzbetreiber den Windpark so regeln, dass er genau die erforderliche Strommenge ins „ausgefallene“ Netz einspeiste. Schon fünf Minuten nach dem Blackout erreichten Spannung und Frequenz im Stromnetz wieder die Sollwerte, wie die Wissenschaftler berichten. Ähnlich erfolgreich verlief auch eine Simulation, bei der mehrere Windparks nach einem Netzausfall nacheinander so zugeschaltet werden mussten, dass das Stromnetz stabil bleibt.
Eine weitere Simulation demonstrierte jedoch auch, was im Ernstfall beim Zuschalten eines Windparks ohne entsprechenden Störfall-Modus passieren würde: Nachdem ein Gaskraftwerk den Schwarzstart übernommen hat, geht der Windpark ans Netz, produziert dabei aber nach seinen internen, leistungsoptimierten Vorgaben. Als Folge kann er nicht an die Anforderungen des noch labilen Stromnetzes angepasst werden und bringt das gesamte System nach etwa 15 Minuten erneut zum Kollaps.
Hochfahren machbar, aber nur mit technischer Nachrüstung
Nach Ansicht des Forschungsteams liefert ihr Projekt wichtige Erkenntnisse dazu, wie gut sich Blackouts im Stromnetz auch mit dezentralen Stromlieferanten wie Windparks und Solaranlagen meistern lassen. „Windparks und Solarkraftwerke können beim Hochfahren des Netzes einen aktiven Beitrag leisten“, sagt Becker. „Das ist technisch zwar anspruchsvoll, aber möglich, wie unsere Feldversuche eindeutig gezeigt haben.
Allerdings erfordert dies technische Lösungen, die bisher in den meisten Anlagen noch nicht installiert sind. Sowohl bei den Kommunikationsverbindungen zu den Netzbetreibern wie auch bei der Steuertechnik müsse daher nachgerüstet werden. Ähnliches könnte für dezentrale Stromverbraucher in den Niederspannungs-Verteilnetzen gelten. Denn auch Batteriespeicher, Wärmepumpen oder auch Flotten von Elektroautos können beim Wiederhochfahren wichtige Puffer darstellen. [Derzeit würden sie aufgrund Ihrer Parametrierung wohl eher ein Wiederhochfahren behindern!]
Quelle: Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE